Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

GENTECHNIK/294: Indischer Bundesstaat Maharashtra zieht Lizenz für Bt-Baumwolle zurück (SB)


Kampf um Hegemonie über die landwirtschtliche Produktion in Indien

Staatsregierung Maharashtras läßt Selbstmordwelle unter indischen Kleinbauern untersuchen



Das ist Protektionismus, lautet ein häufig erhobener Vorwurf, der seitens der Gentechlobbyisten gegen das Einfuhr- und Anbauverbot gentechnisch manipulierter Organismen (GMO) in der Europäischen Union erhoben wird. Die europäischen Regierungen würden lediglich ihre Agrobranche vor der US-amerikanischen Konkurrenz schützen; es gebe keine sachlichen Gründe für ein GMO-Verbot. An dieser Behauptung ist nur zur Hälfte etwas dran. An sachlichen Gründen gegen die grüne Gentechnik mangelt es nicht - ernstzunehmende Kritik wird hinsichtlich der negativen Gesundheits- und Umweltfolgen geübt -, aber Protektionismus, der findet statt, wenngleich nicht in der Interpretation, wie sie in diesem Fall gemeint ist.

Es gibt viele Formen des Protektionismus. Er beginnt nicht erst mit dem Verbot der GM-Pflanzen, sondern bereits mit ihrer Herstellung. Ein wesentliches Kennzeichen der sogenannten genetischen Veränderung besteht in der Patentierung vermeintlich erfundener Eigenschaften und, darauf gegründet, der Durchsetzung eines strengen Lizenzsystems. Auch dabei wird also etwas geschützt, nämlich der Eigentumsanspruch des Patentinhabers.

Selbstverständlich stellt auch die Vermarktung von GM-Saatgut nicht den Beginn der hier angesprochenen erweiterten Form des Protektionismus dar. Auf dem globalen Markt der Produktion gentechnisch veränderter Pflanzen findet, nicht anders als in anderen Branchen kapitalistisch organisierter Wirtschaftsräume auch, ein Konkurrieren um Umsatz, Profit und somit Marktführerschaft statt.

Wenn also jetzt der indische Bundesstaat Maharashtra die Lizenz zum Anbau von Baumwolle, die der indisch-amerikanische Gentechkonzern Mahyco Monsanto Biotech (MMB) innehat, wieder zurückzieht [1], läßt sich das zwar sehr gut mit der Selbstmordwelle unter indischen Bauern begründen. Doch die Entscheidung birgt auch die Komponente, daß sie als Mittel dient, das eigene Streben nach Marktführerschaft zu unterstützen. Zu der Entscheidung Maharashtras paßt es, daß das Landwirtschaftskomitee des indischen Parlaments einen Bericht erstellt hat, in dem ein Verbot gentechnischer veränderter Nahrungsmittel und jeglicher Feldversuche empfohlen wird.

Bei der Bekanntgabe der Rücknahme der Lizenzgenehmigung erklärte der Director of Inputs and Quality Control, Dr. Sudam Adsule, daß jede Verletzung des Verbots strafrechtlich verfolgt werde. Und falls das Unternehmen gegen die Anweisung Klage einreiche, habe man sich beim Obersten Gericht in Mumbai und Aurangabad darauf vorbereitet.

Mahyco Monsanto Biotech hat die Lizenz für die Bollgard- und Bollgard II-Technologie an 28 indische Saatunternehmen weiter gegeben, die diese Technologie in ihre eigene Saatgutreihen eingebracht haben. Kishore Tiwari, Leiter der bäuerlichen Beratungsorganisation Vidarbha Jan Andolan Samiti (VJAS), begrüßte das Verbot des Bundesstaats [2] und forderte, daß das Verbot auf alle indischen Lizenznehmer erweitert wird. Als Ersatz sollte kostengünstigere Baumwollsaat aus der traditionellen indischen Landwirtschaft genommen werden, brachte er das Interesse seiner Klientel zum Ausdruck. Die gentechnisch veränderte Baumwollsaat habe eine Schlüsserolle für die Selbstmordwelle unter Bauern in der Region Vidarbha seit Juni 2005 gespielt. Mehr als 8.200 Landwirte aus dieser Gegend hätten sich im vergangenen Jahrzehnt das Leben genommen, so Kishore Tiwari.

Gentechnikgegner erklären die Selbstmordwelle damit, daß sich die Kleinbauern durch die hohen Kosten für GM-Saat und Pestizide verschuldet hatten, da die Gentech-Baumwolle nicht die Erwartungen erfüllt und die Schädlinge nicht abgehalten hat. Dadurch konnten die Bauern ihre Unkosten nicht ausgleichen, waren verschuldet und verloren Haus und Hof. Viele hätten sich daraufhin das Leben genommen, indem sie Pflanzenschutzmittel getrunken oder sich aufgehängt hätten. In Gesamtindien haben zwischen 1995 und 2010 laut dem National Crime Records Bureau mehr als 250.000 indische Bauern Suizid begangen. [1]

Die monokausale Erklärung, daß sich die Bauern (oder zumindest ein Teil von ihnen) wegen der Grünen Gentechnik umgebracht haben, geht sicherlich an dem dahinterstehenden Problem vorbei, daß in einem kapitalistischen Verwertungssystem die Anbieter der menschlichen Arbeitskraft, die Kleinbauern, auch aus anderen Gründen in die Schuldabhängigkeit geraten und darüber so sehr verzweifeln können, daß sie im Selbstmord einen Ausweg sehen. Aber unstrittig dürfte sein, daß es zu Mißernten bei der Bt-Baumwolle Monsantos in Indien kam.

