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ATOM/405: Fukushima-Fallout - Hotspot in Kashiwa (SB)


Radioaktive Verstrahlung auf unbewohnten Grundstück, auf dem häufiger Kinder gespielt haben


Am Samstag haben die japanischen Behörden in einem Tokioter Vorort, fast zweihundert Kilometer vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt, eine so starke radioaktive Strahlung gemessen wie in manchen Gebieten der Evakuierungszone. Eine Ausdehnung dieser Zone von zur Zeit 20 auf 200 Kilometer wegen dieses Vorfalls ist nicht vorgesehen. Statt dessen wird versucht, die Kontamination partiell zu beseitigen.

Die aktuelle Entdeckung aus einer laufenden Serie an sogenannten Hotspots, die seit der Katastrophe vom 11. März dieses Jahres in verschiedenen Regionen Japans entdeckt werden, begrenzt sich angeblich auf einen Umfang von einem Meter eines unbewohnten, städtischen Grundstücks im Distrikt Nedo der Stadt Kashiwa, Präfektur Chiba. Die Strahlenbelastung wird mit zwei Mikrosievert pro Stunde in ein Meter Höhe, 14,6 Mikrosievert in Bodennähe und 57,5 Mikrosievert pro Stunde im Boden angegeben. In 30 Zentimeter Tiefe wurde eine Aktivität von bis zu 276.000 Becquerel Cäsium pro Kilogramm Erdreich gemessen, was dem Vier- bis Fünffachen des Strahlenwerts der Umgebung entspricht. Bei einer Strahlenbelastung von 0,23 Mikrosievert pro Stunde geht die Regierung davon aus, daß der Jahresgrenzwert von 1 Mikrosievert überschritten wird, was eine Dekontamination des Gebiets verlangt. [1]

Masako Sawai, Forscher bei der Anti-Atomgruppe Citizens' Nuclear Information Center in Tokio, vertrat zunächst noch die Ansicht, daß, wenn der Fallout vom Akw Fukushima den Boden erreicht, es undenkbar sei, daß das Strahlenniveau in größerer Tiefe höher ausfallen könne. [2] Er vermutete offenbar wieder eine Verseuchung wie neulich, als in einem Haus radioaktive Farbe gefunden wurde. Inspektoren des Ministeriums für Forschung und Technologie erklärten unterdessen, daß die hohe Strahlenkonzentration vermutlich deshalb zustandekommt, weil der radioaktive Fallout mit Caesium vom Regen abgewaschen wurde und sich in einem Abflußrohr aufkonzentriert hat. Das war aber an einer Stelle gebrochen, so daß das verstrahlte Wasser den Boden verseucht hat.

Wenn diese Erklärung zutrifft, bestätigt das die Annahme, daß das japanische Abwassersystem in Regionen außerhalb der Evakuierungszone stark radioaktiv belastetet ist und eine potentielle Gesundheitsgefahr höchsten Ausmaßes darstellt. Am stärksten kontaminiert müßten demnach die Kläranlagen sein, wo das radioaktiv verseuchte Wasser aus einem größeren Einzugsgebiet durchläuft und gefiltert wird. Takao Nakaya, Leiter des Office of Radiation Regulation im Forschungsministerium vermutet jedenfalls, daß im Großraum Tokio noch mehr ähnliche Hotspot gefunden werden könnten. [1] Das Thema wird jedoch von den Medien gemieden. Die fragen allenfalls danach, wie die riesigen Mengen verstrahlten Kühlwassers, das aus dem Akw Fukushima Daiichi stammt, sicher verbracht werden kann.

Ein Beamter der Stadt Kashiwa erklärte laut der Zeitung "The Japan Times", man habe das verstrahlte Gebiet mit Flußsand und Plastikplanen abgedeckt, wodurch die Strahlenbelastung der Luft gesenkt werden konnte. [3] Am heutigen Montag soll über den weiteren Umgang mit dem Hotspot entschieden werden. Die Anwohner sind in Sorge, daß Kinder verstrahlt wurden, da sie regelmäßig auf dem Grundstück gespielt haben.

Wieviele Kinder möglicherweise kontaminiert wurden, weil sie sich in dem Hotspot aufhielten oder ihm zu nahe gekommen waren, ist nicht bekannt. Ein Anwohner, der ein Dosimeter trug, war bereits am 18. Oktober auf den Hotspot aufmerksam geworden und hat dies gemeldet. Ganze drei Tage verstrichen, bis örtliche Behördenvertreter Untersuchungen aufnahmen, und nur auf Anraten oder Druck seitens der Stadtverwaltung Kashiwa befaßte sich das Forschungsministerium nicht erst am Montag, sondern bereits am Sonntag mit dem Fall. [1]

Es ist nicht das erste Mal, daß in einem Vorort Tokios oder sogar in der Hauptstadt selbst erhöhte Strahlenwerte festgestellt werden. Das könnte bedeuten, daß in dieser dicht besiedelten Region noch weitere Hotspots existieren, die bislang lediglich nicht erkannt wurden, weil dort niemand nachgesehen hat. Das ist einer der Gründe, warum sich in Fukushima und anderen Städten Bürgerinitiativen gebildet haben, die das Heft in die eigene Hand nehmen und beispielsweise Meßstationen einrichten.

Wataru Iwata von der Bürgerinitiative Citizens' Radioactivity Measuring Station in Fukushima sagte im August gegenüber dem Schattenblick [4], das größte Problem bestehe darin, daß noch immer Menschen in "hochverstrahlten Regionen" lebten. Zwei Monate nach dem Interview muß festgestellt werden, daß das weiterhin gilt. Der Strahlenforscher Prof. Masahiro Fukushi von der Tokyo Metropolitan University rät der Bevölkerung, eigene Strahlenmessungen in ihrer Nachbarschaft vorzunehmen und nicht auf die schleppenden Untersuchungen der Regierung zu warten. [5] Von der jüngsten Entdeckung zeigte er sich nicht überrascht; auch er rechnet damit, daß es noch mehr Hotspots gibt. Prof. Fukushi sieht allerdings keinen Anlaß, sich zu sorgen. Es sei nicht damit zu rechnen, daß sich jemand längere Zeit an so einem Hotspot aufhalte - ein Standpunkt, der vermutlich nicht von allen strahlengefährdeten Einwohnern Japans geteilt wird.


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Fußnoten:

[1] "Radioactive soil traced to contaminated rainwater due to broken ditch", Mainichi Daily News, 24. Oktober 2011
http://mdn.mainichi.jp/mdnnews/news/20111024p2a00m0na004000c.html

[2] "Radiation hotspot near Tokyo linked to Fukushima: officials" TerraDaily.com/AFP, 24. Oktober 2011
http://www.terradaily.com/reports/Radiation_hotspot_near_Tokyo_linked_to_Fukushima_officials_999.html

[3] "Science ministry dashes city's claims after visit turns up leaking ditch; tainted runoff suspected", The Japan Times, 24. Oktober 2011
http://www.japantimes.co.jp/text/nn20111024a1.html

[4] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/urdi0003.html

[5] "Kashiwa's hot spot just one of many to come, expert says", The Japan Times, 24. Oktober 2011
http://www.japantimes.co.jp/text/nn20111024x3.html

24. Oktober 2011