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RESSOURCEN/150: Bürger von Balcombe wehren sich gegen Fracking (SB)


Gas- und Erdölfelder in der Nordsee werden ausgeschöpft

Britische Regierung setzt auf die Förderung von unkonventionellem Erdgas an Land



In Deutschland ist ein Gesetz, das die Förderung von unkonventionellem Erdgas durch die umstrittene Methode des Frackings unter bestimmten Bedingungen zulassen sollte, im Bundesrat gescheitert. Mit einem erneuten Vorstoß der Politik ist erst nach der Bundestagswahl im September zu rechnen. Anders dagegen in Großbritannien, wo ebenfalls zur Zeit eine konservativ-liberale Koalition die Regierungsgeschäfte führt. Der britische Premierminister David Cameron befürwortet Fracking und hat vor kurzem eine Steuererleichterung für Unternehmen angekündigt, die Erdgas onshore fördern wollen. Etwas peinlich für Cameron war jedoch, daß sein politischer Berater Lynton Crosby früher für die australische Fracking-Industrie gearbeitet hat und daß Dart Europe, ein Tochterunternehmen des australischen Konzerns Dart Energy, Förderlizenzen für das Fördergebiet Bowland Shale in Lancashire und Yorkshire besitzt. Das erweckt den Eindruck einer veritablen Vetternwirtschaft. [1]

Unter den Einwohnern jener Landesteile Großbritanniens, in denen Erdgas gefördert werden soll, wächst der Widerstand dagegen, daß Unternehmen tiefe Gesteinsschichten anbohren und aus dem Fels Erdöl oder Erdgas mittels des mechanisch-chemischen Verfahrens des "hydraulic fracturing" quasi herausquetschen wollen. In den letzten Wochen haben die Proteste vor allem im südenglischen West Sussex, in und um das Städtchen Balcombe herum, stetig zugenommen. Dort begann am vergangenen Freitag das Unternehmen Cuadrilla mit einer Explorationsbohrung.

Nachdem es der Protestbewegung gelungen war, die Vorbereitungsarbeiten für einige Tage aufzuhalten - unter anderem hatten sie ein altes Feuerwehrauto vor einem Nebeneingang zum Bohrgelände plaziert und sich daran angekettet -, sorgte schließlich ein massives Polizeiaufgebot dafür, daß die Bohrtätigkeit begonnen werden konnte. Das hat die Proteste nicht zum Verstummen gebracht. [2]

Die geologische Erkundung läßt vermuten, daß sich in einer Schieferformation, die mehrere hundert Meter unter der Oberfläche liegt, Erdöl befindet. Cuadrilla erklärte, daß es zunächst gar nicht vorhabe, zu fracken. [3]

Die Anwohner glauben jedoch nicht, daß ausgerechnet ein Unternehmen, das in anderen Regionen Großbritanniens sehr wohl gefrackt hat, dies nicht auch unter ihrem Ort machen wird, falls sich die Erwartungen an eine zunächst ausschließlich vertikal angesetzten Bohrung nicht erfüllen. So hat Cuadrilla ebenfalls mitgeteilt, daß es in dem Fall die Erlaubnis zum Fracking einholen wolle.

Sollen die Menschen also darauf hoffen, daß das Öl ordentlich sprudelt, damit das Unternehmen Profit machen kann und die übrige Gesteinsschicht in Ruhe läßt? Oder wäre nicht viel eher damit zu rechnen, daß Cuadrilla eine üppige Ausbeutung reizen wird, noch mehr aus der unkonventionellen Ölquelle herausholen zu wollen?

Im übrigen geht es den Menschen nicht allein um den Unterschied zwischen einer ausschließlich senkrechten Bohrung und einer, die zunächst senkrecht, dann waagerecht weitergeführt wird. Umfragen zufolge sind 85 Prozent der 2000 Einwohner Balcombes gegen jede Ölförderung, weil dabei nicht ausgeschlossen werden kann, daß beispielsweise Chemikalien ins Grundwasser gelangen und Erdbeben ausgelöst werden.

