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BERICHT/020: Bagger fressen Erde auf - Wenn ganze Berge weichen müssen ... (SB)


Mountaintop Removal Mining - Explosiver Kohletagebau in den Appalachen

Grafik des Beehive Design Collective - http://www.beehivecollective.org/images/coal/coalp_proof2_quartersize.jpg

The True Cost of Coal - Grafischer Mikrokosmos eines Konflikts von epischer Dimension
http://www.beehivecollective.org/images/coal/coalp_proof2_quartersize.jpg

The True Cost of Coal - Veranstaltung am 14. Juni im Hamburger Gängeviertel

"Strip Mining on Steroids" nennen manche Aktivistinnen und Aktivisten das Absprengen ganzer Berggipfel in den Appalachen. In diesem gebirgigen Teil der östlichen USA hat sich eine Praxis der Kohleförderung etabliert, deren offizieller Name "Mountaintop removal mining" (MTR) nur unzureichend wiedergibt, daß diese Form der Gewinnung von Steinkohle weit zerstörerischer für Land und Leute ist als der konventionelle Bergbau, der in dieser Region der USA eine lange Tradition hat. In den Staaten mit der größten Kohleproduktion der Appalachen, West Virginia und Kentucky, aber auch in Tennessee, ist das seit den 1960er Jahren praktizierte MTR inzwischen die hauptsächliche Form des Kohleabbaus nicht zuletzt deshalb, weil es weit kostengünstiger ist, die Kohleflöze mit Sprengstoff freizulegen, anstatt Minenarbeiter für den Untertagebau zu beschäftigen.

Diaprojektion einer MTR-Mine - Foto: 2012 by Schattenblick

Mondlandschaft des Ressourcenkrieges
Foto: 2012 by Schattenblick

Rund tausend Tonnen Dynamit werden in jedem dieser Staaten pro Tag dafür eingesetzt, ein altes Ökosystem mit hochgradiger Biodiversität zu zerstören und die Gesundheit der dort lebenden Menschen zu gefährden. Ein Waldgebiet im Umfang von 5700 Quadratkilometern wurde bereits durch MTR zerstört. Dabei wurden die Gipfel von rund 500 Bergen abgesprengt. Der bei ihrer Verkürzung um bis zu 120 Meter und ihrer Ausbaggerung bis in die Tiefe von weiteren 200 Metern entstehende Abraum hat schon 2011 laut der US-Umweltbehörde EPA über tausend Kilometer Flußlauf unter mit toxischen Substanzen versetztem Schutt begraben. Ganze Täler verschwinden, während auf den kahlen Flächen, die zurückbleiben, wenn die Minengesellschaften zum nächsten Berg ziehen, im besten Fall eine notdürftige Rekultivierung an die Stelle einst reichhaltiger Biotope tritt. Meist jedoch, so haben Umweltorganisationen herausgefunden, findet so gut wie keine Wiederherstellung der zerstörten Natur statt.

Diaprojektion eines Tals voller Abraum - Foto: 2012 by Schattenblick

Valley Fill ... ein Tal als Abraumhalde
Foto: 2012 by Schattenblick

Die bei der Weiterverarbeitung der Kohle entstehenden, ebenfalls giftigen Schlammmassen werden in Becken aufgehalten, deren Dämme mitunter brechen und große Umweltkatastrophen erzeugen. Die Atemluft und das Trinkwasser sind durch diese Form der Exploration so belastet, daß in den davon betroffenen Gemeinden weit überdurchschnittliche Raten an Krebserkrankungen, Atemwegsstörungen und Mißbildungen bei Neugeborenen auftreten. Durch den hochgradig mechanisierten Charakter des Tagebaus haben viele Minenarbeiter ihren Job verloren, so daß die ökologischen Katastrophe mit massiver sozialer Verelendung einhergeht.

