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STANDPUNKT/034: Atom(müll)politik, CCS, unkonventionelles Gas - STOPP! dem Wahnsinn (Hans Fricke)


STOPP! dem Wahnsinn

Von Hans Fricke, 21. November 2010


Nach den viertägigen eindrucksvollen Massenprotesten gegen den Castor-Transport durch das Wendland, der Ablehnung der für den 16. Dezember und für das Frühjahr vorgesehenen Castor-Transporte ins Zwischenlager Nord Lubmin durch den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns am 17. November, dem Widerstand gegen die von der Regierung beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, die eine bewusste Blockade des Weges zur ökologischen Erneuerung des Energiesektors darstellt, den jüngsten Erklärungen von Fachleuten, wonach für den im Ergebnis dieser Laufzeitverlängerung anfallenden Atommüll die Zwischenlagerkapazität fehlt und dem zunehmenden Protest sowohl in Deutschland als auch in Russland gegen Atommülltransporte aus dem münsterländischen Ahaus in das russische Majak sieht sich die Bundesregierung einem Debakel ihrer Atompolitik gegenüber, wie es größer kaum sein kann. Da einige der zur Entsorgung in Russland vorgesehenen 951 Brennelemente älter als 50 Jahre sind, ist wegen der Erschütterungen und Bremswirkungen ein Zugtransport angeblich zu riskant, sodass als wahrscheinliche Variante der Lastwagentransport zu einem deutschen Hafen infrage kommt. Bekanntlich gibt es bereits ein klares "Nein" aus Hamburg und Bremen, sodass als Hafen-Optionen nur noch Wilhelmshafen, Kiel oder Rostock bleiben. Die Regierung solle nicht versuchen, sich irgendwo einen kleinen Hafen auszusuchen und den Atommüll über eine "dunkle Mole" abzuwickeln, erklärte Matthias Eickhoff. Egal, von wo der alte DDR-Atommüll nach Russland gehen soll, es werde massiven Protest geben, kündigte der Atomgegner vom Aktionsbündnis "Münsterland gegen Atomanlagen" am 17.11. in Berlin an. Umweltschützer verweisen darauf, dass auch RWE und E.On mittlerweile aus Sicherheitsgründen auf den Transport von abgereichertem Uran aus der Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau nach Russland verzichten.

Inzwischen ist bekannt, dass die Gegend um die im Jahr 1948 in Betrieb genommene Atomanlage in Majak durch den andauernden Austritt von flüssigem Atommüll bereits schwer verseucht ist und die Bewohner einer extremen Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Erhöhte Krebsraten, verstrahlte Lebensmittel und verseuchte Flüsse lassen 30.000 hilflose Menschen wie Versuchskaninchen in einer Umwelt leben, die neben Tschernobyl als die radioaktiv verstrahlteste der Welt gilt. Und genau dorthin will jetzt die sächsische Landesregierung 18 Castor-Behälter schicken. "Atommüll in ein Land zu schicken, das radioaktive Abfälle einfach unter die Erde pumpt, ist wahnsinnig", erklärte Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeyer am 18. November. Kein anderes Land der Erde gehe so arglos mit Atommüll um wie Russland, so Münchmeyer weiter. Eine billige Lösung deutscher Entsorgungsprobleme und gleichzeitig ein Verstoß gegen das deutsche Atomgesetz, wogegen das Bündnis gegen Atomkraft Leipzig bereits eine Klage in Erwägung zieht.

Für die Regierung kommt die Debatte über ihre Atompolitik angesichts der längeren Laufzeiten und des Widerstands in Gorleben zur Unzeit - auch wenn es sich um Müll aus Sachsen handelt. War doch mit Blick auf Gorleben von Regierungsseite immer wieder betont worden, die Entsorgung von Atommüll in Deutschland sei Teil der nationalen Verantwortung. "Dieses Gerede erweist sich als hohles Gefasel", so Eickhoff. Das "Argument" Sachsens, es handele sich um Brennelemente aus sowjetischer Produktion, hält Eickhoff für hahnebüchen. Dann müsste Deutschland auch aus China und Schweden radioaktive Brennelemente zurücknehmen, die im niedersächsischen Lingen produziert worden sind.

