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KLIMA/577: Erdklima reagiert sensibler auf CO2 als angenommen (SB)


Was das Eozän-Klimaoptimum mit dem Kohlekraftwerk Moorburg zu tun hat ...


Im Vorfeld des Klimagipfels in Paris, der Ende des Monats beginnt, wurden schon einige wissenschaftliche Studien veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß sich das Klima womöglich sehr viel schneller wandeln und die Folgen gravierender aufallen könnten als bisher angenommen. [1] Zugleich zeigen jene Studien, wie sehr die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Fluß sind. Das versucht die Forschung zwar durch verschiedene Projektionen mit jeweils unterschiedlichen Parametern zu berücksichtigen und spricht in der Regel von einer "Wahrscheinlichkeit", daß ein bestimmtes Ereignis eintritt, allerdings sind einige der Worst-case-Szenarien der 1990er Jahre inzwischen eingetroffen, was gewissermaßen neue Worst-case-Szenarien erfordert, die ihre Vorläufer deutlich übertreffen. Das ist ein Hinweis darauf, daß der Klimawandel schneller voranschreiten könnte als angenommen.

Hierzu passen die Untersuchungsergebnisse, über die eine Forschergruppe des Department of Geological Sciences and Environmental Studies der Binghamton Universität im Fachjournal "Geology" [2] berichtet: Vor gut 50 Millionen Jahren, während des sogenannten frühen Klimaoptimums des Eozäns (early Eocene climatic optimum, EECO), war der Anteil des Treibhausgases CO2 an der Erdatmosphäre möglicherweise nur halb so hoch wie bislang vermutet. Das könne bedeuten, daß das Erdklima einst sehr viel empfindlicher auf Veränderungen der CO2-Konzentration reagiert habe.

Die Autoren Elliot A. Jagniecki, Tim K. Lowenstein, David M. Jenkins und Robert V. Demicco drücken sich vorsichtig aus, weil sie davon ausgehen müssen, daß es für die Annahme einer doppelt so hohen CO2-Konzentration während des Eozäns ebenfalls stichhaltige Anhaltspunkte gibt.

Die Forschergruppe hat Nahcolith-Mineralien (NaHCO3, chemisch Natriumhydrogencarbonat) aus Evaporiten (Gesteinen, die als Folge von Verdunstungen entstanden sind) der geologischen Green River Formation im Piceance Creek Basin des US-Bundesstaats Colorado untersucht. In früheren Arbeiten hatten Forscher von diesen Mineralien auf einen CO2-Gehalt der Atmosphäre von mindestens 1125 ppm (parts per million) geschlossen. Die jetzige Forschergruppe kommt hingegen auf einen Wert von 680 ppm.

Ihre Daten lassen auf einen "kausalen Zusammenhang" zwischen einer erhöhten CO2-Konzentration der Atmosphäre - jedoch auf einem "signifikant niedrigeren" Niveau -, und der globalen Erwärmung im frühen Eozän schließen, schreiben die Forscher und konstatieren: Die früheren Klimaverhältnisse der Erde haben wahrscheinlich sehr sensibel auf eine Verdoppelung des atmosphärischen CO2-Gehalts reagiert.

Das ist eine bedenkenswerte Nachricht, denn gegenwärtig steigt der CO2-Gehalt beschleunigt an und hat in diesem Frühjahr bereits bei einer Reihe von Meßstationen die Schwelle von 400 ppm überschritten. Damit gilt das sogenannte 2-Grad-Ziel, also die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, nur noch als zu 70 Prozent erreichbar. Beim bevorstehenden Klimagipfel in Paris verhandeln die Staats- und Regierungschef darüber, wie die menschenverursachten CO2-Emissionen auf 450 ppm beschränkt werden können. Bei diesem Wert wäre das 2-Grad-Ziel nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent einzuhalten.

Bei einem Weiter-so-wie-bisher steigt die globale Durchschnittstemperatur sogar um rund 4,5 Grad, was einer CO2-Konzentration zwischen 970 und 1250 ppm entspricht.

