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ATOM/454: CO2 - Energieversorgung Atom ... (SB)



Die französische Regierung hat angekündigt, daß sie ihr Ziel, den Anteil der Atomenergie am Strommix auf 50 Prozent zu verringern, um zehn Jahre von 2025 auf 2035 verschieben wird. Begründung: Man will die CO₂-Emissionsziele vom Klimaschutzübereinkommen von Paris einhalten. In dieser Entscheidung Frankreichs zeigt sich ein allgemeiner Trend der Staaten mit Atomkraftwerken, sich unter dem Eindruck der prognostizierten drastischen Klimaveränderungen verstärkt der Atomenergie als vermeintlich unverzichtbar zuzuwenden. Die Akw-Betreiber werben sogar dafür, daß Atomkraftwerke an dem milliardenschweren Fonds für Klimaschutzmaßnahmen partizipieren dürfen.

Am 30. April hat der französische Umweltminister François de Rugy dem Kabinett Präsident Emmanuel Macrons einen Gesetzentwurf zur Energie- und Klimapolitik vorgelegt, der darauf abzielt, Frankreich bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen [1]. Demnach sollen die fossilen Energieträger bis 2030 um mindestens 40 Prozent und nicht mehr wie bisher um 30 Prozent reduziert werden. Bestandteil des Entwurfs ist ebenfalls, daß die Kohleverstromung im französischen Kernland im Jahr 2022 beendet wird. Mit dem Argument, daß man sich realistische Ziele zum Umbau des Energiesystems setzen muß, sollen jedoch neun Kernkraftwerksblöcke nicht in sechs, sondern erst in 16 Jahren abgeschaltet werden. Damit folgt Rugy dem Strategiepapier zur Energiewende (pluriannuelle de l'énergie - PPE), das Macron am 27. November 2018 vorgelegt hat.

Frankreich generiert gegenwärtig mehr als 70 Prozent seines elektrischen Stroms in 72 Kernreaktoren. Noch unter dem Eindruck des Super-GAUs im japanischen Atomkomplex Fukushima Daiichi im Jahr zuvor hatte der damalige sozialistische Präsident François Hollande 2012 beschlossen, den Atomstromanteil Frankreichs auf 50 Prozent bis 2025 zu verringern und das in die Jahre gekommene Akw Fessenheim bis spätestens 2017 zu schließen. Das ist nicht geschehen, zumindest Block 2 des nur einen Kilometer von der deutschen Grenze entfernt gelegenen, als marode einzuschätzenden Akw läuft nach Unterbrechungen weiter. Als Hollande von Emmanuel Macron an der Spitze Frankreichs abgelöst wurde, hatte dieser noch zugesagt, die Ziele seines Vorgängers hinsichtlich der Atompolitik zu respektieren, ohne allerdings dabei die nationale Energiesouveränität aufgeben zu wollen.

Sicherlich spielt Frankreich aufgrund seines äußerst hohen Anteils an Atomenergie sogar noch innerhalb der Atomenergiestaaten eine Sonderrolle. Nichtsdestotrotz zeigt sich in seinem Hinauszögern der Akw-Abschaltung, daß die Behauptung, Atomkraftwerke seien klimafreundlich, weil sie während des Betriebs kaum CO₂-Emissionen abgeben, verfängt. So erlebt die Branche gegenwärtig zwei gegenläufige Trends, sowohl den Ausstieg aus der Atomenergie als auch ihre Renaissance als angeblich kleineres Übel gegenüber dem Klimawandel. Völlig außen vor bleibt bei solchen Rechnungen, daß Atomkraftwerke "Kollateralschäden" verursachen - siehe Windscale 1957, Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986, Fukushima Daiichi 2011 -, die zu beheben gewaltige Mengen an Energie erfordert, für die selbstverständlich Treibhausgase emittiert wurden und teils heute noch werden. Nähme man die Schadensbehebung von Unfällen in Akws in die Klimabilanz auf, ließe sich die Behauptung von ihrer Klimafreundlichkeit nicht mehr aufrechterhalten.

Anstatt radikale Wege zur Verringerung des Energieverbrauchs einzuschlagen, die allerdings fundamental das von wirtschaftlicher Wachstumsnot, privater Profitaneignung, externalisierten Umweltschäden und Verknechtung des für Lohn arbeitenden Menschen geschmierten Gesellschaftsmodells in Frage stellen würden, gewinnt unter der akuten Bedrohung durch den Klimawandel ausgerechnet eine zentralistische, mit hohem Proliferationspotential ausgestattete Energieform an Attraktivität. Wurde bei ihrer Einführung noch behauptet, es käme statistisch nur einmal in einer Million Jahren zu einer unkontrollierten Kernschmelze mit Strahlenfreisetzung in die Umwelt, hat die Praxis gezeigt, daß man rund alle 20 bis 25 Jahre damit rechnen muß. Insofern ist es durchaus sicherheitsrelevant, wenn Frankreich einen kleinen Teil seiner Atomkraftwerke zehn Jahre später abschaltet als ursprünglich vorgesehen.


Fußnote:

[1] http://www.world-nuclear-news.org/Articles/French-bill-delays-nuclear-reduction-by-ten-years

6. Mai 2019


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