Das Kürzel Bt kommt von Bacillus thuringiensis. Dabei handelt es sich um ein im Boden lebendes Bakterium, dessen Gene zwei Proteine produzieren, die für den Hauptschädling der Baumwolle, den Baumwollkapselbohrer (Helicoverpa zea), giftig sind. Der hatte jedoch nach einigen Jahren Resistenzen gegen die Bt-Toxine entwickelt - Medienberichten zufolge mit teils verheerenden Konsequenzen für die Bauern, die sich auf den Schutz ihrer Baumwolle verlassen hatten. Wohingegen eine Studie aus dem Jahr 2007 von Jonas Kathage und Matin Qaim von der Universität Göttingen zu einem ganz anderen Ergebnis kam. Die von ihnen befragten 533 Kleinbauern aus vier indischen Bundesstaaten verzeichneten im Durchschnitt 50 Prozent höhere Einnahmen, nachdem sie auf Bt-Baumwolle umgesattelt waren. In einem Bericht vom Juli dieses Jahres im Wissenschaftsjournal PNAS bestätigten die beiden Forscher ihre Ergebnisse [3]. Darin schrieben sie, daß ihren Untersuchungen zufolge die Bt-Resistenzentwicklung und sekundäre Schädlingsausbreitung in Indien keine "größeren Probleme" darstellten.

Anderen Berichten zufolge haben sich sehr wohl im relevanten Ausmaß Resistenzen entwickelt, und wie im April dieses Jahres die Politikwissenschaftlerin Katharina Glaab, die ihre Doktorarbeit zum Themenkomplex Gentechnik in Indien und die hegemoniale Praxis schreibt, gegenüber dem Schattenblick sagte, wird auch in indischen Medien das Thema Selbstmordwelle unter den Bauern behandelt; man könne nicht sagen, daß es sich nur um ein von ausländischen Nichtregierungsorganisationen eingebrachtes Thema handle. [4]

Die aktuelle Entscheidung Maharashtras bestätigt Glaabs Einschätzung. Der Landwirtschaftsminister dieses Bundesstaats, Radhakrishna Vikhe-Patil, teilte jetzt mit, daß seine Regierung bei unabhängigen Instituten eine sozioökonomische Studie zur Bt-Baumwolle in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse des Tata Institute of Social Sciences und das Institute of Rural Management aus Anand werden in drei Monaten erwartet.

Wird hier somit redundante Forschung betrieben? Wurden die sozioökonomischen Folgen nicht schon von Wissenschaftlern der Universität Göttingen ausreichend untersucht? Für einen Laien ist das sicherlich kaum zu beurteilen, doch der wiederholt aufgekommene Eindruck, daß wissenschaftliche Wahrheit der Frage der Hegemonie nachgeordnet ist, wird angesichts des hier angesprochenen Konflikts über Bt-Baumwolle und der Selbstmordwelle unter indischen Kleinbauern transparent.

Aber, wie gesagt, der Protektionismus beginnt nicht erst mit dem Verbot von GM-Pflanzen, sondern mit ihrer Herstellung und der Absicherung ihrer Verwertung. Im globalen Rahmen geht es um die Marktführerschaft über die Erzeugung von Baumwolle oder Getreide, und Agrokonzerne wie Monsanto, die über erhebliche Marktmacht verfügen, versuchen, ihre Kontrolle immer weiter auszubauen. Daran ist wiederum die US-Regierung interessiert, denn wenn andere Staaten auf die Einfuhr von Saatgut - in diesem Fall Baumwolle, ansonsten gerne auch Getreide - angewiesen sind, geraten sie in Abhängigkeit und machen sich in letzter Konsequenz sogar erpreßbar. Gut vorstellbar, daß dies abgesehen von der Selbstmordwelle bei der Entscheidung des indischen Bundesstaat Maharashtra für ein GMO-Verbot für Baumwolle eine Rolle gespielt hat.

In einem sind sich die politischen Entscheidungsträger und gesellschaftlichen Funktionseliten Indiens und der USA, die miteinander um die Vorherrschaft über die Pflanzenproduktion auf dem Subkontinent konkurrieren, durchaus einig: Ihr gemeinsames Anliegen besteht darin, einen ordnungspolitischen Rahmen aufzubauen, in dem weiterhin von der Arbeit der Bauern profitiert werden kann, ohne daß sie auch nur annähernd im gleichen Maße einen Nutzen davon hätten wie jene, die sich in feinsten Zwirn kleiden und deren Teller stets mit erlesensten Speisen und deren Autotanks zunehmend mit zu Treibstoff umgewandelter Nahrung gefüllt sind.


Fußnoten:

[1] "Maharashtra State Revokes Monsanto´s Cotton Seed License", Environment News Service (ENS), 9. August 2012
http://ens-newswire.com/2012/08/09/maharashtra-state-revokes-monsantos-cotton-seed-license/

[2] "Panel's demand for probe into genetically modified crops welcomed", The Times of India, 12. August 2012
http://timesofindia.indiatimes.com/city/nagpur/Panels-demand-for-probe-into-genetically-modified-crops-welcomed/articleshow/15455367.cms

[3] "Economic impacts and impact dynamics of Bt (Bacillus thuringiensis) cotton in India", Jonas Kathage, Matin Qaim, in: PNAS, Vol. 109, No. 29, 17. Juli 2012, S. 11652-11656
http://www.pnas.org/content/109/29/11652.full.pdf+html?with-ds=yes

[4] Fachpool SOZIALWISSENSCHAFTEN, REPORT:
INTERVIEW/004: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Interview mit Katharina Glaab (SB), 23. April 2012
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sori0004.html

20. August 2012