Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/380: USA und Kanada - Bürgermeister gegen Atomtransport über die Großen Seen (SB)


Gefährdung des Trinkwassers für viele Millionen Einwohner

Kritik am 160 Tonnen schweren Nukleartransport von Kanada nach Schweden


Mehr als 70 Bürgermeister aus der kanadischen Provinz Quebec und den acht US-Anrainerstaaten der Großen Seen haben sich zur Cities Initiative zusammengeschlossen, um gegen einen geplanten Nukleartransport über die Großen Seen nach Europa zu protestieren. [1] Die Lieferung umfaßt 16 jeweils 100 Tonnen schwere, radioaktiv verstrahlte Dampfturbinen, die der Energiekonzern Bruce Power [2] recyceln lassen will. Die Turbinen, jede so groß wie ein Schulbus, sollen von Owen Sound über Georgian Bay, Huronsee, Eriesee, Ontariosee, St. Lorenz-Strom zum Atlantischen Ozean und weiter nach Studsvik in Schweden befördert werden.

Sollte es zu einem Unfall mit der radioaktiven Fracht kommen, wäre die Trinkwasserversorgung von über 40 Millionen Anwohnern auf kanadischer wie US-amerikanischer Seite gefährdet, begründen die Bürgermeister ihren Protest. Im Falle eines schweren Unfalls mit dem radioaktiven Abfall würden die Standards zur Trinkwassersicherheit verletzt, sagte Brian McMullan, Bürgermeister von St. Catharines, Ontario, und Vizevorsitzender der Cities Initiative.

Der Energiekonzern Bruce Power vertritt dagegen den Standpunkt, daß die Wiederverwertung der 16 Dampfturbinen aus seinem Atomkraftwerk Bruce A eine Umweltschutzmaßnahme darstellt, da die Alternative in einer Lagerung des Strahlenmaterials über einen langen Zeitraum bestände. Durch das Recycling jedoch, bei dem der Stahl eingeschmolzen werde, würden fast 90 Prozent des Materials wiederverwertet. Nur der Rest müßte dann von Schweden zurückgebracht und auf dem Gelände des Akw Bruce, das rund 250 Kilometer nordwestlich von Toronto liegt, gelagert werden.

Die Canadian Nuclear Safety Commission (CNSC) hat dem Transport bereits grünes Licht erteilt. Auch sie behauptet, daß die Dampfturbinen kein Risiko für die Öffentlichkeit oder die Umwelt darstellen. Die Generatoren seien als schwachstrahlender radioaktiver Abfall eingestuft worden. Der einzige Unterschied zwischen dieser Fracht und Tausenden von Frachtbewegungen jedes Jahr sei die Größe der Einheiten, unterfüttert Bruce Power die Argumentationslinie der Transportbefürworter.

Letzteres muß allerdings nicht bedeuten, daß die bei einem Unfall freiwerdende Menge an radioaktivem Material harmlos ist. Immerhin weisen die Generatoren ein Strahlenpotential 3,67 Terabequerel auf. Die Strahlung aller Generatoren zusammen übersteigt laut der Cities Initiative die Obergrenze dessen, was bei einem einzelnen Transport (hier: per Schiff) befördert werden darf. [3] Die Cities Initiative zeigt sich jedenfalls auch nach einer öffentlichen Anhörung nicht vom Umweltgutachten Bruce Powers und der kanadischen Nuklearen Sicherheitskommission überzeugt. [4] Sollte es zu einem Unfall mit nur einer Turbine kommen und dabei ihre gesamte Radioaktivität freigesetzt werden, überstiege dies den behördlich zugelassenen Health Canada Action Level um das Zweifache (2,52 mSv gegenüber dem "action level" von 1 mSv); sollte es zu einem Unfall mit allen 16 Dampfturbinen und einer vollständigen Freisetzung ihrer Radioaktivität kommen, sogar um das 40fache. [5]

Das Argument der Befürworter des Nukleartransports, daß dies eigentlich ein ganz normaler Vorgang sei, mit dem einzigen Unterschied, daß die großen Dampfturbinen in keinen Container paßten und deshalb ihre Beförderung eine Sondergenehmigung benötige, greift insofern nicht, als daß erstens diese Nukleartransporte eben genau nicht "normal" sind und zweitens aus Sicherheitsgründen sämtliche Nukleartransporte so gering wie möglich gehalten werden sollten, was bedeutete, aus der Atomtechnologie im zivilen wie militärischen Bereich vollständig auszusteigen. Nur weil die Atomwirtschaft in den letzten fünfzig Jahren ihr Strahlenmaterial über den gesamten Globus verteilt und dadurch Sachzwänge wie den des Transports geschaffen hat, verringert das nicht das Risiko Die vielen Atomtransporte, die dem Unternehmen als Maßstab dienen, um die Beförderung der 16 Dampfturbinen akzeptabel erscheinen zu lassen, bergen ihrerseits ein hohes Gefährdungspotential für die Umwelt und Gesundheit.


*


Anmerkungen:

[1] "Great Lakes Mayors Sound Alarm Over Radioactive Shipment", Environment News Service (ENS), 2. Dezember 2010
http://www.ens-newswire.com/ens/dec2010/2010-12-02-02.html

[2] Hinter Bruce Power stecken die beiden Unternehmen Cameco Corporation und TransCanada Corporation sowie die Power Workers' Union, die Society of Energy Professionals und der BPC Generation Infrastructure Trust, welcher vom Ontario Municipal Employees Retirement System geschaffen wurde.
http://www.brucepower.com/pagecontent.aspx?navuid=1211&dtuid=84299

[3] http://www.glslcities.org/voice-of-mayors/Nuclear.cfm

[4] PRESS RELEASE FOR DISTRIBUTION 11/23/10, GREAT LAKES AND ST. LAWRENCE MAYORS REAFFIRM OPPOSITION TO RADIOACTIVE WASTE SHIPMENT. Cities concerned about risk to drinking water, insufficient information to make decision Toronto, 23. November 2010
http://www.glslcities.org/voice-of-mayors/brucepower_newsrelease_112310.pdf

[5] http://www.glslcities.org/voice-of-mayors/Bruce_CNSC_NovcommentsFINAL.pdf

7. Dezember 2010