Die bisher von den einzelnen Staaten vorgelegten nationalen Klimaschutzzusagen (INDC, Intended Nationally Determined Contributions) laufen, sofern sie eingehalten werden, auf einen Temperaturanstieg von 2,7 Grad hinaus, berichtet das Bundesumweltministerium. [3] Bisherigen Abschätzungen zufolge läge die CO2-Konzentration dann zwischen 575 und 670 ppm. Die Website Climate Interactive geht aufgrund ihrer Berechnungen der INDCs sogar von einem Temperaturanstieg um 3,5 Grad aus. [4] In beiden Fällen würde man sich also auf einen Wert begeben, der nach Ansicht der Forschergruppe der Universität Binghamton "ursächlich" zu einer CO2-Konzentration von 680 ppm geführt hat.

Was bedeutet das?

Wenn die CO2-Konzentration tatsächlich ausschlaggebend für die globale Durchschnittstemperatur wäre, dann würde diese erneut auf die des frühen Eozän-Klimaoptimums und damit auf rund 28 Grad Celsius hochschnellen! Zum Vergleich: die heutige Durchschnittstemperatur liegt bei rund 15 Grad.

Die Wissenschaft vermutet, daß der Meeresspiegel während des Eozäns, als die Polkappen vollständig abgeschmolzen waren, um bis zu 70 Meter höher lag als heute. Es versteht sich von selbst, daß so eine Entwicklung unbedingt verhindert werden muß, wollte man massive gesellschaftliche Zerwürfnisse aufgrund der zu erwartenden katastrophalen Versorgungslage der Menschheit vermeiden. Zu verhindern ist der Erwärmungstrend nach Ansicht der Wissenschaft nur dann, wenn noch innerhalb dieses Jahrzehnt eine Trendumkehr eingeleitet und der Ausstoß der CO2-Emissionen deutlich zurückgefahren wird. Würde so eine Trendumkehr erst im kommenden Jahrzehnt eingeleitet, würde das eine Vollbremsung erforderlich machen, die voraussichtlich ebenfalls gesellschaftliche Bruchlinien aufreißen würde.

Angesichts solcher Aussichten ist es nicht nachvollziehbar, daß die Hansestadt Hamburg diese Woche den Betrieb des neuen Kohlekraftwerks Moorburg offiziell eröffnet hat. Die Anlage emittiert bei voller Auslastung nicht "nur" über eine Tonne hochtoxischen Quecksilbers und mehrere Tonnen Feinstaub pro Jahr, sondern auch 8,5 Mio. Tonnen CO2 - das entspricht gut der Hälfte dessen, was Hamburg bereits an CO2 emittiert. [5]

Doch ganz so dramatisch wird es vielleicht nicht. Wegen der steigenden Produktion von sogenanntem Ökostrom ist damit zu rechnen, daß Moorburg vielleicht nur zur Hälfte ausgelastet wird. Der Beitrag von "Europas Umwelthauptstadt 2011" zum Klimaschutz könnte dann so lauten: Wir bauen ein riesiges Kohlekraftwerk, verdoppeln sogar noch während der Planung seine Kapazität und könnten damit den Klimawandel gehörig anheizen, tun es aber nicht, da wir CO2-Emissionen sparen wollen. Deshalb fahren wir nur mit halber Kraft.

Läßt sich daraus nicht ein Geschäftsmodell für den Betreiber Vattenfall stricken, um billig an Klimazertifikate für "nicht in Anspruch genommene CO2-Emissionen" einzustreichen? Aber nein, der Deal lautet anders: Vattenfall erhält für die von der Regierung angeordnete Stillegung von zwei älteren Braunkohlemeilern in der Lausitz über 600 Millionen Euro Entschädigung. Dadurch werden nach Berechnungen von Greenpeace rund vier Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das entspricht in etwas der halben Auslastung des Kkw Moorburg ...


Fußnoten:

[1] Beispielsweise hier:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umkl-560.html

[2] http://geology.gsapubs.org/content/early/2015/10/23/G36886.1.full.pdf+html

[3] www.bmub.bund.de/N52442/

[4] https://www.climateinteractive.org/tools/scoreboard/

[5] http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/kohlekraftwerk-moorburg-festakt-fuer-das-co2-monster-a-1063235.html

20. November 2015


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