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STANDPUNKT/104: 6-Punkte-Plan - Sofortausstieg aus Atomkraft & Umbau des Energiesystems überfällig (DNR)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
Berlin, 3. Mai 2011

DNR: Sofortausstieg aus Atomkraft und Umbau unseres Energiesystems überfällig


"Das Bekenntnis der Bundesregierung zu einem beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie und zum Umbau unseres Energiesystems hin zu den erneuerbaren Energien findet unsere Unterstützung. Allerdings darf es nicht nur bei einer Ankündigung bleiben", betonte DNR-Präsident Hubert Weinzierl. Zur Orientierung für die Arbeit der Bundesregierung legte der DNR einen Sechs-Punkte-Plan vor. Danach ist der Atomausstieg in Deutschland bis Ende 2014 und die vollständige Stromversorgung durch erneuerbare Energien bis 2030 zu realisieren.

Zusätzlich verursachte klimaschädliche CO2-Emissionen als mögliche Folge des vorübergehenden Ausgleichs beim Atomausstieg durch den minimalen Ausbau von Gaskraftwerken, können durch die beschleunigte und vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien um das Fünffache überkompensiert werden.

Zentrale Forderungen des DNR sind die 2000 Watt Gesellschaft pro Kopf und Jahr bis spätestens 2050, derzeit sind es bei uns 6.700 Watt und ein wirksames Effizienzgesetz mit 3 Prozent weniger Energieverbrauch jährlich sowie eine Änderung des Lebensstils, etwa beim Fleischkonsum.

"Wenn der von der Bundeskanzlerin nach Fukushima erklärte absolute Vorrang der Sicherheit ernst genommen wird, müssen alle AKWs sofort vom Netz. Kein einziges ist gegen den gezielten Absturz eines großen Passagierflugzeugs geschützt. Zudem erfüllt kein AKW den erforderlichen Entsorgungsnachweis", sagte DNR-Präsidialmitglied Michael Müller. Statt des bisherigen großen Verbundnetzes sei der Ausbau einer dezentralen Vernetzung mit einem hohen Anteil an Erdverkabelung erforderlich. Dies reduziere den Netzausbau deutlich. Die Ziele des Klimaschutzes seien nur mit einer Effizienzrevolution erreichbar. Der Umbau unseres Energiesystems sei auch wirtschaftlicher, so der DNR.


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Sechs Punkte Plan des DNR: Der Umbau des Energiesystems in Deutschland

Der DNR legt als Dachverband von rund 100 Umwelt- und Naturschutzverbänden mit 5,5 Millionen Einzelmitgliedern zur aktuellen Ausstiegsdebatte aus der Atomkraft, zum Umbau des Energiesystems und zu den Beratungen der Ethik-Kommission ein Arbeitspapier vor.

Der Umbau der Strom- und Wärmeversorgung hat nicht erst mit dem Super-GAU im japanischen Fukushima begonnen. Seit Ende der achtziger Jahre liegen zahlreiche Studien und Konzepte vor, wie der Weg in eine nachhaltige Energieversorgung ohne Atomkraft aussehen kann. Die aufgezeigten Möglichkeiten wurden nur unzureichend genutzt. Das gilt insbesondere für die Effizienztechnologien, obwohl sie - und nicht die Atomkraft - die Brücke in eine solare Versorgung mit Strom und Wärme bauen.

Ausstieg und Umbau gehörten zusammen und bedingen einander. Es geht nicht nur um den Ausstieg aus der Risikotechnologie, sondern auch um den Schutz des Klimas, die Bewältigung von Peak-Oil und eine dauerhaft naturverträgliche Wirtschaft.

bull; Erforderlich sind möglichst dezentrale und flexible Energiedienstleistungen, die Innovationen fördern und gewünschte Dienstleistungen mit einem möglichst geringen Energieaufwand erstellen. Die Neuordnung der Energieversorgung geht weit über einen Austausch der Brennstoffe hinaus.

bull; Politische Ignoranz oder Mutlosigkeit und Macht oder Systemzwänge der traditionellen Verschwendungswirtschaft haben den Umbau blockiert und erschwert. Erst das gegen die heutigen Regierungsparteien 2001 durchgesetzte Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) war ein Schritt in Richtung auf eine grundlegende Neuordnung.

