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ATOM/426: Akw-Neubau im Vereinigten Königreich - Ratio der Geopolitik (SB)


Britische Regierung eröffnet für die Nuklearwirtschaft neues Milliardengrab



Die konservativ-liberale Regierungskoalition des Vereinigten Königreichs setzt die atomfreundliche Politik des Landes fort. Am Montag berichteten Medien, daß ein französisch-chinesisches Konsortium in der Grafschaft Somerset ein neues Akw errichten will. Die Baukosten werden mit 16 Mrd. Pfund (18,9 Mrd Euro) angegeben. An dem vorgesehenen Standort Hinkley Point nahe Bridgwater befinden sich bereits zwei ältere Meiler.

Die britische Regierung hat dem Konsortium aus der französischen EdF (40-50%) und dem Kraftwerksbauer Areva (10%) sowie den beiden chinesischen Unternehmen CGN (Guangdong Nuclear Power Corporation Holding) und CNNC (China National Nuclear Corporation) (zusammen 30% - 40%) nicht nur Kreditgarantien in Höhe von 65 Prozent für den Bau zugesagt, sondern auch einen festen Abnehmerpreis von 92,50 Pfund (109,21 Euro) pro Megawattstunde elektrischen Strom über einen Zeitraum von 35 Jahren.

Rein ökonomisch ergibt das Vorhaben wenig Sinn. Vor allem dank der erneuerbaren Energien beträgt der Strompreis an der Börse gegenwärtig nicht einmal 4 Cent/kWh, den Betreibern wird aber umgerechnet eine Einspeisevergütung von rund 11 Cent/kWh zugesichert, und die meisten Energieexperten rechnen mit einem weiteren Sinkflug des Börsenpreises.

Es ist eine Binsenweisheit, daß eine Regierung so hohe Subventionen nur ausgibt, wenn sie damit eine bestimmte Absicht verfolgt. Geht es aber bei dem Projekt wirklich um eine sichere Energieversorgung, wie der britische Premierminister David Cameron behauptet? Da kommen Zweifel auf, denn der zu erwartende niedrigere Börsenpreis aufgrund der Erneuerbaren bedeutet, daß Energie mit einfachen Mitteln hergestellt werden kann. Je fortschrittlicher die technischen Systeme werden, die mittels Wind, Sonne, Gezeiten, Geothermie und Biomasse Energie erzeugen, und je verbreiteter sie sind, desto sicherer auch die Versorgungslage.

Ein anderer Grund für die Entscheidung der Regierung, die mit schwarzen Löchern im Staatshaushalt aufgrund der Nuklearwirtschaft (Stichwort Sellafield ...) keineswegs bescheiden ausgestattet ist, ein weiteres Loch hinzuzufügen, scheint naheliegender zu sein als die Rentabilität. Der Akw-Neubau hat nicht unmittelbar mit der Energieversorgung, sondern vielmehr mit der wenig beachteten militärischen Komponente der Nukleartechnologie zu tun. Das Vereinigte Königreich verfügt über mehr als 200 einsatzbereite Atomsprengköpfe und will den prinzipiellen Zugang zur Nukleartechnologie nicht verlieren. Womit nicht behauptet werden soll, daß in den beiden geplanten Meilern Kernbrennstoff fürs Militär hergestellt werden soll.

Der ursprüngliche Anlaß der Entwicklung der Nukleartechnologie bestand nicht in der Bereitstellung von Energie für die zivile Nutzung, sondern im Bau und Besitz von ultimativen Zerstörungsmitteln. Mit Hilfe der USA hatte das Vereinigte Königreich bereits am 3. Oktober 1952 seinen ersten Atomwaffenversuch (vor der australischen Küste) durchgeführt. Fünf Jahre darauf zündeten britische Militärforscher ihre erste Wasserstoffbombe (ebenfalls vor Australien).

Ein Land, das über Atomwaffen verfügt, kann gegenüber anderen Ländern ein enormes Drohpotential aufbauen und im globalen Rahmen seine Interessen leichter durchsetzen. So hatten britische Kriegsschiffe 1982 auf ihrem Weg zu den Falkland-Inseln Nuklearwaffen an Bord, wie die Regierung in London gut zwanzig Jahre später einräumen mußte. Die offizielle Erklärung, daß nie daran gedacht gewesen sei, diese Waffen gegen Argentinien, mit dem man sich damals im Krieg befand, einzusetzen und daß die Atomwaffen vor Erreichen des Ziels umgeladen worden seien, klingt wie eine schlechte Ausrede. Doch selbst wenn diese Erklärung zuträfe, hätten die Argentinier damit rechnen müssen, daß ihr Feind diese Waffen gegebenenfalls einsetzt, beispielsweise wenn ihm mit konventionellen Waffen eine Niederlage gedroht hätte. Es bestand also ein eindeutiges Drohpotential. Niemand führt Krieg gegen ein Land, das über Atomwaffen verfügt, und berücksichtigt dann in seinen taktisch-strategischen Szenarien nicht auch den schlimmsten Fall.

Selbst wenn nach zehn Jahren Bauzeit am Akw-Standort Hinkley Point zwei neue Meiler ihren Betrieb aufnehmen und elektrischen Strom ins Netz einspeisen sollten, kommt dem Projekt eine militärische Bedeutung zu. Das Vereinigte Königreich ist eine Nuklearmacht und das bedeutet nicht nur, auf irgendwelchen Stützpunkten Nuklearwaffen zu lagern und nur hin und wieder den Rost von den Bomben und ihren Abschußsystemen zu kratzen, sondern es bedeutet, die gesamte Palette an Atomtechnologien aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Deshalb müßte ein konsequenter Ausstieg aus der Atomtechnologie auch die militärischen Komponenten einschließen.

22. Oktober 2013