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KLIMA/661: Methan - Sprudelnde Aussichten ... (SB)



Foto: Jacques Descloitres, MODIS Land Rapid Response Team / NASA

Links im Bild die eisbedeckte Laptewsee, in der Mitte die Neusibirischen Inseln, rechts das Ostsibirische Schelfmeer.
Echtfarbenaufnahme des MODIS-Instruments auf dem Terra-Satelliten vom 3. Juli 2001.
Foto: Jacques Descloitres, MODIS Land Rapid Response Team / NASA

Vor einigen Wochen wurden an vielen Orten der Erde Hitzerekorde gemeldet, darunter auch Ostsibirien. Dort kletterten die Temperaturen auf 32 Grad und lagen damit 20 Grad über dem Normalwert für diese Region [1]. Da stellt sich die Frage, welche Folgen die Hitzewelle für den Permafrost hat, der bislang riesige Mengen des Treibhausgases Methan daran hindert, aufzusteigen und in die Atmosphäre zu entweichen.

Seit einigen Jahren ist es still geworden um die Methanfreisetzung vom Ostsibirischen Kontinentalschelf. Bereits im Jahr 2010 hatte eine Forschergruppe um Dr. Natalia Shakhova von der Universität von Fairbanks in Alaska berichtet, daß sich der Permafrost zurückzieht und Gasblasen vom Untergrund aufsteigen [2]. Auch wenn das Thema seitdem nicht wieder so hochgehängt wurde, daß es die Titelseiten der Journale und Zeitschriften gefüllt hätte, bedeutet das nicht, daß die Gefahr einer beschleunigten Freisetzung von Methan heute anders einzuschätzen wäre als damals. Sicherlich würde ein einziger warmer Sommer wie in diesem Jahr den seit der letzten Eiszeit und damit seit vielen tausend Jahren erhalten gebliebenen Permafrost nicht plötzlich auflösen. Dennoch dürfte 2018 den Trend zur Erwärmung und somit die Geschwindigkeit des Permafrostschwunds ein kleines bißchen verstärken. Und es geht um nichts weniger als die vermutlich größten Methanvorkommen in der Welt.

Mit rund zwei Millionen Quadratkilometern ist der Ostsibirische Schelf das größte unter den arktischen Schelfgebieten. Während der letzten Eiszeit, die vor rund 115.000 Jahren einsetzte und vor etwa 11.600 Jahren endete, war in den polaren Regionen und den Hochgebirgen soviel Wasser in Form von Schnee und Eis gebunden, daß der globale Meeresspiegel 120 Meter tiefer lag als heute. Mit dem Ende der Eiszeit und dem Übergang zur heutigen Warmzeit schwoll das Meer an. Vor 8.000 bis 9.000 Jahren schließlich wurde der Ostsibirische Schelf, der sich noch immer im Klammergriff des Permafrosts befand, vom Meer überspült. Man spricht deshalb von "submarinem Permafrost".

Mit einer maximalen Wassertiefe von 50 Metern ist das Schelfmeer hier relativ flach, was bedeutet, daß der Permafrost-Meeresboden stärker auf Temperaturveränderungen reagiert, als wenn er in mehreren hundert oder tausend Metern Tiefe läge. Das Wasser besitzt eine Temperatur von -1,6 bis -1,8 Grad, was bedeutet, daß sich der Permafrost sehr, sehr langsam erwärmt. An einigen Stellen geschieht dies schneller, und das könnten Wege sein, auf denen Methan nach oben dringt.

Das berichtete vor zwei Jahren der leitende Organisator der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP 2016), Prof. Hans-Wolfgang Hubberten, in Potsdam in einem Interview mit dem Schattenblick. Submariner Permafrost, insbesondere in Sibirien, ist das Spezialgebiet des Leiters der Sektion Periglazialforschung des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Wörtlich sagte er:

"Wir können beobachten, daß der gefrorene Untergrund an manchen Stellen deutlich steigende Temperaturen aufweist, und vermuten, daß sich dort Kamine bilden können, so daß Gashydrate, die bislang noch darunter gefangen waren, frei werden und in die Atmosphäre entkommen. Den Effekt kann man an vielen Stellen messen. Früher hatten wir spekuliert, daß die Freisetzung relativ schnell vonstatten gehen kann, aber offensichtlich ist das System so träge, daß dies doch nicht innerhalb von zehn oder fünfzig Jahren geschieht, sondern sich über ein paar hundert oder tausend Jahre erstreckt. Von dort kann natürlich mehr Methan freigesetzt werden, aber gewiß nicht explosionsartig wie bei einer Bombe." [3]

