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KLIMA/760: Erderwärmung - unerwartet schnell ... (SB)



Im nächsten Jahr soll der sechste Bericht des Weltklimarats veröffentlicht werden, und es zeichnet sich ab, daß die Erderwärmung schneller abläuft, als im letzten Bericht aus dem Jahr 2014 angenommen worden war. Damit setzt sich der Trend fort, daß das, was zuvor als "weitestgehendes Szenarium" ausgewiesen worden war, nach wenigen Jahren zum neuen Mittelwert der Berechnungen wird. Die bislang beschlossenen politischen Maßnahmen zur Verringerung des globalen Temperaturanstiegs bewegen sich jedoch auf dem klimawissenschaftlichen Erkenntnisstand von vor zwanzig Jahren.

Ein Viertel der Klimamodelle von über 20 Institutionen, die dem sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats zuarbeiten, haben als Ergebnis ihrer Berechnungen ausgeworfen, daß die sogenannte Klimasensitivität nicht bei drei, sondern bei fünf Grad Celsius liegt, berichtet der "Guardian". [1]

Mit "Klimasensitivität" wird angegeben, wie stark sich die Erde im globalen Durchschnitt erwärmt, wenn sich die Menge an atmosphärischem Kohlenstoffdioxid gegenüber dem Wert der vorindustriellen Zeit, der bei 280 ppm (parts per million) lag, verdoppelt. Anders gefragt, wie sensibel reagiert das Klima auf Treibhausgase?

Eine scheinbar einfache Frage, an der sich aber die leistungsstärksten Computer der Welt abarbeiten. Denn zur Beantwortung dieser Frage werden riesige Datenmengen aus zahlreichen wissenschaftlichen Einzeluntersuchungen zusammengezogen und miteinander verrechnet. Es kommen laufend neue Daten hinzu, was die Qualität der "Modelle" - so werden die Klimasimulationen genannt - verbessert.

Wenn für ein bestimmtes Natursystem keine Daten vorliegen, wird ein möglicher Effekt auf das Klima nicht berücksichtigt. Beispielsweise wußte man früher noch wenig über das Verhalten der antarktischen Gletscher. Erst im 2014 erschienenen fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats - auf englisch: 5th Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - wurde der Gletscherschwund der Antarktis berücksichtigt. Daraufhin warfen die meisten Modelle höhere Werte für den wahrscheinlichen Meeresspiegelanstieg aus.

Beim nächsten Bericht des Weltklimarats wird versucht, eine weitere Lücke, die bis heute nicht ausreichend mit Daten gefüllt werden konnte, zu schließen: der Einfluß der Wolken auf die globale Durchschnittstemperatur. Je nach Beschaffenheit können Wolken zur Erwärmung beitragen oder dieser entgegenwirken, abhängig von Faktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit, Wetterlage, Dichte, Höhe. Beispielsweise können Wolken, die an ihrer Oberseite hell sind, das einfallende Sonnenlicht reflektieren, so daß es gar nicht erst die Erdoberfläche erreicht. In dem Fall "kühlen" die Wolken. Wohingegen abgeschattete Wolken das Sonnenlicht absorbieren und die Erde somit aufheizen.

Aus diesem Grund wurde lange Zeit angenommen, daß sich ein "positiver Feedback" und ein "negativer Feedback" der Wolkenbildung ausgleichen. Dem "Guardian" zufolge wurde jedoch in den letzten rund eineinhalb Jahren eine überwältigende Mehrheit von Studien publiziert, die von einem positiven Feedback ausgehen. Das heißt, die Wolken verstärken den Treibhauseffekt.

Zurück zur Klimasensitivität. Der Wert hat sich kaum geändert. Bei einem atmosphärischen CO₂-Gehalt von 560 ppm, dem Doppelten des vorindustriellen Niveaus, beträgt die globale Durchschnittstemperatur demnach rund 3 Grad C. Auch die paläoklimatischen Berechnungen, die unter anderem aus Eisbohrkernen, Baumringen, Seesedimenten und Tropfsteinhöhlen hergeleitet werden - man spricht auch von "Proxydaten", die aus den "Klimaarchiven" gewonnen werden, lassen auf eine Klimasensitivität von 3 Grad C schließen.

Nun gibt es jedoch keinen Grund anzunehmen, daß sich die Klimaverhältnisse im Laufe der Erdgeschichte nicht fundamental wandeln können. Die Klimasensitivität ist keine Naturkonstante, sondern ein Erfahrungswert. Der kann sich ändern. Beispielsweise muß nicht immer alles in Zyklen ablaufen, so daß heutige Prozesse unabweislich aus vergangenen herzuleiten wären. Solche Zyklen entspringen womöglich dem Wunsch, dem im wesentlichen unverstandenen Geschehen eine Ordnung zuzuweisen. Nun ja, vermutlich hat auch jede Fliege ihre Ordnung, und doch wird sie unter dem nächsten Kuhfladen, der "vom Himmel" fällt, begraben.

Anscheinend hat der Mars einen riesigen Kuhfladen abbekommen. Nimmt man unseren Nachbarplaneten als Analogie, so fällt nämlich auf, daß der er einstmals über große Wassermengen verfügt haben muß. Von denen sind heute nur noch deren Erosionsfolgen an den Geländeformationen herzuleiten. Daran wird deutlich, daß sich innerhalb des Sonnensystems das planetare Klima keineswegs immer in Zyklen abspielt. Oder, sollte der gewaltige Wasserverlust des Mars Teil eines noch unbekannten, äonenalten Zyklus sein, die Lebensverhältnisse zwischenzeitlich ziemlich den Bach runtergehen können ...

