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ATOM/345: Brennelemente-Fabrik Thorp vor jahrelangen Stillegung (SB)


Nuklearkomplex Sellafield droht neue Schlappe

Technische Probleme sorgen womöglich für jahrelange Betriebsschließung der Brennelemente-Fabrik Thorp


Zwei Jahrzehnte nach dem für die gesamte Branche verheerenden Tschernobyl-GAU wittert die Nuklearwirtschaft Morgenluft. Beharrlich präsentiert sie der Öffentlichkeit Potemkinsche Dörfer, indem sie behauptet, Kernkraftwerke seien klimafreundlich, da ja nur Wasserdampf aus den Kühltürmen entweiche. Dabei wird der enorme energetische und folglich Treibhausgase emittierende Aufwand unterschlagen, den die Nuklearenergienutzung in der gesamten Infrastruktur mit sich bringt. Um aus einem Kernkraftwerk eine Kilowattstunde elektrische Leistung "herauszubekommen", muß zunächst einige Energie hineingesteckt werden, und auch die Verbringung des Nuklearabfalls sowie der Rückbau alter Kernkraftwerke erzeugt große energetische Verluste. Entsprechend hoch sind die klimawirksamen Kohlendioxidemissionen aus diesen Vorgängen. In den einschlägigen Bilanzen der Nuklearwirtschaft werden regelmäßig wesentliche Posten vernachlässigt. Als ein Beispiel von vielen sei hier die Brennelementefabrik Thorp im britischen Nuklearkomplex Sellafield genannt.

Thorp (Thermal Oxide Reprocessing Plant) ist ein Projekt, das bereits in den 1970er Jahren von der britischen Regierung beschlossen wurde. Die Anlage wurde 1994 fertiggestellt und ging 1997 in Betrieb. In der 1,8 Milliarden brit. Pfund (20,5 Mrd. Euro) teuren Anlage sollen abgebrannte Brennelemente aus dem In- und Ausland wiederaufbereitet und an die ganze Welt verkauft werden. In den ersten zehn Jahren sollten 7.000 Tonnen abgebrannte Brennelemente verarbeitet werden, verhieß der damalige Betreiber BNFL (British Nuclear Fuels Ltd.), zwei Drittel der Aufträge sollten aus dem Ausland kommen.

Das ganze Projekt hat sich als Fehlschlag erwiesen: Die Fabrik hat bis heute, zwölf Jahre nach Betriebsaufnahme, nur 6.000 Tonnen Brennelemente verarbeitet und wird mit künftig 200 Tonnen Jahresproduktion nur zu einem Sechstel ausgelastet.

Diese Woche berichtete die britische Zeitung "The Guardian" [1], daß die Fabrik wegen einer Serie technischer Probleme vermutlich mehrere Jahre geschlossen wird. Nach den Maßgaben des Aufsicht führenden Nuclear Installations Inspectorate dürfte der Betreiber Sellafield Ltd. die Anlage für mindestens vier Jahre einmotten, was wiederum Betreiber und Regierung - und damit den Verbrauchern und Steuerzahlern, auf die solche Verluste stets abgewälzt werden - mehrere hundert Millionen Euro kosten wird. Außerdem haben die Betreiber mit Nuklearkonzernen, vor allem aus Deutschland, Verträge abgeschlossen, die nicht eingehalten werden und zu einer Klage mit einer saftigen Schadenssumme führen könnten. Die Bürgerinitiative Cumbrians Opposed to a Radioactive Environment (Core) fordert eine rasche Schließung Thorps, bevor noch mehr Gelder in das Schwarze Loch geworfen werde.

Die technischen Probleme gehen vor allem auf die drei Verdampferanlagen zurück, die Thorp vorgeschaltet sind und in der das Material aufbereitet wird, aus dem die Brennelemente hergestellt werden sollen. Die beiden älteren Verdampferanlagen haben in den letzten Jahren nur mit Unterbrechungen gearbeitet, und die dritte Anlage mußte geschlossen werden, nachdem sie immer mehr Radioaktivität freigesetzt hatte. Gegenwärtig wird für umgerechnet 114 Millionen Euro eine neue Verdampferanlage gebaut, doch sind die Arbeiten anscheinend zwei Jahre hinter dem Zeitplan, mit einer Eröffnung ist nicht vor 2013 zu rechnen, wie der "Guardian" berichtete.