Für die Politiker in Mecklenburg-Vorpommern ist die Gefahr weiterer Castor-Transporte nach Lubmin trotz Ablehnung durch den Landtag nach wie vor gegeben. Sie rechnen damit, dass die Bundesregierung den Weg des vermeintlich geringsten Widerstandes gehen und die Castor-Transporte dennoch durch Mecklenburg-Vorpommern schicken wird, weil hier Hafenkapazität vorhanden sei, weniger Menschen wohnen und der Widerstand geringer als anderswo ausfallen könnte. Auch von der Möglichkeit der Erkundung eines Endlagers in den Salzstöcken im Kreis Ludwigslust ist für den Fall die Rede, dass Gorleben nach den Worten von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin für die Endlagerung "tot" sei.


Doch nicht nur gegen die Atompolitik der Bundesregierung wächst der Widerstand der Bevölkerung, sondern auch gegen die Abscheidung und Endlagerung von CO2 aus Kohlekraftwerken oder der Industrie. Die Endlagerung von Kohlendioxyd in tiefe Erdschichten, die sogenannte CCS-Technologie (Carbonid-Capture-and-Storage) ist ineffizient und gefährlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine am 18. November 2010 in Berlin vorgestellte Studie, die der Geologe Ralf E. Krupp im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) erstellt hat. Die hohen Drücke, die zur Verpressung des CO2 in die Tiefe erforderlich sind, können außerdem Lecklagen und Erdbeben verursachen. Entweichendes Kohlendioxyd, das sich in Senken und Tälern ansammelt, könnte zur tödlichen Gefahr für die Bevölkerung werden. Der Umweltbund forderte, dass das Gesetz zur Errichtung von Anlagen mit CCS-Technologie, welches derzeit mit Hochdruck vom Kanzleramt, Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium vorangetrieben wird und noch im November vom Kabinett verabschiedet werden soll, diesen Sicherheitsrisiken unbedingt Rechnung trägt.

Robert Pörschmann, BUND-Energieexperte: "Das CCS-Gesetz darf nicht verabschiedet werden, wenn die Sicherheit für Mensch und Umwelt nicht gewährleistet werden kann. Durch den Einsatz dieser Technologie würde der Energiebedarf für die Kohleverstromung um bis zu 30 Prozent steigen. Für drei mit CCS-Anlagen ausgestattete Kraftwerke müßte somit ein viertes für den benötigten Betriebsstrom sorgen, rechnete Krupp vor. Dies sei nicht nur Energieverschwendung, sondern würde den Bedarf an Kohle in die Höhe treiben und beispielsweise in Brandenburg die Abbaggerung von Dörfern beschleunigen. Unabhängig von der ökonomischen Betrachtung sieht Krupp auch beträchtliche Risiken. Für die CO2-Endlagerung sind tiefliegende, mit Salzwasser getränkte Sandsteinschichten vorgesehen, sogenannte saline Aquifere. Da das CO2 bei der Verpressung einen Teil des Salzwassers verdrängt, würden höherliegende Süßwasserreservoire kontaminiert, was zu erheblichen Beeinträchtigungen der Trink- und Brauchwasserversorgung in den betreffenden Regionen führen könnte.

Krupp wies ferner darauf hin, dass es bislang keine brauchbaren Prüfkonzepte gibt, um die Dichtheit der vor allem in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt geplanten CO2-Endlagerstätten nachzuweisen. Das wäre ungefähr so, "als wenn eine Brücke ohne vorherige statische Berechnungen gebaut würde". Jedenfalls seien die Lagerstätten schon allein deswegen nicht genehmigungsfähig. Bei der Ausscheidung gibt es ebenfalls noch viele ungelöste Probleme. So weiß man bis heute nicht, ob die CSS-Aggregate mit Rauchgasreinigungsanlagen kompatibel sind. Zudem sei unklar, welche Gase bei der Abscheidung außer CO2 entstehen können und in welcher Konzentration. Daher können noch keine Aussagen über Korrosionsgefahren für die Pipelines und Reaktionen in den Endlagern getroffen werden. In die Tasche gelogen haben sich die CCS-Befürworter nach Ansicht des Geologieprofessors ferner bei den angeblich zur Verfügung stehenden Kapazitäten für Lagerstätten. Diese reichen nach seinen Berechnungen, selbst unter Einbeziehung von noch nicht erkundeten Gebieten unter der Nordersee, maximal 27 Jahre. Dabei seien konkurrierende Nutzungen des Untergrundes, wie zum Beispiel für den Abbau von Erzen oder zur Gewinnung von erneuerbaren Energien wie Geothermie, sogar noch unberücksichtigt geblieben. Krupp: "Umfangreiche Darstellungen der CO2-Speicher in Rechenmodellen und Computer-Grafiken täuschen oft einen Wissensstand vor, der in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Die Ergebnisse dieser Rechenmodelle beruhen zumeist auf nicht dokumentierten Annahmen und sind im Regelfall weder valide noch verifizierbar. Auf dieser Grundlage CO2-Lagerstätten einzurichten, ist nicht zu verantworten."