All dies hat eine vitale Gegenbewegung auf den Plan gerufen, die sich nicht mehr nur auf die Region beschränkt, sondern an der sich Umweltaktivistinnen und -aktivsten aus den ganzen Vereinigten Staaten beteiligen. Der Anti-Kohle-Widerstand hat dort in den letzten Jahren stark zugenommen, wobei der Kampf gegen MTR aufgrund der vielen dagegen gerichteten Proteste besonders viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Zu den Aktivistinnen, die sich diesem Widerstand verschrieben haben, zählen Zeph und Sophie vom Beehive Design Collective. Die im US-Bundesstaat Maine angesiedelte Initiative leistet ihren Beitrag zu sozialen Bewegungen und Kämpfen etwa gegen das Freihandelsabkommen FTAA, gegen kolonialistische Strategien der US-Regierung in Lateinamerika oder gegen die zerstörerischen Folgen des Kohleabbaus in Form von Aufklärungskampagnen, die sich graphischer Mittel bedienen, um die damit verbundenen Probleme anschaulich zu machen.

Schild am Hamburger Gängeviertel - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hinweis auf einen versteckten Veranstaltungsort
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Rahmen der gemeinsam mit Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Rheinischen Braunkohlerevier organisierten Infotour "The True Cost of Coal" machten die beiden Bees, wie sich die Mitgliederinnen von Beehive selber nennen, auch Station im Hamburger Gängeviertel. Wer dort einen bloßen Vortrag über den Anti-Kohle-Widerstand in den Appalachen erwartet hatte, wurde auf angenehme und beeindruckende Weise enttäuscht. Anstatt die Aufmerksamkeit der interessierten Gäste mit langatmigen Ausführungen zu überfordern, zogen Sophie und Zeph das Publikum mit einer bilderreichen Geschichte in ihren Bann, die ihren fast anderthalbstündigen Vortrag wie im Fluge vergehen ließ.

Das breit ausgespannte grafische Werk, in dem zweieinhalb Jahre kollektiver Arbeit der Recherche und Illustration unter Beteiligung von Betroffenen in den Appalachen stecken, diente als zentraler Bezugspunkt für die beiden Referentinnen, die im Wechsel in die Geschichte und Gegenwart der sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus in den Appalachen einführten. Dabei wurden Ausschnitte aus dem Gesamtbild zwecks besserer Sichtbarkeit auf eine zweite Leinwand projiziert, um als optischer Fokus zu dienen.

Hase mit Fallschirm - Foto: 2012 by Schattenblick

Aktivisten fallen nicht vom Himmel ...
Foto: 2012 by Schattenblick

Die Aktivistinnen, die bereits seit zehn Jahren im sozialökologischen Widerstand aktiv sind, hatten die Arbeit des Beehive Collectives erst vor einigen Jahren entdeckt und waren so angetan von dieser Art und Weise der Vermittlung komplexer Inhalte, daß sie sich ihm anschlossen. Das besondere an den grafischen Darstellungen der Beehive-Kampagnen ist die ausschließliche Verwendung von Tieren wie Pflanzen für all das, was Menschen tun und lassen. Rund 150 verschiedene Beispiele für die reichhaltige Flora und Fauna der Appalachen bevölkern das Bild, das trotz des homogenen Charakters seiner Grafiken das Werk vieler Zeichnerinnen ist. Sie stellen sich damit in die Tradition von Fabelndichtern, die sich seit der Antike dieser metaphorischen Form bedient haben, um ihrem Publikum Geschichten meist belehrenden Inhalts nahezubringen. Die ins Bild gesetzte Vielfalt der Natur ist nicht nur dem Anliegen geschuldet, sich für deren Erhalt einzusetzen, sondern soll auch Animositäten unter Menschen überwinden, die beim Anblick ihresgleichen entstehen können.