Eine alles umfassende Methanbombe ist bislang nicht explodiert, wohl aber kommt es in den Permafrostregionen Sibiriens, respektive auf der Jamal-Halbinsel, sporadisch zu Explosionen, bei denen große, Dutzende Meter tiefe Krater entstehen. Vor einigen Jahren wurde erstmals darüber berichtet. Hubberten, der ein von den Medien häufig angefragter Experte für Permafrost ist, schilderte dazu die Anekdote:

"Ja, das ist ein sehr spannendes Phänomen. Genau in der Zeit, als davon berichtet wurde, befand ich mich mit meinen Enkeln auf dem Campingplatz an der Müritz. Dann rief mich eine Dame von "Nature" an und bat mich, ich solle einen Kommentar dazu abgeben. Aber ich wußte überhaupt nichts von den Berichten. Glücklicherweise habe ich genau das Richtige dazu gesagt. Dort läuft es so ab, wie man das oft beobachten kann: Wir haben einen Permafrost, der relativ warm ist. Im Untergrund liegt freies Methan vor. Wenn er wärmer wird, kann das Methan durch die sogenannten Taliks - aufgetaute Kamine innerhalb des Permafrostbereichs - aufsteigen. An der Oberfläche jedoch verhindert eine massive Eisschicht den Austritt. Das Methan sammelt sich unter dieser Eisschicht wie unter einem Deckel. Auf Jamal waren zwei außergewöhnlich warme Sommer hintereinander aufgetreten, was den Prozeß noch begünstigt hat. Irgendwann stieg der Druck derart, daß der Deckel weggesprengt wurde. Das konnte an verschiedenen anderen Stellen beobachtet werden und ist kein unikates Ereignis, wie man anfangs dachte."

Die "außergewöhnlich warmen Sommer" scheinen allmählich zur Gewohnheit zu werden. Das könnte bedeuten, daß sich auch der Permafrost anders verhält, als auf Grundlage der vergangenen Entwicklung zu erwarten wäre. Dr. Natalia Shakhova und Dr. Igor Semiletov von der Polytechnischen Universität Tomsk erforschen ebenfalls submarinen Permafrost. Sie gehören zu der wissenschaftlichen Fraktion, die damit rechnet, daß große Mengen an Methan in relativer kurzer Zeit freigesetzt werden könnten, nämlich genau dann, wenn ein bislang linearer Verlauf des Auftauens von Permafrost in einen exponentiellen Verlauf übergeht.

In einem Interview vom Juni 2017 mit Nick Breeze von der Website envisionation [4] berichteten die beiden, daß sich die Wissenschaft zwar einig darin sei, daß sich der Permafrost auflöst, aber nicht darin, in welcher Geschwindigkeit dies stattfindet. Einige Forscher glaubten, daß der Vorgang Tausende von Jahren erfordere. Sie hätten jedoch ein Permafrostgebiet untersucht, das überhaupt erst vor eintausend Jahren unter den Meeresspiegel geraten war, sagte Shakhova. Dabei haben sie nicht nur festgestellt, daß der Permafrost auftaut, was laut den Vertretern der These einer moderaten Erwärmung noch gar nicht hätte stattfinden dürfen, sondern daß sich auch die Geschwindigkeit des Auftauens erhöht hat.

Ein Argument gegen die These einer raschen Methanfreisetzung lautet, daß der Permafrost teilweise schon eine Warmzeit überstanden hat, also bereits während der vorletzten Eiszeit entstanden ist. In der letzten Warmzeit, der Eem-Warmzeit, auch Eem-Interglazial genannt (130.000 - 115.000 vor heute), waren die Temperaturen sogar noch höher als heute, ohne daß sich die Methanhydrate vom Ostsibirischen Schelf aufgelöst hätten. Diesem Einwand tritt Shakhova entgegen. Gewiß, die Eem-Zeit war wärmer als heute, räumt sie ein, aber die Hochzeit dieser Periode habe nur 2.000 Jahre gedauert und sei anschließend von einer Kaltzeit abgelöst worden. Gegenwärtig befänden wir uns jedoch im geologischen Zeitalter des Holozäns, und auch nach 5.000 Jahren sei noch keine Abkühlung in Sicht. Auch wenn die Temperaturen nicht ganz so hoch seien wie während des Eem, sei die Dauer entscheidend, mit der Permafrost Temperaturen oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts ausgesetzt wird.

