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RESSOURCEN/168: Kanadas Anti-Terror-Gesetz gegen Ureinwohner und Umweltschützer (SB)


Erdölstaat Kanada fletscht die Zähne - gegen die eigene Bevölkerung

Mit einer drastischen Verschärfung der Sicherheitsgesetze will die wirtschaftsfreundliche Regierung Kanadas Proteste gegen den umweltschädlichen Teersandabbau zum Schweigen bringen

EU-Kommission und -Parlament an der Verschleierung der Umweltschädlichkeit kanadischen Erdöls beteiligt


C-51 ist nicht der Name eines neuen Kampfbombers, wohl aber einer Bombe, die im übertragenen Sinn kräftig eingeschlagen ist. Und zwar bei denen, die mit der Politik der kanadischen Regierung nicht einverstanden sind und gegen den exzessiven Abbau von Bitumen aus Teersanden und andere Fördermaßnahmen von Erdöl und Erdgas protestieren. Sie ist auch bei denen eingeschlagen, die womöglich gar nicht mal ein spezifisches Interesse am Schutz des Klimas haben, jedoch an einer demokratischen Rechtsordnung und diese durch das neue Gesetz mit dem Kürzel C-51, das durchs kanadische Parlament gepeitscht wurde, auf eklatante Weise verletzt sehen. Durch dieses Gesetz könnten Umweltschützer und Mitglieder der First Nations, die sich dem hemmungslosen Raubbau an der Natur in den Weg stellen, des Terrorismus bezichtigt werden.

Durch das "Anti-Terrorism Act 2015" (Antiterrorgesetz 2015) [1] genannte Gesetz sollen die Sicherheitsorgane Kanadas mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden, so daß sie Proteste gegen den Bau von kritischen Infrastruktureinrichtungen wie zum Beispiel Pipelines, Raffinerien oder Erdölverladestationen nicht nur im Keim ersticken, sondern schon die bloße Vermutung, von einer Person gehe eventuell eine Gefahr aus, präemptiv sanktionieren.

Das neue Gesetz würde die seit dem 11. September 2001 verabschiedeten Sicherheitsgesetze hinsichtlich der rechtlichen Kompetenzen unter anderem des Nachrichtendienstes CSIS (Canadian Security Intelligence Service) so weit übertreffen, daß mehr als 100 Rechtsexpertinnen und -experten vor allem aus dem Hochschulbereich am 23. Februar 2015 einen offenen Brief an die kanadischen Parlamentarier gerichtet und darin appelliert haben, sie möchten "sicherstellen, daß C-51 nicht in Kraft tritt, solange es in irgendeiner Form seiner gegenwärtigen Fassung ähnelt". [2]

Die Unterzeichner haben sich erklärtermaßen nur auf fünf Kritikpunkte an dem Gesetzesvorhaben beschränkt, obgleich jeder von ihnen eine stattliche Zahl an weiteren, schwerwiegenden Bedenken hätte anbringen können. Demnach wird mit C-51 der Schutz der Privatsphäre weitgehend aufgehoben und dem Mißbrauch von Informationen Tür und Tor geöffnet. Die Zielsetzung des Gesetzes betreffend "Aktivitäten, die die Sicherheit Kanadas untergraben", sei "beispiellos breit angelegt", heißt es. Ausgenommen von der Terrorismusgesetzgebung seien nur "rechtmäßige Anwaltschaft, Protest, abweichende Meinung und künstlerischer Ausdruck". Wohingegen das Gesetz Aktivitäten des zivilen Ungehorsams, ungenehmigte Proteste und Streiks in Verbindung mit kritischer Infrastruktur als terroristische Akte auffasse.

Mit dem neuen Gesetz würden Personen kriminalisiert, die zu "terroristischen Straftaten im allgemeinen" aufrufen oder dazu ermutigen, sogar dann, wenn sie auch nur dazu beigetragen haben "könnten", daß jemand anderes sich entscheidet, eine terroristische Strafttat zu begehen. Selbst Gesten oder Symbole können als Ermutigung ausgelegt werden, was die Vermutung nahelegt, daß C-51 explizit ein Schlag gegen Äußerungen in sozialen Netzwerken ist, die auf diese Weise streng reglementiert würden. Möglicherweise werden die Staatsorgane bereits das Sprühen von Grafittis, die Verbreitung von Plakaten oder das Tragen eines T-shirts mit eindeutig gegen den Bau von Erdölpipelines gerichteter Symbolik als Aufruf zu einer terroristischen Tat interpretieren. [3]

Die Protestformen gegen die Erdöl- und Erdgaswirtschaft sind nicht in allen Fällen legal. Was nicht bedeutet, daß ihnen deshalb automatisch jede Legitimität abzusprechen ist. So setzt sich die Regierung des konservativen Premierministers Stephen Harper über die "Delgamuukw Decision" [4] des Obersten Gerichts Kanadas vom 11. Dezember 1997 hinweg, indem sie ohne Einverständnis der kanadischen Ureinwohner Bergbaulizenzen in deren Stammesgebieten vergibt und den Bau von Pipelines genehmigt. Die Native Americans protestieren dagegen und haben in der Vergangenheit mit Sitzblockaden, Straßensperren und anderen Formen des zivilen Ungehorsams den Aufbau der Erdölinfrastruktur zu behindern versucht. Möglicherweise würden sie nach dem neuen Gesetz als Terroristen eingestuft.

