Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

GENTECHNIK/300: Glyphosat Mitauslöser einer Epidemie von Nierenversagen? (SB)


Schwerste Nierenerkrankungen unter den Reisbauern Sri Lankas nach Zulassung von Pestiziden

Srilankische Experten vermuten, daß Glyphosat ein Co-Faktor der Krankheitswelle ist



Die Luft in den Chefetagen der Hersteller von Pflanzenschutzmitteln könnte ziemlich dünn werden, sollte sich der Verdacht bestätigen, daß ihre Produkte für Nierenschäden von mehreren hunderttausend Einwohnern Sri Lankas mitverantwortlich sind. In den letzten zwei Jahrzehnten sind in diesem südasiatischen Land schätzungsweise 20.000 Menschen an einem mysteriösen Nierenversagen gestorben. Auch in Indien, Ägypten und einigen zentralamerikanischen Länder grassiert diese Epidemie. Eine Klagewelle könnte losgetreten werden, würde beispielsweise das von Monsanto vertriebene Herbizid Roundup, respektive dessen schon länger in der Kritik stehender Inhaltsstoff Glyphosat, in Kombination mit anderen Einflußfaktoren Auslöser der Krankheit (Nephropathie) sein.

Aber nicht nur Wirtschaftsunternehmen, auch Behörden wie die Bundesanstalt für Risikobewertung (BfR), die zur Zeit für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine Neubewertung von Glyphosat vornimmt und in der Vergangenheit wiederholt den Standpunkt vertreten hat, daß es keine belastbaren Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung durch diesen Wirkstoff gibt, müßten spätestens angesichts einer solchen Epidemie die eigene Bewertungspraxis dahingehend überprüfen, ob solche multifaktoriellen Einflüsse von ihr frühzeitig aufgespürt werden könnten. Denn eine Behörde, die Gesundheitsgefährdungen von der Bevölkerung abhalten soll, muß in der Lage sein, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, um ihren eigentlichen Auftraggeber - das Volk - zu schützen. Und das um so bereitwilliger, wenn ihr einige der Indizien für die mögliche Toxizität von Glyphosat wie hier auf dem Teller präsentiert werden ...

Diese Woche haben Zeitungen wie die "Welt" und "Focus" [1] einen Bericht der Nachrichtenagentur AP aufgegriffen, demzufolge in Sri Lanka die Angst vor dieser mysteriösen Epidemie des Nierenversagens umgeht. In den Zeitungen des Landes seien immer häufiger Anzeigen wie "Nieren dringend gesucht!" geschaltet, hieß es. Bis jetzt wisse man nicht, was die Massenerkrankung auslöse.

Vor zwei Jahren ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Sache nachgegangen und hat erhöhte Kadmium- und Pestizidrückstände im Urin von Betroffenen nachgewiesen. Es wird vermutet, daß diese Rückstände in Kombination mit anderen Giftstoffen wie etwa Arsen über längere Zeit die Nieren entsprechend schwer schädigen können. An der Trinkwasserqualität liege es aber nicht, befanden die Autoren nach eingehender Untersuchung. Einige Chemikalien wurden nach Bekanntwerden der WHO-Studie verboten, sind aber weiterhin im Land erhältlich. Das srilankische Gesundheitsministerium will nun die genaue Erkrankungszahl ermitteln. Berichten zufolge gibt es in dem Land mit seinen rund 20 Millionen Einwohnern nur 183 Dialyse-Maschinen für eine Blutwäsche, die allerdings dreimal die Woche durchgeführt werden müßte, was die Zahl der Begünstigten sehr reduziert.

Das Auftreten dieser Epidemie in sieben Bezirken des Landes ist schon länger bekannt. Daher ist es eigentlich unverständlich, warum die Mainstreampresse in der aktuellen Berichterstattung über das massenhafte Nierenleiden eine jüngere Studie zu dem Thema nicht einmal erwähnt. Auch wenn darin noch keine abschließende Erklärung geliefert wird, ist es der Forschergruppe doch gelungen, zumindest eine plausible Hypothese für das massenhafte Nierenversagen aufzustellen. Zugegeben, einen einfachen Wirkzusammenhang beschrieben die Autoren nicht.