Angeregt durch den Aufruf des ehemaligen NASA-Klimawissenschaftlers James Hansen, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen, um damit die größte und langfristigste CO2-Quelle auszuschalten, reisten die Bees in die Appalachen, um die Grundlagen ihres Projekts in Zusammenarbeit mit den dort lebenden Menschen zu erkunden. Gemeinsam mit den Betroffenen entwickelten sie das Konzept für ein Bild, in dem die Geschichte des Absprengens der Berggipfel, die Folgen dieses gewalttätigen Eingriffs wie der dagegen gerichtete Widerstand ins größere Bild einer Geschichte gefaßt werden sollte, die man wirklich erzählen und nicht nur vortragen könnte. Neun Aktivistinnen fertigten Entwürfe und Skizzen an, in denen sie die Handlungsstränge und Inhalte der Geschichte so vorstrukturierten, daß sie schlußendlich das organische Ganze des gigantischen Panoramas ergab, das nun auch in Hamburg auf eine große Leinwand projiziert wurde, um dem Auditorium einmal auf ganz andere Weise vor Augen zu führen, wie zerstörerisch Kohletagebau sein kann.

Diaprojektion der Präsentation der Grafik - Foto: 2012 by Schattenblick

Aktivistinnen erklären ihr Projekt vor Bewohnern der Appalachen Foto: 2012 by Schattenblick

Man sieht dem Bild nicht an, daß die einzelnen Szenarios, wie Zeph berichtete, in zweieinhalb Jahren des schöpferischen Prozesses zwischen fünf bis zwanzig Mal neugezeichnet wurden, um immer bessere Ergebnisse zu erzielen. Währenddessen holten die Bees immer wieder den Rat der direkt Betroffenen ein, um die sozialen, kulturellen und politischen Umstände dieses Raubbaus so treffend wie möglich wiederzugeben. Als das Werk schließlich vollendet war, waren die Zeichnerinnen nicht nur begeistert vom Ergebnis ihrer kollektiven Arbeit, nun begann für sie derjenige Teil der Arbeit, für den das Bild eigentlich gefertigt wurde. Die Aktivistinnen reisten quer durch die USA, durch Kanada und Britannien, um die Geschichte aus den Appalachen zu verbreiten, wo immer man sich für sie interessierte. Gemeindezentren, Schulen, Universitäten, Parks, Ausstellungen - das Interesse an MTR ist groß und die Orte, an denen darüber aufgeklärt wird, sind üblicherweise jene, wo der vielfältige Widerstand nicht nur gegen die Ausbeutung der Natur, sondern alle Lebewesen inklusive des Menschen erblüht.

Diaprojektion mit Erzählerin - Foto: 2012 by Schattenblick

Zeph spinnt den Faden der Geschichte weiter ...
Foto: 2012 by Schattenblick

Um sich dem komplexen Geschehen überhaupt sinnvoll nähern zu können, wurde die Geschichte in mehrere Kapitel unterteilt. Sie folgen einer chronologischen Achse, die von links nach rechts nicht nur horizontal durch das Panorama verläuft, sondern in spiralförmig angeordneten Narrativen das ganze Spektrum der ökologischen, gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen des Kohleabbaus in den Appalachen schildern. So verweben die Autorinnen die Geschichte der Natur und der Entstehung fossiler Brennstoffe mit der der Menschen, die in vorkolonialen Zeiten ganz anders lebten als heute, da die Berge zerstört werden, die den Ureinwohnern des Kontinents keineswegs nur geologische Formationen, sondern aufgrund ihrer wesensmäßigen Eigenart unberührbare Elemente ihrer Lebenswelt waren.