Von tiefer Sorge zeugt auch der Offene Brief an die Bürgerinnen und Bürger in den geplanten CO2-Endlagergebieten Beeskow und Neutrebbin, in dem es heißt:

"Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
wir, die Einwohner der durch Braunkohlentagebau bedrohten Orte Grabko, Atterwasch und Kerkwitz und die Agenda 21 der Gemeinde Schenkendöbern, möchten den Bürgerinnen und Bürgern, den Bürgerinitiativen und kommunalen Vertretern in den geplanten CO2-Endlagergebieten Beeskow und Neutrebbin unsere Anerkennung und Wertschätzung aussprechen, dass sie sich nicht vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall für die Errichtung der geplanten unterirdischen CO2-Deponien in Brandenburg wollen kaufen lassen. Die brandenburgische Landesregierung möchte dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall mit der Einführung der CCS-Technologie erlauben, die Einwohner der Dörfer Atterwasch, Grabko und Kerkwitz samt ihrer Jahrhunderte zurückreichenden Heimatwurzeln zu vertreiben, um anschließend ihre Häuser, Gärten und Kirchen niederzureißen und Wälder, Wiesen und Bäche einer einmaligen Naturlandschaft zu vernichten, um somit die Voraussetzungen für den Aufschluss des Braunkohlentagebaus 'Jänschwalde-Nord' zu schaffen... In den aktuellen Stellungnahmen des schwedischen Staatskonzerns wird klar deutlich: Vattenfall ging und geht es in Brandenburg allein um den Gewinn, der sich mit der Zerstörung von Lausitzer Dörfern erzielen lässt. Der schwedische Energieriese drängt auf den Neuaufschluss umweltvernichtender Braunkohlentagebaue und die Einrichtung gigantischer CO2-Endlager, um seine geplanten Kraftwerksneubauten realisieren zu können. In seiner eigenen, weniger deutlichen Außendarstellung gegenüber der brandenburgischen Landesregierung jedoch verweist Vattenfall vornehmlich nur auf jene Aspekte seiner Aktivitäten, die auf das Gemeinwohl abzielen. Hierfür präsentiert Vattenfall sich gern als karitatives, gutmenschliches Unternehmen, dessen einziger Zweck scheinbar darin bestehen soll, Brandenburg mit Energie zu versorgen und Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenzug erwartet Vattenfall das Wohlwollen der Volksvertreter und wurde bisher selten enttäuscht. Denn eine breite Diskussion darum, dass Vattenfalls Strom großteils nur für den Export produziert wird, welche unermesslichen Naturzerstörungen hierfür in Kauf genommen werden, wohin die gigantischen Exportgewinne zum Leidwesen der Lausitz abfließen, welche gewaltigen CO2-Abfallmengen entstehen, und dass in dem Konzern weit mehr Arbeitsplätze abgebaut als geschaffen werden, wird in der märkischen Politik weitgehend vermieden."

