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STANDPUNKT/738: Guter Wolf? Böser Wolf? (BUND SH)


BUND Landesverband Schleswig-Holstein e.V. - Kiel, 8. Oktober 2015

Guter Wolf? Böser Wolf?

BUND veröffentlicht Standpunkt zur Rückkehr des Wolfes


Anlässlich des 21. Naturschutztages Schleswig-Holstein unter dem Motto "Wildnis in der Kulturlandschaft" in Rendsburg hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Schleswig-Holstein ein Standpunkte-Papier zur Rückkehr des Wolfes nach Schleswig-Holstein veröffentlicht.

"Durch mehr Naturnähe können wir die biologischen Prozesse in unseren heimischen Ökosystemen stabilisieren und diese so fit für die Zukunft machen. Dazu gehört auch, dass wir Prädatoren wie dem Wolf sein Existenzrecht zugestehen", fasst Dr. Claudia Bielfeldt, BUND-Landesvorsitzende, die Position zusammen. "Angesichts der anhaltenden Ausbreitung ist Deutschland ganz offensichtlich wieder ein akzeptabler Lebensraum für Wölfe. Ob der Wolf in unser Land passt, ist vor allem eine 'Abstimmung mit der Pfote' und keine, die wir Menschen uns anmaßen dürfen. Seine Wiederansiedlung muss weder aktiv gefördert werden, noch sollte sie das. Es geht vor allem darum, einem Heimkehrer nicht unnötig Steine in den Weg zu legen", so Bielfeldt weiter.

Seit wenigen Jahrzehnten kehrt der Wolf, Ursprung aller Haushunde, wieder in seine Heimat Deutschland zurück. In Schleswig-Holstein wurde durch ein überfahrenes Jungtier in Ostholstein im April 2007 erstmals wieder ein Wolf seit der Ausrottung im 19. Jahrhundert nachgewiesen. Seitdem hat sich der Wolf auch in Schleswig-Holstein zum Politikum entwickelt. Mit dem vorliegenden Standpunkte-Papier möchte nun auch der BUND zu einer sachgerechten Diskussion beitragen.

"Es gibt in anderen Teilen der Bundesrepublik schon seit Jahren gute Erfahrungen mit dem Management und Monitoring von Wölfen. Insbesondere Sachsen hat einen sehr guten Plan aufgestellt. Es ist unverständlich, weshalb jedes Bundesland glaubt, das Rad neu erfinden zu müssen. Besser wäre es, das Monitoring und Management einer hochmobilen Tierart wie dem Wolf bundesweit zu vereinheitlichen", stellt Tobias Langguth, BUND-Naturschutzreferent, fest. "Um Konflikte zu vermeiden, müssen wilde Wölfe auch wild bleiben. Es braucht deshalb eine klare Vorgabe, wie verhaltensauffällige Tiere beobachtet und vergrämt werden können, damit sie ihre Verhaltensmuster nicht an Artgenossen weitergeben. Dass auch eine Entnahme von Einzeltieren kein Tabu ist, wenn dies fachlich angebracht ist, sagen die Naturschutzverbände seit langem. Wenn nun noch Nutztierhaltern sowohl beim präventiven Schutz sowie bei Entschädigungen für Risse, schnell und unbürokratisch geholfen wird, dann steht einem respektvollen Miteinander von Mensch und Wolf nicht mehr viel im Wege", so Langguth abschließend.

Raute


Standpunkt

Oktober 2015

Böser Wolf? Guter Wolf?

Über den vernünftigen Umgang mit einem Heimkehrer nach Schleswig-Holstein

Mit dem vorliegenden Diskussionsbeitrag stellt der BUND-Landesverband Schleswig-Holstein seine aktuelle Position zur Rückkehr des Wolfes nach Schleswig-Holstein dar.

Der Wolf kehrt zurück

Für Experten nicht unerwartet, doch für die Öffentlichkeit überraschend mehren sich Nachweise, dass der Wolf nach etwa 180 Jahren der Ausrottung dabei ist, ohne Zutun des Menschen nach Schleswig-Holstein zurückzukehren. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich derzeitig einige Einzelwölfe regelmäßig im Südosten des Landes aufhalten. Bald könnte es zu territorialen Familien-Rudeln kommen.

