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KLIMA/499: AAAS-Konferenz - Forscher prognostizieren zunehmenden Getreidemangel (SB)


Computersimulation bis zum Jahr 2085 - Auswirkungen der Temperaturvariabilität auf Ernten bislang unterschätzt


Die negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den zukünftigen Getreideanbau wurden bislang unterschätzt. Bis Ende des Jahrhunderts wiesen die Sommertemperaturen eine viel größere Variabilität auf, als in Computermodellen prognostiziert; die Nahrungsproduktion werde den Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung weniger denn je decken können. Zu dieser Einschätzung gelangten der Atmosphärenforscher Prof. David Battisti von der Universität Washington und seine Kollegen. [1]

Er berichtete auf der am Montag zu Ende gegangenen weltgrößten Wissenschaftskonferenz der AAAS (American Association for the Advancement of Science) in Vancouver, an der fünf Tage lang mehrere tausend Wissenschaftler teilgenommen hatten, daß Rückwirkungen im Verhältnis von Atmosphäre und Boden die Schwankungen der Sommertemperaturen in Europa, Nord- und Südamerika sowie Afrika verstärken werden. Wenn aber die Variabilität der Temperatur zunimmt, sei damit zu rechnen, daß sie zwischenzeitlich so weit ansteigt, daß überhaupt kein Getreide mehr angebaut werden könne. Mit Blick auf die regionale und globale Ernährungssicherheit seien das keine guten Nachrichten, warnte Battisti.

Die Ergebnisse der von ihm präsentierten Computersimulationen bestätigen, bzw. übertreffen gar frühere Prognosen, nach denen die Erderwärmung mit empfindlichen Ernteverlusten einhergehen wird. Demnach werden die Erträge von Reis, Mais und Soja um 30 bis 40 Prozent sinken. In den Reisfeldern der Tropen wird ein Anfangseffekt bereits beobachtet.

Eigentlich wäre nichts anderes zu erwarten, aber den Simulationen zufolge wird die Erderwärmung auch das Klimaphänomen El Niño Southern Oscillation beeinflussen. Diese alle drei bis fünf Jahre auftretende Temperaturumkehr im Südostpazifik kann enorme globale Auswirkungen haben. In Trockenregionen treten dann Überschwemmungen auf, in normalerweise niederschlagsreichen Regionen hält Dürre Einzug. In beiden Fällen erleiden die Bauern erhebliche Ernteeinbußen. Sollte dieser klimatische Umkehreffekt (und ebenso sein Antagonist El Niña) im Laufe des Jahrhunderts an Intensität zunehmen, wäre mit schwerwiegenderen Hungerkatastrophen, einer größeren Zahl an Umweltflüchtlingen, sozialen Konflikten und ordnungspolitischen Regulationen zu rechnen, als sie bereits heute auftreten.

Die Unruhen in der arabischen Welt 2010, 2011 entstanden nicht nur, weil die Menschen in repressiven Regimen lebten und Diktatoren zu Fall gebracht werden sollten, sondern auch weil die Preise für Lebensmittel kräftig angezogen hatten. Darauf machte die scheidende AAAS-Präsidentin Nina V. Fedoroff in ihrer Eröffnungsrede des Jahrestreffens ihrer Organisation aufmerksam. [2]

Bis Mitte des Jahrhunderts müßten neun Milliarden Menschen versorgt werden, aber es stehe keine größere Landfläche zur Verfügung, warnte sie. Mit jeder Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur um ein Grad sänken die Erträge um zehn Prozent. Deshalb müßten Getreide gezüchtet werden, die in einer zukünftig wärmeren Welt auf Flächen gedeihen könnten, die bis dahin als nicht zu bewirtschaften angesehen wurden, und mit Wasser versorgt werden, das als ungeeignet für die Landwirtschaft galt. Wissenschaftler arbeiteten zwar daran, die weltweiten Getreideerträge bis 2050 zu verdoppeln, aber der Klimawandel mache die Aufgabe überaus dringlich, warnte die aus Rußland stammende Pflanzenmolekularbiologin. Sie erinnerte daran, daß bei der Hitzewelle 2003 in Europa die Medien zwar breit über die Todesfälle berichtet hatten, aber daß die Erntemengen um ein Viertel bis mehr als ein Drittel geringer ausgefallen waren, habe sie in der Berichterstattung vermißt. Die globale Nahrungsmittelkrise 2007, 2008 sei nicht überwunden, sondern 2010 wiedergekommen, und es gebe keine Hinweise darauf gebe, daß sich im vergangenen Jahr etwas daran geändert hätte.

Es entspricht zwar der allgemeinen Lesart, daß im Jahr 2009 keine gravierende Hungerkrise herrschte, weil die Nahrungsnot etwas abgemildert wurde, aber selbst in jener Zeit litten mehr als 900 Millionen Menschen Hunger. Mit dem Begriff "Krise" wird somit zwischen guten und schlechten Jahren unterschieden, wohingegen in absoluten Zahlen seit Jahrzehnten eine chronische Hungerkrise vorherrscht, die allen Vorsätzen, Abhilfe zu schaffen, und Vereinbarungen der internationalen Staatengemeinschaft zum Trotz unablässig anwächst. Die meisten Klimaforscher sind sich darin einig, daß der Weltbevölkerung im Zuge der globalen Erwärmung schwere Naturkatastrophen bevorstehen, sollten nicht innerhalb dieses Jahrzehnts weitreichende Maßnahmen zur Senkung der anthropogenen Treibhausgasemissionen beschlossen werden. Die internationalen Klimaschutzverhandlungen gelten allerdings seit der großen UN-Konferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen als nahezu gescheitert; ein Nachfolgeprogramm für das in diesem Jahr auslaufende Kyoto-Protokoll, das nur bescheidene Ergebnisse gebracht hat, wurde bislang nicht vereinbart. Von den Folgen dieser Entwicklung werden ausgerechnet jene Länder am schwersten getroffen, die am wenigsten Anteil an den Treibhausgasemissionen hatten.



Fußnoten:

[1] "Models underestimate future temperature variability; food security at risk" Universität of Washington, 17. Februar 2012
http://www.washington.edu/news/articles/models-underestimate-future-temperature-variability-food-security-at-risk

[2] "Fedoroff Presidential Address: Feeding More on Lands That Grow Less", American Association for the Advancement of Science, 19. Februar 2012
http://news.aaas.org/2012_annual_meeting/0219nina-v-fedoroff-1.shtml

20. Februar 2012