bull; Die Möglichkeiten und Chancen einer Effizienzrevolution wurden in den letzten beiden Jahrzehnten kaum genutzt. Das betrifft insbesondere die Kraft-Wärme-Kopplung, deren Anteil erst bei rund 15 Prozent liegt. Die Einsparpotenziale sind bei weitem nicht ausgeschöpft, das Wachstum der Energieproduktivität liegt auf einem niedrigen Niveau. Dabei ist nicht nur eine Entkoppelung vom Wirtschaftswachstum möglich, sondern sogar eine absolute Senkung.

bull; Besonders drastisch ist das Versagen im Bereich der Mobilität. Die wirtschaftlich vertretbare und ökologisch verträgliche Förderung von Öl geht drastisch zurück. Peak-Oil ist erreicht, die Konsequenzen daraus beginnen heute, nicht erst wenn der "letzte Tropfen" verbraucht wird.

bull; Die bisherige, zentralisierte Energieversorgung ist nicht nachhaltig und künftig auch nicht mehr wirtschaftlich, gleich ob auf nuklearer oder fossiler Basis. Die wichtigsten Anforderungen in der Stromversorgung sind Effizienz, Regulierbarkeit und Flexibilität. Das können die heutigen Kondensationskraftwerke nicht leisten. Hier entwickelt sich ein Konflikt, der den Vorrang der erneuerbaren Energien in Frage stellt, denn das Hoch- und Runterfahren der Kapazitäten ist teuer und mit hohem Verschleiß verbunden.

Wenn die erneuerbaren Energien in einigen Jahrzehnten - zuerst in der Stromversorgung, dann auch in der Wärmeversorgung und für die Sicherung der Mobilität - die Basis sein sollen, wird dies ohne eine massive Steigerung der Energieeffizienz und ohne einen grundlegenden Umbau des Energiesystems nicht zu erreichen sein. Von daher muss der Umbau in Richtung auf ein flexibles und möglichst dezentrales System sofort beginnen.

In Zahlen bedeutet das: Durch eine effizientere Nutzung muss der Stromeinsatz bis 2020 um mindestens 90 Terrawattstunden (TWh) gesenkt werden, was etwa 15 Prozent des heutigen Verbrauchs entspricht. Erneuerbarer Strom sollte zusätzlich mindestens 150 TWh beitragen.

Durch die Verbindung aus Innovationen, Marktdurchdringung und sinkendem Verbrauch wird diese Versorgung dann kostengünstiger sein als heute.

Eine Stromlücke gibt es nicht, selbst wenn es zu einem Abschalten aller AKWs (mit theoretisch insgesamt 140 TWh) käme. In der Mengenbilanz könnte nicht nur auf den gesamten Nuklearstrom, sondern bereits 2020 auch auf weitere 100 TWh fossilen Stroms verzichtet werden. Faktisch heißt das: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist kurzfristig möglich.

Allerdings schwankt die Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien gemäß dem Tag- und Nachtzyklus und den Wetterbedingungen. Zudem kann es zu regionalen Engpässen kommen, vor allem weil die beiden Atomländer Bayern und Baden-Württemberg bisher nur sehr wenig zur Verbesserung ihrer Infrastruktur hinsichtlich Effizienz und Netzen sowie für den Ausbau der erneuerbaren Energien beigetragen haben. Die beiden "High-Tech Länder" haben bei der ökologischen Modernisierung deutliche Defizite.

Neue Kohlekraftwerke (über die in Bau befindlichen) brauchen wir nicht. Notwendig sind einige erdgasversorgte Kraftwerke (rund 5.000 MW), die sehr flexibel und effizient einsetzbar sind. Dadurch könnte auch der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung erhöht werden. In dieser Strategie erweisen sich auch die Horrorbehauptungen von steigenden CO2-Belastungen, hohen Stromkosten, steigenden Energieimporten und angeblich 3.400 km neuen Stromtrassen als das, was sie sind: Unsinn. Stattdessen brauchen wir eine Entwicklung, die schnell von der heutigen Verbundwirtschaft wegführt und bis Mitte des Jahrhunderts eine solare 2.000 Watt-Gesellschaft (pro Kopf) möglich macht.

Ein konsequenter Klimaschutz erfordert, wie auch die Klima-Enquete-Kommission des deutschen Bundestages bereits 1990 nachgewiesen hat, in erster Linie Energiedienstleistungen über die gesamte Kette des Energieeinsatzes. Dieses Ziel, der Vermeidung eines überflüssigen Energieeinsatzes, wird bisher durch die Systemzwänge der Verbundwirtschaft erschwert. Die Logik der großen Kraftwerke heißt nämlich: möglichst viel Strom verkaufen und Innovationen zu erschweren.

