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ATOM/317: EU-Afrikagipfel - Hegemonie durch Nuklearpartnerschaft (SB)


Stehen bald neue Akw-Bauruinen auf dem schwarzen Kontinent?

Umweltschutzgruppen VENRO und Forum für Umwelt und Entwicklung kritisieren die geplante nukleare Partnerschaft der EU mit Afrika


Wieder einmal wird den afrikanischen Ländern von den früheren europäischen Kolonialstaaten Entwicklungsfortschritte verheißen, und wieder einmal könnte es an der Dauerausbeutung der Bevölkerung beteiligte Sachwalter geben, die den europäischen Mächten den Weg freimachen. Diesmal lautet das Versprechen "nukleare Partnerschaft". Dieses Thema soll auf dem für Anfang Dezember geplanten EU-Afrikagipfel in Lissabon besprochen werden. Tatsächlich wird in Ländern wie Ägypten, Libyen, Südafrika, Nigeria, Ghana oder auch Namibia darüber diskutiert, in die Kernenergienutzung einzusteigen, es handelt sich somit um kein rein europäisches Hegemonieprojekt.

Der Vorschlag, mit afrikanischen Ländern eine Nuklearpartnerschaft einzugehen, wurde von der französischen Regierung kurzfristig in den Energie-Aktionsplan des bevorstehenden Gipfels gesetzt. Darauf machten die beiden Nichtregierungsorganisationen VENRO und Forum für Umwelt und Entwicklung auf ihren Internetseiten aufmerksam. Es sei "nicht hinnehmbar", dem Inhalt des Energieaktionsplans "kurzfristig eine Wendung zur Atomenergie zu geben", erklärte die VENRO-Vorsitzende Claudia Warning. Sie erinnerte daran, daß die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte die Federführung bei der Entwicklung der EU-Afrika-Energiepartnerschaft übernommen und dabei der Ausweitung erneuerbarer Energieträger eine zentrale Rolle zugeschrieben hatte. Deshalb sehen die Umweltorganisationen einen Widerspruch zwischen diesen Absichten und der nuklearen Partnerschaft.

Abgesehen von den völlig unausgeloteten Sicherheitsfragen, die mit der Uranverstromung einhergehen, ist Nuklearenergie keine geeignete Lösung für den - nicht zu bezweifelnden - Energiemangel in Afrika. Selbst die Befürworter eines einschränkungslosen technologischen Fortschritts kommen nicht umhin anzuerkennen, daß der Rohstoff Uran endlich ist. Nach Experteneinschätzung wird er noch für 70 Jahre zu ungefähr den heutigen Preisen abgebaut, ab dem Zeitpunkt würde er sich erheblich verteuern.

Das ist jedoch eine ungenaue Einschätzung, denn erstens steigen die Weltmarktpreise für Uran bereits jetzt - wenngleich nicht so rasant wie die für Erdöl - und zweitens haben Länder wie China, Indien, USA, Rußland und Frankreich Nuklearprogramme aufgelegt, die zusammengenommen den Neubau einer Vielzahl weiterer Atomkraftwerke vorsehen. Aber je mehr Akws weltweit in Betrieb sind, desto näher rückt der Zeitpunkt heran, an dem noch relativ preiswertes Uran verfügbar ist. So gehen Experten davon aus, daß voraussichtlich in 35 Jahren der "Peak", also das Maximum der Urangewinnung, überschritten sein wird. Anschließend würde die Förderung zurückgehen, während die Preise stiegen.

Nun stelle man sich vor, die afrikanischen Staaten wollten sich ebenfalls auf die Nutzung von Nuklearenergie verlegen. Das ist zwar ihr gutes Recht, aber mit einer verantwortlichen Entwicklungspolitik hätte das nichts zu tun. Den afrikanischen Ländern Atomkraftwerke zu verkaufen, mutet so perfide an, wie 70- bis 80jährigen als Altersversicherung Anlagefonds anzudrehen, die auf 15 Jahre nicht angetastet werden dürfen.

Wie lange würde es dauern, bis in Afrika ein Atomkraftwerk gebaut und in Betrieb genommen würde? Diese Frage kann nur sehr grob abgeschätzt werden, aber wenn man eine Spanne von zehn Jahren annähme, dann wäre das mehr als ein Wunder. Solche Großprojekte brauchen Zeit, wie ein anderes Beispiel aus einem gescheiterten Industrieprojekt in Südsudan zeigt. Vor einigen Jahren wollte dort das deutsche Unternehmen Thormählen eine mehrere tausend Kilometer lange Bahnlinie bauen. Es war geplant, zu diesem Zweck zunächst einmal eine Zementfabrik zu bauen, damit darin die Bahnschwellen hergestellt würden, die dann verlegt werden könnten. Ähnliche Probleme würde es auch beim Bau eines Atomkraftwerks in Afrika geben.

Wahrscheinlich würde das erste Akw frühesten zwischen 2025 bis 2035 fertiggestellt sein. Relativ preiswertes Uran gäbe es jedoch nur bis 2042, was bedeutet, daß das erste afrikanische Akw nur fünf bis zehn Jahr in Betrieb wäre, dann schössen die Versorgungskosten in die Höhe. Die Anlage würde sich niemals amortisieren (die berechtigte Frage, ob das nicht auch für hiesige Akws gilt, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden).