'Which Side Are You On?' - Foto: 2012 by Schattenblick

Diese Frage stellt sich immer ...
Foto: 2012 by Schattenblick

Wie auch immer Anthropologen und Ethnologen die Kosmologie der indigenen Bevölkerung des Landes in dem ihnen eigenen kolonialistischen Blick beurteilen mögen, sie war von einem Respekt vor der Natur geprägt, die sie beherbergte und nährte, wie sie sie auch auf härteste Proben stellen konnte. Das Absprengen ganzer Berggipfel wäre ihnen zweifellos wie ein dämonischer Wahn oder ein fürchterlicher Traum erschienen. Wenn heute die Wasserversorgung selbst weit von den Appalachen entfernter Regionen an der US-Ostküste von der extensiven Zerstörung der Bergwelt beeinträchtigt wird, weil die Flüsse und Ströme unter Abraum versiegen oder durch toxischen Schlamm vergiftet werden, dann betrifft dieser Raubbau eben nicht nur eine vermeintlich folgenlos auszubeutende Natur, sondern alle Lebewesen, die von ihr abhängig sind.

Das Verheizen in Urzeiten aufgrund einer pflanzliches Wachstum besonders begünstigenden Atmosphäre wortwörtlich ins Kraut schießender Riesengewächse setzt neben Kohlendioxid zudem Giftstoffe wie Arsen, Quecksilber und polyaromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) frei. Das 300 bis 400 Millionen Jahre lang in der Erde gefangene Sonnenlicht heizt die Atmosphäre zusätzlich zur ohnehin vorhandenen Einstrahlung auf, anstatt dort zu bleiben, wo es in seiner inaktiven Form gebunden ist. Wie dies erfolgt, berichten Zeph und Sophie anhand von Fotos, die das Sprengen der Berge und das Abbaggern der Kohle, das Auffüllen der Täler mit Abraum und das Zurückbleiben verödeter Flächen wiedergeben.

Diaprojektion eines Damms - Foto: 2012 by Schattenblick

Sophie zeigt Staubecken für Kohleschlamm
Foto: 2012 by Schattenblick

Zusätzlich belastet wird die Region durch die industrielle Reinigung und Verbrennung der Steinkohle, bei der erhebliche Mengen an Giftschlamm entstehen. Dieser wird hinter künstlichen Dämmen gelagert und verseucht von dort aus das Grundwasser. Auch werden tieferliegende Gebiete durch einen möglichen Bruch der lediglich aus aufgeschütteter Erde geformten Dämme bedroht. Am 22. Dezember 2008 kollabierte der Damm eines Rückhaltebeckens, in dem die mit Wasser gebundene Flugasche eines Kohlekraftwerks in der Nähe der Stadt Harriman in Tennessee gelagert war. 4,2 Millionen Kubikmeter des toxischen Schlamms strömten über die nahegelegenen Flüsse in den Tennessee River und bedrohten die Trinkwasserversorgung von Millionen Menschen. Zwar wurde ein Großteil der wieder eingesammelten Asche in neue Deponien gebracht, doch sind die realen Schäden dieser Umweltkatastrophe bis heute unbekannt. Die Menge der freigesetzten Asche war 40mal so groß wie die des Öls, das aus der Exxon Valdez in Alaska ausgetreten war.

Die von den Bergbaukonzernen hinterlassene flachgebügelte Hügellandschaft sieht nicht nur zerstört aus, sie ist es auch, weil fruchtbare Erde abgetragen und durch wenig nährstoffreiche Böden ersetzt wurde. Um dies zu kaschieren, werden schnellwachsende Gräser aus anderen Regionen ausgesät, die, mit starkem Dünger versehen, den bloßen Eindruck von Grün erwecken. Greenwashing wird hier auf ganz gegenständliche Weise vollzogen, wie auch die Behauptung der Bergbaukonzerne belegt, auf diese Weise werde in den Appalachen seltenes und daher wertvolles Flachland geschaffen. Was dort an Unternehmen und Einrichtungen angesiedelt wird, hat allerdings wenig mit den Interessen einer Bevölkerung zu tun, die von der Einheitsarchitektur großer Einzelhandelsketten wie WalMart ebensowenig erfreut ist wie von den Golfplätzen, die den Einheimischen dieser armen Region so fremd sind wie die Leute, die sich auf ihnen vergnügen. Die Errichtung neuer Knäste für den ohnehin völlig überdimensionierten gefängnisindustriellen Komplex der USA wiederum läßt keinen Zweifel daran, welches Schicksal denjenigen zugedacht ist, die mit der Umwandlung der Region in ein Expansionsgebiet für Großkonzerne auf der Suche nach günstigen Investitionschancen nicht einverstanden sind.