Also versuchen zahlreiche Einwohner, unterstützt von einer landesweiten Anti-Fracking-Bewegung, den reibungslosen Betrieb durch Sitzblockaden und andere Protestformen zu stören. Wobei sich im vergangenen Monat das Wetter gegen sie verschworen zu haben schien, mußten sie doch gewaltige Regengüsse, gefolgt vom heißesten Tag des Jahres, aushalten. Aber vielleicht waren auch die zu Dutzenden angerückten Polizeibeamten viel weniger "amused" über das Wetter als die Protestierenden.

Egal, ob horizontal oder "nur" vertikal gebohrt wird, der Charakter der agraisch orientierten, kleinräumigen Landschaft wird sich durch die Invasion der Öl- und Gasindustrie verändern. Abgesehen von dem hohen Risiko einer Kontamination des Grundwassers mit Chemikalien befürchten die Einwohner auch eine Schadstoffbelastung der Luft sowie den Lärm aufgrund der vielen Transporte von und zur Bohrstelle. Unklar ist, in welchen Mengen dort Gas austreten wird und ob das abgeflammt werden soll. Dieses sogenannte Flaring wird in anderen Regionen der Insel praktiziert und würde in Balcombe für eine zusätzliche Schadstoffbelastung der Luft sorgen.

Ein weiterer Aspekt, der immer wieder von den Protestierenden vorgetragen wird, betrifft den globalen Klimawandel. Beispielhaft sei hier die Stellungnahme einer Einwohnerin Balcombes wiedergegeben, die laut dem Guardian sagte: "Dies ist eine sehr dicht besiedelte Gegend und einfach nicht der richtige Ort für diese Art der Industrie. Wir wurden nicht genügend zu Rate gezogen. Sie sollten nach nachhaltigeren und weniger zerstörerischen Energiegewinnungsverfahren suchen." [4] Charles Metcalfe, der gemeinsam mit seiner Frau die "No Fracking in Balcombe Society" ins Leben gerufen hat, erklärte, daß man die Landschaft nicht aufreißen sollte. Statt dessen sollten die Menschen ihr Verhalten ändern, weniger konsumieren und mehr Energie sparen.

Eines wird selbst von einigen Anhängern des Frackings eingestanden: Die Verbrennung von Erdgas zur Energiegewinnung ist Bestandteil eines Energiekonzepts, mit dem absehbar die Probleme, die auf die Menschheit aufgrund der allgemeinen Erderwärmung zukommen, nicht behoben werden können. Obgleich Gaskraftwerke weniger Treibhausgasemissionen erzeugen als beispielsweise Kohlekraftwerke, stellen sie nach Einschätzung ihrer Befürworter nur eine Brückentechnologie dar.

In der Berichterstattung über Fracking wird häufiger darauf verwiesen, daß die Bohrtätigkeit seismische Reaktionen hervorrufen kann. Das Haupttätigkeitsgebiet Cuadrillas liegt nicht in West Sussex, sondern in Lancashire, wobei dort laut dem Guardian trotz einer Investition von über 100 Mio. brit. Pfund (115 Mio. Euro) aufgrund einer Serie von Verzögerungen und Rückschlägen bisher weder Gas noch Öl gefördert wird. Am 1. April 2011 und am 27. Mai 2011 traten in Lancashire zwei kleinere Erdbeben (der Stärke 2,3 und 1,5) auf, die anscheinend von der Bohrtätigkeit verursacht wurden, und es wird vermutet, daß dabei die Bohrlocheinfassung verformt wurde. Es sei aber weder Gas noch Bohrflüssigkeit ausgetreten, hieß es. Auf einem Protest-Blog [5] wird auf einen Report Cuadrillas verwiesen, in dem bestätigt worden sein soll, daß das Einpressen von Flüssigkeit in ein Bohrloch seismische Aktivitäten freigesetzt habe; außerdem werde in dem Report konstatiert, daß "im schlimmsten Fall" die Frackingflüssigkeit über 2000 Fuß - das entspricht gut 600 Metern - entlang einer Bruchzone aufwärts wandern könne.