Ein vor wenigen Wochen an die Öffentlichkeit gelangtes internes Dokument der RCMP (Royal Canadian Mountain Police) hat die Befürchtungen der First Nations und Umweltschützer bestätigt. In der "Critical Infrastructure Intelligence Assessment" (Nachrichtendienstliche Bewertung Kritischer Infrastruktur) mit dem Titel "Criminal Threats to the Canadian Petroleum Industry" (Strafrechtliche Gefahren für die kanadische Erdölindustrie" vom 24. Januar 2014 [5] werden die Proteste gegen den Raubbau an Mensch und Natur durch die kanadische Erdölwirtschaft auch auf eine "Anti-Erdöl-Ideologie" zurückgeführt.

Mit dieser Bezeichnung wird die entschiedene Ablehnung des weiteren Ausbaus der Förderung fossiler Energieträger, wie ihn die Harper-Regierung mit ihrem Wirtschaftsprogramm zur umfänglichen Erschließung kanadischer Rohstoffe anstrebt, und die dahinterstehende Sorge über Klimaveränderungen als Folge der menschengemachten Treibhausgasemissionen zur Ideologie erklärt.

Das RCMP-Papier nimmt bei der Beurteilung der Gefahren ausdrücklich Bezug auf einen Zwischenfall vom 17. Oktober 2013 in der Provinz New Brunswick und behauptet, es habe damals eine "gewaltsame, kriminelle Antwort" auf Handlungen der RCMP gegeben; fünf Polizeifahrzeuge seien ausgebrannt. Man habe Schußwaffen beschlagnahmt und über 40 Personen verhaftet.

Was hier als die bislang gewalttätigste Aktion der Anti-Erdöl-Aktivisten bezeichnet wird, stellt sich als vorläufiger Höhepunkt eines jahrelangen, vergeblichen Bemühens dar, die Fracking genannte Förderung von Schiefergas in New Brunswick mit friedlichen Mitteln zu verhindern. Eingaben bei der Verwaltung, Demonstrationen, Diskussionen bei öffentlichen Veranstaltungen - alles vergebens. Dem breit angelegten Protesten zum Trotz hatte die Provinzregierung seit 2010 rund 1,4 Millionen Hektar Land - ein Siebtel der Fläche New Brunswicks - zur Schiefergas-Erkundung freigegeben. Erst als alle Versuche, die Regierung zum Einlenken zu bewegen, erfolglos blieben, gingen die Menschen zu Formen des zivilen Ungehorsam über. In diesem Zuge entstanden auch Straßensperren und das Protestlager gegen Fracking.

Bei dieser Methode werden unter hohem Druck Wasser, Sand und Chemikalien in die erdöl- oder erdgashaltige Schicht gedrückt, um das Gestein aufzusprengen, so daß der verteilt vorliegende Energieträger zusammenströmen kann. Meist wird beim Fracking der Bohrkopf nach der Senkrechten in die Horizontale umgelenkt und quer zur Schiefergasschicht weitergetrieben. Diese Fördermethode bildet für das Grund- und Oberflächenwasser eine potentielle Gefahr der Kontamination durch die injizierten Chemikalien und das aufsteigende Methan.

An der Eskalation in Elsipogtog, New-Brunswick, bei der die Mitglieder der Mi'kmaq First Nations eine Straßenblockade errichtet hatten, um seismische Untersuchungen der Firma SWN Resources zu verhindern, war die kanadische Polizei nicht so unbeteiligt, um es vorsichtig zu formulieren, wie sie es darstellt. Denn eines Tages, in den frühen Morgenstunden, hatten sich die bewaffneten Polizisten an das Lager herangeschlichen und es überfallen. Selbst Kinder und Alte wurden von den Scharfschützen ins Fadenkreuz genommen. Die Polizei "beschenkte" die Überfallenen mit Tränengas und Gummigeschossen. Zudem wurden die Mitglieder der First Nations von Polizeihunden bedroht. [6]

Die Stammesmitglieder hätten Schußwaffen besessen, lautete der Vorwurf. Doch Gebrauch gemacht haben sie davon anscheinend nicht, jedenfalls war kein Polizist verletzt worden. Wohl aber wurden im Laufe des Tages und der andauernden Proteste fünf Polizeiwagen mit Hilfe von Molotow-Cocktails in Brand gesetzt. [7]

Es ist allgemein bekannt, daß der Abbau von Teersanden in der kanadischen Provinz Alberta für die Treibstoffproduktion äußerst umweltschädlich ist, da dies den Einsatz große Mengen an Wasser und Chemikalien erfordert und auch ganze Wälder gerodet werden. Außerdem ist der Verarbeitungsprozeß energieaufwendig, was bedeutet, daß ein beachtlicher Teil der Energieträger nur dafür gebraucht wird, um den Abbau fortsetzen zu können. Es handelt sich um ein technologisches Konzept, das primitiver nicht sein könnte ... oder müßte man nicht treffender sagen, welches "fortschrittlicher" nicht sein könnte? Weil sich in dem Begriff Fortschritt das ganze Dilemma des Menschen zeigt, auf dem einmal eingeschlagenen Pfad der Zerstörung seiner Umwelt, angeblich notgedrungen, fortschreiten zu müssen.

