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ATOM/432: Atomares Endlager in den USA explodiert - keine erhöhten Strahlenwerte registriert (SB)


Fukushima light ...

Ein halbes Jahrhundert nach seiner Einrichtung explodiert in Nevada ein Endlager für schwachradioaktive Abfälle und brennt aus


Im US-Bundesstaat Nevada ist am Sonntag, den 19. Oktober, ein unterirdisches Lager für schwachradioaktive Abfälle explodiert. Weil die Feuerwehr keine Ahnung hatte, welche Substanzen dort verborgen sind, und die Gefahr bestand, daß Wasser die Explosionsgefahr verstärkt, hat sie das Feuer nicht gelöscht, sondern 12 Stunden lang ausbrennen lassen. Der Leiter der örtlichen Feuerwehr, Peter Mulvihill, sagte am Dienstag laut dem Las Vegas Review-Journal, daß der Brand definitiv "sehr heiß" gewesen war. Aus Sicherheitsgründen hatten die Behörden örtliche Schulen geschlossen und den Highway 95, die wichtigste Nord-Süd-Straßenverbindung des Bundesstaats, auf einer Strecke von 225 Kilometern einen Tag lang gesperrt. [1]

Zwei Tage nach dem Vorfall gab das Nevada Department of Public Safety ein Handy-Video frei, auf dem zu sehen ist, wie die Erde an mehreren Stellen explodiert, dabei Material ausgeworfen wird und weißer Rauch aufsteigt. [2] Die Bilder wecken Erinnerungen an die Wasserstoffexplosionen, die sich im März 2011 am zerstörten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ereigneten, auch wenn diese hinsichtlich Sprengkraft, Strahlenfreisetzung und Folgeschäden erheblich größer waren als die in den USA.

Dort wurden von Hubschraubern aus keine erhöhten Gammastrahlenwerte registriert, und Einsatzkräfte am Boden, die sich einem Explosionskrater bis auf wenige Meter nähern konnten, haben dort den Angaben zufolge weder Alpha- noch Betastrahlen schwerer Teilchen nachgewiesen. Es hat also den Anschein, als sei der Vorfall glimpflich ausgegangen, wobei man noch keine Aussage über die Langzeitfolgen treffen kann, denn jedes Radionuklid stellt eine potentielle Gefahr dar. Den Berechnungen zufolge hat die von ständigen Explosionen genährte Rauchwolke einen Kurs über den ganzen Bundesstaat hinweg genommen und sich dabei verdünnt. Vermutlich weiß niemand, ob nicht doch an einzelnen Stellen radioaktiver Fallout niedergegangen ist.

Seit 1962 dient der Standort als Endlager für schwachradioaktive sowie nichtstrahlende, toxische Abfallstoffe. Das ausgebrannte Lager, in dem sich vor allem Strahlenabfall aus universitären Laboren und der Nuklearmedizin befand, wurde von dem Unternehmen Nuclear Engineering Co. nahe Beatty, Nye County, rund 190 Kilometer nordwestlich von Las Vegas, betrieben. 1981 hatte sich das Unternehmen in US Ecology umbenannt. Ab 1992 durfte es aufgrund eines Bundesgesetzes keine radioaktiven Abfälle mehr annehmen, und hat seitdem in einer benachbarten Grube noch pro Jahr 100.000 Tonnen hochtoxische Abfälle wie zum Beispiel krebserregende PCBs eingelagert.

Die Serie von Explosionen ereignete sich im "Trench No. 14", einem von insgesamt 22 Gräben, die bis zu 33 Meter tief und 270 Meter lang sind. Das in Fässern und Containern, die teils im Wasser stehen und durchgerostet sind, gelagerte Nuklearmaterial ist von einer bis zu zehn Meter dicken Lehm- und Erdschicht bedeckt, durch die Regenwasser eindringt.

Schwachradioaktive Abfälle, für deren Handhabung und Transport gemäß den Standards der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) keine Abschirmung erforderlich ist, entfalten normalerweise keine Wärme. Was den Abfall zur Explosion gebracht hat, ist bislang nicht bekannt und kann erst untersucht werden, wenn keine Gefahr mehr besteht, daß es zu weiteren Explosionen und Bränden kommt. Die Ermittlungen werden gefährlich und langwierig sein.