Bis dahin hätte sich das betreffende Land jedoch um viele Milliarden Euro verschuldet und befände sich in permanenter Abhängigkeit von ausländischen Nuklearexperten, Technologien und auch Rohstoffen (Niger und andere Staaten verfügen zwar über Uranvorkommen, aber über keine nukleare Aufbereitung). Und bis daß Afrika eigene Kernphysiker und Ingenieure ausgebildet hätte, die die Anlagen beaufsichtigen oder gar bauen könnten, verginge vermutlich ein halbes Jahrhundert. Das heißt, Afrika würde sich in eine langfristige Abhängigkeit von den heutigen Nuklearstaaten begeben.

Angenommen zwischen 2025 und 2035 wäre das erste Akw in Afrika errichtet ... was dann? Es fehlte die komplette Infrastruktur, um den Strom aus dem Kernkraftwerk flächendeckend zu verteilen. Es sei denn, die Europäische Union hätte gar nicht geplant, die allgemeine Bevölkerung mit Energie zu versorgen, sondern nur größere Einzelprojekte (wie beispielsweise eine riesige Fabrik, in der Solarmodule gebaut werden, die dann in der Wüste aufgestellt werden könnten und elektrischen Strom produzierten, der wiederum nach Europa geleitet würde).

Selbstverständlich ist es vorstellbar, daß in den zwei bis drei Jahrzehnten, in denen ein Akw gebaut wird, zeitgleich die Infrastruktur des betreffenden Landes errichtet wird und somit immer mehr Städte, Dörfer und Häuser elektrifiziert werden könnten. Um das zu machen, bedarf es jedoch keiner Atomkraftwerke! Im Gegenteil, es wäre sogar viel vorteilhafter, wenn die Menschen nicht jahrzehntelang auf Atomstrom warten müßten, sondern schon viel früher über elektrischen Strom verfügten. Warum sollten die Einwohner beispielsweise der liberianischen Hauptstadt Monrovia weitere zwei Jahrzehnte nachts im Dunkeln sitzen, nur weil die EU Langzeitprojekte verfolgt und Frankreich Handel mit Nukleartechnik betreibt?

Bis hierher wurde angenommen, es würde nur ein einziges Atomkraftwerk in Afrika gebaut. Damit käme man natürlich nicht weit. Wenn in Europa über Afrika gesprochen wird, wird leicht vergessen, wie riesig der Kontinent ist und dementsprechend Strom über weite Strecken geleitet werden müßte. Dabei wäre mit gewaltigen Leitungsverlusten zu rechnen. Allein Sudan ist mit einer Fläche von 2,5 Millionen Quadratkilometern siebenmal so groß wie Deutschland und damit ungefähr so groß wie die Landfläche Westeuropas. Wieviele Atomkraftwerke will die EU in Afrika errichten, damit überhaupt eine nennenswerte Zahl an Menschen elektrischen Strom erhielte? In welcher Zeit soll das vonstatten gehen? Und wo sollen die Atomkraftwerke stehen?

Akws müssen laufend mit viel Wasser gekühlt werden, in Afrika herrscht jedoch Wassermangel. Deshalb kämen als Standort nur relativ wenige Regionen in Frage, beispielsweise entlang der Flüsse Nil, Kongo, Niger, Limpopo, etc. Aber Wasser allein genügt nicht, es muß auch kühlen! Es nutzt nichts, ein Atomkraftwerk an einem Gewässer aufzubauen, das bereits 30 Grad warm ist. Selbst in Frankreich und Deutschland mußten während mancher heißen Sommermonate (2003) Atomkraftwerke heruntergefahren werden, weil sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Um wieviel mehr gilt dies für weite Teile Afrikas? Manchmal muß ein Akw, dieses Spitzenprodukt an Hochtechnologie, von außen mit Feuerwehrschläuchen abgespritzt werden, um es zu kühlen. Wie aber soll das mit der Kühlung in weiten Teilen Afrikas funktionieren?

Die Antwort liegt auf der Hand: Das soll gar nicht funktionieren. Sollte es jemals dazu kommen, daß die EU ein Atomkraftwerk in Afrika errichtet, so hätte das Projekt nichts mit der behaupteten allgemeinen Entwicklungsförderung zu tun, sondern mit der Förderung erstens der europäischen Wirtschaft, zweitens der weiteren Verschuldung und damit Abhängigkeit Afrikas und drittens mit der Bereicherung einiger Personen, die an den entscheidenden Stellen sitzen, um solche Projekte auf die Bahn zu bringen. Das muß nicht einmal zwingend bedeuten, daß diese Personen bestechlich sind und sich persönlich bereichern wollen. Allein wenn afrikanische Analysten glauben, Nuklearenergie sei gut für ihr Land, erweisen sie sich als Sachwalter des westlichen Hegemoniestrebens auf ihrem Kontinent.

19. November 2007