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KLIMA/483: Militärs sind um "Stabilität" im Zeitalter des Klimawandels besorgt (SB)


Warnung vor instabilen Verhältnissen durch den Klimawandel


In den Vereinigten Staaten gibt es eine durchaus beachtliche Zahl an Personen, die nicht daran glauben, daß ein Klimawandel stattfindet und daß dafür der Mensch durch die Verbrennung fossiler Energieträger hauptverantwortlich ist. Möglicherweise findet dieser vermeintliche Skeptizismus auch unter den Militärs Anhänger, für die militärische Führungsebene und politische Analysten ist die Erderwärmung zweifelsfrei existent und stellt eine Bedrohung der nationalen Sicherheit dar. Regelmäßig wird in den Prognosen des Pentagons und einschlägiger Think Tanks auf die Gefahren des Klimawandels für die Sicherheit des Landes aufmerksam gemacht.

Zu den emsigsten Warnern aus dem Militärapparat vor dem Klimawandel zählt US-Vizedadmiral im Ruhestand Dennis McGinn [1], der heute als stellvertretender Vorsitzender der militärischen Beratergruppe des Think Tanks CNA (Center for Naval Analyses) regelmäßig durch die Lande reist und Vorträge hält. McGinn glaubt, daß er und andere Sicherheitsexperten beim gesellschaftlichen Klimadiskurs eine wichtige Rolle hinsichtlich der Vermittlung zwischen Republikanern und Demokraten im US-Kongreß oder auch zwischen "Klimawandelskeptikern" und "-befürwortern" spielen können.

Seine Aufgabe sei nicht, über Wissenschaft zu diskutieren, so McGinn. Vielmehr sehe er sie darin, aufzuzeigen, welche Bedeutung Fragen hinsichtlich des Klimawandels für militärische Aufgaben sowie für gegenwärtige und zukünftige Fähigkeiten haben, erklärte McGinn Ende Februar bei einer Veranstaltung des Pew Charitable Trusts. [2] Wohingegen es nicht ihre Aufgabe sei, beispielsweise den US-Kongreß von der Klimaforschung zu überzeugen.

Der britische Botschafter für Klima und Energiesicherheit, Konteradmiral Neil Morisetti, sagte auf derselben Veranstaltung, daß Mitglieder des Verteidigungsapparats auch eine wichtige Rolle auf der internationalen Bühne der Klimadebatte spielen könnten. Angehörige des Militärs sprächen womöglich selbst dann noch mit ihren Pendants aus anderen Nationen über solche Themen, wenn Politiker längst aufgehört hätten.

Für Morisetti ist "Handel" ein Schlüsselbegriff, durch den sich auch die sogenannten Skeptiker von der Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, überzeugen ließen. Großbritannien sei besonders abhängig von Importen, darum sei die Frage der "Sicherung von Handelswegen und des stabilen Handels von Nahrung und Treibstoff" wichtig. Morisetti will Personen, deren bevorzugter Lebensstil vom internationalen Handel abhängig ist, begreiflich machen, "daß dazu auf der ganzen Welt Stabilität vonnöten ist". Er spricht hier auf Handelsrouten von globaler Bedeutung an, wie zum Beispiel den Panama-Kanal und die Straße von Gibraltar.

Bekanntlich erteilt auch die Bundesregierung dem deutschen Militär den über die vom Grundgesetz abgedeckte Aufgabe hinausgehenden Auftrag, Ressourcenwege zu sichern. Im Falle eines Meeresspiegelanstiegs, der womöglich politische Unruhen im Umfeld wichtiger Seeverbindungen auslöst, würden anscheinend auch militärische Optionen erwogen. Ein Musterbeispiel wird zur Zeit durchexerziert: Somalia. Der ostafrikanische Staat liegt an einer bedeutenden Schiffsverkehrsroute zwischen Europa und Asien. Seit einigen Jahren machen somalische Piraten die Seeregion unsicher, weil sie auch ein Stück vom Kuchen ergattern wollen, indem sie Handelsschiffe entführen und Lösegeld erpressen. Im Golf von Aden und Indischen Ozean tummeln sich Kriegsschiffe zahlreicher Nationen, um den Handelsweg zu sichern. Das Mandat der Bundesmarine, die am Horn von Afrika an der EU-Mission "Atalanta" teilnimmt, ist vom UN-Sicherheitsrat abgedeckt. Bei Somalia handelt es sich um ein Land, in dem die politischen Verhältnisse instabil sind. Das hat nicht nur, aber auch mit den klimatischen Verhältnissen zu tun, wird Somalia doch regelmäßig von Dürren heimgesucht.

