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KLIMA/519: Schmelze, Stürme, Schäden - arktische Extreme (SB)


Extremwetter-Ereignisse 2012 in der Arktis

Laut einer neuen Studie wurde der Kurs des Hurrikans Sandy als mittelbare Folge des Klimawandels aufs Festland gelenkt



Die Arktis ist seit einigen Jahren Veränderungen unterworfen, die im erdgeschichtlichen Maßstab nur als dramatisch bezeichnen werden können. Sowohl die Dicke des nordpolaren Meereises als auch seine Ausdehnung nehmen rapide ab. Zugleich messen Forscher einen steten Anstieg der Durchschnittstemperatur, was nahelegt, daß man es im hohen Norden mit einem anhaltenden Klimatrend und nicht mit einer kurzfristigen Klimavariabilität zu tun hat.

Meereis mit viel offener Meeresfläche dazwischen - Foto: Patrick Kelley, U.S. Coast Guard, freigegeben als CC BY 2.0 nicht portiert via flickr

Sonnenlicht wird vom dunklen Meer absorbiert und hellen Eis reflektiert - Nordpolarmeer, 9. September 2009
Foto: Patrick Kelley, U.S. Coast Guard, freigegeben als CC BY 2.0 nicht portiert via flickr

Was jedoch im Sommer vergangenen Jahres geschah, hatten sich selbst die an der Arktisforschung beteiligten Wissenschaftler nicht vorstellen können: Binnen weniger Wochen war die Meereisfläche extrem geschrumpft; der letzte Minimumrekord aus dem Jahr 2007 wurde nochmals um 23 Prozent unterboten. Außerdem war im Juli die grönländische Eisoberfläche fast vollständig angeschmolzen gewesen. So etwas hatten die Forscher noch nie erlebt.

Nur auf den ersten Blick in keinem engeren Zusammenhang mit diesen beiden Phänomenen steht die enorme Wucht und das sonderbare Verhalten des Hurrikans Sandy, der Ende Oktober, aus der Karibik kommend, über den Großraum New York hinwegfegte. Jetzt, zu Beginn des meteorologischen Frühlings auf der Nordhalbkugel, stellt sich die Frage, ob in diesem Sommer erneut mit solchen Klimaextremen zu rechnen ist.

Die arktische Meereisschmelze 2012 hob sich deutlich von den in den letzten Jahren zur Gewohnheit werdenden Rekordmeldungen der Klimaforschung ab. Fast mochte man den Eindruck gewinnen, Zeuge eines erdgeschichtlichen Wendepunkts zu sein, wählen doch Klimaforscher den Rückgang des Meereises in der Arktis gern als Beispiel, um einen sogenannten Kippunkt mit einem sich selbst verstärkenden Prozeß zu erklären:

Verringert sich aufgrund der Schmelzvorgänge die helle Eisfläche, wird weniger Sonnenlicht reflektiert; das Meer erwärmt sich stärker und beschleunigt die Eisschmelze, was wiederum die Wärmeaufnahme des Wassers und damit das Verschwinden Eisfläche vorantreibt. Wird ein Kippunkt überschritten, bedeutet das, daß der sich selbst verstärkende Prozeß so lange anhält, bis sich die Verhältnisse auf einem anderen Niveau, das beispielsweise ein eisfreier Nordpol sein kann, eingeschaukelt haben.

Noch kann man nicht sicher sagen, ob 2012 der Kippunkt für das Meereis überschritten wurde. Unter dem Eindruck der Rekordschmelze sprach die Arktisexpertin Prof. Jennifer Francis vom Institute of Marine and Coastal Sciences der Rutgers Universität von einem "dramatischen Indikator" der globalen Erwärmung. [1]

Aus Anlaß des außergewöhnlichen Meereis-Minimums, das mit 3,41 Millionen Quadratkilometern eine Ausdehnung von nicht mehr als der Hälfte der durchschnittlichen Meereisfläche der letzten dreißig Jahre besaß, hatte das Netzwerk KlimaCampus der Universität Hamburg am 19. September 2012 zu einer Pressekonferenz in die Hansestadt geladen. Wohl auch um die Bedeutung des Ereignisses zu unterstreichen, wurden sieben Experten von verschiedenen deutschen Forschungseinrichtungen aufgeboten, um über das denkwürdige Ereignis zu referieren. [2]

