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KLIMA/290: Abschied vom immergrünen Regenwald im Amazonas-Becken (SB)


Erneut Dürre im Amazonas-Regenwald

Der Wassermangel könnte in diesem Jahr noch stärker ausfallen als in den Vorjahren


Der Amazonas-Regenwald wird recht bildhaft als die "grüne Lunge" der Erde bezeichnet. Das hat seinen guten Grund, denn die Pflanzen sorgen mit ihren Blättern, die zusammen eine riesige Oberfläche ergeben, für eine ständige Befeuchtung der Atmosphäre. Zudem ist in den Pflanzen ein nicht zu vernachlässigender Teil des Kohlendioxids gespeichert, ein Gas, das in grauer Vorzeit einen wesentlich höheren Anteil an der Erdatmosphäre besaß und ihr später von Pflanzen entzogen wurde. Pflanzen besitzen die Eigenschaft, Wasser aufzuspalten, so daß der Sauerstoffanteil abgeschieden und damit verfügbar wird. Wenn diese Funktion großflächig und dauerhaft wegfällt, wird sich die Erdatmosphäre wandeln. Der Mensch besitzt zwar eine gewisse Spanne, in der er sich auf eine geringere Sauerstoffmenge einstellen kann, wie Hochgebirgsbewohner beweisen, aber es stellt sich die Frage, ob durch "Anpassung" ein möglicherweise erdgeschichtlich rascher Atmosphärenwandel hin zu einem gegenüber heute reduzierten Sauerstoffanteil von den Menschen kompensiert werden kann.

Das Amazonas-Becken ist Heimat jeder zehnten Säugetierart der Erde, und mehr als 15 Prozent der landlebenden Pflanzen haben sich in dem Gebiet angesiedelt. Darüber hinaus entfällt mehr als die Hälfte des Süßwassers der Erde auf den Amazonas und seine zahlreichen Zuflüsse.

Klimaforscher machen auf eine weitere Bedeutung des Amazonas-Regenwalds aufmerksam: Aufgrund der hohen Verdunstung steigen gewaltige Mengen an Feuchtigkeit auf. Das wirkt wie ein Sog auf weiter entfernt gelegene Regionen. Dieser Kamineffekt führt dazu, daß selbst aus dem Atlantischen Ozean Feuchtigkeit mitgezogen wird. Durch diese Verdunstung wird das Oberflächenwasser des Ozeans tendenziell salzhaltiger und damit schwerer als die darunterliegenden Wasserschichten. Die Folge: Das salzhaltige Wasser sinkt ab und nimmt die Wärme von der Oberfläche mit in die Tiefe. Ohne diesen Mechanismus würde das Oberflächenwasser des Atlantiks wärmer sein, was wiederum die Entstehung von Hurrikanen begünstigte. Verkürzt gesagt wird der Wassermangel im Amazonas-Becken die Hurrikanintensität in den Karibikstaaten und den USA verstärken.

Abgesehen von der globalen Bedeutung des Amazonas-Regenwalds besitzt er selbstverständlich auch eine lebenswichtige Funktion für seine Bewohner selbst. Sie bekommen jegliche Veränderungen des Systems als erste zu spüren. In den letzten Jahren scheint dort tatsächlich eine neue erdgeschichtliche Epoche eingeleitet worden zu sein: Das Amazonas-Becken trocknet aus. Nicht auf einen Schlag, aber doch merklich. Am anschaulichsten wird dies dadurch, daß es in den letzten Jahren in dem Regenwald häufiger gebrannt hat. Auf Satellitenaufnahmen von September 2006 waren insgesamt 73.000 Waldbrände zu erkennen. Ein Regenwald, der brennt, verdient wohl kaum mehr diesen Namen. Von Regen keine Spur.

Die Pegelstände des Amazonas weisen saisonal starke Schwankungen auf, der Unterschied beträgt neun bis zwölf Meter. Zum Ende des Sommers kam es auch in der Vergangenheit immer wieder vor, daß sich Inseln aus dem Flußbett erhoben, weil der mächtigste Strom der Erde Niedrigwasser führte. Aber die Inseln wurden in der Regel ab November wieder überflutet. Eine einschneidende Wende trat 2005 ein, und mittlerweile scheint sich die Trockenheit "einzupendeln". Die sich aus dem Strom erhebenden Sandbänke treten immer früher auf, sie sind die unheilvollen Vorboten bevorstehender Dürreperioden.

Wissenschaftler warnen bereits, daß ein weiteres Jahr Dürre das gesamte ökologische System zusammenbrechen lassen könnte. Ähnlich wie das Abschmelzen des arktischen Eises irgendwann nicht mehr aufgehalten werden kann (womöglich ist der Zeitpunkt bereits überschritten), verschwände auch der Regenwald, heißt es. Womöglich käme es dazu auch ohne menschliches Zutun, aber die Zerschneidung der Waldgebiete und die flächendeckende Rodung, mit der Platz für den landwirtschaftlichen Anbau geschaffen werden soll, beschleunigen diesen Prozeß erheblich.