Die britische Regierung hegt hochtrabende Pläne mit dem Nuklearkomplex Sellafield, der so große Mengen an radioaktivem Material in die Irische See eingeleitet hat, daß sich schon wieder der Abbau lohnt, wie Spötter kritisieren. In Sellafield sollen künftig größere Mengen Nuklearabfall gelagert werden, auch ist der Bau zweier neuer Kernkraftwerke auf dem Gelände im Gespräch.

Wenn nun Thorp außer Betrieb geht und keine Einkünfte erzeugt, könnte sich dies auch auf den Rückbau und die Dekontamination älterer Kernkraftwerke auswirken, da die Gelder aus Thorp zur Finanzierung dieser Maßnahmen beitragen sollten. Die Kernkraftwerke der ersten Generation werden voraussichtlich innerhalb der nächsten zehn Jahre geschlossen, die Kosten des Rückbaus belaufen sich konservativ gerechnet auf 80 Milliarden Euro.

Und die Serie an Leckagen in Sellafield reißt nicht ab. Im Januar 2009 war festgestellt worden, daß aus einem Rohr in der Magnox-Wiederaufbereitungsanlage radioaktives Wasser herausgetropft war und zwei Kubikmeter Beton kontaminiert hat. Der Vorfall mußte von Stufe 1 auf Stufe 2 der INES-Skala (International Nuclear Event Scale) heraufgesetzt werden. Medienberichten zufolge soll der Vorfall vierzehn Monate lang unbemerkt geblieben sein. [2]

Aber das ist noch gar nichts gegenüber dem, was Techniker im April 2005 in der Thorp-Fabrik bemerkten. Von Juli 2004 an war aus einem gebrochenen Rohr unbemerkt von der Belegschaft ein schwimmbadgroßes Rückhaltebecken mit 83 Kubikmeter radioaktiver Flüssigkeit zu einem Drittel vollgelaufen. Die Flüssigkeit - Salpetersäure - enthielt schätzungsweise 20 Tonnen pulverisiertes Uran und 160 Kilogramm Plutonium. Menschen kamen nicht zu Schaden. Dennoch gilt der Vorfall, der mit einer Roboterkamera entdeckt wurde, als schwerwiegend. Reparaturarbeiten, sofern sie irgendwann einmal durchgeführt werden, könnten wegen der Strahlengefahr auch nur von Robotern ausgeführt werden.

Das schadhafte Rohr besaß einen Durchmesser von vier Zentimetern. Es war regelrecht abgeschert, weil es von oben in einen Spezialtank mündete, der sich seitlich wegbewegt hat. Das sollte er auch, aber nur leicht, denn durch Horizontal- und Vertikalbewegungen wurden Gewicht und Volumen der radioaktiven Flüssigkeit ermittelt. Ursprünglich wurde jedoch eine Seitwärtsbewegung durch mechanische Sperren verhindert. Diese waren später weggenommen worden. Niemand hatte bedacht, daß das Material ermüden könnte, und so scherte das Rohr regelrecht ab. Weil niemand bei dem Vorfall radioaktiv verseucht wurde und auch keine Strahlenquellen in die Umwelt gelangt sind, wurde der Vorfall "nur" auf Stufe 3 der siebenstufigen INES-Skala eingeordnet.

Die problembehaftete Thorp-Fabrik bildet nur einen kleinen Ausschnitt aus der gesamten nuklearen Infrastruktur, die bei jeder Form von Effizienzberechnung (ökonomisch, ökologisch) berücksichtigt werden muß. Es ist mehr als fraglich, ob die Nuklearenergielobbyisten unter solchen Voraussetzungen die Behauptung aufrechterhalten können, Kernkraftwerke seien klimafreundlich.


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Anmerkungen:

[1] "Thorp nuclear plant may close for years", The Guardian, 19. Mai 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/may/19/thorp-nuclear-plant-white- elephant

[2] "Sellafield 'drip' upgraded", World Nucelar News, 15. Mai 2009
http://www.world-nuclear-news.org/newsarticle.aspx?id=25242

22. Mai 2009