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ATOM/303: Widerstand gegen Kernwaffentest ohne Nuklearexplosion (SB)


USA bauen ihre Angriffsfähigkeit mit Atomwaffen aus

Das Kernwaffentestgelände von Nevada ist so strahlenverseucht, daß auch nicht-nukleare Explosionen radioaktive Substanzen freisetzen


In der Wüste von Nevada soll eine nicht-nukleare Explosion zur Überprüfung und Verbesserung der Wirkung von Kernwaffen durchgeführt werden. Umweltschützer befürchten, daß dabei große Mengen an radioaktiven Partikeln, die in den Jahrzehnten früherer ober- und unterirdischer Kernwaffenversuche produziert wurden, aufgewirbelt werden. Es werde eine gefährliche radioaktive Wolke entstehen, die Gesundheit und Leben der Einwohner in vier Bundesstaaten gefährde. Die Betreiber des Testgeländes behaupten dagegen, daß die durch die Explosion freigesetzten radioaktiven Substanzen harmlos sind. Die Atomtest-Befürworter stützen sich allerdings auf ein Gutachten, das sich durch wesentliche Auslassungen relevanter Sicherheitsfragen auszeichnet.

Anfang Januar dieses Jahres war in einem Umweltgutachten, das die mit der Genehmigung des Tests befaßte National Nuclear Security Administration hatte durchführen lassen, behauptet worden, daß die auf dem Nevada Test Site eingesetzten 700 Tonnen Ammoniumnitrat- Treibstoff-Gemisch, die in einer Grube zur Explosion gebracht werden sollen, zwar eine kilometerhohe Pilzwolke erzeugen, bei der radioaktive Substanzen freigesetzt werden, aber daß die Strahlenbelastung vernachlässigbar gering sei. Die "New York Times" (11.1.2007) zitierte den Sprecher der Nationalen Nuklearen Sicherheitsbehörde, Kevin Rohrer, mit den Worten, daß jemand, der an der Grenze des Testgeländes lebe - und das tue niemand -, am Tag nach der Explosion 0,005 Millirem radioaktive Strahlung aufnehme. Das aber bedeute, daß sich die Person 200 Jahre an dem Grenzbereich aufhalten müsse, um der gleichen Strahlenbelastung ausgesetzt zu sein wie jemand, der ein Jahr lang fernsehe.

Eingedenk dieses gutachterlichen Freifahrtscheins hofft die Defense Threat Reduction Agency (DTRA) des US-Verteidigungsministerium, die Sprengung noch in der ersten Jahreshälfte vornehmen zu dürfen. Mit dem "Divine Strake" genannten Experiment, das sich das Pentagon 23 Millionen Dollar kosten läßt, werde die Wirkung einer bestimmten Explosionskraft auf Bunker in der Erde getestet, so DTRA-Sprecherin Cheri Abdelnour.

Der Test dient also unter anderem dazu, die Einsatzmöglichkeiten der eigenen Atombomben zu überprüfen. Dahinter stecken unter anderem Überlegungen wie, einen Atomangriff gegen den Iran zu führen. Dessen Atomanlagen befinden sich teilweise in Tiefbunkern oder Bergwerkstollen. Ein Atomangriff seitens der USA (oder auch Israels) auf den Iran würde sicherlich sehr viel mehr Menschen betreffen und zu verheerenderen Umwelt- und Gesundheitsschäden - auch radiologischer Art - führen als die angebliche "nicht-nukleare" Explosion in rund 100 Kilometern Entfernung von der Spielerstadt Las Vegas. Dennoch beweist der geplante Test, daß die Militärführung der USA nicht nur auf die Interessen der iranischen Bevölkerung, sondern auch die der eigenen keine Rücksicht nimmt.

Bei einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema "Divine Strake" in Las Vegas kritisierte kürzlich der Datenauswerter Algirdas Leskys vom Department of Air Quality and Environmental Management in Clark County, daß bei dem neuen Umweltgutachten nicht die Möglichkeit berücksichtigt worden sei, daß auch Staubpartikel entstehen könnten, die feiner als 2,5 Mikrometer sind (Ein Mikrometer ist gleich ein Millionstel Meter).

Tatsächlich hatten sich die Umweltanalysten auf einen unteren Grenzwert von zehn Mikrometern festgelegt, und auf dieser Basis in ihrem Computermodell eine Explosion erzeugt, bei der eine Wolke rund 3,5 Kilometer hoch aufstieg und sich innerhalb eines Umkreises von 20 Kilometern um den Explosionsort auflöste. Leskys Einwand werde geprüft, erklärte nun Michael Skougard von der National Nuclear Security Administration. Erst anschließend werde abgewogen, ob der Test genehmigt oder eine langfristigere Umweltstudie gefordert werde.

Der nicht-nukleare Test war bereits zweimal aufgrund von Klagen seitens zweier Gruppen verschoben worden. Robert Hager, der beide Gruppen vor Gericht vertritt, berichtete, daß die Betreiber des Versuchs immer mehr Eingeständnisse gemacht hätten, angefangen damit, daß das Erdreich tatsächlich radioaktive Substanzen enthalte, daß diese in die Luft gelangten und daß sie über die Grenzen des Testgeländes hinausgerieten. Jetzt wolle man die Ausbreitung der radioaktiven Substanzen mit Hilfe eines unzureichenden Computermodells verfälschen. Das Modell sei für Schornsteine erstellt worden, die kontinuierlich Emissionen abgäben, nicht aber für eine Explosion, sagte Hager laut der "New York Times".

Die Geschichte der Nukleartests in Nevada ist lang und sie ist unsäglich. Zwischen 1951 und 1992 wurden rund 100 ober- und unterirdische Atomwaffenexplosionen ausgelöst. Seitdem werden auf dem Nevada Test Site "nur" noch subkritische Tests durchgeführt, von 1997 an bis heute insgesamt 22. "Subkritisch" bedeutet, daß keine atomare Kettenreaktion ausgelöst wird, aber es bedeutet nicht, daß dabei keine radioaktiven Substanzen im Spiel sind. Denn das Testgelände ist durch und durch radioaktiv kontaminiert.

In der Nähe des Testgeländes bzw. in Hauptwindrichtung leben der Stamm der Shoshonen und die sogenannten Downwinders. Beide haben gegen den neuerlichen Waffentest geklagt. Die Mitglieder der beiden Gruppen waren und sind indirekt dem radioaktiven Fallout der oberirdischen Atomwaffenversuche in Nevada ausgesetzt. Unter diesen Menschen herrscht eine weit über dem Durchschnitt liegende Krebshäufigkeit. Die frühere Atomenergiekommission hatte jedoch stets behauptet, daß die Nukleartests harmlos seien, selbst für die Zuschauer, die sich die Entstehung der typischen Pilzwolken nicht entgehen lassen wollten.

Viele tausend Einwohner wurden deshalb verstrahlt und erkrankten an verschiedensten Formen von Krebs und anderen typischen Strahlenfolgen. Seitdem der US-Kongreß 1990 das Radiation Exposure Compensation Act verabschiedet hat, wurden bereits 15.100 Fallout-Opfer aus Nevada und den angrenzenden Bundesstaaten Utah und Arizona entschädigt. Die Summe beläuft sich bislang auf über eine halbe Milliarde Dollar.

16. Januar 2007