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KLIMA/508: Planet Erde im Jahr 2050 - Starke Zunahme der Luftschadstoffe (SB)


Europäische Forschergruppe warnt vor anhaltendem Trend der Luftverschmutzung



Was in manchen Science-fiction-Romanen als düstere Zukunft der Menschheit entworfen wird, könnte in diesem Jahrhundert Wirklichkeit werden: Ein Großteil der Menschen lebt in Städten, in denen sich die Atemluft extrem verschlechtert. Das Stadtbild der Zukunft könnte auf der einen Seite von Kindern bestimmt werden, die mit Atemschutzmasken zur Schule gehen, Erwachsenen, die hustend und nach Luft schnappend zur Arbeit trotten, und Menschen, die an öffentlichen Sauerstoff-"Tankstellen" eine Zeitlang frische Luft erwerben, auf der anderen von abgeschlossenen Wohnsiedlungen für die wohlhabende Klientel mit eigener sauerstoffangereicherter Umgebungsluft.

Vielleicht trifft diese Dystopie nicht ein, weil die Menschen ihre Städte begrünen lassen und andere wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Luft ergreifen. Die Hoffnung darauf scheint allerdings zumindest in der Wissenschaft ziemlich dünn zu sein. So heißt es in einer Studie [1], die Anfang des Monats in "Atmospheric Chemistry and Physics", einem Open Access Journal der European Geosciences Union (EGU), veröffentlicht wurde, daß die Atemluft im Jahr 2050 auf der ganzen Welt so schlecht sein wird wie die heute in Ostasien, falls es nicht gelingt, die Emissionen von Luftschadstoffen deutlich zu verringern.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation [2] sterben jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen vorzeitig als Folge städtischer Luftschadstoffe. Es wäre also damit zu rechnen, daß sich die Zahl der Toten noch erhöht, wenn nicht entschiedene Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen ergriffen werden. Das mahnten Studienleiterin Andrea Pozzer, die am Abdus Salam International Centre for Theoretical Physics in Italien gearbeitet hat und heute am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz forscht, und ihre Kollegen an. Eine drastische Verschlechterung der Luftqualität, die schwerwiegende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hätte, könne nur vermieden werden, wenn zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen und wirksame Eingriffe vorgenommen werden, erläuterte Pozzer.

Die Forschergruppe hat ein Szenario zugrundegelegt, das insofern plausibel erscheint, als daß darin einfach der gegenwärtige Trend der Schadstoffemissionen beibehalten wird. In der Studie wird davon ausgegangen, daß weder zusätzliche Maßnahmen zum Klimaschutz noch zur Verringerung der Luftschadstoffe ergriffen werden. Als Basisjahr gilt das 2005. Das gewählte Szenario sei zwar pessimistisch, würde aber durch die globalen Trends bestätigt, sagte Co-Autorin Greet Janssens-Maenhout vom European Commission Joint Research Centre in Italien [1]. Die internationalen Klimaschutzverhandlungen kämen nur langsam voran, und es sei unklar, wie sich die Luftqualitätspolitik global weiterentwickle. In Regionen mit Wirtschaftswachstum könnten emissionsmindernde Maßnahmen weniger wirksam sein, einfach weil dort in manchen Bereichen die wirtschaftlichen Aktivitäten stark zunähmen; umgekehrt dürfte es in Ländern, die unter dem wirtschaftlichen Abschwung litten, in den nächsten Jahren schwierig werden, weitreichende Maßnahmen zum Schutz der Luftqualität durchzusetzen, sagt Janssens-Maenhout voraus.

In dem Berechnungen der Forschergruppe zu den Jahren 2005, 2010, 2025 und 2050 flossen die Trends von fünf wichtigen Luftschadstoffen, die sich alle negativ auf die menschlichen Gesundheit auswirken, ein: Feinstaubpartikel PM2.5 (Partikel kleiner als 2,5 Tausendstel Millimeter), Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Ozon und Kohlenstoffmonoxid. Berücksichtigt wurden sowohl anthropogene Quellen als auch andere wie beispielsweise Wüstenstaub, Meerwassertröpfchen, vulkanische Emissionen.

Im Jahre 2050 wird demnach die stärkste Luftverschmutzung weiterhin im Osten Chinas und Norden Indiens auftreten, wenngleich auf einem erheblich höheren Niveau als heute. Regional kann dort die Schadstoffbelastung um das Dreifache zu nehmen. Hier ist die Bevölkerungsdichte besonders groß, und es handelt sich um industrielle Produktionszentren von globaler Bedeutung. Auch im Mittleren Osten und Nordafrika wird die Luft in Zukunft von besonders schlechter Qualität sein, vor allem wegen der Staubstürme.

Was in dieser Studie nicht behandelt wurde, aber in Zukunft ein dringliches Thema werden könnte, sind diverse Konzepte von Klimaschutzmaßnahmen, die unter dem Stichwort Geoengineering abgehandelt werden. Ausgerechnet eine der oben genannten, die Gesundheit und Umwelt schädigenden Substanzen, das Schwefeldioxid (SO2), könnte eines Tages absichtlich in die Erdatmosphäre geblasen werden, um die allgemeine Erwärmung zu reduzieren. Man möchte es nur allzu gern der Kategorie "Witz des Jahres" zuweisen, doch es wird ernsthaft daran geforscht und übrigens wie die obige Studie auch mit EU-Forschungsgeldern, welche Mengen an Schwefeldioxid unter welchen Bedingungen nötig sein werden, um die globale Durchschnittstemperatur zu verringern.