Die Rückkehr des Wolfes ist aus Sicht des Naturschutzes positiv zu bewerten auch wenn Konfliktpotentiale mit menschlichen Interessen bestehen

• Als ursprünglicher Bestandteil der natürlichen mitteleuropäischen Lebensgemeinschaften haben Wölfe auch bei uns über Jahrtausende im vom Menschen besiedelten Raum gelebt. Sie bevorzugen menschenarme Gebiete, brauchen aber keine Wildnis. Sie finden auch in unserer heutigen Kulturlandschaft mit hohen Wilddichten hinreichende Lebensbedingungen, wenn Rückzugsräume für die Jungenaufzucht vorhanden sind.

• Entscheidende Gründe für die Ausrottung des Wolfes, wie die unmittelbare Bedrohung bäuerlicher Lebensgrundlagen schon durch den Riss weniger Weidetiere oder die Konkurrenz um Jagdwild als Nahrung, sind heute entfallen.

• Im Gegensatz zu früheren Zeiten als Landbevölkerung, Landesherren und Kirche einhellig und mit allen Mitteln gegen die "Bestie Wolf" zu Felde zogen, steht heute eine Mehrheit der Bevölkerung der Rückkehr der Wölfe neutral bis positiv gegenüber.

• Die Wilddichten von Rehen, Wildschweinen und anderen Beutetieren des Wolfes sind im Vergleich zu früheren Jahrhunderten sehr hoch. So bietet auch die stark landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft Schleswig-Holsteins eine Nahrungsgrundlage für eine sich daran natürlich anpassende Wolfspopulation. Dieses belegen Untersuchungen in der von Wolfsrudeln nahezu flächendeckend besiedelten Lausitz.

• Wölfe ernähren sich vorzugsweise von kranken und schwachen, einschließlich jungen und alten Wildtieren und halten so deren Populationen gesund und lebenskräftig. Diese wichtige Auslese- und Regulierungsfunktion wird durch die menschliche Jagd nicht ausreichend geleistet. Zudem profitiert von einem gesünderen Räuber-Beute-Verhältnis die Entwicklung naturnaher Wälder. Die angestrebte Naturverjüngung der Laubbäume wird weniger verbissen.

• Selbst wenn es zur Ansiedlung von (Familien-) Wolfsrudeln in Schleswig-Holstein kommen sollte, werden vor allem die begrenzte Zahl von geeigneten Rückzugsräumen für die Jungenaufzucht sowie das ausgeprägte Territorialverhalten von Wolfsrudeln dafür sorgen, dass die Zahl der Wölfe in unserem Land nicht unbegrenzt wachsen wird.

• Dank geänderter Arbeits- und Lebensweise hält sich die Landbevölkerung heute im Gegensatz zu früher deutlich seltener in der ungeschützten, freien Landschaft auf. Trotz gestiegener Bevölkerungsdichte ist die Wahrscheinlichkeit unmittelbarer Begegnungen mit Wölfen also sehr gering, da Wölfe normalerweise dem Menschen aus dem Wege gehen. Bei Beachtung der empfohlenen Verhaltensregeln und gebotener Vorsicht ist selbst bei einer Begegnung mit weniger scheuen Tieren das Risiko minimal. So ist es seit der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland zu keinen schwerwiegenden Zwischenfällen gekommen.

Konflikte sind nicht auszuschließen

Trotz der grundsätzlich günstigen Ausgangssituation für eine tolerierte Rückkehr des Wolfes, müssen Vorbereitungen getroffen werden, um real bestehende oder zukünftig mögliche Konfliktpotentiale zu minimieren.

Aufgrund aktueller Vorfälle als Erstes zu nennen ist die Gefährdung von Nutztieren, die im Freien gehaltenen werden - vor allem Schafe. Sie sind ohne besonderen Schutz eine leicht erreichbare Wolfsbeute. Nicht völlig auszuschließen sind auch Konfliktbegegnungen mit Menschen. Nehmen die Wölfe Menschen nicht mehr als Gefahrenquelle wahr, kann es bei einzelnen Tieren zum Verlust an Scheu vor dem Menschen kommen und damit zur Minderung der Fluchtreaktionen.

Die Vermeidung von Konflikten liegt nicht zuletzt im Schutzinteresse für die Wölfe selbst, denn ihre Zukunft im Lande hängt entscheidend vom Wohlwollen der (Land-) Bevölkerung ab.

Es ist deshalb zu begrüßen, dass in allen Bundesländern, in die hinein sich der Wolf bereits ausgebreitet hat oder in absehbarer Zeit ausbreiten wird, zügig Vorkehrungen getroffen wurden, die auf die Vermeidung von Konflikten mit einwandernden Wölfen abzielen.

