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KLIMA/388: Antarktis-Gletscher dünnt überraschend schnell aus (SB)


Pine-Island-Gletscher könnte noch in diesem Jahrhundert verschwinden

Britische Forscher korrigieren frühere Hochrechnungen


Der westantarktische Pine-Island-Gletscher dünnt viermal schneller aus, als frühere Messungen vermuten lassen. Bei gleichbleibender Geschwindigkeit des Eisverlustes wird der Gletscher, der zu den mächtigsten des südlichen Kontinents gehört, in seiner Kernzone in den nächsten hundert Jahren verschwunden sein. Das berichtete die an der Forschung beteiligte Universität Leeds. [1] Die Leitung der Studie hatte Professor Duncan Wingham vom University College London inne. Ein Fachartikel zu dem Thema wird demnächst in dem Journal "Geophysical Research Letters" veröffentlicht. [2]

Die Forschergruppe stellte fest, daß die Ausdünnung des 5400 Quadratkilometer großen Gletschers auch viel tiefer im Landesinnern stattfindet. Noch vor acht Jahren lauteten die Hochrechnungen, daß der Gletscher innerhalb von 600 Jahren abgeschmolzen sein wird, und damals galt bereits das als beunruhigende Nachricht.

Der Pine-Island-Gletscher ist ein Gigant. Über ihn fließt zehn Prozent des Westantarktischen Eisschilds ab. Er hat ein Einzugsgebiet von insgesamt 175.000 Quadratkilometer und gilt von jeher als schnell fließender Gletscher, da er teilweise durch kein Schelfeis vor seiner Zunge gebremst wird. Jedes Jahr fließen auf diesem Weg 46.000 Tonnen mehr Eis ins Meer, als er durch Schneefall an Masse dazugewinnt.

Co-Autor Prof. Andrew Shepherd von der School of Earth and Environment der University of Leeds bezeichnete das aktuell registrierte Ausdünnen als vermutlich "größte Imbalance, die sich in der heutigen Kryosphäre" ereignet. Er brachte seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, daß der lange Zeit vernachlässigte Gletscher inzwischen regelmäßig mit Hilfe von Satelliten ausgemessen wird. Die Daten wurden von den Satelliten Envisat und ERS-2 der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) erfaßt. Demnach wird das Gebiet seit fast 15 Jahren alle 35 Tage überflogen.

Shepherd bezeichnet die beschleunigte Ausdünnung als "eine Angelegenheit von großer Sorge". Der Pine Island-Gletscher enthält nämlich so viel Eis, daß sein Abtauen den Meeresspiegel um 25 Zentimeter und damit beinahe doppelt so hoch steigen lassen wird, wie 2007 vom Weltklimarat IPCC in einem moderaten Szenario für das 21. Jahrhundert global prognostiziert wurde.

Die Amundsen-See, in die der Pine Island Gletscher fließt, ist 0,5 Grad Celsius wärmer, als in wissenschaftlichen Simulationen für diese Region angenommen wird. Keine Klarheit herrscht darüber, warum das so ist. Vulkanische Aktivitäten im Untergrund könnten eine Ursache sein.

Es bedeutet jedenfalls, daß der Gletscher von seiner Zunge her schneller abtaut als gedacht und dies seine Fließgeschwindigkeit bis weit ins Hinterland hinein erhöht. Inwiefern auch andere Faktoren als die erhöhte Meerestemperatur für den schnellen Gletscherfluß eine Rolle spielen, gilt es noch zu untersuchen. Die ungeheure Schmelzmenge des Pine-Island-Gletscher ist sicherlich ein Ausnahmephänomen, es kann nicht auf andere Gletscher übertragen werden. Wissenschaftler warnen, keine voreiligen Schlußfolgerungen zu ziehen. Diese Gletscherschmelze sei kein Indiz für den Klimawandel.

Beruhigen kann das nicht, denn der Massenverlust von Gletschern in den Alpen, Rocky Mountains, Anden und asiatischen Hochgebirgen werden sehr wohl als Folgeerscheinungen eines bereits eingetretenen Klimawandels angesehen.


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Anmerkungen:

[1] "Antarctic glacier thinning at alarming rate", Pressemitteilung der Universität Leeds, 14. August 2009
http://www.leeds.ac.uk/media/press_releases/current09/glacier.htm

[2] Wingham, D.J., D.W. Wallis, and A. Shepherd (2009), Spatial and temporal evolution of Pine Island Glacier thinning, 1995- 2006, Geophys. Res. Lett., doi:10.1029/2009GL039126, in press. (angenommen am 5. August 2009)

17. August 2009