Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


FOKUS/003: Kohlekraft - uranverseuchte Kinder in Indien (SB)


Hunderte mißgebildete Kinder in Punjab

Indische Kohlekraftwerke stehen in Verdacht, die Umwelt mit Uran zu verseuchen


Im indischen Bundesstaat Punjab weisen Hunderte Kinder Mißbildungen auf. Fachleute führen die gesundheitlichen Schäden vor allem auf erhöhte Werte an Uran zurück, die von Kohlekraftwerken in die Umwelt emittiert werden. Untersuchungen seitens der indischen Regierung können den Verdacht nicht bestätigen - die schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen der Kinder sind allerdings nicht zu leugnen.

Die britische Sonntagszeitung "The Observer" [1] griff das Thema in seiner letzten Ausgabe auf. Demnach haben Tests ergeben, daß das Grundwasser im Umfeld der Kohlekraftwerke bis zu 15fach höher uranbelastet ist, als von der Weltgesundheitsorganisation WHO als maximal zulässiger Grenzwert empfohlen wird. Das Personal von zwei Kliniken in der Stadt Bathinda in Punjab, in der auch zwei Kohlekraftwerke stehen, haben alarmierende Zahlen zu schwer behinderten Kindern gemeldet. Diese kämen mit übergroßen oder zu kleinen Köpfen zur Welt, hätten cerebrale Kinderlähmung, das Down-Syndrom oder andere Beeinträchtigungen. Labortechnische Analysen von Gewebeproben zeigen laut dem "Observer", daß die Kinder stark erhöhte Uranwerte aufweisen. In einem Fall sogar das mehr als 60fache dessen, was als Grenzwert angesehen wird.

Die britische Zeitung (und nicht nur sie) legt einen Zusammenhang zwischen den Emissionen der Kohlekraftwerke und der Urankontamination nahe, einen zweifelsfreien Beleg dafür vermag sie nicht zu liefern. Auch natürliches Uran im Grundwasser (vergleichbar mit dem Arsen in Westbengalen) kommt als mögliche Quelle in Frage. Allerdings haben nicht alle Mütter, deren Kinder mißgebildet zur Welt kamen, Grundwasser getrunken.

Dr. Prithpal Singh, Leiter eines Kinderkrankenhaus in Faridkot nahe Bathinda, berichtete, daß die Zahl der geschädigten Kinder in den vergangenen sechs oder sieben Jahren dramatisch zugenommen hat. Die Behörden versuchten, den Skandal zu vertuschen. "Sie können nicht einfach diese Kinder entgiften, sie müssen ganz Punjab entgiften. Das ist der Grund für ihre Zurückhaltung", sagte Singh. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Sie hätten ihnen gedroht, daß, wenn sie nicht aufhörten, über das zu reden, was geschehe, die Klinik geschlossen würde. "Ich aber kam zu dem Schluß, daß dies Jahre so weitergehen wird, wenn ich den Mund halte, und niemand etwas unternimmt. Wenn ich schweige, wird es eines Tages mein Kind erwischen. Die Kinder sterben vor meinen Augen." [1]

Rund 80 Prozent der Proben von Kindern wiesen so hohe Uranwerte auf, daß sie von Experten als krankmachend eingeschätzt werden, erläuterte Singh in einem früheren BBC-Bericht. [2]

Die südafrikanische Toxikologin und Expertin für Schwermetalle Dr. Carin Smit, die mit der britische Nichtregierungsorganisation Defeat Autism Now zusammenarbeitet, hat dafür gesorgt, daß das deutsche Umweltanalytiklabor Micro Trace Minerals Haarproben der Kinder untersucht, und ist der Ansicht, daß die Situation nicht ignoriert werden dürfe. Es sei eine Pflicht, die Kinder zu entgiften und ihnen dabei zu helfen, damit ihr Metabolismus besser mit solch einem Gehalt an zerstörerischen radioaktiven Material zurechtkommt. Und wenn die Kontamination im Westen bis zur pakistanischen Grenze und im Osten bis zum Fuß des Himachal Pradesh reiche, dann bestehe für Dutzende Millionen Einwohner ein Risiko, auch für jedes von einer kontaminierten Mutter zur Welt gebrachte Kind.

Das indische Bhaba-Atomforschungszentrum (BARC - Bhaba Atomic Research Centre) im Mumbai hat ein Expertenteam zusammengestellt, das die uranverseuchte Region aufgesucht und festgestellt hat, daß das Trinkwasser zwar Uran enthält, aber daß die Werte nur "leicht erhöht" sind und kein Anlaß zur Sorge besteht. Nur in drei Proben sei der Grenzwert von 60 Mikrogramm pro Liter (µg/l) überschritten worden. [3]

Kein Anlaß zur Sorge - dieser Bewertung des Untersuchungsergebnisses folgt der "Observer" nicht. Die Forscher hätten einen Urangehalt von bis zu 224 µg/l gemessen, führt die Zeitung an, die WHO empfehle aber keine höhere Belastung als 15 µg/l. (Für die deutschen Behörden gelten Werte von bis zu 10 µg/l als unbedenklich.)

Sind die Kohlekraftwerke verantwortlich für die Uranverseuchung? Einen unwiderlegbaren Beweis dafür gibt es nicht, dennoch liegt die Vermutung nahe. Die Flugasche von Kohlekraftwerken ist als Quelle für Uran bekannt. In Bathinda wird ein Teil der Asche, sofern sie nicht bereits durch die Schornsteine entwichen ist, mit Lastwagen zu der nahegelegenen Abuja-Zementfabrik gefahren und dort verarbeitet. Ein anderer Teil wird in einem Becken gelagert. In der Stadt Bhucho Mandi, die in der Nähe eines solchen Lagers in Lehra Mohabbat liegt, wurde die höchste Uranbelastung des Grundwasser gemessen (57 µg/l). Dem "Observer" zufolge ist die Krebsgefahr für die Dorfbewohner um mehr als das 140fache erhöht.

In Punjab gibt es zur Zeit drei Kohlekraftwerke (in Bathinda, Lehra und Ropar), weitere vier befinden sich im Bau bzw. sind in Planung. Zusammen sollen sie täglich zwölf Millionen Tonnen Kohle verbrennen. Dabei werden sie Tausende Tonnen uranhaltige Flugasche produzieren, und auch Thorium und Quecksilber bzw. das extrem giftige Methylquecksilber werden von Kohlekraftwerken freigesetzt. [4] Der indische Bundesstaat Punjab hatte sich gegen den Bau von Kernkraftwerken und für die Kohleverstromung ausgesprochen - ironischerweise hat anscheinend genau das die Vergiftung der Umwelt mit Uranpartikeln zur Folge.


Fußnoten:

[1] "Children crippled by India's uranium waste", The Observer, 23. August 2009
http://www.guardian.co.uk/world/2009/aug/23/india-uranium-pollution-birth-defects

[2] "Punjab disability 'uranium link'", BBC News, 2. April 2009
http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/7979022.stm

[3] "Uranium Traces in Water. Experts rule out harm to health", Tribune News Service, 23. Juli 2009
http://www.tribuneindia.com/2009/20090724/punjab.htm#1

[4] "Toxicity from thermal plants a curse: Expert", Tribune News Service, 24. August 2009
http://www.tribuneindia.com/2009/20090825/punjab.htm#5

26. August 2009


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang