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KLIMA/546: Wärmeschwall im antarktischen Randmeer (SB)


Jüngere Forschungsergebnisse bestätigen beschleunigten Wärmetrend in der Antarktis



Im Unterschied zur Arktis, in der das Meereis in den letzten Jahrzehnten sowohl von seiner Ausdehnung als auch seiner Mächtigkeit her stark abgenommen hat, ist das Meereis in der Antarktis gewachsen. Und das, obwohl im gleichen Zeitraum die Wasser- und Lufttemperaturen an vielen Stellen des südlichen Kontinents gestiegen sind. Ein Erklärungsversuch zu diesem scheinbaren Widerspruch lautet, daß die Gletscher aufgrund der höheren Temperaturen schneller ins Meer fließen und das Eis schneller abtaut als in der Vergangenheit - das gilt vor allem für die Westantarktis -, und daß durch eben diesen vermehrten Süßwassereintrag der Salzgehalt der zirkumantarktischen Meeresgebiete abnimmt. Weniger Salz bedeutet, daß das Eis schneller gefriert, genauer gesagt, daß das Wasser tatsächlich bei Null Grad Celsius gefriert und nicht aufgrund des Salzes erst bei einer tieferen Temperatur. Wiederum als Folge dieses Effekts wächst die Meereisfläche - nicht trotz, sondern wegen der höheren Temperaturen.

Würde der im Durchschnitt 2100 Meter dicke Eispanzer der Antarktis vollständig abschmelzen, stiege der Meeresspiegel weltweit um 60 Meter. Die jüngsten wissenschaftlichen Meldungen aus dem eiskalten Süden bestätigen den bisher beobachteten Erwärmungstrend: Auf dem westantarktischen Schelf steigen die Temperaturen schneller als bislang angenommen, stellte eine Forschergruppe des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zusammen mit Kollegen aus Großbritannien, den USA und Japan fest. Ihre Studie wurde im November im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlicht. Ebenfalls im vergangenen Monat schrieb die Forschergruppe in "Nature Geoscience", daß sie "Wirbel" unter dem Eis und eine starke vertikale Vermischung der Wassermassen beobachtet habe und die Prozesse, die sie dort erstmals nachweisen konnte, "bisher durch alle Messraster durchgefallen" seien. Das werde den Wärmehaushalt der gesamten Antarktis beeinflussen und habe Einfluß auf die Schmelze der Eisschelfe, sagte der Erstautor der Studie, der GEOMAR-Wissenschaftler Dr. Sunke Schmidtko. [1]

Als Schelf bezeichnet man die vom Meer überspülten Kontinentalbereiche. Die sogenannten Schelfmeere, wie zum Beispiel die Nordsee, sind relativ flach, im Bereich der Antarktis auch großflächig vereist. Wenn dort die Meerestemperatur steigt, dürfte das darauf hinauslaufen, daß das Meereis in der Westantarktis stärker als bisher von unterwärts angeschmolzen wird und die Gletscher in Bewegung geraten. "Dort liegen viele große Gletscher. Die erhöhten Temperaturen haben das Abtauen und Abrutschen dieser Gletscher in den letzten Jahrzehnten beschleunigt und es ist nicht abzusehen, dass dieser Trend nachlässt", erklärte Schmidtko laut einer GEOMAR-Pressemitteilung. [2]

Jenseits des westantarktischen Kontinentalhangs, in größerer Meerestiefe, existiert eine mit 0,5 bis 1,5 Grad Celsius relativ warme Meeresströmung, die in Höhe der Amundsen- und Bellingshausen-See auf den Schelf "schwappt". Eben dort befinden sich Gletscher, die schon länger einer beschleunigten Schmelze unterliegen, berichtete Co-Autorin Professor Karen Heywood von der University of East Anglia. Sie und ihre Kollegen vermuten naheliegenderweise, daß beide Phänomene zusammenhängen und daß in Zukunft, sollte weiterhin verstärkt wärmeres Wasser in die Schelfmeere gelangen, die Gletscher noch schneller abschmelzen. "Das hätte dann Auswirkungen auf die Geschwindigkeit des weltweiten Meeresspiegelanstiegs", warnt Heywood.

Wenn in der Fachliteratur von einer Gletscherschmelze am südlichen Kontinent die Rede ist, dann bezieht sich das in der Regel auf die Westantarktis. Die Autoren der aktuellen GEOMAR-Studie, in der die Meßergebnisse und Beobachtungen einer jahrzehntelangen Antarktisforschung eingeflossen sind, befürchten nun, daß sich der Trend zur Erwärmung des zirkumantarktischen Randmeeres von der Westantarktis ausgehend fortsetzen könnte und daß eines Tages auch zum Beispiel das Weddell-Schelfmeer, das zur Zeit noch Temperaturen von rund minus 1,5 Grad Celsius aufweist, vom Wärmetrend betroffen sein wird. Daraufhin würden möglicherweise auch das Filchner- und das Rönne-Eisschelf von unten her angeschmolzen, sich vom Festland lösen und so den Weg für die Gletscher freimachen.

