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RESSOURCEN/127: US-Landwirtschaftsministerium sagt deutlichen Ernterückgang voraus (SB)


Novemberprognose des US-Landwirtschaftsministeriums -
Weltgetreideernte rückläufig

Verlust der in den letzten Jahren aufgebauten Lagerbestände

G20-Staaten beschließen Maßnahmen zu mehr "Stabilität"


Als vor zwei, drei Jahren in mehreren Dutzend Ländern Unruhen wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise ausbrachen und sich die Zahl der Hungernden auf die Milliardengrenze zubewegte, da kamen die Regierungen durchaus ins Schwitzen ob des sich abzeichnenden sozialen Konfliktpotentials dieses Trends. Politiker und andere Vertreter des Establishments gaben sich zerknirscht, brachten ihre tiefe Betroffenheit über den vermeintlichen Schicksalsschlag der Hungerentwicklung zum Ausdruck und beteuerten, daß raschest möglich Maßnahmen ergriffen würden, um die Lage zu entspannen.

Weltbank-Analysten machten die Agrosprit-Produktion und Spekulationsgeschäfte des Finanzkapitals für die Misere verantwortlich, andere Fachleute betonten dagegen die ungünstigen klimatischen Verhältnisse in wichtigen Getreideanbaugebieten. So unterschiedlich die Ansichten auch gewesen sein mögen, in einem herrschte Konsens, nämlich daß im Prinzip weltweit genügend Nahrung für alle Menschen produziert wird.

Diese Behauptung soll beruhigend wirken. Anders verhielte es sich, wenn deutlich würde, daß es in absoluten Zahlen nicht genügend zu essen gibt, um alle Menschen angemessen ernähren zu können. Mittlerweile kommen Zweifel an der Gültigkeit dieser zum Dogma erhobenen Behauptung auf. Die Lagerbestände schrumpfen weltweit, der Verbrauch von Nahrung übersteigt die Produktion.

In vielen Entwicklungsländern waren die Preise für Grundnahrungsmittel nach der Preisexplosion 2007/2008 nicht wieder auf den Stand von vor der Krise zurückgegangen; in diesem Jahr ziehen sie auch in den reicheren Ländern an. Das ist insbesondere in den USA zu beobachten, wo dies mit einiger Sorge wahrgenommen wird. Das "Wall Street Journal" schrieb am 4. November, daß eine Preissteigerungswelle Amerikas Supermärkte und Restaurants ereile [1]. In den letzten Monaten seien die Preise für Grundnahrungsmittel wie Milch, Fleisch, Kaffee, Kakao und Zucker scharf gestiegen. Lebensmittel- und Handelskonzerne wie McDonald's Corp., Kellogg Co. and Kroger Co. hätten signalisiert, daß sie versuchen werden, die höheren Kosten für die Grundnahrungsmittel den Verbrauchern aufzudrücken.

Das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) prognostiziert für das kommende Jahr einen Preisanstieg für Lebensmittel von zwei bis drei Prozent [2]. In dieser Abschätzung sind die jüngsten Ernteprognosen noch nicht berücksichtigt. Die Erntezahlen des USDA für November klingen hinsichtlich der globalen Weizenmenge alarmierend. "Die Prognosen für die globalen Weizen- und Hartgetreidelagerbestände (ausgenommen China) sagen einen signifikanten Rückgang voraus, wodurch beinahe alle in den letzten Jahren aufgebauten Lagerbestände getilgt werden." [3]

Sinkende US-Mais- und EU-Gerstebestände sind für einen weltweiten Hartgetreiderückgang um 80 Prozent verantwortlich; 60 Prozent des Rückgangs bei Weizen entfallen auf Rußland, Kasachstan, die EU und Kanada. Entsprechend dieser Entwicklung zogen die Weltmarktpreise für Getreide, insbesondere wiederum Weizen, an; ein Ende des Trends zeichnet sich nicht ab. Das US-Landwirtschaftsministerium konstatiert:

"Die Kombination aus geringerer Produktion und dramatischem potentiellen Lagerschwund deutet auf ein viel engeres Versorgungsbild als noch vor ein paar Monaten."

