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GENTECHNIK/285: Großbritannien - Dialog mit der Öffentlichkeit nur Feigenblatt? (SB)


Qualifizierung der Verfügungsgewalt über die Nahrungsproduktion am Beispiel der Grünen Gentechnik

Zwei Mitglieder von britischem Gentechnik-Lenkungsausschuß sind aus Ärger über große Industrienähe des Ausschusses zurückgetreten


Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat den weltweiten Hunger nicht beseitigt. Das war auch niemals ihre Funktion. Durch die Produktivitätssteigerung erlangte zwar ein Teil der Menschheit Ernährungssicherheit, ein anderer Teil hingegen wurde ausgegrenzt. Die Zahl der Hungernden nimmt weltweit zu, und es sind ausgerechnet die Landbewohner, die häufig nicht genügend zu essen haben. Wenn nun Lobbyisten der Biotechindustrie behaupten, daß die von ihr eingesetzten mikrobiologischen Zuchtverfahren, die auch als Grüne Gentechnik bezeichnet werden, unverzichtbar bei der Bekämpfung des Hungers in der Welt sind, dann handelt es sich um eine Verschleierung des Grundverhältnisses von Bauern zur übrigen Gesellschaft. Mit dem Versprechen auf höhere Erträge wird davon abgelenkt, daß eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität keineswegs mit einer Umverteilung der Erträge unter den Bedürftigen einhergeht. Wie in allen anderen Branchen des akkumulationsgetriebenen Wirtschaftssystems hebt auch die Agroindustrie darauf ab, den von den Landarbeitern produzierten Mehrwert abzugreifen, und das vorgegebene politische System, das diese Ausbeutung absichert, steht nicht dafür grade, daß alle Menschen ausreichend versorgt werden. Wie sonst wäre zu erklären, daß mehr als eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen haben?

Seit eineinhalb bis zwei Jahrzehnten werden in der agroindustriellen Züchtung sogenannte gentechnische Verfahren verwendet und ihre Produkte kommerziell vertrieben. Obgleich auch traditionelle Züchtungen bereits dem Sortenschutzgesetz unterliegen und die Bauern, die früher sehr viel mehr Eigenständigkeit besaßen, als sie selber züchteten, Gebühren an die Konzerne entrichten müssen, hat die Grüne Gentechnik diese Entwicklung zur größeren Abhängigkeit der Bauern noch forciert, so daß die Verfügungsgewalt über die Nahrungsproduktion weiter denn je von den Erzeugern auf die Konzerne übertragen wurde. Bauern sind kaum etwas anderes als Angestellte der Agroindustrie.

Was einstmals Schwert und Lanze der Soldaten war, die der König aussandte, damit sie die Ernte der Bauern abgriffen, bewirkt heute ein kompliziertes Handels- und Rechtssystem. Daß wiederum manche Bauern von diesem System ganz gut profitieren und die Branche mehrheitlich auch gar nicht zu den alten Raub- und Tributsystemen feudaler Zeiten zurückkehren will, versteht sich von selbst, ist aber vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß die Vergesellschaftung vorangeschritten ist und verinnerlicht wurde, so daß jedes Mitglied, sei es Bauer, Arbeiter, Angestellter oder Unternehmer, eine Umkehr zu einem früheren Stand als unangenehm, ablehnenswert oder gar bedrohlich empfindet.

Diesem Empfinden soll hier keineswegs widersprochen werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Entwicklungen, die sich durch einen Blick nach vorn erschließen, deshalb ungenannt und unhinterfragt bleiben müssen. Und da wird erkennbar, daß die Grüne Gentechnik die Speerspitze der Innovationen im landwirtschaftlichen Anbau, durch die Konzerne ihre Kontrolle über die Nahrungsproduktion ausbauen, bildet. Organisiert wird dies von den Regierungen, die es in der Hand haben zu entscheiden, auf welche Weise Nahrung hergestellt und verteilt wird.

