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ATOM/397: NORM-Partikel im Golf von Mexiko - Umweltnetzwerk LEAN vor Gericht erfolgreich (SB)


Berufungsgericht gibt Umweltnetzwerk LEAN Recht

Louisianas Umweltbehörde muß Produkt- und Abwasser aus der Öl- und Gasindustrie auf Schadstoffe kontrollieren


Die schwerwiegenden radioaktiven Verstrahlungen des ostpazifischen Meeresgebiets vor dem havarierten japanischen Atomkomplex Fukushima Daiichi, über die regelmäßig berichtet wird - wenngleich mit deutlich abnehmender Tendenz -, sollte nicht den Blick von den weniger spektakulären Strahlenquellen im Meer ablenken. Damit ist nicht die Irische See gemeint, deren Meeresboden so stark vom britischen Nuklearkomplex Sellafield radioaktiv kontaminiert wurde, daß er beinahe wieder für die Urangewinnung attraktiv wird; und auch nicht die von der rostenden russischen Atom-U-Bootflotte verseuchte Barentssee. Die Rede ist vom permanenten Eintrag radioaktiver Substanzen durch die Offshore-Förderung von Erdöl und -gas, sogenannter NORM-Partikel.

Ähnlich wie bei der Förderung von Kohle und unkonventionellem Gas aus tieferen Gesteinsschichten gelangt auch beim Hinaufpumpen von Erdgas und Erdöl Radioaktivität an die Oberfläche. Beispielsweise im Golf von Mexiko. Nicht nur bei einer Havarie wie der des Macondo-Bohrlochs nach der Explosion der Plattform Deepwater Horizon im Sommer vergangenen Jahres werden radioaktive Partikel ausgeschwemmt. Die ganz normale Erdöl- und Erdgasförderung der mehrere tausend Bohrlöcher vor der Südküste der USA sorgt für eine schleichende radioaktive Kontamination der Meere.

Das Umweltschutznetzwerk LEAN (Louisiana Environmental Action Network), das sich unter anderem für die Reinhaltung des Golfs von Mexiko einsetzt, hat vor kurzem einen gerichtlichen Erfolg erzielt. Das Berufungsgericht des Bundesstaats Louisiana (Louisiana State Court of Appeal) hat die Umweltschutzbehörde (State Department of Environmental Quality) angewiesen, die Umweltfolgen von Abwässern aus der Gas- und Ölproduktion im Golf von Mexiko vor der Küste Louisianas zu kontrollieren. LEAN und ihr Anwalt Stuart H. Smith hatten geklagt und erklärt, daß die Behörde bei der Vergabe von Förderlizenzen die Öffentlichkeit nicht ausreichend vor Verschmutzungen und möglichen Strahlengefahren aus der Erdölindustrie schütze. [1]

Nach Angaben LEANs durften die Betreiber der Förderanlagen Schlämme und Abwässer seit dem Jahr 2002 aufgrund einer unzureichenden und abgelaufenen Generalvollmacht der Umweltschutzbehörde ins Meer pumpen. Abgesehen von Schwermetallen (Blei, Chrom, Cadmium) und organischen Erdölbestandteilen enthielten die Schlämme auch radioaktive Substanzen, jene NORM-Partikel (Radium, Thorium, Uran). Von der aktuellen Entscheidung des Berufungsgerichts in Lousiana sind 98 Bohrstellen betroffen, sagte Behördensprecher Rodney Mallett [2].

Das Meerwasser und der Meeresgrund erfahren somit eine Anreicherung durch Radionukleotide, vor allem Radium-226 und Radium-228. Obgleich es hier um deutlich geringere Konzentrationen geht als beispielsweise beim Fukushima-GAU, bedeutet das nicht, daß sie keine Gesundheitsgefahr darstellen. Theoretisch kann selbst ein einzelnes radioaktives Molekül Krebs auslösen, wenn es über Hautkontakt, Atmung oder Nahrung an bzw. in den Körper gelangt. Radium weist chemische Ähnlichkeiten mit Kalzium auf, das bei zellulären Transport- bzw. Diffusionsvorgängen eine zentrale Rolle spielt. Das erhöht die Gefahr, daß Radium absorbiert wird und Zellveränderungen auslöst.

Aufgrund der hohen Intensität der Gas- und Ölförderung im Golf von Mexiko kommt es zu einer Aufkonzentration an radioaktiven Substanzen, was sich bis in die Nahrungskette fortsetzen kann, an deren Ende der Mensch Meerestiere oder -pflanzen ist, ohne daß er sich des Risikos gewahr ist.

Smith befaßt sich seit über 25 Jahren mit Umweltfragen und hat einige Erfolge vorzuweisen. So war er Hauptanwalt der Familie Grefer in Harvey, Louisiana, in einer Klage gegen den Ölkonzern ExxonMobil. Der hatte Land der Familie gepachtet und versucht, die Verseuchung mit NORM-Partikeln zu vertuschen. ExxonMobil wurde zur Zahlung von 1,056 Milliarden Dollar verurteilt, ging in Berufung, konnte das Strafmaß reduzieren, aber mußte noch immer mehrere hundert Millionen Dollar Schadensersatz zahlen.

Nach der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon und ihrem Untergang war der Ölkonzern BP schwer in die Kritik geraten, weil er offenbar wichtige Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt hatte. Auch die US-Regierung geriet in die Schußlinie, aber schon bedeutend weniger als BP. Dabei sind es doch die Regierungen, welche die Spielregeln festsetzen, nach denen die Unternehmen wirtschaften. Die Klage gegen die Umweltbehörde läßt ahnen, daß fundamentale Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit vernachlässigt werden und daß hierfür Regierungen gemeinsam mit der Wirtschaft verantwortlich sind.

Fußnoten:

[1] "Produced Waters Victory", Louisiana Environmental Action Network, 12. Juni 2011
http://leanweb.org/our-work/water/produced-waters/produced-waters-victory

[2] "Court to La.: Take a harder look at oil drilling" Forbes/Associated Press, 14. Juni 2011
http://www.forbes.com/feeds/ap/2011/06/14/business-us-louisiana-drilling-louisiana_8515800.html

23. Juni 2011