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STANDPUNKT/024: Biodiversität und Ethik - Sahnehäubchen oder ultimatives Argument? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2010

Standpunkt: Biodiversität und Ethik: Sahnehäubchen oder ultimatives Argument?


"Warum glauben Sie, dass Biodiversität gut ist?" Diese Frage beantwortete Michael Soulé, einer der Begründer der amerikanischen Naturschutzforschung, nicht mit der Notwendigkeit für das menschliche Überleben oder das Funktionieren von Ökosystemen, sondern damit, dass er es liebe, ein weites Spektrum der Arten und Lebensräume zu sehen, dass es eine ästhetische Erfahrung sei. Eine bemerkenswerte Antwort, die wahrscheinlich von vielen Menschen, auch vielen Wissenschaftlern, die sich mit Biodiversität befassen, geteilt wird. Es sind nicht nur ökonomische und "ökologische" Gründe, die uns die biologische Vielfalt schützen lassen. Es geht auch um Werte und damit um Ethik.

Was aber heißt das? Vielfach, so muss man leider feststellen, ist Ethik lediglich das Sahnehäubchen, das auf eine ansonsten ökonomisch oder "ökologisch" begründete Wertschätzung von Biodiversität gesetzt wird: die wirklich wichtigen Argumente sind genannt, aber, ach ja, es gibt ja auch noch ethische Argumente für den Naturschutz, wenn auch als Argumente zweiter Klasse. Umgekehrt sehen manche Naturschützer in der Ethik den ultimativen Hebel für einen Schutz der Biodiversität, der belebten Natur, aller Arten oder der Wildnis, wobei Ethik hier meist mit der Vorstellung eines vom Menschen unabhängigen Eigenwerts der Natur gleichgesetzt wird. Über einen solchen Eigenwert sollen ethische Argumente dann unumstößlich und zwingend werden. Beide Positionen sind unbefriedigend und greifen zu kurz. Sie werden dem, was Ethik ausmacht, nicht gerecht und/oder nutzen deren Potenzial nicht in angemessener Weise. Welche Rolle kann oder sollte die Ethik beim Schutz und der Nutzung biologischer Vielfalt spielen?

Den Raum der ethischen Betrachtungen aufweiten

Nicht alle der genannten Werte sind moralische Werte im engeren Sinne (also solche, die Biodiversität - nichtmenschliches Leben - direkt zu Objekten machen, die moralisch zu berücksichtigen sind). Aber fast alle diese Werte von Biodiversität sind oder können moralrelevant sein, indem sie nämlich auf menschliche Bedürfnisse, auf die Idee eines guten menschlichen Lebens oder auf eine gerechte Verteilung des Nutzens von biologischer Vielfalt verweisen ("access and benefit sharing"). Es gilt daher, im Zusammenhang mit dem Schutz und der Nutzung von biologischer Vielfalt den Raum der ethischen Be trachtungen aufzuweiten gegenüber dem, was gemeinhin oft als "ethische Begründung" des Naturschutzes verstanden wird. Ethik ist, als Wissenschaft verstanden, eine Theorie der Moral. Ethik beschreibt und analysiert die Frage nach dem moralisch guten oder schlechten Handeln - im Umgang der Menschen untereinander, aber auch im Umgang mit der Natur. Naturschutzethik bewegt sich daher nicht im Gegensatz zur etablierten, rein auf den Menschen bezogenen Ethik und ist nicht auf die Behauptung eines Eigenwerts der Natur beschränkt. Sie ergänzt und erweitert vielmehr die traditionelle Ethik. Somit haben Argu mente, die für den Schutz der Biodiversität sprechen und damit dem Überleben der Menschen dienen, eine moralische Dimension. Diese so genannte anthropozentrische Position ist legitimer Gegenstand einer (Naturschutz)ethik. Naturwissenschaftliche Forschung kann nur beschreiben, sie kann de facto nicht bewerten, ohne ihre eigene Selbstbegrenzung als "wertfreie Wissenschaft" zu überschreiten. Hier ist der Punkt, an dem ethische Forschung ansetzt und an dem gesellschaftliche Entscheidungsprozesse eingehen. Solche Entscheidungsprozesse sind nie nur von reinen Kosten-Nutzen-Abwägungen geprägt. Sie werden auch immer von einem großen Spektrum von Werten mit bestimmt. In diesem Sinne kann es auch keine "ökologischen" Begründungen für den Schutz von Biodiversität oder den Naturschutz generell geben. Ökologische Argumente sind nur ein Teil einer Argumentationskette, die sich auf bestimmte, von Menschen vertretene Werte und Interessen beziehen, wie die Erhaltung eines Ökosystems aus Gründen menschlichen Wohlergehens.

Ethische Argumente ernst nehmen

Aspekte der Ethik durchdringen so - vielfach unbewusst - die meisten Debatten über den Schutz der Biodiversität. Sie verstecken sich oft hinter mancher scheinbar rein wissenschaftlichen Argumentation. Es gilt daher, ethische Argumente im Umgang mit Biodiversität ernst zu nehmen. Das bedeutet aber vor allem, sie weitaus differenzierter zu behandeln, als dies bisher meist geschieht, und z. B. auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Theorien der Naturschutzethik wahrzunehmen. Es bedeutet aber vor allem, in einen gesellschaftlichen Diskurs über die verschiedenen Wertdimensionen von Biodiversität ein zutreten. Die Ethik kann keine einfachen und eindeutigen Antworten zu den richtigen Entscheidungen über den Umgang mit der Natur liefern. Sie kann und sollte aber helfen, die Diskussion zu strukturieren, verschiedene Ebenen von Argumenten (Fakten und Werte) klarer zu trennen und nicht zuletzt eine der menschlichen Lebenswirklichkeit angemessenere Breite der Argumente sicherzustellen. Unsere Lebenswirklichkeit beinhaltet weit mehr als direkt nutzenorientierte Interessen an biologischer Vielfalt.


Prof. Dr. Kurt Jax ist stellvertretender Leiter des Departments Naturschutzforschung und (außerplanmäßiger) Professor für Ökologie an der Technischen Universität München. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Theorie und Philosophie von Ökologie und Naturschutz.

Telefon: 0341/235-1648
e-mail: kurt.jax[at]ufz.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2010, S. 12
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010