Die sechs Eckpunkte des DNR zum Umbau des Energieplans in Deutschland heißen:

1. Abschalten aller Atomkraftwerke: Sicherheit zuerst

"Sicherheit hat absoluten Vorrang, dem muss sich alles unterordnen. So werden wir auch handeln", erklärte die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Katastrophe von Fukushima. Doch nicht erst dieser GAU war "eine Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt", sondern bereits die Beinahkatastrophe von Harrisburg 1978 und die Explosion von Tschernobyl 1986.

Seitdem ist der größte denkbare Unfall kein hypothetisches, sondern ein reales Risiko. Daraus ergibt sich eine eindeutige Konsequenz, denn die Sicherheitsbewertung hat zwei Dimensionen: die Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schadensumfang. Die zeitliche und räumliche Dimension einer radioaktiven Verstrahlung durch einen Gau ist nicht zu verantworten.

Deshalb muss aus dieser Technologie ausgestiegen werden. Sogar sofort, wenn der Grundsatz "Sicherheit hat absoluten Vorrang" ernst genommen wird. Denn kein AKW ist zum Beispiel gegen den gezielten Absturz eines großen Passagierflugzeuges geschützt, der im Zeitalter von GPS auch durch Vernebelungsanlagen um Atomkraftwerke, die nach dem Attentat auf das World Trade Center in New York vereinbart wurden, nicht verhindert werden kann.

Theoretisch ist der Ausstieg sofort möglich, denn die Jahreshöchstlast liegt in Deutschland deutlich unter der vorhandenen Erzeugungskapazität. Allerdings hätte das Folgen für die regionale Versorgung und für den Klimaschutz. Mit dem Argument der Grundlastsicherung nimmt die Atomenergie seit Beginn der Ausstiegsdebatte in den siebziger Jahren die Politik in Geiselhaft. Weil sonst die Versorgung für die deutsche Industrie gefährdet sei, dürfe es keinen schnellen Ausstieg geben. Zugleich haben EnBW, E.on, RWE und Vattenfall alles getan, um die Voraussetzungen für einen Ausstieg zu erschweren. Sie haben beispielsweise lange Zeit den Ausbau der erneuerbaren Energien erschwert.

Die vier Atombetreiber haben sich auch als unseriöse Verhandlungspartner erwiesen. Sie haben den Konsens, den sie 2011 mit der Bundesregierung beschlossen haben, einseitig mit Hilfe der schwarz-gelben Bundesregierung gebrochen. Wie soll mit diesen Unternehmen jetzt noch einmal ein Konsens möglich werden? Deshalb muss es einen gesetzlichen Ausstieg geben, der verfassungsfest ist. Dann bleibt letztlich nur der gesetzliche Ausstieg für alle, weil es bei der Sicherheit oder der fehlenden Entsorgung, die beiden wichtigsten Gründe für eine Beendigung der Atomkraft, keine Differenzierung geben kann. Den Entsorgungsnachweis erfüllt kein AKW, ebenso besteht überall das "hypothetische Risiko". Noch interessanter, wenn Sicherheit zuerst wirklich gelten soll: 1995 wurde das Atomgesetz geändert, dass kein neues AKW genehmigt werden darf, wenn der Betreiber nicht die inhärente Sicherheit nachweist. Sie gibt es nirgendwo. Deshalb muss diese Vorschrift nicht nur für alte, sondern für alle AKW gelten.

Sicherheitslage der deutschen AKW erfordert einen gesetzlichen Sofortausstieg.


2. Auswirkungen des Atomausstiegs bis Ende 2014

Auch nach dem Gutachten des Mitglieds des Sachverständigenrates für Umweltfragen Prof. Olav Hohmeyer sind im Jahr 2015 ohne Atomkraftwerke in Deutschland ausreichende Erzeugungs- und Netzkapazitäten vorhanden, um die Versorgung jedes Verbrauchers in jeder Stunde des Jahres sicherzustellen.

Danach stehen auch bei der Höchstlast mindestens 15.000 MW Kraftwerksleistung für Systemdienstleistungen, ungeplante Kraftwerksausfälle und Kraftwerksrevisionen (Wartungsarbeiten) zur Verfügung. Zudem ist Deutschland in den europäischen Strommarkt eingebunden und ist bisher Netto-Stromexporteuer.