Diese Not jedoch ist nicht naturgesetzlich festgelegt, sondern beruht auf menschlichen Entscheidungen wie zum Beispiel, den Ureinwohnern das angestammte Land wegzunehmen oder auch langfristig die Lebensvoraussetzungen des ärmeren Teils der Menschheit, der am wenigsten zum Klimawandel beiträgt, aber als erstes von dessen Folgen getroffen wird (und dieser Entwicklung kaum etwas entgegenzusetzen hat), zu zerstören. Jene Not beruht aber auch auf den Wirtschaftlichkeitserwägungen der Europäischen Kommission, die Hindernisse gegen den Import kanadischen Rohöls beseitigt hat.

Im vergangenen Jahr hatte die Kommission einen Gesetzestext vorgelegt, in dem Öl aus Teersanden pauschal die gleiche Klimabilanz zugesprochen wird wie Diesel, obwohl die Kommission selber schreibt, daß Diesel klimaschonender hergestellt wird. Und auch wenn der zuständige Umweltausschuß des Europaparlaments ein Veto gegen den Kommissionsentwurf empfohlen und die Mehrheit der Europaparlamentarier ebenfalls dagegen gestimmt hat, kam das Veto nicht zustande, weil die notwendige "qualifizierte Mehrheit" dafür fehlte. [8]

Sollte die EU ihr Klimaschutzziel, im Verkehrsbereich sechs Prozent der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 einzusparen, erreichen, dann vermutlich nur deshalb, weil auf die hier beschriebene Weise an den Berechnungsvoraussetzungen manipuliert wurde. Ursprünglich war nämlich geplant, für Teersand-Öle einen gesonderten Wert festzulegen, der fünfmal so hoch lag wie der für andere Treibstoffe.

Hintergrund dieses durchsichtigen Manövers ist offensichtlich ein Entgegenkommen der EU für das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA - Comprehensive Economic and Trade Agreement). Es bedarf keines weiteren Beweises mehr, daß mit CETA die Umweltstandards in Europa gesenkt werden - entweder wie hier bereits im Vorfeld oder aber nach der Ratifizierung. Durch die drastische Abschwächung der Richtlinie zur Kraftstoffqualität wird der Import von Treibstoff aus kanadischen Teersanden gefördert. In dem oben erwähnten internen RCMP-Papier wird die Existenz eines internationalen Anti-Erdöl-Netzwerks behauptet - die Einigkeit der kanadischen Regierung und der EU-Administration in der Verharmlosung der Umweltauswirkungen des Teersandabbaus zeigt jedoch, daß auf seiten der Umweltschutzinitiativen eine Zusammenarbeit geradezu unverzichtbar ist. Treibhausgasemissionen, Erderwärmung und Klimawandel machen nicht an nationalen Grenzen halt.


Fußnoten:

[1] http://www.parl.gc.ca/content/hoc/Bills/412/Government/C-51/C-51_1/C-51_1.PDF

[2] http://news.nationalpost.com/2015/02/27/open-letter-to-parliament-amend-c-51-or-kill-it/

[3] Beispielsweise sind die Darstellungen des Aktivisten und Comic-Zeichners Gord Hill vom Volk der Kwakwaka'wakw aus dem Nordwesten Kanadas gegen die Erdöl-Infrastruktur gerichtet. Gilt ihre Verbreitung in Zukunft als "terroristisch"? Dann würde das auch für die Zeichnungen in den beiden folgenden Schattenblick-Beiträgen gelten:

Infopool → UMWELT → REPORT
BERICHT/084: Alte Wunden, neues Blut - Ureinwohnerfront Kanada (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0084.html

INTERVIEW/123: Alte Wunden, neues Blut - Vergeßt die Verträge ... Kim Croswell im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0123.html

[4] http://scc-csc.lexum.com/scc-csc/scc-csc/en/1569/1/document.do

[5] http://www.statewatch.org/news/2015/feb/can-2014-01-24-rcmp-anti-petroleum-activists-report.pdf

[6] http://www.theguardian.com/environment/2013/oct/21/new-brunswick-fracking-protests

[7] http://www.cbc.ca/news/canada/new-brunswick/rcmp-protesters-withdraw-after-shale-gas-clash-in-rexton-1.2100703

[8] http://www.euractiv.de/sections/energie-und-umwelt/ceta-und-klimaschutz-eu-foerdert-kanadische-oelsand-importe-310925

3. März 2015


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