Die Temperaturen im Weddellmeer sind niedrig, jedoch nicht konstant. Bereits vor fünf Jahren meldeten GEOMAR-Forscher, daß der sehr kräftige Meeresstrom, der aus diesem antarktischen Schelfmeer durch den sogenannten Vema-Kanal fließt - einem nach Norden weisenden Tiefseecanyon im Südatlantik, östlich von Rio de Janeiro -, in den letzten Jahrzehnten um durchschnittlich 0,04 Grad gestiegen ist. [3]

Vermutlich klingt das für einen Hobbyaquarianer, der das Becken für seine Guppys von 20 auf 22 Grad Celsius erwärmen will und kurzerhand die Heizung einschaltet, nicht besonders aufregend. Tiefseeforscher hingegen, die ein um mehrere Potenzen größeres "Aquarium" beobachten und darin Messungen vornehmen, wissen, daß riesige Wärmeflüsse im Spiel sein müssen, um in der Tiefsee einen Temperaturanstieg von 0,04 Grad Celsius zu erreichen. Auch hier stellt sich den Forschern die Frage, ob "der Temperaturtrend natürliche Ursachen hat oder sich auch dort schon die globale Erwärmung bemerkbar macht". Dazu seien noch weitere Messungen notwendig, so der damalige GEOMAR-Forschungsleiter Dr. Walter Zenk.

Nicht in Tausenden von Jahren wird der teils mehrere Kilometer dicke Eispanzer auf der Antarktis abschmelzen, behaupten Wissenschaftler, und sie berufen sich dabei ... worauf eigentlich? Wie aussagekräftig sind die sogenannten Proxydaten, die zum Beispiel aus Eisbohrkernen und Sedimentablagerungen gewonnen werden und mit denen die Forscher ihre Computer füttern, um die Interpretation geologisch vorzeitlicher Klimate zu interpolieren und Projektionen für mögliche zukünftige Entwicklungen zu erstellen?

Ungeklärt ist nach wie vor, warum sich das Meer außerhalb der antarktischen Schelfgebiete erwärmt. Laut Dr. Schmidtko vermuten die Forscher, daß das "mit großräumigen Veränderungen der Windsysteme über der Südhalbkugel" zusammenhängt, aber "welche Prozesse im Einzelnen dabei eine Rolle spielen, muss in zukünftigen Studien noch genauer betrachtet werden".

Das Erklärungsangebot "großräumige Veränderungen der Windsysteme" ruft geradezu nach der Anschlußfrage, wodurch wiederum diese Veränderungen ausgelöst werden. Hat es damit zu tun, daß Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas die langwellige Wärmerückstrahlung der Erde aufhalten, was als Hauptursache der globalen Erwärmung gilt? Verändert sich die Aktivität der Sonne? Gibt es Verschiebungen der Erdachse, so daß sich die Südhalbkugel stärker der Sonne zudreht oder sich mehr von ihr abwendet?

Oder wurden in der Vergangenheit noch unbekannte "tipping points" - Schwellenwerte - überschritten, deren Folgen erst jetzt entdeckt werden und die nicht mehr rückgängig zu machen sind? Letzteres ist insofern gar nicht so abwegig, zumal diese Woche Forscher der Universität von Exeter berichteten, daß sie Frühwarnsignale für einen "profunden Einfluß auf das globale Klimasystem", die erst in bis zu 250 Jahren zu einem Kollaps führen können, festgestellt haben. [4]

Hier wäre im Umkehrschluß zu fragen, ob die Wissenschaft alle Frühwarnsignale kennt, die vor, sagen wir, rund 250 Jahren und damit zu einer Zeit, als der Seefahrer und - aus der Sicht des britischen Imperiums - "Entdecker" James Cook auf der Drei-Mast-Bark "Endeavour" erstmals die Südsee bereiste, aufgetreten sind. Diese Frage muß wohl angesichts der noch immer dürftigen Datenlage zur Antarktis verneint werden.

Wenn die Ausdehnung des Meereises ein Hinweis auf wärmeres Wasser ist, dann könnte das auch für die - vor kurzem umfangreich erkundete - Dicke des Meereises gelten. Im November berichtete eine internationale Forschergruppe um Guy Williams von der Universität von Tasmanien in Hobart im Fachmagazin "Nature Geoscience", daß sie mit Hilfe eines Sonars auf dem autonomen Unterwasserroboter SeaBED erstmals in diesem Umfang die Dicke des antarktischen Meereises von unterwärts gemessen hat. Dabei stellte sich heraus, daß es mit bis zu 16 Metern mächtiger ist als bisher angenommen. Bisherige Daten hierzu gelten als ungenau, weil sie entweder auf der Fernerkundung per Satellit oder auf nur im beschränkten Ausmaß zu gewinnenden Bohrkernen oder Beobachtungen von Bord eines Schiffes aus beruhen.