An dieser Stelle könnte man ergänzen, daß die nächste Eiszeit vielleicht gar nicht eintritt. So berichtete im Januar 2016 eine Forschergruppe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Wissenschaftsjournal "Nature", daß aufgrund menschengemachter Treibhausgasemissionen die nächste Eiszeit um mindestens 50.000 Jahre aufgeschoben wird. Von der Erdumlaufbahn um die Sonne und anderen astronomischen Parametern her hätte jedoch die nächste Eiszeit bereits einsetzen müssen, hieß es [5].

Wenn das zutrifft, dann spricht einiges dafür, daß sich der Permafrost weiter auflösen und das von ihm zurückgehaltene und eingeschlossene Methan freigeben wird. Inwieweit das dann klimawirksam ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Anders als bei großen Wassertiefen wäre bei einer Wassersäule von maximal 50 Metern oberhalb des Schelfs nicht zu erwarten, daß das Methan beim Aufstieg von Bakterien zersetzt wird oder oxidiert und sich in Wasser und Kohlendioxid wandelt. Kommt jetzt noch eine erhöhte Sturmaktivität hinzu, aufgrund dessen das Wasser aufgepeitscht wird, verstärkt das die Methanemissionen aus dem Meer. Dieser Effekt ist insofern relevant, als daß die Fristen, in denen der Ostsibirische Schelf nicht von Meereis bedeckt ist, eher im Jahr anfangen und später enden, so daß der Zeitraum, in denen der Wind direkt an der Wasseroberfläche angreifen und das Wasser aufwirbeln kann, verlängert wird.

In früheren Untersuchungen hatte Shakhova im Abstand von vierzehn Jahren einen Temperaturanstieg des Meerwassers um ein halbes Grad registriert. Für ozeanische Verhältnisse, die ansonsten sehr stabile Temperaturen aufweisen, ist das durchaus eine nennenswerte Größe. Die Forscherin hat auch Bohrungen in den Meeresboden durchgeführt und in 57 Metern Tiefe Temperaturen zwischen -1,8 bis 0 Grad gemessen. Diese Sedimentschicht war aufgrund des Salzwassers auch bei Temperaturen unter Null nicht mehr gefroren. Den Berechnungen der Wissenschaftlerin zufolge entweichen rund 7,7 Millionen Tonnen Methan jährlich aus dem Ostsibirischen Schelfmeer. Das entspricht der Menge an Methan aus allen Weltmeeren zusammengenommen.

All diese Fäden zusammengeführt ergeben noch kein Seil, an dem eine so gewichtige These, wie sie Shakhova und Semiletov vertreten - ein rasches, binnen weniger Jahre stattfindendes Freisetzen großer Mengen an Methan - aufgehängt werden und der vollen Belastung wissenschaftlicher Überprüfung standhalten könnte. Allerdings haben die beiden in ihrer jüngsten, 2017 in "Nature" erschienenen Studie nicht nur die Ergebnisse ihrer früheren Arbeiten bestätigt, sondern weitere Mechanismen der Auflösung von Permafrost beschrieben, die zuvor nicht bekannt waren und die es ermöglichen, daß Methan aus dem Meeresboden austritt, ohne daß deswegen der gesamte Permafrostbereich getaut sein muß. [6]

Wann der Zeitpunkt eintritt, daß ein linearer in einen exponentiellen Verlauf des Permafrostverlustes übergeht, könne sie nicht mit Bestimmtheit sagen, sagte Shakhova gegenüber Breeze. Aber berücksichtige man die Logik ihrer Untersuchungen und all die Beweise, die sie bis jetzt zusammengetragen hätten, habe sie den Eindruck, daß der Zeitpunkt dicht herangerückt ist. Angesichts dessen zähle jedes Jahr und nicht, wie bei einem linearen Verlauf, mehrere hundert oder mehrere tausend Jahre.

