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ATOM/308: Organraub bei an Krebs gestorbenen Nukleararbeitern (SB)


Britische Regierung läßt heimliche Organentnahme bei Nukleararbeitern untersuchen


Der britische Nuklearkomplex Sellafield blickt auf eine lange Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen zurück. Kritiker sagen, daß sie nur noch von der Geschichte der Täuschungen, Tricks und Trügereien übertroffen wird. Der jüngste Sellafield-Skandal hat das Potential, daß demnächst ein weiteres umfassendes Kapitel der "Sauereien", wie man im Volksmund sagt, eröffnet wird. Denn über mehrere Jahrzehnte hinweg waren aus den Leichen der an Krebs verstorbenen Nukleararbeiter, insbesondere von den in Sellafield tätigen, heimlich Gewebeproben oder gar komplette Organe entfernt worden - ohne Wissen und der Angehörigen.

Am 18. April 2007 teilte der britische Handels- und Industrieminister Alistair Darling dem Parlament in einer dringlichen Stellungnahme mit, daß er eine Untersuchung dieser Vorfälle angeordnet habe. Demnach sollen 65 Fälle aus dem Zeitraum 1962 bis 1991 geprüft werden. Dem Beschluß des Ministers waren entsprechende Vermutungen seitens der Gewerkschaften über die Organentnahmen vorausgegangen.

Darling erklärte, daß einige Fälle schon so alt seien, daß man heute nicht mehr mit Sicherheit sagen könne, ob die damaligen Untersuchungen korrekt abgelaufen waren oder nicht. Die Proben seien allesamt vernichtet worden. Die mittlerweile teilprivatisierte Gesellschaft zur Betreibung der britischen Atomanlagen, British Nuclear Fuels Ltd. (BNFL), hat angeblich nur spärliche Berichte über die Vorfälle vorliegen.

Mit den Ermittlungen wurde der Jurist Michael Redfern betraut. Er ist sozusagen ein Fachmann auf diesem Gebiet, denn er hatte 2001 einen über Großbritannien hinausgehend für Aufsehen sorgenden Skandal unerlaubter Organentnahme untersucht. In dem Liverpooler Kinderkrankenhaus Alder Hay waren zwischen 1988 und 1996 von mehr als 850 verstorbenen Babys und Kleinkindern ohne Zustimmung der Eltern Organe entnommen worden.

Über die Frage, warum Mediziner den an Krebs Verstorbenen Organe entnommen haben, kann selbstverständlich nur spekuliert werden. Die Vermutung liegt allerdings sehr nahe, daß dabei geprüft werden sollte, inwiefern der Krebs in Folge einer radioaktiven Verstrahlung auftrat. Und die jahrzehntelange Verschleierung der Leichenschändung könnte natürlich damit zusammenhängen, daß etwas entdeckt wurde, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, weil womöglich eine Klagewelle mit sehr hohen Schadensersatzforderungen ausgelöst hätte.

Wären die Befunde anders ausgefallen, wäre es für die mit der Autopsie betrauten Mediziner wahrscheinlich leichter gewesen, mit offenen Karten zu spielen. Dann hätten sie vermutlich nur die Angehörigen zu fragen brauchen, ob nicht sicherheitshalber eine Autopsie an ihren Verstorbenen durchgeführt werden sollte, denn man wolle sich vergewissern, daß sie nicht radioaktiv verstrahlt worden seien. Vermutlich hätten sich nur wenige dagegen verwehrt.

20. April 2007