Auch der CDU-Stadtverband Storkow hat sich durch seinen Vorsitzenden Andreas Graf zu Castell gegen die geplante Verpressung von CO2 in der Region ausgesprochen und aus diesem Grund an der Gründung des "Fürstenwalder Kreises" mitgewirkt. In dessen am 6. August 2009 gemeinsam verfasster und einstimmig angenommener Erklärung heißt es: "Wir positionieren uns klar und eindeutig gegen das von VATTENFALL und der Landesregierung geplante Vorhaben, ein Kohlendioxyd-Endlager in Brandenburg zu errichten. Wir lehnen den Einsatz der sogenannten CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) in Brandenburg ab, da die Langzeitwirkung der unterirdischen Speicherung von CO2 nicht ausreichend erforscht und die davon ausgehende Gefährdung nicht einzuschätzen ist. Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Belege, die garantieren, dass von der Verpressung des Gases in das Erdreich keine Risiken für die Bevölkerung und für die Umwelt ausgehen. Vielmehr besteht die Gefahr der Verseuchung des Grundwassers. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass eine Ansammlung von Kohlendioxyd in erhöhter Konzentration, z.B. in einer Geländesenke, tödlich wirken kann. Langzeitstudien, die Aufschluss über die möglichen Auswirkungen der unterirdischen CO2-Einlagerung geben könnten, liegen heutzutage noch nicht vor. Es handelt sich bei der CCS-Technologie um ein fragwürdiges Experiment, dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung noch völlig offen ist. Unsere Region darf nicht als Versuchsdeponie missbraucht werden. Mit der Einspeicherung von Kohlendioxyd in das brandenburgische Erdreich wird unsere wirtschaftliche Grundlage wie der Tourismus, die Landwirtschaft und der Mittelstand erheblich gestört und gefährdet. Prinzipiell entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen der Erdwärme und der CCS-Technologie. Damit wird eine Nutzung der Geothermie für immer ausgeschlossen. Wir fordern die Landesregierung auf, das CCS-Experiment zu beenden."

Die Entscheidung des CDU-Stadtverbandes Storkow ist nicht zuletzt deshalb besonders bemerkenswert, weil er sich damit in einer wichtigen Sachfrage offen in Widerspruch zur Politik seiner Landespartei begibt. "Uns geht es vor allem darum", heißt es in der Begründung des Stadtverbandes, "unseren Wählern gegenüber glaubwürdig zu sein. Wir wollen an unseren Taten gemessen werden und uns für die Anliegen einsetzen, die auch unseren Nachbarn und Wählern wichtig sind." Eine Haltung, die sich in anerkennenswerter Weise vom Verhalten solcher Bundestagsabgeordneten, Landes- und Kommunalpoltiker der Union und FDP unterscheidet, die es in wichtigen Sachfragen vorziehen, der von ihren Parteivorständen vorgegebenen Linie zu folgen, anstatt dem ausdrücklichen Willen und den Lebensinteressen der Mehrheit unserer Bevölkerung zu entsprechen.

Für die seismologischen Vorerkundungen benötigt VATTENFALL die Zustimmung der jeweiligen Grundeigentümer. Agrarbetriebe und die Stadt Beeskow haben bereits erklärt, dass sie dem Konzern das Betreten ihrer Grundstücke untersagen. Unter dem Motto "Kein Fußbreit unter unser Land" protestierten am 4. September 2010 weit über 2000 Menschen auf dem Marktplatz in Beeskow gegen die Errichtung von CO2-Endlagern, inklusive zusätzlicher Giftstoffe wie Arsen, Blei, Quecksilber etc. aus Lausitzer Kohlekraftwerken. Außer in Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein Bürgerinititaiven und Umweltverbände, darunter der BUND und seine Landesverbände, mehrfach gegen die Pläne zur CO2-Endlagerung protestiert. Der Bund werde, so sein Energieexperte Robert Pörschmann, diese Protestaktionen auch weiterhin unterstützen. Die CCS-Technologie diene in erster Linie dazu, klimaschädlichen Kohlekraftwerken ein grünes Image zu geben und den Ausbau erneuerbarer Energien zu behindern.