Wenngleich sich der angegebene Link, der auf die Cuadrilla-Website weiterleiten sollte, als fehlerhaft erwies, bestätigt die britische Zeitung The Telegraph den Zusammenhang zwischen Erdbeben und Fracking an der Bohrstelle Preese Hall-1 in Lancashire. [6]

Alles in allem verlaufen die Proteste gegen die Ölförderung in West Sussex friedlich. Daß in der vergangenen Woche bei verschiedenen Gelegenheiten mindestens 25 Protestierende, die die Arbeiten Cuadrillas behindern wollten, verhaftet wurden, geht darauf zurück, daß die Einwohner keine andere Möglichkeit mehr sehen, als mittels Formen des zivilen Ungehorsams - ungeachtet des Risikos, festgenommen zu werden - darauf aufmerksam zu machen, daß Fracking weder bei ihnen noch in anderen Regionen des Inselstaats erwünscht ist.

Möglicherweise bieten die Vorgänge in Großbritannien einen Vorgeschmack auf zukünftige Auseinandersetzungen in Deutschland zwischen den zahlreichen örtlichen Bürgerinitiativen und der Regierung. Auf jeden Fall ruft der Konflikt in Erinnerung, daß gegenwärtig hinter verschlossenen Türen ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA ausgearbeitet wird. Man muß davon ausgehen, daß dabei jene Unionsmitglieder, die Fracking ablehnen, nicht nur auf den Widerstand der Amerikaner treffen werden, die Fracking in Europa betreiben wollen, sondern auch auf den aus eigenen Reihen, beispielsweise von Großbritannien. Die Öffentlichkeit weiß nicht, wer für die Europäer den Teil der Verhandlungen führt, der das Fracking betrifft, aber sollte die Person von der britischen Regierung entsandt worden sein, liegt es nahe, daß über diesen Hebel auch der Pro-Fracking-Standpunkt in den Vordergrund gerückt wird.


Fußnoten:

[1] http://www.theguardian.com/politics/2013/jul/19/david-cameron-fracking-lynton-crosby

[2] http://www.theguardian.com/environment/2013/aug/01/frack-off-protest-fracking-fire-engine-balcombe-oil

[3] http://www.cuadrillaresources.com/wp-content/uploads/2012/03/HSE-RSRPermit-Bal-001-BAT-Statement.pdf

[4] http://www.theguardian.com/environment/2013/aug/02/balcombe-fracking-protesters-fight-on

[5] http://gasdrillinginbalcombe.wordpress.com/2012/01/16/cuadrilla-documents-balcombe-water-vulnerable-to-fracking/

[6] http://www.telegraph.co.uk/earth/energy/8864214/Fracking-blamed-for-Lancashire-earthquakes.html

Eine Auswahl an jüngeren Berichten der Schattenblick-Redaktion zum Thema Fracking:

NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE
UMWELTLABOR/275: Unbarmherzig, unbedacht - Fragen an das Fracking (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html

UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html

UMWELTLABOR/277: Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula277.html

UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/chemie/chula278.html


POLITIK → MEINUNGEN
LAIRE/1294: Konzernmacht - Werden Fracking-Gesetze in Deutschland gefrackt? (SB)
http://schattenblick.com/infopool/politik/meinung/pola1294.html


UMWELT → REDAKTION
RESSOURCEN/141: Strahlengefahr durch Fracking? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-141.html

RESSOURCEN/142: Folgen des Frackings unerforscht - Beispiel durchlässige Bohrwände (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-142.html

RESSOURCEN/143: Hoher Wasserverbrauch bei Förderung von Schiefergas (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-143.html

RESSOURCEN/145: USA - Neue Bestimmungen zum Fracking vorgeschlagen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-145.html

RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-146.html

RESSOURCEN/149: Fracking beschwört Strahlengefahr aus der Tiefe herauf (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-149.html

5. August 2013