Die Vorstellung, daß sich ausgerechnet ein bislang wasserreiches, "immergrünes" Regenwaldgebiet zur Savanne oder gar Wüste wandelt, wirkt auf den ersten Blick befremdlich, wäre aber erdgeschichtlich keine Neuigkeit. Beispielsweise war auch die heutige Sandwüste Sahara in Afrika einst vollständig von Vegetation bedeckt - tief im Boden liegende Aquifere künden noch von jener Epoche. Damals gab es jedoch keine Menschen, die auf die Nutzung des Gebiets angewiesen waren.

2005 war ein schlimmes Dürrejahr, 2006 ebenfalls. Dieses Jahr könnte die Trockenheit noch verheerender ausfallen. In den letzten Jahren hatten Behörden und Hilfsorganisationen zahlreiche Notbrunnen gebohrt, damit die Bewohner in den entlegenen Dörfern an Trinkwasser gelangen. Die Ufer des Amazonas hatten sich viele Kilometer zurückgezogen und einen von tiefen Rissen durchfurchten, knochentrockenen Grund hinterlassen, über den Staubstürme hinwegfegten. (Wer nicht wußte, daß es sich um das Amazonas-Flußbett handelte, hätte dem Eindruck unterliegen können, sich in einer Wüste zu befinden.) Tausende Dörfer wurden von der Außenwelt abgeschnitten - nicht, wie in Mitteleuropa, wegen zuviel, sondern wegen zu wenig Wasser. Die Flüsse sind als "Straßen" unverzichtbar, anders läßt sich der Wald kaum überwinden, sofern kein Flugzeug zur Verfügung steht.

Einschätzungen zum bereits eingetretenen Waldverlust im Amazonas-Becken fallen unterschiedlich aus. Allgemein anerkannt ist die Zahl, daß rund ein Fünftel der Bäume bereits gerodet sind und etwas mehr als ein weiteren Fünftel gelichtet wurde. Dadurch kann die Sonne den Boden austrocknen, und eine Aufforstung, sofern sie versucht wird, gestaltet sich entsprechend schwierig. Experten vermuten, daß der Schwellenwert (tipping point), ab dem das Ökosystem unaufhaltsam zusammenbricht, bei rund 50 Prozent Waldverlust liegt. Soja und Zuckerrohr, die von Brasilien großflächig angebaut werden, stellen in klimatechnischer Hinsicht keinen Ersatz für den Regenwald dar.

Lange Zeit herrschte unter Forschern die Ansicht vor - und sie wurde auch in Lehrbüchern vermittelt -, daß die Pflanzen im Regenwald rasch gedeihen und in kurzer Zeit alles überwuchern, sofern sie der Mensch nicht davon abhält. Darum wurde angenommen, daß dies auch auf die Bäume zuträfe. Jüngere Studien haben jedoch gezeigt, daß die tropischen Bäume viel langsamer wachsen als angenommen.

Studien von Dr. Dan Nepstead von den Woods Hole Research Centers in Massachusetts zufolge kann der Regenwald keine zwei Dürrejahre hintereinander überstehen, ohne zu kollabieren. Sollte es dazu kommen, werde sich die Trockenheit auf die Nordhalbkugel ausdehnen und die globale Erwärmung auf unvorhersehbare Weise beschleunigen. Nepstead leitet dies aus seinem Experiment im Jahre 2002 ab. Damals hatte er ein fußballfeldgroßes Stück Regenwald abgedeckt und auf diese Weise verhindert, daß Regen darauf fiel. Im ersten Jahr zeigten die Bäume keine Schädigungen, im zweiten Jahr versenkten sie ihre Wurzeln tiefer in den Boden, um an Feuchtigkeit zu gelangen, und im dritten Jahr starben sie ab und fielen um - angefangen mit dem größten Exemplar.

Außerdem hatten die Bäume am Ende des dritten Jahres zwei Drittel des in ihren Strukturen gespeicherten Kohlendioxids an die Atmosphäre abgegeben. Im gesamten Amazonas-Regenwald sind rund 90 Milliarden Tonnen Kohlendioxid eingelagert. Würden sie in die Atmosphäre entlassen, beschleunigte sich die Erderwärmung um 50 Prozent.

Nun ist das obige Experiment sicherlich nicht eins zu eins auf die Wirklichkeit übertragbar. Dennoch veranschaulicht es die Empfindlichkeit des Ökosystems des Amazonas-Regenwald. Sollte sich das tropische Südamerika in eine Trockenzone verwandeln - wie wird sich das auf die anderen Kontinente auswirken?

31. Juli 2007