Begegnung mit dem Wolf - wie verhalte ich mich?

Wölfe sind von Natur aus scheu, jedoch können junge Wölfe durchaus neugierig sein. Wenn sich ein Wolf nähert, muss er also keineswegs aggressiv sein. Um problematische Zwischenfälle zu vermeiden, sollten Menschen immer durch Geräusche auf sich aufmerksam machen, so dass der Wolf nicht überrascht werden kann und dann eventuell aus einem Bedrohungsgefühl heraus angreift. Aus dem gleichen Grund ist es wichtig, Fluchtwege nicht abzuschneiden. Auf keinen Fall dürfen Wölfe angelockt oder gar angefüttert werden. Nähert sich ein Wolf von sich aus, sollte man ihn verscheuchen, auch unter Zuhilfenahme von Steinwürfen oder Ähnlichem. Gleichzeitig sollte man sich besonnen und, ohne den Wolf aus den Augen zu lassen, zurückziehen, während eine Flucht durch Rennen nur den Beuteinstinkt des Wolfs auslöst.

Des Weiteren sollten Mülltonnen, Komposthaufen und Ähnliches nicht offen zugänglich sein, um Wölfen keinen Anreiz zu bieten, die Nähe menschlicher Siedlungen aufzusuchen.


Wolfsmanagement stärken

Damit Menschen und Wölfe problemlos nebeneinander leben können, muss das bestehende staatliche Wolfsmanagement gestärkt werden. Auch in Schleswig-Holstein wurde unter Leitung des Umweltministeriums (MELUR) frühzeitig ein Wolfsmanagementplan aufgestellt. Mit der regelmäßigen Anwesenheit von Wölfen im Land müssen die nachfolgend aufgeführten Elemente des bestehenden Wolfsmanagements aktualisiert und ausgebaut werden:

• Die überwiegend neutrale bis positive Grundhaltung der Bevölkerung zum Wolf sollte durch Aufklärung über die Verhaltensweisen der Tiere und die tatsächlichen Risiken für Menschen und Haustiere auf der Basis verbesserter Sachkenntnis gestärkt werden. Dazu eignen sich (regelmäßig aktualisierte) Informations-Veranstaltungen, -Flyer und -Broschüren, die zielgruppengerecht angepasst werden müssen.

• Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit Wölfe ihre Scheu vor dem Menschen nicht verlieren, auch um etwaigen Gefahrensituationen vorzubeugen. Anfütterung muss verboten werden. Romantisch oder emotional motivierten Wünschen, mit "Bruder Wolf" Kontakt vor Ort in Wolfsrevieren aufzunehmen, muss entgegen gewirkt werden. Auch die Medien sollten entsprechende Darstellungen vermeiden. Begegnungen mit dem Wolf können in Freigehegen von Tierparks ermöglicht werden, eventuell auch durch von einschlägigen Experten geleiteten Exkursionen, insbesondere unter Zuhilfenahme von sichtgeschützten Beobachtungsständen, so dass eine schleichende Gewöhnung an Menschen (Habituierung) vermieden wird.

• Wölfe, die sich wiederholt auffällig verhalten, sollten durch Monitoringprogramme beobachtet und gegebenenfalls wirkungsvoll vergrämt werden. Nur, wenn dies nachweislich nicht zum Erfolg führt, sollten betroffene Einzeltiere aus der Natur entfernt werden; auch um zu verhindern, dass der Verlust der Menschenscheu an den Nachwuchs weiter gegeben wird. Der Abschuss sollte jedoch das letzte Mittel sein. Bei der Beurteilung notwendiger Schritte sollten auch die Erfahrungen von Experten anderer Länder eingebunden werden.

• Halter von durch Wolfsriss gefährdeten Nutztieren - insbesondere von Schafen - sollten, wie bereits praktiziert, durch die Bereitstellung beziehungsweise Kofinanzierung von Schutzmaßnahmen unterstützt werden. Dazu zählen wolfssichere Einfriedungen von Nachtlagern. Positive Erfahrungen liegen längst vor mit dem Einsatz von Herdenbegleittieren. Das sind vorrangig Herdenschutzhunde, aber auch Esel und Lamas, die in Schafherden mitlaufen. Werden trotz Schutzmaßnahmen Tiere gerissen, sind die Halter unbürokratisch, zügig und vollständig zu entschädigen. Wer seine Tiere nicht schützt, hat keinen Entschädigungsanspruch. Keinen Anspruch auf Entschädigung haben Jagdrevierinhaber, in denen Wölfe Wildtiere erbeuten.