Nun sind Regierungen aus sich heraus genauso wie Unternehmen an einer Qualifizierung der Verfügungsgewalt interessiert, da dies ihre Position stärkt. Politik und Wirtschaft gehen zwar nicht überall und zu jeder Zeit konform, es besteht aber in vielen Bereichen eine Interessenähnlichkeit. Die kann so weit gehen, daß Unternehmen ihnen zum Vorteil gereichende Konzepte erarbeiten, die von den Regierungen ohne Abstriche übernommen und in Gesetze gegossen werden.

Ein aktueller Vorgang aus Großbritannien zeigt, wie etwas sehr Ähnliches im Bereich der Grünen Gentechnik praktiziert wurde. Die britische Sonntagszeitung "The Observer" [1] berichtete unter Berufung auf von ihr eingesehene Emails, daß der Industrieinteressen repräsentierende Agricultural Biotechnology Council (ABC) Ideen und Textpassagen in den Bericht "Food Standards Agency work on changes in the market and the GM regulatory system" der FSA (Food Standards Agency) eingebracht hat.

Eigentlich ist es Aufgabe dieser britischen Behörde, die Wirtschaft zu beaufsichtigen, so daß sich der Verdacht aufdrängt, daß zumindest partiell die Wirtschaft (ABC vertritt unter anderem Monsanto und Bayer) die Politik bestimmt. Das ist insofern besonders brisant, als daß sich zu einem gewissen Ausmaß die Geschichte wiederholt. Bereits in den neunziger Jahren war aufgeflogen, daß Großbritannien bzw. die Labour-Regierung, von der mehrere Mitglieder mit der Biotechindustrie finanziell verbunden war, dem US-Agrokonzern Monsanto als Brückenkopf für die heimliche Einführung der umstrittenen Grünen Gentechnik in die Europäische Union dienen sollte. Als ein Schreiben, aus dem dies hervorging, an die Öffentlichkeit gelangte, verlieh das der Anti-Gentechnikbewegung einen kräftigen Schub. Der trug nicht unwesentlich dazu bei, daß sich die Europäische Union zunächst vollständig gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft ausgesprochen und inzwischen relativ strenge Auflagen bzw. Verbote im Umgang mit GVO (gentechnisch veränderten Organismen) erlassen hat.

Wegen der nun bekanntgewordenen Zusammenarbeit zwischen Industrieverband und FSA haben binnen kurzer Zeit zwei Berater ihren Rücktritt eingereicht. Der Report der FSA, die von dem früheren Labour- Arbeitsminister Lord Rooker - ein strammer Gentechnikbefürworter - geleitet wird, handelt unter anderem davon, wie gentechnisch veränderte Pflanzen, die in Großbritannien nicht angebaut werden dürfen, über Futtermittel ins Land gelangen könnten. Die Autoren des Reports warnen, daß die Lebensmittelpreise steigen würden, sollten GM-Produkte weiterhin ausgeschlossen werden.

Der laut dem "Observer" rege Emailverkehr fand im Zeitraum 2008 bis zur Veröffentlichung des Reports im August 2009 zwischen dem Industrieverband und Dr. Clair Baynton statt. Sie war damals bei der FSA für Novel Foods verantwortlich und ist eine ehemalige Angestellte des Biotechkonzerns Syngenta. Am 19. November 2008 schickte Baynton einen Entwurf des Reports an ABC und schrieb, daß sie ihn gern diskutieren würde, wenn es nützlich sei. In der Antwort darauf schlugen die Vertreter der Agroindustrie eine Reihe von Korrekturen vor, mit denen pauschal die zunehmende Bedeutung von GM-Nahrung für die weltweite Landwirtschaft und für die Senkung der Lebensmittelpreise betont wurde. Einige Vorschläge wurden von der FSA nicht angenommen, andere hingegen schon. Beispielsweise das Argument, daß die Europäische Union GM-Nahrung auf Dauer nicht werde vermeiden können, weil es sie überall in der Welt gibt. Händler sorgten sich, da sie ihre heutigen gentechnikfreien Versorgungsschiene nicht beibehalten könnten, da die GM-Technologie weltweit angenommen werde.