Die Klimasensitivität galt bislang als feste Größe. Deshalb fällt die Reaktion seitens der Forschung auf erste Hinweise, daß das Feste haltlos sein könnte, durchaus alarmierend aus. Das Ergebnis sei von tiefer Besorgnis, zitiert der "Guardian" den Klimawissenschaftler Johan Rockström, der das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung leitet. "Klimasensitivität ist der heilige Gral der Klimaforschung. Es ist der wichtigste Indikator für das Klimarisiko. Seit vierzig Jahren liegt sie bei ungefähr drei Grad Celsius. Nun erleben wir plötzlich, daß die umfangreichsten Klimamodelle auf den besten Supercomputern zeigen, daß sich die Dinge schlimmer entwickeln als gedacht."

Was bedeutet es, sollten sich die Berechnungen bewahrheiten? Es wäre zu spät, die globale Erwärmung so auszubremsen, daß sie bei 1,5 Grad C gegenüber dem vorindustriellen Niveau gehalten wird.

Vor knapp fünf Jahren hatte die internationale Staatengemeinschaft auf der Klimaschutzkonferenz von Paris vereinbart, Bedrohungen in Folge der globalen Erwärmung abzuwenden, "indem unter anderem der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde." (Übereinkommen von Paris, Amtsblatt der Europäischen Union, L 282/4, 19.10.2016) [2]

Obschon die Summe der Zusagen der am Übereinkommen von Paris beteiligten Staaten (die USA unter Präsident Trump sind aus diesem Prozeß ausgeschert) mit 3,2 Grad C noch weit selbst von dem weniger ehrgeizigen Ziel des Abkommens entfernt sind, kam das IPCC im Jahr 2018 in dem "Sonderbericht 1.5" zu dem Schluß, daß die 1,5-Grad-Schwelle noch erreichbar ist. [3]

Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad C zu begrenzen, muß aber bis 2050 Kohlenstoffneutralität erreicht sein. Es dürfen keine zusätzlichen Treibhausgase emittiert werden, weder durch CO₂ als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) noch durch sogenannte CO₂-Äquivalente wie Methan, Ozon oder Lachgas, die beispielsweise durch auftauenden Permafrost, kunstdüngerbasierte Landwirtschaft, Müllkippen, Erdgasinfrastruktureinrichtungen oder sauerstoffarme Zonen der Meere freigesetzt werden.

Zur Einhaltung der 2-Grad-Schwelle müßte bis zum Jahre 2075 Kohlenstoffneutralität erreicht sein. Heute liegt die globale Durchschnittstemperatur bereits 1,0 Grad C über dem vorindustriellen Niveau. Die 1,5-Grad-Schwelle würde zwischen 2030 und 2052 erreicht, lautete noch vor zwei Jahren die vorherrschende Meinung. [4]

Sollte aber die Klimasensitivität von 3 auf 5 Grad C steigen, wie (bislang) nur der kleinere Teil der Klimamodelle als Ergebnis ausgeworfen hat, würden sich die Fristen sehr stark verkürzen, oder, wie Rockström hinsichtlich der 1,5-Grad-Schwelle feststellt, faktisch nicht mehr einzuhalten sein. Sollte der höhere Wert auch von anderen Modellen bestätigt werden, wäre seiner Einschätzung nach nur noch die 2-Grad-Schwelle erreichbar.

Aus den oben erwähnten Proxydaten geht hervor, daß auf der Erde, als ihre Atmosphäre das letzte Mal einen so hohen CO₂-Gehalt hatte wie im Mai 2020 - nämlich 417 ppm - der Meeresspiegel 15 bis 24 Meter höher war als heute; zugleich war das Klima durchschnittlich zwei bis drei Grad wärmer. [5]

Sollte es notwendig werden, die Klimasensitivität auf fünf Grad C zu justieren, wären die dann ebenfalls neu zu berechnenden Folgen für die Menschen und ihre Mitwelt auch deshalb brisant, weil der Kohlenstoffdioxidanteil in der Atmosphäre nicht einfach "nur" linear ansteigt, sondern exponentiell. In den 1960er Jahren betrug die jährliche CO₂-Zunahme 0,8 ppm, in den 1990ern 1,5 ppm, in den Nuller Jahren 2,0 ppm und im zurückliegenden Jahrzehnt 2,4 ppm.

Die Menschen in Deutschland können sich natürlich jetzt alle ganz schnell Elektroautos kaufen, weil die Bundesregierung ihnen dafür 6.000 Euro gibt, aber mit Klimaschutz hat das nichts zu tun. Erstens ermöglichen sie damit den Autokonzernen, weiterhin die tonnenschweren SUVs zu verkaufen, zweitens ist die Herstellung eines Elektroautos energieaufwendiger und amortisiert sich energetisch erst nach Jahren. Noch unsinniger ist die beschlossene Förderung von Hybridfahrzeugen. Die müssen ständig zwei Motoren mit sich schleppen, sowohl den Elektromotor samt Batterien als auch den Verbrennungsmotor. Mit Elektroautos wie den Tesla kann man vielleicht der Konkurrenz im Straßenverkehr davonfahren, weil sie irrsinnig schnell beschleunigen, aber der Erderwärmung entkommt Mensch damit nicht.


Fußnoten:

[1] https://www.theguardian.com/environment/2020/jun/13/climate-worst-case-scenarios-clouds-scientists-global-heating

[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2016:282:FULL&from=EL

[3] https://www.de-ipcc.de/256.php

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0146.html

[5] https://www.washingtonpost.com/weather/2020/06/04/carbon-dioxide-record-2020/

16. Juni 2020


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