Die abenteuerliche Energiepolitik der Bundesregierung birgt aber noch eine weitere ernste Gefahr in sich, die bislang viel zu wenig im Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Es ist das Verdienst der ARD-Sendung MONITOR vom 18. November 2010, darüber informiert zu haben, wie internationale Konzerne in Deutschland Erdgas fördern. Weil die fossilen Brennstoffe zu Ende gehen, suchen internationale Konzerne jetzt auch in Deutschland nach "unkonventionellem Erdgas". Das liegt in tiefen Gesteinsschichten und lässt sich nur mit einer aufwendigen Technik namens "Hydraulic Fracking" fördern. Dafür pressen die Firmen bereits an vielen Orten mit Genehmigung deutscher Behörden - wohlgemerkt völlig an der Öffentlichkeit vorbei - ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien in den Boden. Die Chemikalien enthalten Gifte, die grundwassergefährdend sind, darunter zum Beispiel Kothan - beim Menschen hormonverändernd; im Wasser tötet der Giftstoff Mikroorganismen. Für die Leiterin der Wasserbehörde in Hagen, Frau Stiller-Ludwig, gibt es keinen Zweifel, dass hier Wasserrecht umgangen wird: "Also meine Recherchen haben ergeben, dass es sich bei einer der zugefügten Komponenten um einen Stoff der Wassergefährdungsklasse 3 handelt. Das heißt, die höchste Wassergefährdungsklasse, die es geben kann."

Beispiel Talsperre Haltern: "Wasser, soweit das Auge reicht, sauberes Wasser", berichtete MONITOR vor Ort. "Wir sind in einer Wasserschutzzone der höchsten Stufe. Hier darf man nicht schwimmen, selbst Bötchen fahren ist verboten. Was kaum einer weiß: Die Talsperre Haltern liegt mitten in einem Gebiet, in dem tief unten am Boden ein Schatz vermutet wird - Gas, viel Gas. Dafür interessieren sich die Großen der Branche. Die Claims sind schon abgesteckt. In halb Nordrhein-Westfalen dürfen die Unternehmen nach Gas suchen, und auch in Niedersachsen. Manfred Scholle, Vorstandsvorsitzender eines der größten Wasserversorger im Land, der Gelsenwasser AG. Im Wasserwerk Haltern bereitet Gelsenwasser Trinkwasser für Millionen Menschen in NRW auf. Der Vorstandsvorsitzende ist wütend, denn aus der Presse musste er erfahren, dass hier im Einzugsbereich der Wasserschutzzone nach Gas gesucht wird. Er fürchtet um das Trinkwasser: 'Wir sind überhaupt nicht beteiligt worden, auch nicht andere Wasserwerke, die ich gesprochen habe. Wir wissen von nichts, sondern wir haben das ausschließlich aus der Presse erfahren.'"

50 Billionen Kubikmeter Flöz- und Schiefergas, im Stein tief im Boden gebunden, vermuten Geologen in Europa, ein Gutteil davon unter Deutschland. Das Problem von "Hydraulic Fracking": Oft werden gefährliche Chemikalien beigemischt, um die Pumpwege freizuhalten. Ein Teil des Frackwassers bleibt im Boden, der größte Teil kommt wieder nach oben, die Abwässer werden wieder in den Boden gepumpt, ohne die Chemikalien vorher rauszuholen.

Das Bergamt Niedersachsen hatte 2008 der Firma ExxonMobil eine Erlaubnis für das Borringer Moor unweit Damme zum Fracken nach Schiefergas erteilt. Eine Versuchsbohrung. MONITOR legte die Liste der Firma ExxonMobil mit den chemischen Zusatzstoffen, die den Vertretern der Stadt Damme jahrelang vorenthalten wurde, dem Umweltbundesamt vor. Reaktion hier: Alle diese Stoffe sollten nicht ins Trinkwasser und sind zum Teil toxisch. Ein Zukunftsszenario: Wenn man Fracking mit diesen Chemikalien industriell und großflächig betreiben würde, dann würden Millionen Liter Wasser gebraucht, pro Fracking bis zu 20 Millionen Liter. Rechnet man die Mengenangaben der Liste der Firma ExxonMobil hoch, dann wäre das die Menge an Chemikalien, die bei jedem Frackvorgang in den Boden gepumpt würde: 19 Tonnen der Ammonium-Verbindung, 9,5 Tonnen der Petroleum-Verbindung und 680 Kilo des Biozids.