Bislang haben die Forscher mit SeaBED nur einen kleinen Teil des Meereises - insgesamt 500.000 Quadratmeter, verteilt über drei Flächen Weddell- und Bellingshausensee und Wilkes Land - ausgemessen. In weiteren Expeditionen wollen die Forscher nun feststellen, ob ihre Beobachtung auch für die anderen Meereisgebiete der Antarktis gilt. [5] Williams erklärte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: "Was wir jetzt machen müssen, ist unsere Messungen auszuweiten auf viel größere Gebiete. Und auch Zeitreihen aufzubauen, damit wir Veränderungen beobachten können. Es ist ein großer Schritt hin zu Routinemessungen, die wir machen müssen, wenn wir wirklich Fragen beantworten wollen wie: Wie dick ist das Antarktische Meereis? Und verändert sich diese Dicke?" [6]

Für die Amundsensee kann man jedenfalls sagen, daß die Gletscherschmelze deutlich an Tempo zugelegt hat. Einer gemeinsamen Studie der kalifornischen Universität Irvin (UCI) und des NASA-Labors JPL zufolge schmolzen dort seit 1992 jährlich 6,1 Milliarden Tonnen Eis ab, zwischen 2003 und 2009 erhöhte sich die geschmolzene Eismasse auf 16,3 Milliarden Tonnen. [7]

Sollte der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um einen Meter oder mehr steigen, wie in gängigen wissenschaftlichen Klimasimulationen angenommen wird, dann werden nicht nur flache Küstengebiete und Inseln vom Meer verschlungen, sondern auch Trinkwasservorkommen (Brunnen, Grundwasserspeicher) durch sogenannte Salzwasserintrusion verdorben. Das gesamte Schadensausmaß, das durch einen um einen Meter höheren Meeresspiegel ausgelöst wird, wäre enorm. Sich zu schützen erforderte entsprechend hohe Summen.

Die Bundesrepublik Deutschland, die Niederlande und andere wohlhabendere Staaten fangen jetzt schon an, sich auf ein solches Szenario vorzubereiten, indem sie die Deiche erhöhen oder Konzepte zu schwimmenden Städten entwerfen und deren Umsetzung testen. Ärmere Länder verfügen nicht über die dazu erforderlichen Mittel. Deshalb sollen sie Unterstützung mittels eines "Grünen Klimafonds" (Green Climate Fund) in Höhe von inzwischen über zehn Milliarden Dollar erhalten: "Mit dem Geld will die Staatengemeinschaft armen Ländern helfen, weniger Treibhausgase auszustoßen und die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Zu diesen Folgen gehören die Ausbreitung der Wüsten, mehr Unwetter und der steigende Meeresspiegel", schrieb die Website euractiv.de. [8]

Aber erstens sind die kürzlich beschlossenen Finanzierungszusagen von den Entwicklungsländern nicht einklagbar und zweitens ist das eine verschwindend kleine Summe angesichts des Bedarfs. Zum Vergleich: Allein die drei norddeutschen Flächenstaaten Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern geben für Küstenschutz jährlich rund 160 Millionen Euro aus. Darin ist die sehr kostspielige Erhöhung der Deiche noch nicht einmal enthalten.

Selbst die Summe von 100 Mrd. Dollar jährlich, die ab 2020 unter anderem durch den Green Climate Fund eingesammelt werden soll, um den Entwicklungsländern im Kampf gegen den Klimawandel zu helfen, ist - verteilt über mehrere Dutzend bedürftige Staaten - ein geringer Betrag angesichts der vermutlich Jahr für Jahr weiter zunehmenden Klimawandelfolgen.


Fußnoten:

[1] http://www.geomar.de/news/article/wirbel-unter-dem-eis/

[2] http://www.geomar.de/news/article/antarktis-waerme-kommt-aus-der-tiefe/

[3] http://www.geomar.de/news/article/fiebermessen-im-suedatlantik/

[4] http://www.spacedaily.com/reports/Early_warning_signals_of_abrupt_climate_change_999.html

[5] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-18283-2014-11-25.html

[6] http://www.deutschlandfunk.de/klimaerwaermung-antarktisches-meereis-ueberraschend-dick.676.de.html?dram:article_id=304337

[7] http://derstandard.at/2000008935733/Gletscher-in-sensibler-Antarktis-Region-schmelzen-immer-schneller?ref=rss

[8] http://www.euractiv.de/sections/energie-und-umwelt/klimagipfel-zehn-milliarden-dollar-fuer-klimafonds-310711

12. Dezember 2014