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KLIMA/660: Wetter - Das Jahr der Rekorde und Ignoranten ... (SB)



Die seit April dieses Jahres anhaltende Dürre in Teilen Nordeuropas und Serie an Hitzerekorden vom Mittleren Osten bis Kanada läßt allzu leicht in Vergessenheit geraten, daß bereits im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Wetterrekorden und Klimafolgeschäden registriert wurde. Das Ausmaß der extremen Ereignisse zeigt eindrücklich der jährlich erscheinende State of the Climate Report. Der jüngste, vor wenigen Tagen erschienene Bericht wurde von über 450 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehr als 60 Ländern erstellt und handelt ausgerechnet von jenem Jahr, in dem sich die Regierung unter dem frisch vereidigten US-Präsidenten Donald Trump von dem internationalen Klimaschutzprotokoll von Paris verabschiedet und den Weiterbau von zwei hoch umstrittenen Erdölpipelines - Keystone XL und Dakota Access Pipeline - angeordnet hat. Entscheidungen, die den Auftakt zu einem ungeheuren Rollback in nahezu sämtlichen Bereichen der Umweltgesetzgebung der Vereinigten Staaten bildeten.

In dem 300seitigen State of the Climate Report 2017 [1], der unter Federführung der Nationalen Behörde für Ozeanisches und Atmosphärisches (NOAA - National Oceanic and Atmospheric Administration) zusammengestellt und von der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft (AMC - American Meteorological Society) herausgegeben wurde, wird für das Jahr 2017 festgestellt:

- Die Emissionen der drei wichtigsten menschengemachten Treibhausgase, Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O), sind auf Rekordhöhe gestiegen. Seit Anfang der 1960er Jahre hat sich die Geschwindigkeit der CO2-Zunahme vervierfacht. Gegenwärtig beträgt die CO2-Konzentration global im Durchschnitt 405 ppm (parts per million, z. Dt.: Teile auf eine Million). Ein so hoher Wert war in den letzten 800.000 Jahren nicht aufgetreten, wie aus Eisbohrkernen hergeleitet wird.

- 2016 war zwar das heißeste Jahr seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen, aber 2017 lag global gerechnet nur knapp an zweiter Stelle oder, nach einer anderen Berechnungsmethode, auf Platz drei. In Argentinien, Bulgarien, Spanien, Uruguay und Mexiko wurden nationale Hitzerekorde registriert.

- Normalerweise werden während des Südsommers im Januar in der südargentinischen Stadt Puerto Madryn Temperaturen von durchschnittlich 21 Grad Celsius gemessen. 2017 kletterte die Quecksilbersäule jedoch auf 43,4 Grad, den weltweit höchsten jemals so weit südlich (43° südl. Breite) gemessenen Wert.

- Auf der Nordhalbkugel wurden am 28. Mai in Turbat, Westpakistan, 53,5 Grad gemessen - der höchste jemals in einem Mai registrierte Wert.

- Auch die Arktis war extrem heiß, obwohl sie aufgrund der Winkelverhältnisse der Erde zur Sonne sogar im Sommer keine starke Einstrahlung erfährt. Soweit sich das rekonstruieren läßt, waren Luft und Wasser in der Arktis in den letzten 2000 Jahren nicht so warm wie 2017.

- An erster Stelle lag 2017 unter all den Jahren, in denen kein El-Niño-Phänomen, das ansonsten für hohe Temperaturen sorgt, eintrat.

- Die globalen Hitzerekorde zeigen einen Trend. So ereigneten sich die zehn wärmsten Jahre seit 1998, und seit 2014 wurden sogar die wärmsten vier Jahre gemessen.

- Die Niederschlagsmenge lag weltweit gerechnet deutlich über dem Durchschnitt. Als Grund dafür nennt der Report eine höhere Verdunstungsrate in Folge der Erwärmung. Die Niederschläge waren allerdings ungleich verteilt: In manchen Regionen hat Dürre vorgeherrscht, in anderen hat es zuviel geregnet. Beispielsweise sind in Indien während des Monsuns mehr als 800 Menschen umgekommen. Auch in Venezuela und Nigeria kam es zu massiven Regenfällen.

- Der Hurrikan Harvey hat Texas und Louisiana Rekordregenfälle beschert, die Hurrikane Irma und Maria sorgten auf einer Reihe von Karibikinseln für weitreichende Zerstörungen.