"Wie kann es sein", fragte MONITOR zu Recht, "dass in Deutschland ein Bergamt ohne Information der Wasserbehörden und Wasserwerke entscheidet, dass überhaupt hochproblematische Chemikalien in den Boden gepumpt werden dürfen?" Der Bundestagsabgeordnete der Grünen Oliver Krischer, hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Seine Antwort "Das Bergrecht sieht keinerlei Bürgerinformation, keinerlei Information der Öffentlichkeit vor, es gibt auch keine ... kaum Rechte von Betroffenen, an Unterlagen heranzukommen, und hier werden vor allem die Interessen der Unternehmen unterstützt ... geschützt, die Rohstoffe aufsuchen wollen." Viele Unternehmen behandeln ihre genauen Bohrmethoden wie ein Betriebsgeheimnis - und dürfen das auch. Bislang hat sich MONITOR zufolge in Deutschland weder das Umweltbundesamt noch ein Umweltministerium mit den möglichen Gefahren von Fracking intensiv beschäftigt.

In den USA wird schon seit langem gefrackt. Überall im Lande, in 34 Bundesstaaten, eine riesige Industrie, ein Milliardengeschäft. Viele auf der langen Liste der chemischen Zusatzstoffe, die in den USA bei verschiedenen Bohrungen benutzt wurden, sind krebserregend, hormonverändernd, wassergefährdend. Überall im Lande gibt es Berichte über kontaminierte Brunnen. Viele Bürger in den USA sind besorgt. Im US-Bundesstaat New York soll diese Art der Gasförderung deshalb erstmal gestoppt werden. "In Deutschland", so merkte MONITOR vielsagend an, "darf weitergebohrt werden, weil die deutsche Politik weitgehend ahnungslos ist". Die Vorkommnisse in den USA sollten für die Bundesrepublik ein warnendes Beispiel dafür sein, diese sehr fragwürdige Fördertechnik zu verbieten."


Weg vom Öl, bevor das Öl weg ist" warnen Experten wie Faith Birol von der Internationalen Ölagentur. Er schätzt, dass bereits 2020 "peak oil" erreicht ist, die konventionelle Ölförderung dann mehr und mehr dem Ende zugeht. Die Katastrophe im Golf von Mexiko ist ein Weckruf für alle, denn auch unser Treibstoff stammt zu einem großen Teil aus Tiefseebohrungen. Das Szenario rückt näher, weil die Welt immer mehr Erdöl verbraucht, obwohl das schwarze Gold immer schwerer zu erreichen ist, wird es unweigerlich zu weiteren Umweltkatastrophen und ernsten Verteilerkrisen kommen. Auch westliche Industriestaaten wie Deutschland werden bei explodierenden Preisen eine neue Energiearmut kennenlernen.

Die Gefahren einer Klimakatastrophe sind bekannt. Wenn wir nicht bereit sind, bis 2050 den CO2-Ausstoß zu halbieren, dann werden Teile der Welt wahrscheinlich unbewohnbar. Statt ihren CO2-Ausstoß zu mindern, kaufen auch Betreiber deutscher Kohlekraftwerke Verschmutzungsrechte in Entwicklungsländern, sogenannte Klimazertifikate. Also profitorientierter Klimahandel statt Klimawandel.

All das Gesagte macht deutlich, dass wir ohne eine Energiewende auf eine Katastrophe zusteuern. Eine Energieversorgung mit den erneuerbaren Energieträgern zu 100 Prozent bis zum Jahr 2030 ist machbar, das haben zahlreiche Gutachten gerade in der jüngsten Zeit immer wieder belegt, und davon ging auch der Parteitag der Grünen am Wochenende 20./21.11.2010 bei seinem energiepolitischen Beschluss aus. Die Energiepolitik der Merkel-Regierung, ihre kaum noch kaschierte Komplizenschaft mit den vier großen Energiekonzernen und die folgenschwere Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke blockieren die notwendige Förderung und Entwicklung erneuerbarer Energien und verhindern damit die unerlässliche strategische Energiewende. Was unserem Volk seit Jahren zugemutet wird, ist keine zukunftsorientierte, dem Wohl der Menschen und der Umwelt dienende Energiepolitik, sondern ein allein dem Gewinnstreben der Banken und Konzerne dienender rücksichtsloser Raubbau an unseren Ressourcen und der damit verbundenen Gefährdung der Menschen, unserer Umwelt und des Klimas.


Hans Fricke ist Autor des zur diesjährigen Leipziger Buchmesse im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2


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Quelle:
© 2010 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010