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ATOM/365: Längere Laufzeiten für älteste Akws in England geplant (SB)


Erdöl und Uran - Risikoerhöhung der Ressourcenverwertung in Zeiten des Energiemangels

Akw-Rückbau als CO2-Quelle weithin unterschätzt


Obgleich die Ausgangslage der Kernenergienutzung in Großbritannien eine andere ist als die des "Atomenergie-Aussteigers" Deutschland, unterscheidet sich letztlich das Ergebnis aktueller politischer Entscheidungen wenig: In beiden Ländern sollen die Laufzeiten veralteter Kernkraftwerke verlängert werden. Dadurch wird das Risiko von Unfällen mit Freisetzung radioaktiver Substanzen steigen.

Die britische Regierung will die ältesten Meiler - Wylfa auf Anglesey (Betriebsbeginn 1971) und Oldbury (Betriebsbeginn 1968) - deshalb nicht vom Netz nehmen, weil der Rückbau der dafür verantwortlichen Nuclear Decommissioning Authority (NDA) zu teuer käme. Jeder Aufschub ist purer Gewinn. Umgekehrt würde ein Weiterbetrieb des Akw Wylfa dieser Behörde Extraeinnahmen von bis zu 500 Mio. brit. Pfund (602 Mio. Euro) in die Kasse spülen, was in der heutigen Zeit notorisch knapper Budgets eine große Verlockung darstellt.

Das US-Unternehmen EnergySolutions, das den Wylfa-Reaktor für die NDA betreibt, will auch für den Oldbury-Reaktor eine Verlängerung von der bereits bestehenden Laufzeitverlängerung bis Mitte 2011 erreichen. Die Anträge werden der NDA zugestellt, die sie an das Nuclear Installations Inspectorate (NII) zur Prüfung weiterreicht. Mit einer Entscheidung werde in einigen Monaten gerechnet, schreibt die britische Zeitung "The Guardian". [1]

Auf den ersten Blick nicht erkennbar, zeigt sich an diesem Beispiel eine Parallele zwischen der riskanten zeitlichen Ausdehnung der Akw-Laufzeiten zur räumlichen Ausdehnung der Offshore-Erdölförderung in immer größere Meerestiefen - die Folgen dieser Entwicklung bekommen auf brutale Art die Anwohner des Golfs von Mexiko zu spüren. Die Ölkatastrophe wird auch in zwanzig Jahren weiterhin aktuell sein, selbst wenn es noch in diesem Jahr gelänge, den Ölfluß zu stoppen.

Forderungen, auf jegliche Offshore-Förderung zu verzichten, wie sie inzwischen selbst aus etablierten Kreisen zu vernehmen sind, hat es auf vergleichbare Weise vor knapp einem Vierteljahrhundert auch hinsichtlich der Kernenergie gegeben. Nachdem 1986 das Akw Tschernobyl in der damals noch zur Sowjetunion gehörenden Ukraine explodierte und sich eine radioaktive Wolke lange Zeit über weite Teile Europas legte, regte sich breiter Widerstand in der Öffentlichkeit gegen die gefährliche Kernenergienutzung. Unter dem Eindruck der flächendeckenden radioaktiven Verstrahlung, in deren Folge unter anderem die Krebsanfälligkeit stieg und gehäuft Fehlbildungen im Mutterleib auftraten, beschlossen mehrere Länder den Atomausstieg. In Deutschland wurde 1998 eine schwarz-gelbe Regierung mit dem politischen Schwergewicht Helmut Kohl (CDU) als Kanzler gestürzt und von einer sozialdemokratisch-grünen Regierungskoalition, die den Atomausstieg versprach, abgelöst. Ein Anti-Akw-Karrierist wie Joschka Fischer ergatterte den Job des Außenministers.

In Deutschland, Italien und Schweden, die alle angeblich aus dem Tschernobyl-GAU die Lehre gezogen hatten, die Atomenergie abzuschaffen, ist inzwischen ein Sinneswandel eingetreten. Unter dem Vorwand des ökonomischen Zwangs, des Klimawandels und auch der vermeintlichen Energiesicherheit soll entweder der Ausstieg rückgängig gemacht oder eine Verlängerung der Akw-Laufzeiten beschlossen werden. Es wäre fatal, wenn durch einen weiteren GAU - vergleichbar mit der Ölkatastrophe für den Golf von Mexiko - bewiesen würde, daß die Nukleartechnologie nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Sollten in Großbritannien ausgerechnet die ältesten Meiler am Netz bleiben, stellte das ein besonderes Risiko dar.

Abschließend noch ein Wort zum Akw-Rückbau vor dem Hintergrund der behaupteten Klimafreundlichkeit der Nuklearenergie: Die NDA rechnet damit, daß sie für den Rückbau der britischen Kernreaktoren 73 Milliarden Pfund (88 Mrd. Euro) ausgeben muß, die Hälfte davon wird kommerziell erstritten, die andere Hälfte zahlt der Steuerzahler. Energieminister Chris Huhne sagte gegenüber dem "Guardian", daß sein Ministerium bis 2015 eine Finanzierungslücke von vier Milliarden Pfund aufweisen wird. Sein Ministerium sei weniger ein "Ministerium für Energie und Klimawandel" als ein "Ministerium für Nukleares Erbe und wenige andere Dinge". [1]

Das Beispiel Großbritannien zeigt, daß der unverzichtbare Rückbau von Meilern und anderen Nuklearanlagen nicht nur hinsichtlich der finanziellen Gesamtkosten der Atomenergie weitreichend unterschätzt wird. Wenn die NDA 73 Milliarden Pfund an Rückbaukosten veranschlagt, dann ist diese Summe das Äquivalent zu vielfältigen menschlichen Aktivitäten, die in der Regel mit der Emission von Treibhausgasen einhergehen. Vom Abriß der Gebäude, dem Verbringen des Strahlenmülls bis zum Bau von Zwischen- und Endlagern sowie der Büroarbeit, die hinter jedem dieser Vorgänge steckt, läuft nichts ohne Energieverbrauch, und der ist in der Regel mit der Produktion von Treibhausgasen verbunden. Fazit: Kernenergie ist nicht deshalb klimafreundlich, nur weil die PR-Abteilungen der Nuklearbranche das behaupten.


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Anmerkungen:

[1] "Nuclear reactors could see closure deferred to help bridge funding gap", 14. Juni 2010
http://www.guardian.co.uk/business/2010/jun/14/nuclear-plant-life-extension-savings

16. Juni 2010