Zu den Wissenschaftlern gehörte auch Dr. Lars Kaleschke, Leiter der Arbeitsgruppe für Meereis-Fernerkundungen an der Universität Hamburg. Er stellte erste Meßergebnisse der Eisdicke vor, die bei einer noch laufenden Expedition mit dem Forschungsschiff "Polarstern" in den hohen Norden gewonnen wurden. Die mittlere Eismächtigkeit läge vermutlich bei nur noch 90 Zentimetern, berichtete er. Es seien noch nicht alle Daten ausgewertet, aber es gehe hier wirklich an die Substanz des alten, mehrjährigen Eises in der zentralen Arktis. Gegenüber dem Schattenblick führte Dr. Kaleschke näher aus, warum sich das Meereis plötzlich so stark zurückgezogen hatte. Anfang August 2012 habe man erstmals mit großer Wahrscheinlichkeit sagen können, daß das bisherige Rekord-Minimum von 2007 unterschritten werden würde. "Wenige Tage später war sogar ein großes Tiefdruckgebiet durch die Arktis gezogen, was durch die Wechselwirkung von Ozean und Atmosphäre nochmals enorm viel Eis zum Schmelzen gebracht hat. Dadurch hat sich die Anomalie vergrößert." [3]

Ein halbes Jahr später liegen nun auch Meßergebnisse des Satelliten CryoSat-2 der Europäischen Raumfahrtagentur ESA zur Dicke des arktischen Meereises vor. Dazu gab das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven am 15. Februar dieses Jahres eine Pressemitteilung heraus, derzufolge "die Gesamtmasse des arktischen Meereises im vergangenen Herbst 36 Prozent kleiner war als zur gleichen Zeit in den Jahren 2003 bis 2008". Habe das Herbst-Volumen der Eisdecke bis vor fünf Jahren noch durchschnittlich 11.900 Kubikkilometer betragen, sei es im vierten Quartal des Jahres 2012 auf 7.600 Kubikkilometer geschrumpft. [4] Damit wird eine Aussage Dr. Kaleschkes bestätigt, daß das arktische Meereis "qualitativ" abgenommen hat.

In jedem Winter baut sich die Eisfläche von neuem auf, aber sie besteht nun nicht mehr aus dem mehrjährigen, meterdicken Eis. Das bedeutet, daß die Meereisfläche viel empfindlicher auf höhere Temperaturen der Luft und des Wassers reagiert. Man kennt den Effekt womöglich aus eigener Anschauung: Im Frühjahr kann die relativ geschlossene Eisdecke eines Sees von einem Tag auf den anderen verschwinden, weil sie in den Tagen zuvor bereits großflächig ausgedünnt wurde. Sollte es sich mit dem Meereis in den nordpolaren Breiten ähnlich verhalten, würden wohl die Prognosen der Wissenschaftler, daß die Arktis in 15 bis 20 Jahren im Sommer eisfrei sein wird, noch unterboten.


Grönländisches "Softeis"

In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurde auch von Grönland ein Klimarekord gemeldet: Noch nie seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 war der Eispanzer so großflächig angetaut gewesen wie um den 10./11. Juli herum. Das hat die Wissenschaftler offenbar so aufgerührt oder gar erschüttert, daß sich das National Snow and Ice Data Center (NSIDC) der USA aufgerufen fühlte, ein eigene Website - Greenland today - einzurichten. Dort wird laufend über die Entwicklungen in Grönland berichtet. [5]

Diagramm zum Jahresverlauf 2012 der Eisschmelze auf Grönland - Schaubild: NSIDC, Thomas Molte, University of Georgia

Eisschmelze in Grönland. Blau-gestrichelte Linie: durchschnittliche Eisschmelze 1981 - 2010. Rote Linie: Eisschmelze 2012
Schaubild: NSIDC, Thomas Molte, University of Georgia

