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KLIMA/325: Folgen der Erderwärmung verheerender als Weltkriege (SB)


Worst-case-scenario zum Klimawandel

Britischer Think Tank prognostiziert jahrhundertelanges, weltkriegsartiges Szenario


Da Prognosen zum Klimawandel immer nur auf vergangene Entwicklungen gestützt sein können, vermag kein Computermodell präzise vorherzusagen, welches Klima auf der Erde in Zukunft herrschen wird. Für überraschende Ereignisse gibt es nun mal kein Vorbild, entsprechend scheitern die Berechnungen in diesem Punkt. Zwar wird die Zuverlässigkeit von Simulationen daran geprüft, ob sie rückblickend vergangene Entwicklungen vorhergesagt hätten, aber da die früheren Meßdaten eine wichtige Grundlage der Berechnungen sind, sollte es nicht verwundern, wenn allein deswegen in den Modellen eine relativ hohe Trefferquote erreicht wird. Problematisch wird es jedoch bei Schwellenwerten, ab denen ein natürliches System schlagartig eine andere Entwicklung einnimmt und diese solange beibehält, bis daß ein weiterer Zustand erreicht wird, den man als relativ stabil bezeichnen könnte. Klimaforscher bemühen sich deshalb darum, solche Schwellenwerte zu bestimmen.

Einer von ihnen lautet, daß sich die Erde unaufhaltsam weiter erwärmen wird, wenn die globale Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius steigt. Ein anderer Schwellenwert betrifft die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, die nicht 450 ppm (parts per million - Teile pro Million) übersteigen sollte, denn das entspräche jenem Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius.

In den letzten Jahren häuften sich die Warnungen der Klimaforscher vor den verheerenden Folgen einer allgemeinen Erderwärmung. Die Regierungen haben darauf geantwortet und vermeintliche Lösungen angeboten. Ob das genügt, eine Umkehr herbeizuführen, damit die oben genannten Schwellenwerte - so sie denn zutreffen - nicht überschritten werden, ist völlig offen. Es herrscht jedoch allgemein Konsens darüber, daß dem internationalen Klimaschutzprotokoll von Kyoto vor allem Symbolcharakter zukommt, und daß das noch auszuhandelnde Kyoto II, das ab 2012 gelten soll, um vieles tiefer in die Gesellschaft wird eingreifen müssen, um nennenswerte Klimaschutzziele zu erreichen.

Ungeachtet aller Einsichten und Absichtserklärungen der Politiker werden in der Europäischen Union, den USA und Asien zahlreiche neue Kohlekraftwerke gebaut, was darauf hinausläuft, daß die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre steigen und steigen wird, selbst wenn sich die Nationen auf CO2-Reduktionsziele einigen sollten.

Experten warten regelmäßig mit neuen Studien auf, in denen vor überfluteten Küstenregionen, Migrationen, mehr Hitzeperioden, Verschiebungen der Klimazonen, Gletscherschmelze, etc. gewarnt wird. Von all den Untersuchungen, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, gibt es wohl nur wenige, die die Zukunft der Menschheit in drastischeren Farben gemalt haben als die jüngste Studie des britischen Royal United Services Institute (RUSI). Es gelangt zu der Einschätzung, daß der Klimawandel Konflikte auslösen wird, die so weitreichende Folgen haben werden wie die beiden Weltkriege, und daß sie voraussichtlich Jahrhunderte zu spüren sein dürften:

"In den nächsten Jahrzehnten wird der Klimawandel einen ebenso bedeutenden Wandel in der strategischen Sicherheitsumgebung auslösen wie das Ende das Kalten Kriegs. Falls der Klimawandel nicht unter Kontrolle gebracht wird, werden die Sicherheitsimplikationen eine ähnliche Größenordnung erreichen wie die Weltkriege - aber Jahrhunderte anhalten." [1]

Die Antwort der Welt auf kommende Gefahren wie den Meeresspiegelanstieg und Migrationen erfolgten zu langsam und blieben ungenügend, weil sich die Nationen nicht auf solch ein Worst-case-scenario einstellten, befand Studienleiter Nick Mabey. Das frühere Mitglied der Strategy Unit (bis Dezember 2005) unter dem britischen Premierminister Tony Blair hat die Umweltorganisation E3G gegründet und fungiert auch als ihr Vorsitzender. Deren Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung global zu beschleunigen.