Auch gab es in der Strompreisentwicklung im ersten Quartal 2011 entgegen dem in der Öffentlichkeit vermittelten Eindruck keinen gravierenden Einfluss durch die Abschaltung von sechs der 17 deutschen Atomkraftwerke.

Dem Ausstieg aus der Atomenergienutzung in Deutschland bis zum Ende des Jahres 2014 stehen keine gravierenden technischen oder volkswirtschaftlichen Gründe entgegen. Die regionalen Schwierigkeiten, die möglicherweise auftreten, sind eine Konsequenz des Versagens der beiden Atomländer Bayern und Baden-Württemberg, die ignorant gegenüber den Anforderungen der Zukunft waren.

Die möglicherweise, weil die Umsetzung von Effizienz und Einsparen, insbesondere der Kraft-Wärme-Kopplung, langsamer als möglich vorankommt, zusätzlich verursachten klimaschädlichen CO2-Emissionen können durch die beschleunigte Umstellung auf 100% erneuerbare Energien bis 2030 um das Fünffache überkompensiert werden.

Eine 100% erneuerbare Stromversorgung ist in Deutschland bei einem forcierten, dezentralen Netzausbau und entsprechendem Ausbau von Speicherkapazitäten sogar nach vorliegenden Studien bis zum Jahr 2030 möglich, wenn es zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung kommt. Atomausstieg bis Ende 2014 und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 realisierbar.


3. 2.000 Watt Gesellschaft und eine Kultur der Genügsamkeit

Der jährliche Pro-Kopf-Energieverbrauch kann in allen OECD-Ländern bis 2050 auf ein Drittel ohne nennenswerte Wohlstandsverluste gesenkt werden. In Deutschland verbrauchen wir derzeit pro Kopf und Jahr 6.700 Watt. Unser Ziel ist eine 2.000-Watt Gesellschaft. Das Einsparvolumen in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität liegt nach den vorliegenden Studien zwischen 42 und 48 Prozent, wobei rund zwei Drittel davon wirtschaftlich ist.

Die ETH Zürich hat in Verbindung mit der Fraunhofer-Gesellschaft ISI in Karlsruhe das Ziel der 2.000 Watt-Gesellschaft bereits für die Schweiz konkretisiert. Damit sind Innovationssprünge verbunden, die für eine nachhaltige Wirtschaft unverzichtbar sind. Die Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wird über die künftige Stärke eines Landes entscheiden.

Durch Energiedienstleistungen für Gebäude, Fahrzeuge, Produktionsprozesse und Haushaltsgeräte kann der Energieverbrauch so optimiert werden, dass durch die Einsparung einer Kilowattstunde Nutzenergie durch vermiedene Verluste bei der Umwandlung durchschnittlich drei Kilowattstunden Primärenergie eingespart werden. Ein Energieeffizienzgesetz mit dem Ziel, drei% des Energieverbrauchs pro Jahr zu senken, schafft dafür den Rahmen.

Dazu gehören auch die Einführung eines verbindlichen Energieaudits (zertifiziertes Managementsystem) in allen Unternehmen und größeren Organisationen, damit das erhebliche Energieeinsparungspotential systematisch aufgegriffen wird, und die Schaffung eines Energieeffizienzfonds zur Förderung von Top-Runner-Geräten.

Energieeffizienzgewinne zielen auf eine absolute Senkung des Verbrauchs ab, damit die Reduktionen nicht durch gesamtwirtschaftliche Wachstums- und Komfortansprüche (Rebound-Effekt) zunichte gemacht werden.

Wir brauchen eine Kultur der Effizienz, Konsistenz mit der Natur und der Genügsamkeit (Suffizienz) als Grundlage einer zukunftsgerechten Entwicklung.

Ein Beispiel: Der durchschnittliche Verbrauch an Fleisch und Wurst betrug in Deutschland 1980 jährlich pro Kopf 30 kg, im Jahr 2009 aber schon 88 kg. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt nur 33 kg pro Jahr, um Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu vermeiden.

Gefordert sind 2000 Watt Gesellschaft, wirksames Effizienzgesetz, Effizienzfonds und nachhaltiger Lebensstil.


4. Netzausbau für dezentrale Energiestruktur fällt bescheidener aus

Die zukunftsfähige Gestaltung der Stromnetze darf sich auf den Bau neuer Hochspannungsleitungen konzentrieren. Die Grundsatzentscheidung heißt auch hier: Fortführung des großen Verbundnetzes oder der Ausbau einer dezentralen Vernetzung.