Bereits im Mai hatten die Forscher eine außergewöhnliche Eisschmelze beobachtet. Anschließend war die Oberfläche wieder gefroren, doch Mitte Juli waren 97 Prozent der Eisoberfläche Grönlands angeschmolzen. So ein Ausmaß an Eisverlust kannten die Forscher bislang nur aus der Deutung von Eisbohrkernen, die von vergangenen Klimaverhältnisse Zeugnis ablegen. 2012 wurden auch ältere, weiter im Inland liegende Eismassen Grönlands angetaut. Dabei strömte so viel Wasser zusammen, daß in der Nähe des westgrönländischen Orts Kangerlussuaq (grönländisch: Großer Fjord) Brücken und andere Strukturen am Watson River, der in normalen Jahren nur geringe Mengen Schmelzwasser führt, von den Fluten zerstört wurden.

Ähnlich wie bereits seit einigen Jahren ein Rückgang des arktischen Meereises beobachtet wird, hatte sich die Entwicklung auf Grönland seit längerem angekündigt. 2007 und 2010 war es jeweils zu starken Schmelzvorgängen gekommen, aber, wie gesagt, das vergangene Jahr übertraf die früheren Rekorde deutlich.

Blick von einer Anhöhe auf Flughafen und Fluß - Foto: Chmee2/Valtameri, freigegeben als CC-BY-3.0 via WikimediaCommons

Flughafen Kangerlussuaq, Westgrönland. Im Hintergrund der Watson River, Hochwasserphase am 23. Juli 2010
Foto: Chmee2/Valtameri, freigegeben als CC-BY-3.0 via WikimediaCommons

Eisexperten wie Prof. Marco Tedesco von der City University of New York kombinierten verschiedene Meßmethoden miteinander und sprechen von "multiplen Rekorden" im Sommer 2012 auf Grönland. Abgesehen davon, daß die Eisoberfläche fast vollständig angetaut war, dauerte die Schmelzphase bis zu zwei Monaten und war damit deutlich länger als der Durchschnittswert des Zeitraums 1979 bis 2011. Weitere Rekordwerte wurden unter anderem bei der oberflächennahen Temperatur und der Menge an Schmelzwasser verzeichnet. Sollte es häufiger zu meteorologischen Konstellationen wie im Sommer 2012 kommen, dürfte der Meeresspiegelanstieg in den bisherigen Prognosen unterschätzt worden sein, wird von Forscherseite vermutet. [6]

Ein einziger warmer Sommer macht noch kein Klima, eine Serie von warmen Sommern mit entsprechenden Folgen für die Eisdynamik im polaren Norden dagegen läßt auf langfristige klimatische Veränderungen schließen, und es knüpfen sich sofort Fragen an, welche Folgen das für die menschliche Gesellschaft haben könnte. Ein weiterer Anstieg des Meeresspiegels aufgrund der physikalischen Wärmeausdehnung der Ozeane und des verstärkten Zulaufs von Schmelzwasser würde die flachen Inselstaaten im Pazifik sowie flache Küstengebiete rund um den Globus gefährden. Mehr Dürren, Überflutungen und andere Extremwetterereignisse als Folge der globalen Erwärmung sowie ein Rückzug der Hochgebirgsgletscher würde viele Menschen in existentielle Not werfen, da dies unmittelbar ihre Versorgung mit Trinkwasser und Nahrung gefährdet. Da stellen sich Zweifel ein, daß dieser Entwicklung mit dem Erwerb vieler abgasarmer Autos oder einem allgemeinen Verzicht auf Fleisch wirksam entgegengetreten werden kann.


Jetstream trifft auf Prellbock

In einer neueren Forschungsarbeit wird ein Phänomen beschrieben, wonach nicht nur das Meereis durch klimatische Veränderungen beeinflußt wird, sondern auch in umgekehrter Richtung eine Wirkung des Eisverlustes auf großräumige meteorologische Bewegungen stattfinden kann. Demnach wird durch das Verschwinden des arktischen Meereises der Jetstream der Nördlichen Hemisphäre gebremst und gleichzeitig sein Mäandrieren verstärkt.

