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KLIMA/490: UNFCCC-Konferenz von Panama City - eine Nachlese (SB)


"Realismus" der UN-Klimaschutzverhandlungen: Retten, was zu retten ist


Wenn man die Latte nur tief genug hängt, erscheint ein kleiner Hopser wie ein riesiger Sprung. Diesen Eindruck versuchen anscheinend die Organisatoren und Teilnehmer der jüngsten UN-Klimakonferenz, die in der vergangenen Woche in Panama City stattfand, auszunutzen. So behauptete Christiana Figueres, Generalsekretärin des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UN Framework Convention on Climate Change - UNFCCC), bei der Konferenz seien "gute Fortschritte erzielt worden in der Vorbereitung auf Entscheidungen, die den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel helfen und ihnen Zugang zu Technologien verschaffen werden, ihre eigene Zukunft mit sauberen Energien zu gestalten". [1]

Es mag noch so viele Vorbereitungen geben, diese werden sich erst dann in Entscheidungen und schließlich in konkrete Maßnahmen wandeln, wenn sie von den beteiligten Akteuren abgesegnet werden. Die UNFCCC-Konferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen hat jedoch die unüberbrückbaren Interessengegensätze innerhalb der Staatengemeinschaft gezeigt. Das Schlußdokument mit der Bezeichnung Copenhagen Accord, das von wenigen einflußreichen Teilnehmern im Hinterstübchen ausgearbeitet wurde, um dem Eindruck entgegenzutreten, daß die Konferenz nicht ganz und gar gescheitert ist, wurde allgemein lediglich zur Kenntnis genommen. Die Industriestaaten haben zwar erklärt, daß sie sich für eine Reduzierung der Erderwärmung einsetzen wollen, aber um solche Lippenbekenntnisse abzugeben, hätte es keiner Konferenz bedurft. In Panama City wiederum fand die letzte formale Vorbereitungskonferenz für das nächste Jahrestreffen vom 28. November bis 9. Dezember in der südafrikanischen Stadt Durban statt.

Ende nächsten Jahres läuft das Klimaprotokoll von Kyoto aus. Zum jetzigen Zeitpunkt gewisse technische Voraussetzungen festzulegen, auf deren Basis in die Verhandlungen eingetreten werden soll, sind ein sehr bescheidenes Resultat für die Panama-Konferenz. Die Entwicklungsländer erwarten von den Industriestaaten, die hauptverantwortlich für den anthropogenen Klimawandel sind, umfangreiche finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung der mit den Folgen der Erderwärmung einhergehenden Veränderungen wie Meeresspiegelanstieg, Verschiebung der Klimazonen, Häufung der Extremwetterereignisse, Verlust an Trinkwasser als Folge des Gletscherschwunds, etc.

Wahrscheinlich wird es ein abgespecktes Kyoto-Nachfolgeprotokoll geben, das nur von einem Teil der Staaten ratifiziert wird. Die USA, Japan, Kanada und andere Akteure wollen das Protokoll nicht fortsetzen und sich zu keinen Emissionsminderungen verpflichten. An Stelle dessen setzen sie auf Freiwilligkeit - kaum vorstellbar, daß bei einer solchen Regelung die ärmeren Länder im Kampf gegen die Klimawandelfolgen unterstützt werden, ohne daß die Industriestaaten von ihnen eine Gegenleistung verlangen werden.

In Kopenhagen war vereinbart worden, daß die Entwicklungsländer bis Ende 2012 mit 30 Milliarden Dollar Soforthilfe unterstützt werden; ab 2020 ist ein jährlicher Finanztransfer von 100 Mrd. Dollar vorgesehen. Ist es nicht absurd anzunehmen, die von einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise gebeutelten Industriestaaten würden in Zeiten klammer Kassen freiwillig und vollkommen selbstlos eine hohe Summe abgeben? Im übrigen klafft in den Jahren dazwischen eine Finanzierungslücke, die bislang nicht verbindlich gefüllt ist.