- Die Gletscher weltweit sind das nun 38. Jahr in Folge geschrumpft. Im Durchschnitt hat ihre Mächtigkeit seit 1980 um 22 Meter abgenommen.

- In früheren Jahren hatte sich das Meereis der Antarktis sogar noch ausgedehnt, doch 2017 war die Fläche geschrumpft. Auch bei der arktischen Meereisausdehnung wurde zumindest für den Monat Mai ein Minimum verzeichnet. In keinem Vergleichsmonat seit Beginn der Aufzeichnungen gab es weniger Meereis.

- Die Wärmeaufnahme der Erde und das Abschmelzen von Gletschern und Eispanzern lassen sich auch am Anstieg des Meeresspiegels ablesen. Er stieg 2017 zum sechsten Mal in Folge auf Rekordhöhe. Demnach ist der Meeresspiegel 7,7 cm höher als 1993.

- Von Juni 2014 bis Mai 2017 fand das "längste, am meisten verbreitete und mit ziemlicher Sicherheit zerstörerischste" Korallensterben seit Aufzeichnungsbeginn statt.

- Die Zahl der Waldbrände war zwar global gerechnet so gering wie seit 2003 nicht mehr, doch regional sehr verheerend. Beispielsweise im Westen der USA, in der kanadischen Provinz British Columbia, in Portugal und Spanien.

Selbst wenn man die menschengemachten Treibhausgasemissionen auf heutigem Niveau halten könnte, würden die Meere noch Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende ansteigen. Das hätte dramatische Folgen für flache Inseln, niedrig gelegene Küstengebiete und eine Reihe von Millionenstädten, die am Meer gebaut sind. Deshalb erweist sich die Vorstellung, die Menschheit habe noch einige Jahre Zeit, sich von der Verbrennung fossiler Energieträger - dem Hauptfaktor menschengemachter Treibhausgasemissionen - zu verabschieden, als Fehleinschätzung. Den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf 2040 zu verschieben zeugt von einer ausgeprägten Verantwortungslosigkeit vor allem gegenüber den Menschen im globalen Süden, deren Staaten durch den Anstieg des Meeresspiegels existentiell gefährdet sind. So rechnen die Marshall-Inseln damit, daß sie gegen Mitte dieses Jahrhunderts untergehen werden.

Die Erwartung, im Laufe dieses Jahrhunderts der Atmosphäre aktiv CO2 entziehen zu können und dadurch die selbstgesteckten Klimaziele noch zu erreichen, obgleich man sie zuvor überschritten hat, sei eine "hochriskante Strategie", so der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, gegenüber dem Schattenblick [2]. Denn bis dahin habe man vielleicht irreversible Prozesse in Gang gesetzt. Selbst wenn man den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entferne, würde beispielsweise die Ozeanversauerung noch Jahrtausende anhalten.

Auch sein designierter Nachfolger, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, hat bereits vor vier Jahren bei der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe III zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ein rasches Handeln der Politik angemahnt. Der Chefökonom des PIK schätzte es damals nicht so ein, daß wir uns bereits in eine "irreversible Situation" verrannt haben [3], hegt aber die Vorstellung eines Klimaschutzes, bei der der Erdatmosphäre aktiv Kohlendioxid entzogen und dieser mit der Bindung von Kohlenstoff in Bäumen oder der Herstellung von Biokohle verknüpft werden könnte [4].

Schellnhuber wie Edenhofer stehen für einen Standpunkt, den weltweit die große Mehrheit an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, auch in den USA, teilt: Die Politik muß rasch handeln, um dramatische Entwicklungen, wie sie der Klimazustandsbericht 2017 bereits ahnen läßt, zu vermeiden.

In Norddeutschland und anderen Regionen des nördlichen Europas hat es in diesem Jahr seit April nicht oder nur an ganz wenigen Tagen geregnet. Andere Weltregionen melden abgesehen von Dürre auch Extremhitze. Falls im nächsten Jahr, trotz der Ignoranten in der gegenwärtigen US-Regierung, ein weiterer State of the Climate Report veröffentlicht wird, kommt er vermutlich mit 300 Seiten nicht mehr aus ...


Fußnoten:

[1] https://www.ametsoc.net/sotc2017/StateoftheClimate2017_lowres.pdf

[2] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0096.html

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0098.html

6. August 2018


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