Jetstream schlängelt sich um Nordhalbkugel der Erde - Darstellung: NASA/GSFC

Darstellung eines stark mäandrierenden Jetstreams
Darstellung: NASA/GSFC

Bei diesem auch polarer Jetstream genannten Phänomen (es gibt noch weitere Jetstreams) handelt es sich um eine kräftige West-Ost-Windströmung in der oberen Troposphäre (in ca. 10 Kilometer Höhe), die sich gewissermaßen um die Nordhalbkugel schlängelt und die Grenze zwischen der kalten Luft der Arktis und der wärmeren der Subtropen markiert. Durch den in seinem Zentrum mitunter über 500 Stundenkilometer schnellen Jetstream werden gewaltige Luftmassen bewegt.

Im vergangenen Jahr konnten sich arktische Luftmassen als Folge eines kräftigen Ausschlags des Jetstreams nach Süden weiter als üblich in die mittleren Breiten hineinschieben. Ein solcher Effekt ist in der Wissenschaft durchaus bekannt, durch ihn kommt es häufiger zu sogenannten meteorologischen Blockaden. Dabei können Jetstreamarme, wenn sie auf ein Hochdruckgebiet treffen, quasi auf sich selbst zurückgebogen werden.

Am 20. Oktober vergangenen Jahres, also nur rund einen Monat nach dem extremen Meereis-Minimum in der Arktis, setzte sich so eine Hochdruck-Blockade über Grönland und dem Nordwestatlantik fest und unterband die üblicherweise sehr kräftige Windströmung über dem östlichen Nordatlantik. Diese Blockade galt nicht nur als außergewöhnlich stark, sondern sie trat auch zu einem überraschend späten Zeitpunkt im Jahr auf.

Karte mit Karibik, Nordamerika und westlichem Atlantik - Schaubild: Cyclonebiskit, freigegeben als public domain via WikimediaCommons

Kurs des Hurrikans Sandy, 19.-25.10.2012. Deutlich zu erkennen ist der plötzliche Knick nach Westen aufs Festland zu. Die Punkte zeigen die Wanderung als 6-Stunden-Intervall. Die Farben geben die maximale Windgeschwindigkeit nach der Saffir-Simpson Hurrikan-Skala an. Dunkelblau = Tropische Depression (< 63 km/h), Hellblau = Tropischer Sturm (63 - 117 km/h), Hellgelb = Kategorie I (118 - 153 km/h), Dunkelgelb = Kategorie II (154 - 177 km/h), Hellorange = Kategorie III (178 - 208 km/h). Die Form der Datenpunkte zeigt die Art des Sturms: Dreieck = außertropischer Zyklon, Kreis = tropischer Zyklon
Schaubild: Cyclonebiskit, freigegeben als public domain via WikimediaCommons


Sandy rüttelt wach

Einige Forscher glauben, daß aufgrund dieser Jetstreamblockade der Hurrikan Sandy im Oktober 2012 nicht den üblichen Weg der Wirbelstürme aus der Karibik genommen hat und über den Atlantik weitergezogen ist, sondern daß er umgelenkt wurde und dann - verstärkt durch einen außertropischen Zyklon -, aufs nordamerikanische Festland traf. Unter der Überschrift "Superstorm Sandy: A Series of Unfortunate Events?" (auf deutsch: Supersturm Sandy: Eine Serie unglücklicher Ereignisse?) schrieben kürzlich Prof. Charles H. Greene von der Cornell Universität, die bereits eingangs erwähnte Jennifer A. Francis und Bruce C. Monger von der Cornell Universität im Fachjournal "Oceanography", daß die Überschwemmungen in New York, Washington und New Jersey sowie der Wintereinbruch im Landesinnern durch den Hurrikan Sandy wahrscheinlich eine Folge der globalen Erwärmung gewesen sind.

In vereinfachter Form begründen die Forscher ihre These so: Die allgemeine Erderwärmung sorgte für den starken Verlust von Meereis in der Arktis, dadurch verlangsamte sich der polare Jetstream und schlug stärker nach Süden aus, was zu einer meteorologischen Blockade über Grönland führte, welche wiederum dem Hurrikan Sandy den Weg nach Osten versperrte, so daß er seine Energie über dem Festland im Westen abgab.