Die Teilnehmer der Konferenz in Panama City haben ihr ursprünglich angestrebtes Ziel, eine historische Abmachung zu treffen, gewandelt; nun wollen sie sicherstellen, daß das globale Klimaschutzsystem überlebt [2], faßt AFP das bescheidene Resultat der Gespräche zusammen. Oder, um es mit den optimistischen Worten Jennifer Haverkamps, internationale Leiterin des Klimaprogramms des Environmental Defense Fund in den USA, zu sagen: "Die Länder geben sich einige Mühe, die Erwartungen auf ein realistisches Niveau für Durban herunterzuschrauben." [2] Anders gesagt, die Delegierten haben versucht zu retten, was noch zu retten ist.

"Realistisch" meint in diesem Fall Abkehr von früheren Zielen und Anpassung an die von einflußreicheren Kräften bestimmten Verhältnisse ... kennt man das nicht von einer gewissen Partei, die in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik aufkam und sich Umweltschutz und Frieden auf die Fahnen geschrieben hatte?

Appelle an die Hauptemittenten von Treibhausgasen oder die historisch Hauptverantwortlichen zu richten, was nicht in jedem Fall deckungsgleich ist, hat bisher wenig genutzt. Wie sollte es auch? Das vorherrschende Wirtschaftssystem ist die Marktwirtschaft, und die hat das Konkurrenzprinzip zum treibenden Motor für Erfolg erklärt. Dieser Ideologie zufolge soll sich der entscheidende Fortschrittsantrieb der Menschheit aus dem Niederkonkurrieren der Mitstreiter ergeben. In der einfachsten Form bedeutet das, daß einer gewinnt und alle anderen verlieren. In der Wirtschaft entspricht das dem Monopol.

Es ist beim besten Willen nicht erkennbar, auf welcher anderen Grundlage als Wunschdenken manche Beobachter der UN-Klimaschutzverhandlungen die Erwartung hegen, die Delegierten verfolgten andere, nicht von Vorteilsdenken bestimmte Interessen. Daran ließ jedenfalls die Kopenhagen-Konferenz keinen Zweifel aufkommen. Der Fortschritt seitdem beschränkt sich auf technische Fragen, Absichtserklärungen und Minimalkompromisse. Die entscheidenden Streitpunkte, die zum Scheitern führten, werden inzwischen "realistischerweise" gar nicht erst berührt und sind deshalb auch nicht beigelegt.

Ebenfalls auf der Konferenz in Panama berichteten Wissenschaftler, daß das im Copenhagen Accord vereinbarte Ziel, die Menge an Treibhausgasemissionen zu reduzieren, damit die Erderwärmung um weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter steigt, nicht mehr erreicht werden kann. Selbst die Drei-Grad-Marke sei kaum einzuhalten. [3] Um abschließend noch einmal den viel beschworenen Realismus zu bemühen: Den Prognosen der Klimaforscher zufolge muß damit gerechnet werden, daß zig Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, Opfer von Flut- oder Dürrekatastrophen, von Wassermangel oder Hungersnöten werden oder, wenn sie all das überstanden haben, Verteilungskämpfen erliegen. Das ist die von Wissenschaftlern beschriebene Realität, auf die die internationale Staatengemeinschaft zustrebt, wenn sie weiterhin keine wirksamen Maßnahmen gegen die Erderwärmung beschließt.

Fußnoten:

[1] "Financing Quarrels Mar UN Climate Talks in Panama", Environment News Service (ENS), 7. Oktober 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/oct2011/2011-10-07-02.html

[2] "Ambitions in check on global climate deal", TerraDaily.com/AFP, 8. Oktober 2011
http://www.terradaily.com/reports/Ambitions_in_check_on_global_climate_deal_999.html

[3] "Planet 'far away' on climate goals: study", TerraDaily.com/AFP, 4. Oktober 2011
http://www.terradaily.com/reports/Planet_far_away_on_climate_goals_study_999.html

13. Oktober 2011