Im "International Journal of Environmental Research and Public Health" vom November 2014 [2] erläuterte die srilankisch-amerikanische Expertengruppe, daß die rätselhafte Epidemie unter den Reisbauern von einer Kombination aus mehreren Faktoren ausgelöst worden sein könnte. Zum einen ist den Forschern aufgefallen, daß es früher keine dieser mysteriösen Nierenerkrankungen gab und diese erst ab Mitte der 1990er Jahre und damit rund 15 Jahre nach der Erlaubnis, Pestizide in der Landwirtschaft einzusetzen, auftraten. Zudem verteilen sich die Krankheitsfälle nicht gleichmäßig über das ganze Land. Es gibt eine deutliche Korrelation zwischen den Regionen mit hoher Erkrankungsrate und Regionen mit ausgesprochen hartem Trinkwasser. Innerhalb dieser Regionen liegen wiederum kleinere Gebiete, in dem die Epidemie nicht auftritt. Und siehe da, die Bewohner erhalten ihr Wasser aus natürlichen Quellen, die weiches Wasser aufweisen.

Hartes Wasser allein als Erklärung genügt aber nicht. Die Forschergruppe legt im Detail dar, daß sich ein Pestizidwirkstoff wie Glyphosat aufgrund seiner chemischen Eigenschaften sehr leicht mit Metallen (wie sie unter anderem in hartem Wasser vorkommen) verbindet und dann relativ stabile Bindungen eingeht. Es wird also vermutet, daß das Herbizid, das in Sri Lanka in großen Mengen auf die Felder gesprüht wird, Metallionen, die als typische Auslöser von Nierenerkrankungen gelten, in den Organismus einbringt. Als weiterer Einflußfaktor wird jedoch auch Kunstdünger genannt, was bedeuten würde, daß die Schadstoffe sowohl über die Atemluft als auch das Trinkwasser in den Organismus gelangen und dort dann, begünstigt durch die relativ stabilen Glyphosat-Metall-Verbindungen, zunächst schleichend ihre zerstörerische Wirkung entfalten.

Falls diese Hypothese zutrifft, könnte man sagen, daß ohne Glyphosat keine Epidemie an Nierenerkrankungen aufgetreten wäre. Dennoch müssen wir unseren Eingangssatz revidieren: Da das harte Wasser in einigen Regionen Sri Lankas eine Vorbedingung für Nierenerkrankungen zu sein scheint - wie übrigens auch in den betroffenen Gebieten Lateinamerikas -, und dies ein natürliches Phänomen ist, das man den Unternehmen nicht anlasten kann, dürften die Erfolgsaussichten von Klagen gegen die Vertreiber der Herbizide verschwindend gering sein. Die Luft wird also nicht dünn in den Chefetagen von Monsanto und Co.

Sie wird aber sehr wohl dünn für die vielen Nierengeschädigten. Und sie wird es ebenfalls für die Familien, die ihre erkrankten Angehörigen, von denen viele bis dahin für den Unterhalt der Familie gesorgt haben, pflegen müssen, nur um dann womöglich mitanzusehen, wie diese dennoch sterben.


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/gesundheit/article136497286/Mysterioese-Nierenkrankheit-geht-auf-Sri-Lanka-um.html
http://www.focus.de/gesundheit/news/ausloeser-der-krankheit-unbekannt-raetselhafte-krankheit-warum-versagen-die-nieren-tausender-sri-lanker_id_4413667.html

[2] Channa Jayasumana, Sarath Gunatilake und Priyantha Senanayake: "Glyphosate, Hard Water and Nephrotoxic Metals: Are They the Culprits Behind the Epidemic of Chronic Kidney Disease of Unknown Etiology in Sri Lanka?", International Journal of Environmental Research and Public Health, 2014, 11, 2125-2147; doi:10.3390/ijerph110202125.

19. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang