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ATOM/452: USA - Rückfall ... (SB)



Im US-Bundesstaat Pennsylvania gibt es Bestrebungen seitens der Atomlobby, daß die alternden Atomkraftwerke nicht abschaltet werden und ihr Weiterbetrieb mit Finanzmitteln aus dem Topf für klimafreundliche, regenerative Energien am Leben erhalten wird. Eine Initiative sowohl der Abgeordneten wie auch des Senats dieses Bundesstaats begründet ihr Streben damit, daß die eigenen, ehrgeizigen Klimaschutzziele nicht verfehlt und die Energiekosten niedrig gehalten werden sollen.

Eine Reihe von US-Bundesstaaten befindet sich bereits auf einem ähnlichen Kurs. So subventioniert Illinois das Unternehmen Exelon zehn Jahre lang mit 235 Millionen Dollar jährlich, damit es seine dort aufgestellten Akws weiterbetreibt; und New York finanziert die Nuklearindustrie über einen Zeitraum von zwölf Jahren mit sieben Milliarden Dollar.

In Harrisburg, Pennsylvania, steht das Akw Three Mile Island, in dem es 1979 zu einem so schweren Unfall kam, daß seitdem der Neubau von Akws in den USA kaum durchsetzbar war. Reaktor 1 von TMI, wie das Akw genannt wird, würde voraussichtlich im September dieses Jahres abgeschaltet, weil der Betreiber Exelon nicht die hohen Kosten aufbringen will, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Im Jahr 2021 würden die beiden Reaktoren des Akw Beaver Valley des Unternehmens FirstEnergy Corp. folgen, und nicht lange danach die drei restlichen Akws dieses Bundesstaats.

Pennsylvania steht somit vor einer Energiewende und könnte sowohl aus den fossilen Energieträgern als auch der Nuklearenergie aussteigen, wenn der entsprechende politische Wille vorhanden wäre. Vielleicht würden die Steuerzahlerinnen und -zahler bei dieser Energiewende noch etwas mehr zur Kasse gebeten, aber das müßten sie mit Sicherheit auch beim Weiterbetrieb der Kernreaktoren. Und sie hätten zusätzlich noch das Risiko eines Nuklearunfalls, das mit der Zeit zunimmt.

2004 hatte die Staatsregierung Pennsylvanias mit dem Gesetz Alternative Energy Portfolio Standards (AEPS) beschlossen, daß die Energieversorger einen Teil ihres elektrischen Stroms aus erneuerbaren und alternativen Energien bestreiten müssen. Bis 2021 muß deren Anteil auf 18 Prozent gestiegen sein, wobei zu den Alternativen auch die Verbrennung von ungenutzter Kohle, Methan aus Müllkippen, Holzabfällen und städtischem Müll gezählt werden.

Staatssenatoren wie der Republikaner Ryan Aument und der republikanische Staatsabgeordnete in Pennsylvania Thomas Mehaffie schlagen nun vor, daß Kernreaktoren in die gleiche Kategorie fallen wie die Erneuerbaren. Das würde Finanzmittel freisetzen, die ein Schließen der Atomkraftwerke um einige Jahre hinauszögern. Angeblich geht es den Initiatoren um Klimaschutz, doch erscheint der Vorgang eher wie ein Versuch der Nuklearlobby, ihre umstrittene Technologie, die nur aufgrund des steten Stroms enorm hoher Subventionen profitträchtig ist, zu bewahren.

Es trifft zu, daß Atomkraftwerke während ihres Betriebs relativ wenig Kohlenstoffdioxidemissionen produzieren. Für den gesamten Lebenszyklus gilt das jedoch nicht, denn die Urangewinnung und -anreicherung verschlingt große Mengen an Energie, gleiches gilt für den Rückbau von Akws und die Endlagerung radioaktiver Abfälle - ganz zu schweigen von der Bewältigung von Unfällen.

Die Atomenergie hat einen Anteil von 42 Prozent an der Stromproduktion Pennsylvanias. 93 Prozent der vermeintlich kohlenstofffreien Stromproduktion wird über die Kernspaltung generiert. Würde der Bundesstaat die Akws abschalten und durch Kraftwerke, die mit fossilen Energieträgern befeuert werden, ersetzen, würde das selbstverständlich die Treibhausgasemissionen in die Höhe treiben. Aber es gibt Alternativen zu diesem Schreckgespenst, das die Atomlobby an die Wand malt.

Die Staatsregierung könnte erneuerbare Energien stärker fördern, indem sie Steuern auf den CO₂-Verbrauch erhebt, einen deutlichen Schwerpunkt auf Energieeffizienz und Dekarbonisierung legt, eine Kappungsgrenze für CO₂-Emissionen festlegt, um nur einige Vorschläge aufzugreifen, die von der Umweltorganisation Natural Resources Defense Council (NRDC), die 112.000 Mitglieder vertritt, und dem Zusammenschluß Citizens Against Nuclear Bailouts, vorgeschlagen werden. Sie lehnen es ab, daß den Akw-Betreibern aus der finanziellen Patsche geholfen wird, in die sich diese seit Ende der 1990er Jahre dank staatlicher Subventionen in Höhe von fast neun Milliarden Dollar für "verlorene Kosten" im Zuge der Deregulierung des Energiemarktes selbst hineinmanövriert haben.

Die Atomlobby erklärt, daß das Akw TMI 1, das im Oktober abgeschaltet werden soll, mehr elektrischen Strom erzeugt, als Pennsylvania über Sonne, Wind und Wasserkraft generiert. Was in diesem Zusammenhang nicht gesagt wird: Hätte man die Subventionen nicht in Akws, sondern statt dessen in erneuerbare Energien gesteckt, stünden diese heute wesentlich besser dar. Erst eine atomindustriefreundliche Politik betreiben und anschließend damit zu argumentieren, daß diese eine Menge Strom erzeugt, ist unfair und widerspricht dem in den USA von vielen Seiten sehr geschätzten Wettbewerb.

Pennsylvanias Gouverneur Tom Wolf, der sich bislang noch nicht zum Vorschlag der Atomlobby geäußert hat, hat in diesem Monat eine Executive Order (Durchführungsverordnung) unterzeichnet, derzufolge 26 Prozent der Treibhausgasemission bis 2025 und 80 Prozent bis 2050 reduziert werden sollen.

Was hier am Beispiel eines US-Bundesstaat deutlich wird, praktiziert die Atomlobby seit längerem auch auf globalpolitischer Ebene. Bei den letzten der jährlich stattfindenden UN-Klimaschutzgipfeln tummeln sich Vertreter der russischen und US-amerikanischen Atomwirtschaft, um ihre strahlenden Produkte als grüne Technologie zu preisen. Die Industrie will ein dickes Stück vom jährlich 100 Milliarden Dollar "fetten" Kuchen des Green Climate Fund haben, den die Industriestaaten ab 2020 in Entwicklungs- und Schwellenländer investieren wollen, um dort klimafreundliche Technologien und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu finanzieren.

Da die Klimaschutzbewegung in den USA wächst und die Demokraten mit dem seit einigen Wochen diskutierten Green New Deal ein umfassendes Programm zum umfangreichen sozialen und klimapolitischen Umbau der Gesellschaft vorgelegt haben, könnte die Aufrechterhaltung der Kernenergie oder sogar der Neubau von Kernkraftwerken auch in weiteren US-Bundesstaaten als vermeintlicher Lösungsweg aus der Klimaproblematik einen größeren Zuspruch finden.

27. Februar 2019


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