Auf rund zehn Prozent der Fläche des Ostsibirischen Schelfs wurden von Shakhova stärkere Methanemissionen beobachtet. Hier könnte der Wechsel von einem linearen zu einem exponentiellen Verlauf als erstes eintreten. Sie könne nicht ausschließen, daß von dort eine Gigatonne Methan entweicht. Wobei das Gas nicht nur in Form von Eis, also eines Gashydrats vorliegt. Dessen Schicht ist sogar "nur" ein paar hundert Meter mächtig. Die Sedimente unterhalb der Methanhydratschicht reichen mehrere tausend Meter tief und sind mit Gas angereichert.

Um die Gefahr, die von dem Ostsibirischen Schelf ausgeht, genauer abschätzen zu können, muß man etwas ausholen. Methan (CH4) ist nach Kohlendioxid (CO2) das zweitwichtigste Treibhausgas. Es hat zwar eine durchschnittlich 25fache stärkere Wirksamkeit, liegt aber in der Atmosphäre eine Größenordnung geringer vor als CO2. Man geht von etwa fünf Milliarden Tonnen atmosphärischen Methans aus. Das entspricht weniger als einem Prozent der im ostsibirischen Schelf vermuteten Methanhydrate, und jene Methanhydrate wiederum sind geringer als die Menge an Methan in den bis zu 20 Kilometer tiefen und die gesamten zwei Millionen Quadratkilometer des Ostsibirischen Schelfs abdeckenden Sedimente.

Shakhova vergleicht den Permafrost im Ostsibirischen Schelf mit einem Sektkorken. Solange er die Flasche verschließt, passiert nicht viel, aber wenn er sich auflöst, fängt der Sekt an herauszusprudeln. Über die Frage, welchen Beitrag dieser Effekt zur globalen Erwärmung hätte, läßt sich zur Zeit nur spekulieren. Bereits 2010 wurde die Forscherin mit den Worten zitiert: "Gelangt nur ein Prozent des Methans, das vermutlich unter den seichten Gewässern gespeichert ist, in die Atmosphäre, so verändert das die gegenwärtige Belastung durch dieses Treibhausgas um das Drei- bis Vierfache. Welche Konsequenzen das für das Klima hätte, lässt sich nur schwer voraussagen." [7]

In den letzten acht Jahren wurden weitere Messungen vorgenommen und Studien durchgeführt, die nichts von den Befürchtungen zurücknehmen, sondern im Gegenteil den beobachteten Trend bestätigen, daß der Permafrost unter dem ostsibirischen Schelfmeer allmählich zersetzt wird.

In einer am 6. August in PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) publizierten Studie unter anderem von Forschern des PIK über den Dominoeffekt von "Kippelementen" im Erdsystem wird sowohl dem arktischen Meereis als auch dem Permafrost unter allen Kippelementen das größte Potential, die globale Erwärmung zu verstärken, zugesprochen [8]. Diese Kippelemente könnten, sobald sie in Gang gesetzt werden und ab dann nicht mehr aufzuhalten sind, die globale Erwärmung jeweils um fünf Grad Celsius antreiben. Die Forscher sehen die Gefahr, daß sich die Erde nicht der nächsten Eiszeit, sondern einer Heißzeit nähert, sollten die Menschen nicht rasche und umfangreiche Maßnahmen gegen die globale Erwärmung treffen.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/hitze-weltweit-die-erde-glueht-was-ist-da-los/22824590.html

[2] Natalia Shakhova et al.: Extensive Methane Venting to the Atmosphere from Sediments of the East Siberian Arctic Shelf. Science 327, 1246 dx.doi.org/10.1126/science.1182221

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0227.html

[4] https://envisionation.co.uk/index.php/nick-breeze/203-subsea-permafrost-on-east-siberian-arctic-shelf-now-in-accelerated-decline

[5] https://www.nature.com/articles/nature16494

[6] https://www.nature.com/articles/ncomms15872.pdf

[7] https://cordis.europa.eu/news/rcn/31889_de.html

[8] http://www.pnas.org/content/early/2018/07/31/1810141115

14. August 2018


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