Greene, Francis und Monger konstatieren: "Die Annahme, daß die globale Erwärmung von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung Sandys zu einem extratropischen Supersturm war, ist mindestens ebenso plausibel wie die Vorstellung, daß dieser Sturm einfach nur eine Laune der Natur war". [7]

Rettungsmission der US-Armee in New Jersey, Foto zeigt Küstenabschnitt am 30. Oktober 2012 - Foto: Master Sgt. Mark C. Olsen, U.S. Air Force, freigegeben als public domain via WikimediaCommons

Sandy ertränkt New Jersey und setzt es stellenweise in Brand, ...
Foto: Master Sgt. Mark C. Olsen, U.S. Air Force, freigegeben als public domain via WikimediaCommons

Bei der Abfolge von Ereignissen handelt es sich um keine nachgereichte Erklärung der Wissenschaftler für ein Phänomen wie Sandy. Schon seit einigen Jahren wird vermehrt daran geforscht, welche Folgen die Erwärmung des Nordatlantiks auf den Jetstream und die Wetterentwicklung in Europa und Nordamerika, aber auch auf die Meeresströmungen hat. So schrieb im März 2011 die US-Weltraumbehörde NASA, daß blockierte Jetstreams Wettermuster ausbilden können, "die Überschwemmungen, Dürren und andere Extremwetterereignisse antreiben". [8] Sandy war zweifelsohne ein extremes Ereignis. Mit einem Durchmesser von 1800 Kilometern war er der größte jemals über dem Atlantik beobachtete Wirbelsturm.

Aufgang mit Rolltreppen voll Wasser, 30. Oktober 2012 - Foto: Metropolitan Transportation Authority von New York, freigegeben als CC BY 2.0 nicht portiert via flickr

... um anschließend die New Yorker U-Bahn zu überfluten ...
Foto: Metropolitan Transportation Authority von New York, freigegeben als CC BY 2.0 nicht portiert via flickr

Am 29. Oktober traf Sandy auf das nordamerikanische Festland, nachdem er zuvor eine Reihe von karibischen Inseln überquert hatte. Auf das Konto des Hurrikans gehen 285 Todesfälle, zahlreiche Verletzte und ein Sachschaden in Höhe von schätzungsweise 75 Milliarden Dollar. Die Folgen für den am dichtesten besiedelten Raum der nordamerikanischen Ostküste waren auch deshalb so gravierend ausgefallen, weil beim Eintreffen Sandys Vollmond herrschte, was gewöhnlich eine besonders hohe Flut auslöst.

Der Hurrikan hat etliche US-Bürger wachgerüttelt, und damit sind nicht nur diejenigen gemeint, deren Häuser von dem Wirbelsturm gepackt und geschüttelt wurden, sondern auch jene, die bislang den Standpunkt einnahmen, die globale Erwärmung sei eine Erfindung der Wissenschaftler im Pakt mit der Öko-Industrie. Mag auch der Verdacht berechtigt sein, daß sich in der Green Economy der profitorientierte Kapitalismus fortschreibt, so stellt das keinen Widerspruch dazu dar, daß die Erde zur Zeit einer raschen Veränderung unterliegt, von der man nicht weiß, ob am Ende Verhältnisse eintreten, in denen menschliches Leben noch existieren kann.

Schneebedeckter Hinterhof in Elgin, West-Virginia, 31. Oktober 2012 - Foto: John Schmidt, U. S. Fish and Wildlife Service

... und schließlich West Virginia unter einer dicken Schneedecke zu begraben
Foto: John Schmidt, U. S. Fish and Wildlife Service


