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KLIMA/665: Methan - nicht rechenbar ... (SB)



Weltweit sind viele tausend Menschen damit befaßt, Datenbanken aufzubauen, Computersimulationen zu erarbeiten und Projektionen zu der Frage zu erstellen, wie sich das Klima im Laufe dieses Jahrhunderts entwickeln könnte. Sei es, daß zunächst Feldarbeit betrieben wird und Meßdaten gesammelt werden, sei es, daß Rechenprogramme zur Verarbeitung der Klimadaten geschrieben werden. Es sollte daher nicht wundern, daß mit der ungeheuer wachsenden Datenmenge auch neue methodische Ansätze, Ergebnisse und Schlußfolgerungen zum Gesamtbild beitragen, das die Wissenschaft zum Klimawandel entwirft.

So berichtete vor wenigen Tagen das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) [1] in Laxenburg bei Wien, daß unter Leitung ihres Mitarbeiters Thomas Gasser eine Studie in Nature Geoscience [2] publiziert wurde, derzufolge das Kohlenstoffbudget, das der Menschheit noch verbleibt, will sie nicht die 2015 im Klimaabkommen von Paris beschlossene 2-Grad-Schwelle überschreiten, schneller aufgebraucht sein könnte als angenommen. Begründet wird die Warnung damit, daß Permafrostböden nicht linear auftauen, wie bislang von den entsprechenden Computersimulationen berechnet worden sei, sondern beschleunigt. Kurz gesagt, der Boden taut nicht gleichmäßig, sondern immer schneller auf.

Per Definition liegt dann Permafrost vor, wenn ein Boden zwei Jahre hintereinander durchgängig gefroren bleibt. Das schließt jedoch nicht aus, daß der Boden oberhalb des Permafrosts im Sommer oberflächlich auftaut. Dieser Auftaubereich wird "aktive Schicht" genannt. Sie enthält organisches Material, das ab dem Moment, da das Wasser nicht mehr gefroren ist, von Mikroorganismen zersetzt wird. Diese legen sofort los, Stoffwechsel zu betreiben, und entlassen dabei Kohlenstoffdioxid (CO₂) und Methan, das, konservativ gerechnet, ein mindestens 25mal wirksameres Treibhausgas ist als CO₂. Das Treibhauspotential der Permafrostzonen von Arktis, Antarktis und Hochgebirgen ist enorm. Berechnungen zufolge enthält dieser Bereich zwischen 13.000 und 15.000 Gigatonnen Kohlenstoff. Das ist doppelt soviel, wie in der gesamten Erdatmosphäre vorliegt.

Mit dem Klimaabkommen von Paris hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, nur noch ein bestimmtes Budget an Treibhausgasen zu emittieren, damit die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad, möglichst sogar nur um 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Dieses Budget, so die IIASA-Studie, ist wahrscheinlich schneller aufgebraucht als vermutet. Daher bleibe nicht mehr soviel Zeit, die Treibhausgasemissionen zu verringern.

Nach Einschätzung der Forschergruppe sorgen die steigenden Temperaturen dafür, daß sich die aktive Schicht in den Permafrostregionen flächenmäßig schneller ausdehnt. Laut Gasser ist der Vorgang des Auftauens zumindest in den nächsten Jahrhunderten nicht umkehrbar. Er spricht von einem möglichen "Kippelement" im Kohlenstoff-Klima-System der Erde. Dadurch werde die lineare Berechnung des Kohlenstoffbudgets in Frage gestellt. Mehr noch, auch die Hoffnung, die Menschheit könne zunächst über das Ziel hinausschießen und mehr Treibhausgase emittieren, um anschließend wieder auf jene 1,5-Grad-Schwelle zurückkehren, so daß am Ende des Jahrhunderts die Abmachungen von Paris eingehalten werden, könnte sich als fatal erweisen. Denn in dem Zeitraum, da man über das Ziel hinausgeschossen ist, würden die steigenden Temperaturen den Permafrost weiter auftauen, so daß mehr Kohlenstoff freigesetzt wird, der anschließend aus der Atmosphäre zurückgeholt werden müßte. Gasser warnt vor "ernsthaften Konsequenzen".

Neu an dieser Studie ist weder die Aussage, daß der Permafrost nicht linear, sondern beschleunigt auftaut, noch, daß ein Überschreiten der 1,5- bzw. 2-Grad-Schwelle und die Hoffnung, anschließend durch negative Emissionen, also die gezielte Herausnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre, wieder zurückkehren zu können, wegen der Trägheit der Natursysteme mit hohen Risiken verbunden ist. Die Neuerung der Untersuchung liegt eher in dem Bemühen, mit Hilfe mehrerer Szenarien, die unterschiedliche CO₂-Einsparungspfade repräsentieren, rechenbar zu machen, um wieviel schneller das Kohlenstoffbudget aufgebraucht ist, wenn man die Nichtlinearität der Auftauprozesse des Permafrostbodens berücksichtigt. Daß auch diese Studie ihre Grenzen hat, liegt in der wissenschaftlichen Herangehensweise, sich einen bestimmten Ausschnitt der Natursysteme vorzunehmen und diesen unter einer bestimmten Fragestellung zu untersuchen. Das verspricht saubere, robuste Ergebnisse, die im Prinzip wiederholbar sind. Dagegen spricht nichts.

Allerdings veröffentlichen andere Wissenschaftler zur gleichen Zeit oder zumindest relativ zeitnah, daß auch in anderen Natursystemen beschleunigte Prozesse ablaufen können, die bislang ungenügend verstanden sind, beispielsweise das Abtauen des grönländischen Eisschilds [3], und die genauso wie das Auftauen des Permafrosts globale Wirkung entfalten. Wenn aber zwei (oder mehr) Natursysteme gleichzeitig weltweite Veränderungen auslösen, müßten auch die Auswirkungen der jeweils anderen auf das "eigene" System berücksichtigt werden. Ein umfassenderer Ansatz wurde im August 2018 unter anderem vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung vorgestellt. Demnach könnten Rückkopplungseffekte eine globale Temperaturerhöhung von vier oder fünf Grad Celsius auslösen [4]. Das Ergebnis wäre eine "Heißzeit". Manche Gebiete auf der Erde würden dadurch unbewohnbar werden.


Fußnoten:

[1] http://www.iiasa.ac.at/web/home/about/news/180917-permafrost.html

[2] Gasser T, Kechiar M, Ciais P, Burke EJ, Kleinen T, Zhu D, Huang Y, Ekici A, Obersteiner M (2018). Path-dependent reductions in CO2 emission budgets caused by permafrost carbon release. Nature Geoscience DOI 10.1038/s41561-018-0227-0

[3] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1029/2018GL079682

[4] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/auf-dem-weg-in-die-heisszeit-planet-koennte-kritische-schwelle-ueberschreiten

20. September 2018


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