Der rasch anwachsende Beitrag erneuerbarer Energien zur Stromversorgung erfordert flexible Kraftwerke, innovative Speicher, neue Netztechnologien und eine optimierte Netzsteuerung. Das Ziel sehen die Umweltverbände in einer dezentralen Vernetzung mit einem hohen Anteil an Erdverkabelung.

Intelligente Netze stehen für eine optimale Verknüpfung von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von Strom vor Ort. Sie verbessern die Flexibilisierung des Stromverbrauchs und geben Anreize zum Stromsparen, etwa durch den Einsatz intelligenter Zähler. Wenn der Um- und Ausbau der Netze sich nur an den Möglichkeiten von Effizienzsteigerung und erneuerbaren Energien orientiert, sinkt der Ausbaubedarf deutlich, etwa durch den engagierten Ausbau der Windenergie in Hessen, Baden Württemberg und Bayern, wo es einen deutlichen Rückstand gibt.

Notwendig sind möglichst öffentliche Netzbetreiber und eine öffentliche und transparente Bundesnetzplanung, die einer strategischen Umweltprüfung unterzogen wird und eine breite Bürgerbeteiligung erfordert. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen alle dafür erforderlichen Netzdaten und Lastflüsse veröffentlichen. Durch den Einsatz der Erdverkabelung auf den niedrigeren Spannungsebenen lässt sich die Zerschneidung der natürlichen Lebensräume durch riesige Strommasten vermeiden. Dezentrale Energieversorgung benötigt deutlich geringeren Netzausbau.


5. Klimaschutz erfordert den Umbau

Die Klima-Enquete des Deutschen Bundestages hat bereits 1990 nachgewiesen, dass ehrgeizige Klimaschutzziele nur erreicht werden können, wenn es zu einer Effizienzrevolution als Brücke in die Solarwirtschaft kommt. Mit der Verbundwirtschaft sind die zum Schutz der Erdatmosphäre notwendig hohen Reduktionsziele nicht zu erreichen. Von daher muss das System der Großkraftwerke, deren Effizienzgrade bei Atom in der Spitze 35% und bei Kohle 46% betragen, beendet werden, denn sie sind Dinosauriertechnologien von gestern.

Ins Zentrum gehört eine Ökonomie des Vermeidens. Nur mit ihr werden auch die Energiekosten sozial verträglich bleiben. Schon heute bezahlen die unteren 20% der Haushalte für Energie (Strom, Wärme und Mobilität) rund 8 Prozent ihres Einkommens, während die oberen 20% nur auf 2,4% kommen. In den letzten Jahren sind die Kosten der traditionellen Energieversorgung stetig gestiegen, während die für effiziente und erneuerbare Technologien sinken. Der Umbau kostet Geld. Deshalb fordert der DNR, um den Prozess zu beschleunigen und abzusichern, eine Differenzierung des Mehrwertsteuersatzes zugunsten der Effizienztechniken, die dadurch preiswerter werden. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel müssen im vollen Umfang für die ökologische Modernisierung zur Verfügung stehen.

Der Umbau unseres Energiesystems ist auch wirtschaftlicher.


6. Mehr Demokratie wagen

Wir erleben einen Epochenbruch. Die Zeit der Naturvergessenheit und des Glaubens an ein grenzenloses Wachstum muss vorbei sein. Der damit verbundene Umbauprozess wird unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren gewaltig herausfordern. Aber mit ihm sind auch große Chancen verbunden, wenn unser Land zum Vorreiter der Nachhaltigkeit wird. Von daher gehören Ausstieg aus der Atomkraft und die Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Wir brauchen mehr Demokratie, gerade bei den großen Zukunftsaufgaben. Sie - und nicht die Beseitigung von demokratischen Verfahrensregeln - sind die Voraussetzung, um den Prozess schnell und erfolgreich zu gestalten. Deshalb warnt der DNR die Bundesregierung, mit Beschleunigungsgesetzen auf inhaltliche Fragen zu reagieren.

Eine breite Bürgerbeteiligung ist für Umbau des Energiesystems unverzichtbar.

Bonn, 3. Mai 2011


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Quelle:
Pressemitteilung und Sechs Punkte Plan, 03.05.2011
Deutscher Naturschutzring
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011