Zur Verbesserung des Wolfsmanagements sollten weitergehende Maßnahmen ergriffen werden:

• Das Wolfsmonitoring sollte ausgebaut werden. Um aktuelle Daten über den Einwanderungsstand und den Aufenthalt von Wölfen zu erhalten, ist ein landesweites Meldesystem einzurichten. Darüber hinaus ist ein länderübergreifendes Informationssystem zu schaffen.

• Die Wolfsmanagementpläne der Bundesländer sind zu vereinheitlichen bzw. unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten aufeinander abzustimmen.

• Um die Sicherheit der Nutztierhaltung im Freien gegenüber Wolfsrissen (und Hunderissen) zu verbessern, ist die Entwicklung und Erprobung wirksamer kostengünstiger und einfach handhabbarer Schutzverfahren, die auf die Haltungsbedingungen im Lande abgestellt sind, voranzutreiben. Weiterhin sind die Nachweisverfahren für die Verursacher von gerissenen Haustieren zu beschleunigen. Bei vielen mutmaßlichen Wolfsrissen, die für Presseschlagzeilen gesorgt haben, stellten sich im Nachhinein wildernde Hunde als Verursacher heraus. Dem "bösen Wolf" aber blieb der Image-Schaden.

• Problemwölfe sollten vor weitergehenden Maßnahmen möglichst eingefangen und besendert werden, um genaue Verhaltensinformationen zu bekommen.

Keine Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht

Die Aufnahme ins Jagdrecht hätte eine Signalwirkung, die den Schutzbemühungen um dieses seltene Säugetier zuwiderlaufen würde. Die Populationsdichte der Wölfe regelt sich durch ihre Territorialität von selbst, eine jagdliche Regulierung bleibt zumindest für die absehbare Zukunft unnötig. Wölfe stehen unter dem strengen Schutz des Bundesnaturschutzgesetzes, das genug Instrumente bereitstellt, um auf Fehlentwicklungen angemessen reagieren zu können.

Wölfe sind ein Teil der natürlichen Fauna in Deutschland

Wölfe und Menschen sind kulturell seit langem verbunden und üben seit jeher eine besondere Faszination aus. Alle Haushunde, von denen allein in Schleswig-Holstein etwa 200.000 gehalten werden, stammen vom Wolf ab.

Trotz seiner stark landwirtschaftlich geprägten Natur ist das Land auch ein Lebensraum für unzählige Wildtiere, die neben und mit dem Menschen und seinen Haus- und Nutztieren leben. Auch Wölfe können hier wieder eine Nische finden - wenn wir sie lassen. Wir würden damit einen kleinen Beitrag zu[r] Wiederherstellung natürlicher Prozesse in unseren heimischen Ökosystemen leisten. Der Wolf ist Teil der natürlichen Landschaft Schleswig-Holsteins, die die menschliche Kultur in einem überwältigenden Großteil in Nutzung genommen hat. Einen Nutzen für den Menschen zu erfüllen, ist aber nicht Voraussetzung, damit Tier- oder Pflanzenarten in der Landschaft, die wir mit ihnen teilen, existieren "dürfen". Nicht der Wolf muss also begründen, warum er dort existiert, sondern die "Wolfsgegner" müssen begründen, welches Recht sie haben, ihm sein Existenzrecht abzuerkennen.

Es ist deshalb nicht nur ein Gebot des Naturschutzes, sondern auch der menschlichen Ethik, dem Wolf dieses Lebensrecht zuzugestehen. Dies wäre für den Menschen kaum eine Einschränkung, für die Natur, die Ökosysteme und die betroffenen Tiere aber ein großer Gewinn.

Impressum:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Landesverband Schleswig-Holstein e.V.
Lorentzendamm 16, 24103 Kiel, Tel.: 0431/66060-0
www.bund-sh.de, bund-sh@bund-sh.de
Autoren & Bearbeiter:
Reinhard Degener, Heinz Klöser,
Tobias Langguth, Florian Schulz
Gestaltung: Tobias Langguth
Kiel 2015

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Quelle:
Presseinformation 08.10.2015
und Standpunktepapier Oktober 2015
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Landesverband Schleswig-Holstein
Lorentzendamm Nr. 16, 24103 Kiel
Tel.: 0431/66060-0, Fax: 0431/66060-33
E-mail: bund-sh@bund-sh.de
Internet: www.bund-sh.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2015

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