2013 - Ausblick ungewiß

Der meteorologische Winter ist nun vorbei. Wie jedes Jahr wird die arktische Eisfläche, die sich jahreszeitlich bedingt ausgedehnt hat, in den nächsten Monaten wieder schrumpfen, und auf dem grönländischen Eispanzer werden Schmelzvorgänge einsetzen. Auch wenn Wissenschaftler zu dieser Jahreszeit nicht zu prognostizieren wagen, wie sich das Meereis in diesem Sommer wohl entwickeln wird, geht aus den Daten des NSIDC hervor, daß der Eisrückgang bereits auf einem niedrigen Niveau ansetzen wird. Im Januar 2013 betrug die arktische Meereisfläche 13,78 Mio. km² und lag damit 1,06 Mio. km² unter dem Januar-Durchschnittswert von 1979 bis 2000. Zugleich handelt es sich um die sechstniedrigste Meereisausdehnung im Januar seit Beginn der Satellitenbeobachtung. Die letzten zehn Jahre (2004 bis 2013) sind die Jahre mit den zehn niedrigsten Eisausdehnungen dieses Monats.

Über weiten Teilen des Nordpolarmeeres ist die Lufttemperatur (auf dem Luftdruckniveau von 925 Hektopascal, was 1000 Meter über dem Meeresspiegel entspricht) 2 - 5 Grad Celsius höher als im Durchschnitt. [9] Auch über Grönland, vor allem an der Westküste der Insel, werden um 1,5 bis 2 Grad höhere Temperaturen gemessen. [5]

Diagramm: National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Ausdehnung des Meereises von Dezember bis April im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000 (graue Linie), vom Jahreswechsel 2011/2012 (grün gestrichelte Linie) und 2012/2013 (blaue Linie)
Diagramm: National Snow and Ice Data Center (NSIDC)

Das Leben der Bewohner der Arktis, der Inuit, hat sich bereits deutlich verändert, weil sich das Klima gewandelt hat. Das Motorboot und andere Fortbewegungsmittel ersetzen den Hundeschlitten, da der Schnee fehlt. Das Fleisch kann nicht mehr zum Trocknen nach draußen gehängt werden, weil es von Parasiten befallen wird, für die es bislang in der Arktis zu kalt zum Überleben war. Und den Inuit gehen Fische ins Netz, für die sie keinen Namen haben, weil sie ursprünglich aus wärmeren Meeresgebieten eingewandert sind.

Das Wissen der Alten über heraufziehende Unwetter stimmt nicht mehr. Von so einem "Wissensnotstand" sind jedoch nicht nur die Inuit betroffen. Auch Klimaforscher greifen schon mal daneben, ungeachtet des riesigen apparativen Aufwands, mit dem sie ihre Prognosen erstellen. Viele der Worst-case-Szenarien wurden von der Wirklichkeit übertroffen, sagte vor vier Jahren der Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Hans Joachim Schellnhuber, im Gespräch mit der "Zeit". [10]

Da eine typische Folge des Klimawandels darin besteht, daß vieles von dem, was zuvor als gesicherte Erkenntnis galt, nunmehr verworfen werden muß, soll hier konsequenterweise auch von einer Prognose zur diesjährigen Klimaentwicklung in den hohen Breiten Abstand genommen werden. Die aktuellen Daten zur Eisausdehnung in der Arktis und den Temperaturen auf Grönland zeigen, daß die Trends aus den Vorjahren anhalten.


Fußnoten:

[1] http://e360.yale.edu/feature/linking_weird_weather_to_rapid_warming_of_the_arctic/2501/

[2] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0028.html

[3] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0036.html

[4] http://www.awi.de/de/aktuelles_und_presse/pressemitteilungen/detail/item/new_satellite_shows_the_decline_of_arctic_sea_ice_more_more_accurately/?tx_list_pi1%5Bmode%5D=6&cHash=12556c85520376b43dc5829cc110de36

[5] http://nsidc.org/greenland-today/

[6] http://www.the-cryosphere-discuss.net/6/4939/2012/tcd-6-4939-2012.pdf

[7] http://www.news.cornell.edu/stories/March13/GreeneSandy.html

[8] http://www.nasa.gov/topics/earth/features/blocking-atlantic.html

[9] http://nsidc.org/arcticseaicenews/2013/02/a-wintry-mix/

[10] http://www.zeit.de/2009/14/DOS-Schellnhuber/komplettansicht

8. März 2013