Die Preise für Getreide unterliegen nicht nur saisonalen Schwankungen, sondern auch einem langfristigen Trend. Für Finanzinvestoren gelten jene Waren als sichere Geldanlage, die entweder unverzichtbar sind (was für Getreide zweifellos zutrifft) oder deren Bedarf zunimmt (durch wachsende Weltbevölkerung und veränderte Ernährungsgewohnheiten) oder deren Produktionsfaktoren einem wachsenden Druck ausgesetzt sind (Verschiebung der Klimazonen in Getreideanbaugebieten, allgemeiner Verlust an Bodenqualität, Rückgang der Sortenvielfalt). Aus Sicht der Investoren besteht der gemeinsame Nenner der drei Faktoren darin, daß sie den Mangel fördern. Knappheit verspricht gute Geschäfte.

Daran, daß bei der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise Finanzeinrichtungen als systemrelevant bezeichnet wurden und ihnen daraufhin Hunderte Milliarden Euro aus den Staatshaushalten zugeflossen sind, läßt sich ableiten, daß mit diesen Mitteln die Mangelproduktion stabilisiert wurde. Das bekommen die Bevölkerungen der von der Wirtschaftskrise getroffenen Staaten in Form von Sozialstreichungen zu spüren.

Die Einigung der führenden Wirtschaftsnationen auf dem G20-Treffen in Seoul spricht Bände. Selbstverständlich blieb der für eine nachhaltige Krisenbewältigung erforderliche Systembruch aus. Statt dessen wurden die Banken verpflichtet, als Sicherheit mehr Eigenkapital vorzuhalten. Mit solchen Maßnahmen wollen die Staats- und Regierungschefs allzu große, das heißt nicht mehr auszusteuernde Unwuchten des vorherrschenden Kapitalakkumulations- und Verwertungssystems vermeiden.

Im wesentlichen geht es ihnen um die Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse. Der Begriff Stabilität wurde auch in der Zeit der weltweiten Hungeraufstände beschworen. "Die Arbeit, die wir hier verrichten, sieht nicht immer dramatisch aus", sagte US-Präsident Barack Obama laut Reuters [4]. Aber Schritt für Schritt werde eine stabilere Weltwirtschaft geformt, "die Wirtschaftswachstum sichert und Spannung abbaut". Doch was wird stabilisiert? Es wird ein System befestigt, das sich auf Wachstum stützt, und das hat zur Folge, daß fast eine Milliarde Menschen hungert und die doppelte Zahl an Menschen verarmt ist. Am sogenannten Wachstum haben sie nicht teil und werden sie auch niemals teilhaben. Seit langem zehrt die Menschheit von der Substanz, inzwischen verbraucht sie jedes Jahr das Eineinhalbfache dessen, was die Biosysteme des Planeten liefern.

Ob sie G7, G8 oder G20 genannt werden, macht keinen Unterschied - wenn die politischen Entscheidungsträger und gesellschaftlichen Funktionseliten das Hohelied der stabilen Verhältnisse anstimmen, hegen sie nicht die Absicht, einen Planeten zu schaffen, auf dem kein Mensch an Nahrungsmangel leiden muß.


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Anmerkungen:

[1] "Food Sellers Grit Teeth, Raise Prices", Wall Street Journal, 4. November 2010
http://online.wsj.com/article/SB10001424052748704506404575592313664715360.html

[2] "Food price inflation isn't theoretical anymore", Christian Science Monitor, 8. November 2010
http://www.csmonitor.com/Business/The-Reformed-Broker/2010/1108/Food-price-inflation-isn-t-theoretical-anymore

[3] "Grain: World Markets and Trade", United States Department of Agriculture (USDA), Foreign Agricultural Service Circular Series FG 11-10, November 2010
http://www.fas.usda.gov/grain/circular/2010/11-10/grainfull11-10.pdf

[4] "G20-Gipfel findet Kompromiss auf der Zielgeraden", Reuters, 12. November 2010
http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE6AB0GY20101112

12. November 2010