Wenn die Weltgemeinschaft es versäumt, ihre Investitionen in die Erforschung sauberer Energien auf zehn Milliarden Dollar jährlich zu verzehnfachen, bestehe die Gefahr, daß die Welt völlig unvorbereitet mit dem Schwellenwert konfrontiert wird, ab dem das Klima zu einer unaufhaltsamen Erderwärmung und einem Anstieg des Meeresspiegels führte, so Mabey. Selbst wenn der Klimawandel freundlicher ausfallen sollte, wären die Investitionen in technologische Weiterentwicklungen auf den Gebieten Kernenergie, Biosprit, Kohlenstoffabscheidung und - lagerung, erneuerbare Energien nicht verschwendet.

Mabey hat den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Sicherheitsfrage gelegt. Falls es nicht gelänge, den Klimawandel zu verlangsamen und den Raubbau an der Natur zu verhindern, wird dies zum Hauptkonflikt zwischen den Staaten und auch innerhalb dieser werden. Es sei ein radikales Umdenken vonnöten, "wie wir unsere nationalen Interessen definieren und sichern". Die Energie- und Klimasicherheit werde mehr auf Bündnisse mit anderen großen Energiekonsumenten wie China angewiesen sein, um neue Energietechnologien zu entwickeln und umzusetzen, als auf Bündnisse mit erdölexportierenden Ländern.

Die Vergangenheit liefere keine Anhaltspunkte für die Zukunft, schreibt Mabey und fordert letztlich von den politischen Entscheidungsträgern, daß sie handfeste Antworten auf Abschätzungen, die auf der Basis der zuverlässigsten wissenschaftlichen Prognosen vorgenommen werden sollen, liefern.

Obgleich Mabey kein Vertreter des Militärapparats ist, ähneln seine Schlußfolgerungen inhaltlich denen des früheren U.S. Air Force Generals Chuck Wald. Der sprach im vergangenen Jahr als Vertreter einer Gruppe ehemaliger US-Admirale und -Generäle vor einem Senatsausschuß [2] und sagte mit Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels, daß er bei seiner Arbeit für European Command (dem damals noch weite Teile Afrikas zugeordnet waren) zu der Einschätzung gelangt sei, daß ein neues Modell des Engagements erforderlich wird, um eine "stabile, produktive und sichere Umwelt" zu erzeugen. Nicht nur in Afrika, sondern weltweit dürfte der Klimawandel bestehende Konflikte verstärken. Zu den Kernforderungen Walds zählte, daß die Konsequenzen des Klimawandels zu einer Frage der Nationalen Sicherheit erklärt werden und daß der Geheimdienstapparat sie in seine Nationale Sicherheitsabschätzung (National Intelligence Estimate) einfügen sollte.

In dem vor kurzem veröffentlichten Buch "Klimakriege" [3] hat der Sozialpsychologe Harald Welzer aus der Sicht seiner Forschungsrichtung die Auswirkungen des Klimawandels auf das Zusammenleben der Menschen in nicht minder drastischen Worten geschildert wie der Umweltforscher Mabey in seinem Report für die britische Regierung. Keiner der hier erwähnten Personen rechnet damit, daß die Menschheit einen anderen Umgang mit Naturkatastrophen und Ressourcenmangel pflegen wird als in der Vergangenheit, und das bedeutet zusammengefaßt, daß neue Herrschaftsformen etabliert und vermutlich große Teile der Menschheit marginalisiert, wenn nicht gar vernichtet werden. Darauf deutet zumindest die globale Hungerkrise, die bereits in einigen Ländern zu Aufständen geführt hat. Selbst IWF-Direktor Strauss-Kahn konstatiert, daß die Lebensmittelpreise für hunderte Millionen Menschen bedrohlich angestiegen sind.

Während der Vertreter des Militärs unumwunden eine Ausweitung des Gewaltapparats anstrebt - auf nichts anderes liefe es hinaus, wenn Klimawandelfolgen zu einer Frage der Nationalen Sicherheit erklärt werden -, und der Regierungsberater Mabey gemeinsame Anstrengungen der führenden Nationen im Kampf gegen den Klimawandel anmahnt, beurteilt der Wissenschaftler Welzer die künftige Menschheitsentwicklung vor dem Hintergrund grundlegender menschlicher Interessen, die im Falle einer Not in der Regel gegen die Artgenossen gerichtet sind. Die Beschaffung von Wasser und Nahrung wird für viele Menschen zu einer unmittelbaren Überlebensfrage.


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Anmerkungen:

[1] "Delivering Climate Security: International Security Responses to a Climate Changed World", 23.4.2008, http://www.rusi.org/publication/whitehall/ref:I480E2C638B3BC/

[2] Testimony of Generals Charles Wald, USAF (Ret.), Member, Military Advisory Board, To the CNA Corporation Report "National Security and the Threat of Climate Change" before the Committee on Foreign Relations, U.S. Senate, May 9, 2007. (www.acus.org/docs/070509-Wald_Testimony_CFR.PDF)

[3] Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008.

25. April 2008