Die Folgen des Klimawandels gelten bei den Militärs als Faktoren der Destabilität, und die naheliegendste Antwort dieser gesellschaftlichen Gruppe dürfte entsprechend militärisch ausfallen. Auch hierzu gibt es Beispiele. Lange Zeit galten die Präsidenten Tunesiens, Libyens und Ägyptens - Zine el-Abidine Ben Ali, Muamar Gaddafi und Hosni Mubarak - als wichtige Verbündete der Europäischen Union, da sie für stabile Verhältnisse in Nordafrika sorgten. Erst als sich die Unterdrückten dieser Länder gegen ihre Regierungen erhoben, wandelten sich in der westlichen Lesart anerkannte Staatsführer plötzlich in Despoten. Nun, da sich die Europäer und Amerikaner mit der Demokratiebewegung, welche die ursprünglichen Garanten der Stabilität vom Thron gestoßen oder im Falle Libyens angeblich zu eben diesem Zweck zu den Waffen gegriffen hat, gutstellen will, offenbart sich die ganze Widersprüchlichkeit westlicher Hegemonialpolitik.

Die Sorge der Militärs über den Klimawandel gilt nicht primär der Beseitigung von Mangel und Not oder dem Schutz mittelloser Menschen vor Überschwemmungen und Dürren, sondern der Stabilität des gewohnten Warenverkehrs. Dafür ist Großbritannien ein treffendes Beispiel. Bereits während der verheerenden Hungersnöte in Indien im 19. Jahrhundert stellte das britische Empire "Stabilität" her, indem es trotz der Mißernten im Zuge mehrerer El-Niño-Jahre und des ausbleibenden Monsuns große Mengen Nahrungsmittel vom Subkontinent ausführte. Zeitgleich verhungerten viele Millionen Inder, schreibt der Autor Mike Davis in dem Buch "Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter" [3].

Wenn also Militärs heutzutage von stabilen Verhältnissen sprechen, läuft das auf die Fortsetzung der Sicherung des privilegierten Lebensstils mit militärischen Mitteln hinaus. Genau hierzu passen die Maßnahmen der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex zur Flüchtlingsabwehr an der griechisch-türkischen Grenze und im Mittelmeer. So wie Vizeadmiral i. R. McGinn erklärte, daß der Klimawandel an sich nicht zu Kriegen führt, aber daß er zum Beispiel mit einer Versauerung der Ozeane einhergeht, wodurch die Fischerei zusammenbrechen könne, was wiederum fragile Gesellschaften zerbrechen lasse [2], läßt sich auch über Flüchtlinge sagen, daß sie nicht vor dem Klimawandel an sich fliehen, aber daß sie ihre Heimat verlassen, weil dort vermehrt Extremwetterereignisse auftreten und sich die Lebensverhältnisse verschlechtern.

Vielleicht empfinden sich der amerikanische CNA-Berater und der britische Botschafter für Klima und Energiesicherheit als fortschrittlich, weil sie ähnlich wie Umweltorganisationen vor den Folgen des Klimawandels warnen. Ob aber auch bezüglich der empfohlenen Konsequenzen eine Gemeinsamkeit dieser beiden gesellschaftlichen Interessengruppen besteht, sollten die NGOs für sich klären, wenn sie vor dem Klimawandel als Auslöser instabiler Verhältnisse warnen.


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Anmerkungen:

[1] Unter anderem ist McGinn Co-Autor einer CNA-Analyse zum Thema Klimawandel und Nationale Sicherheit. Siehe:
http://www.cna.org/nationalsecurity/climate/report/National%20Security%20and%20the%20Threat%20of%20Climate%20Change.pdf

[2] "DEFENSE: Military leader worries about impact of climate change on world trade", Dina Fine Maron, E&E reporter, 1. März 2011
http://www.cna.org/sites/default/files/news/2011/ClimateWire%20Reprint%203%201%2011.pdf

[3] Mike Davis: "Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter", Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2004.

SB-Rezension unter BUCH -> SACHBUCH:
REZENSION/224: M. Davis - Die Geburt der Dritten Welt (Imperialismus) (SB)

10. März 2011