Ein SO2-Partikel wirkt sozusagen als Mini-Reflektor. Viele Tonnen dieser Partikel, fein verteilt in der oberen Atmosphäre, wo sie ein zwei Jahre verweilten, könnten als Schutzschild gegen die Sonneneinstrahlung fungieren, hoffen die Forscher. Zu denen, die sich mit diesem Thema befaßt haben, gehört der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen. Vor sechs Jahren schrieb er in einem Editorial Essay des Fachjournals "Climate Change" [3], daß bereits ein Prozent der sowieso bereits ständig emittierten SO2-Menge, in der oberen Atmosphäre ausgebracht, ausreichen könnten, um die Erderwärmung signifikant zu reduzieren, schreibt Crutzen. Er betont allerdings mit Nachdruck, daß es am allerbesten sei, wenn die Treibhausgasemissionen reduziert werden, damit sich die Erde nicht weiter erwärmt und es gar nicht erst zu so einem Experiment kommt.

Crutzen und andere Forscher, die sich mit Methoden der sogenannten Albedomodifikation, das heißt der Beeinflussung der Wärmerückstrahlung, befassen, wissen, daß sie versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die schädlichen Folgen einer absichtlichen Schwefelanreicherung für Umwelt und Gesundheit könnten immens sein, und nur weil dieses Schadensausmaß noch von dem der globalen Erwärmung aufgrund menschengemachter Treibhausgasemissionen übertroffen wird, erscheinen solche Geoengineering-Konzepte nicht als das, was sie sind: ein Angriff auf die gesamte Menschheit. Und weil es diese Gesamtheit gar nicht gibt, als ein Angriff auf den Teil der Menschheit, der sich nicht dagegen wehren kann.

Crutzens Berechnungen sind auch deshalb prekär, weil er die Kosten einer Schwefelanreicherung der Stratosphäre mit vielen gasgefüllten Ballonen, die in der Tropenzone aufsteigen und in 10 bis 50 Kilometern Höhe ihren Inhalt freigeben sollten, damit das Gas dort oben zu Schwefeldioxid verbrannt werden kann, auf 25 bis 50 Milliarden Dollar jährlich veranschlagt [4]. Das klingt in den Ohren des Otto Normalverdieners erschreckend hoch - die Warren Buffetts dieser Welt hingegen riechen den Reibach, den sie mit Geoengineering machen können. Sie brauchen nur abzuwarten, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Druck auf die Regierungen weiter wachsen, daß sie Entscheidungen zum Klimaschutz treffen und im Zuge dessen Steuergelder für solche erdumspannenden Ingenieursprojekte freisetzen.

Einen garantierten Verdienst von 25 bis 50 Milliarden Dollar pro Jahr - an der globalen Katastrophe läßt sich prima verdienen! Wer glaubt, daß so ein Verhalten unmoralisch sei und man die Menschheit nicht zur Geisel nehmen könne - so ein Projekt zur Klimabeeinflussung müßte nämlich viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte weiterlaufen -, wäre vielleicht gut beraten, sich zu fragen, ob die Menschheit nicht längst im Rahmen des größten Geoengineering-Projekts der Geschichte in Geiselhaft genommen wurde. Die Rede ist von der Anreicherung der Erdatmosphäre mit klimawirksamen Abgasen aus der Verbrennung fossiler Energieträger.

Sicherlich, der sogenannte technologische Fortschritt und der gesamte gehobene Lebensstil in den Industriestaaten beruhen darauf. Diese Zeilen würden in dieser Form nie ohne die entsprechenden technologischen "Fortschritte" geschrieben worden sein. Die Teilhaberschaft macht also an den Toren der fossilen Energiewirtschaft nicht halt. Dennoch könnte die Ablehnung eines Geoengineering-Vorhabens, mit dem die Folgen eines vielleicht ursprünglich einmal unbeabsichtigten, heute aber wissentlich betriebenen Geoengineerings der Verbrennung fossiler Energieträger, ein Ansatz sein, etwas anderes zu machen als bisher. Politiker haben durchaus eine Wahl und könnten entschlossen aus der Verstromung von Braunkohle aussteigen. Auch könnte der öffentliche Nahverkehr kostenlos angeboten werden, was automatisch den Individualverkehr verringerte. Und die Bundesregierung könnte aufhören, die EU-Politik dahingehend zu beeinflussen, daß sie steuerlich die Hersteller hubraumstarker Autos schont, , um nur einige sehr naheliegende Beispiele gesellschaftlicher Einflußnahme zu nennen.

Was wiederum nur ein Anfang sein kann. Ohne die gesellschaftlichen Voraussetzungen in Angriff zu nehmen, denen zufolge die Not und der Mangel eines großen Teils der Menschheit als Grundlage für die Bereicherung eines kleineren Teils dient, besteht die Gefahr, daß durch die Verschlechterung der Luft, wie sie von der europäischen Forschergruppe prognostiziert wird, lediglich weitere Geschäftsmöglichkeiten erschlossen werden und sich das Rad der Geschichte auf gleiche Weise weiterdreht.


Fußnoten:

[1] "Cut emissions further or face risks of high air pollution, study shows", Pressererklärung der EGU, 1. August 2012
http://www.egu.eu/news/36/cut-emissions-further-or-face-risks-of-high-air-pollution-study-shows/

[2] "Air quality and health", Fact sheet N°313, September 2011
http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs313/en/index.html

[3] http://media.cigionline.org/geoeng/2006%20-%20Crutzen%20-%20ALBEDO%20ENHANCEMENT%20BY%20STRATOSPHERIC%20SULFUR%20INJECTIONS.pdf

[4] "Schwefel in der Stratosphäre Giftkur fürs Weltklima", Spiegel Online, 10. Juli 2006
http://www.spiegel.de/spiegel/a-425979.html

6. August 2012