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ATOM/354: Britische Akw-Mitarbeiter sollen Kollegen bespitzeln (SB)


Auffälliges Verhalten wie Auslandsreisen bitte melden ...


"Eine Veränderung im Verhalten Ihrer Angestellten oder Kollegen zu bemerken und sich die Zeit zu nehmen, dem nachzugehen, ist kein Spionieren, sondern eine natürliche Reaktion des Sich-Kümmerns." Mit einer solchen Erklärung hätten mal einst die Stasi-Mitarbeiter versuchen sollen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu entkräften! Die Ausrede hätte selbstverständlich bei niemandem verfangen. Doch Roger Brunt, Leiter des Office for Civil Nuclear Security (OCNS) in Großbritannien, versuchte mit eben dieser Erklärung dem Vorwurf entgegenzutreten, er habe im Jahresbericht der Behörde die Mitarbeiter der britischen Kernkraftwerke aufgefordert, das Privatleben ihrer Kollegen auszuspionieren und jemanden zu melden, der möglicherweise "empfänglich" sei für Erpressung oder Bestechung durch Terroristen, die Zugang zu waffenfähigem Plutonium oder nuklearen Geheimmaterial erlangen wollten.

So harmlos, wie es Brunt darstellt, scheint die Empfehlung zum Beobachten der Kollegen allerdings nicht zu sein. Im Rahmen von "Sicherheitsmaßnahmen" solle die Belegschaft von Kernkraftwerken auch auf das Liebesleben ihrer Arbeitskollegen, die mögliche Einnahme von Drogen oder das Reisen ins Ausland achten, berichtete die Zeitung "Sunday Herald". [1]

OCNS ist mit der Sicherheit an den 31 Nuklearstandorten des Vereinigten Königreichs betraut. Im Jahresbericht 2008-09 der Behörde wird die Zahl von fast 15.000 Sicherheitsfreigaben genannt. Brunt möchte jedoch weitere Maßnahmen ergreifen und erreichen, daß alle Beschäftigten "eine Aufmerksamkeit" dafür entwickeln, ob zuvor sicherheitsgeprüfte Personen "empfänglich" werden, womöglich aufgrund von Veränderungen ihrer persönlichen Lebensumstände. Den nächsten Kollegen würde vermutlich am ehesten "ungewöhnliches Verhalten" auffallen, so Brunt.

Es hat den Anschein, als bewahrheiteten sich die Befürchtungen von Experten, daß eine zunehmende Abhängigkeit von der Nuklearindustrie gefährliche Implikationen für die Bürgerrechte mit sich bringt, da in den Kraftwerken als Nebenprodukt waffentaugliches Plutonium hergestellt wird, zitiert die Zeitung Dr. David Lowry, unabhängiger Berater für die nukleare Sicherheit. Angesichts des geplanten Baus von bis zu elf neuen Kernkraftwerken in England und Wales bestehe die Gefahr, daß die Minister die ungelösten Probleme dieser "unversöhnlichen Technologie" übersähen.

Es spricht sicherlich nichts dagegen, wenn Arbeiter und Angestellte darauf achten, was mit ihren Kollegen los ist. Das sollte ein zwischenmenschlicher Umgang sein, der eigentlich keiner Erwähnung bedarf. Somit wäre die Aufforderung der nuklearen Sicherheitsbehörde vollkommen überflüssig - es sei denn, sie erwarte von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen tatsächlich Spitzeldienste.

Wie die heimliche Video-Überwachung von Mitarbeitern einer Lebensmittelkette in Deutschland oder auch in Betrieben anderer Branchen zeigt, rücken die Lohnempfänger immer häufiger in den Fokus von Angriffen auf ihre Persönlichkeitsrechte. Dagegen könnten sich die Betroffenen am besten durch eine Kultur der Soldidarität zur Wehr setzen. Aber die Aufforderung, Kollegen zu bespitzeln, weil Kernkraftwerke potentiell gefährlich sind, wäre ein weiterer von zahlreichen Gründen, aus der nuklearen Wirtschaft insgesamt auszusteigen.


Anmerkungen:

[1] "Nuclear workers asked to spy on colleagues' lives. 'Orwellian' moves aimed at reducing blackmail risk", Sunday Herald - Glasgow, 8. November 2009
http://www.heraldscotland.com/news/home-news/nuclear-workers-asked-to-spy-on-colleagues-lives-1.931040

12. November 2009