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (BI) fragt, ob es verantwortbar ist, hochradioaktive Abfälle zusammen mit gas-entwickelnden, brennbaren Atommüllabfällen in einer Deponie zu verbringen. BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: "Auf diesem Hintergrund halten wir es seitens des Bundesumweltministeriums für unverantwortlich, von dem Konzept abzuweichen, hochradioaktiven Müll getrennt von schwach- und mittelaktiven Abfällen zu deponieren." Hintergrund dieser Aussage ist der Auftrag des Bundesumweltministeriums an die Endlagerkommission, Vorschläge für ein Mischlager zu erarbeiten, statt allein Sicherheitskriterien für ein Lager mit hochradioaktivem Müll zu präsentieren. [3]

Als eine der führenden Atommächte der Welt, die auf eine jahrzehntelange militärische und zivile Atomwirtschaft zurückblickt, ist den Vereinigten Staaten das nach wie vor ungelöste Endlagerproblem für hochradioaktive Stoffe längst über den Kopf gewachsen. [4] Es ist geradezu bezeichnend für das prinzipielle Risiko der Atomenergie, daß ein für rund drei Milliarden Dollar errichtetes atomares Endlager in der Wüste von New Mexico, die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), seit Februar vergangenen Jahres außer Betrieb gestellt wurde und möglicherweise ganz aufgegeben werden muß, weil jemand mindestens eine Tonne mit radioaktivem Abfall mit organischem statt anorganischem Katzenstreu zur Bindung der Feuchtigkeit befüllt hat. Daraufhin war es zu chemischen Reaktionen gekommen, die Tonne brach auf und es wurden hochgefährliche Transurane wie Americium und Plutonium freigesetzt. In 21 Arbeitern wurden diese Substanzen nachgewiesen. [5]

Jetzt zeigt sich, daß selbst schwachradioaktiver Abfall, der jahrzehntelang vermeintlich sicher gelagert wurde, eine potentielle Gefahrenquelle darstellt. Solange niemand weiß, wie es zu der Explosionsserie kam, kann die Ursache nicht behoben werden. Das heißt, es kann dort jederzeit erneut zu einer Explosion kommen. Gleiches müßte man konsequenterweise auch von anderen Endlagern für schwachradioaktive Abfälle annehmen.

Die Regierungen der USA und anderer Länder halten sehenden Auges an einer Technologie fest, die sowohl aufgrund der vielen Unfälle als auch des "störungsfreien" Dauerbetriebs extrem gesundeitsgefährdend ist und Jahr für Jahr viele Opfer in der Bevölkerung fordert. Selbst kleinere Strahlendosen, unterhalb der Grenzwerte, erhöhen bei längerer Exposition das Krebsrisiko der Betroffenen signifikant, schreiben Forscher im renommierten Medizinjournal "The Lancet". [6]

Ein Gedankenspiel: Wäre es möglich, zuverlässig die Namen derjenigen zu prognostizieren und bekanntzugeben, die Jahr für Jahr an den Folgen der Atomenergienutzung an Krebs erkranken und sterben, könnten sich die Lobbyisten der Atomenergie nicht mehr hinter der Statistik, die Menschen zu einer namen- und gesichtslosen "Bevölkerung" summiert, verstecken. Dann würde das tödliche Treiben mit der Atomkraft aufgedeckt.


Fußnoten:

[1] http://www.reviewjournal.com/news/fire-rescue/video-shows-blasts-nuclear-waste-dump-site-shut-down-us-95

[2] https://www.youtube.com/watch?v=YTGwA3OwC_c

[3] http://www.bi-luechow-dannenberg.de/?p=15162

[4] Wie in den USA Strahlenmüll "entsorgt" wird und sich das Beseitigungsproblem doch immer weiter fortsetzt, siehe:
ATOM/423: Von Hanford nach New Mexico - neues Endlager, neues Glück? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umat-423.html

[5] http://www.world-nuclear-news.org/RS-Wrong-kitty-litter-the-culript-for-WIPP-release-27030151.html

[6] http://www.thelancet.com/pdfs/journals/lanhae/PIIS2352-3026(15)00094-0.pdf

26. Oktober 2015


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