Außerdem sandte der Biotechindustrieverband der FSA eine Liste mit Personen zu, die er gern in einem Lenkungsausschuß für die (Pseudo-)Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gentechnikdebatte im Rahmen der Initiative "public engagement exercise" sähe. Der "Observer" schreibt allerdings nichts darüber, ob die FSA die Vorschläge übernommen hat oder nicht. Die Zeitung erklärt, daß diese Dialog-Initiative den Steuerzahler in diesem Monat 500.000 brit. Pfund (605.201 Euro) kostet und als ziemlich herabgewirtschaftet angesehen wird.

So hat die FSA nach dem Rücktritt zweier Mitglieder des elfköpfigen Lenkungsausschusses bei der Regierung angefragt, ob sie mit den öffentlichen Anhörungen fortfahren solle oder nicht. Außerdem wurde die FSA von der Labour-Partei gegründet, die unterdessen von einer konservativ-liberalen Koalition abgelöst wurde. Auch das wirft die Frage nach der Fortsetzung auf. Bleibt der Lenkungsausschuß erhalten, soll er nach einer Organisation suchen, die den Dialog mit der Öffentlichkeit über die Grüne Gentechnik führt, und dem FSA-Vorstand einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Dieser wird dann bei der Regierung anfragen, ob der Dialog fortgesetzt werden soll. Ein komplizierter Vorgang, um den Anschein von Bürgerbeteiligung an der Gesetzgebung zu erwecken ...

Im vergangenen Monat waren Dr. Helen Wallace, Direktorin der wissenschaftlich orientierten Anti-Gentechgruppe Genewatch UK, und der stellvertretende Vorsitzende des Lenkungsausschusses, Professor Brian Wynne, zurückgetreten. Letzterer begründete seinen Schritt damit, daß die FSA eine "dogmatisch festgefahrene" Pro-GM-Haltung eingenommen habe. Und laut Wallace handelt die FSA als Marionette der GM-Industrie, um den Zugang zur Versorgung mit gentechnikfreier Nahrung in Großbritannien zu unterminieren. [2]

Die Biotechnologie ist ein typisches Beispiel für den sogenannten Drehtüreffekt: Personen aus der Wirtschaft wechseln in die Regierung und umgekehrt. Manchmal mehrmals hintereinander. Das gilt unter anderem für Deutschland, die USA und Großbritannien. Der Drehtüreffekt per se muß nicht zwangsläufig bedeuten, daß sich eine Regierung den Wirtschaftsinteressen verschreibt, aber der Verdacht liegt nahe, daß das nicht vermieden werden kann. Aus der Sicht eines Politikers oder wissenschaftlichen Regierungsberaters erscheint es womöglich vernünftig, sich an die Kolleginnen oder Kollegen von früher zu wenden. Aus der Sicht großer gesellschaftlicher Bereiche hingegen, die gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen und keinen direkten Draht zur Regierung haben, muß dies wie der Versuch einer unzulässigen Einflußnahme wirken.

Wie eingangs dargelegt, reicht die Einflußnahme viel weiter. Wirtschaft und Politik arbeiten in vielen Fällen Hand in Hand und positionieren sich somit den Konsumenten gegenüber. Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen - diese uralte Herrschaftsweisheit findet in der Grünen Gentechnik ein wirksames Instrument. Jahrtausende haben Bauern ihre Saat weitergezüchtet, heute könnten sie dafür ins Gefängnis geworfen werden. Denn beim GM-Anbau werden sie einem strengen Lizenzsystem unterworfen und sind gezwungen, Jahr für Jahr Abgaben an die Agrokonzerne zu entrichten. Schwert und Lanze von einst wurden durch den Paragraphenschlüssel und die Drohung mit dem Zellenschlüssel ersetzt.


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Anmerkungen:

[1] "GM lobby helped draw up crucial report on Britain's food supplies", The Observer, 6. Juni 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/jun/06/gm-crops-biotech-lobbyists-fsa

[2] "Academic resigns from UK food watchdog over 'GM propaganda'", The Guardian, 2. Juni 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/jun/02/gm-food-public-dialogue

9. Juni 2010