Diaprojektion eines Bildausschnitts - Foto: 2012 by Schattenblick

Wachstumsbranche Greenwashing
Foto: 2012 by Schattenblick

Die Aktivistinnen lassen auch denjenigen Teil der Geschichte, der nicht direkt in den Appalachen stattfindet, aber die Entwicklung dort mitverursacht, nicht aus. Die mit Kohle produzierte Elektrizität, die mehr als die Hälfte des Bedarfs in den USA deckt, wird nicht nur an ihrer Quelle aufgrund des geringen Wirkungsgrads der Kraftwerke verschleudert. Sie nährt eine verbrauchsintensive Produktivität, die nicht auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, sondern Kapitalinteressen genügt, die das Ihrige mehren, indem sie die Kosten der Umweltzerstörung auf die ganze Gesellschaft umlasten. Dabei wird der Konsumismus auf den Stand des grünen Kapitalismus gebracht, findet Shoppen heute doch auf angeblich umweltschonende Weise statt. Das gute Gefühl beim Einkaufen stammt nicht nur von den Energiesparbirnen und Solardächern der Shopping Malls, sondern auch der Vielzahl grün angestrichener Produkte. Sie werden erzeugt, um ein Wachstum zu generieren, das im Widerspruch zu knapper werdenden Ressourcen steht, doch wer möchte sich dadurch schon den Einkaufspaß verderben lassen?

Diaprojektion eines Bildausschnitts zur Rüstungsindustrie - Foto: 2012 by Schattenblick

Brandgetriebener Massenoutput von Zerstörungsmitteln Foto: 2012 by Schattenblick

Sophie und Zeph verstehen es, die Ironie eines Gesellschaftssystems auf die Spitze zu nehmen, das seine Waren im Zweifelsfall auch mit Waffengewalt den Schlund der sogenannten Verbraucher herunterdrückt. So spucken die Fließbänder und Produktionsstraßen nicht nur attraktive Gebrauchsgüter aus, sondern Panzer und Bomber, die überall auf der Welt dafür sorgen, daß der Nachschub an Ressourcen nicht abbricht und die Wirtschaft der Eroberer am Wiederaufbau dessen, was zerstört wurde, prosperiert. Doch nicht nur in den Ländern des Südens sorgt die imperialistische Kriegsmaschine dafür, daß die Ordnung der Herrschenden zur allgemeinverbindlichen Grundlage jeder Vergesellschaftung wird. Ihre globale Dominanz gründet in der Kolonisierung des Landes, das als Vereinigte Staaten von Amerika zum leuchtenden Vorbild eines demokratischen Aufbruchs wurde, der ohne die Gleichstellung der von den weißen Siedlern vertriebenen und massakrierten Ureinwohner als auch ohne die Befreiung der aus Afrika verschleppten Sklaven auskam.

Frösche als Minenarbeiter - Foto: 2012 by Schattenblick

Arbeiter müssen sich verkaufen ...
Foto: 2012 by Schattenblick

Die Appalachen waren zudem der Austragungsort militanter Klassenkämpfe, hing die Industrialisierung der USA doch wesentlich von der dort unter schwersten Arbeitsbedingungen geförderten Kohle ab. Zu diesem Zweck wurden nicht nur die in dieser Gebirgslandschaft lebenden Cherokee per Regierungsdekret nach Oklahoma umgesiedelt. Die europäischen Invasoren, von Beehive ins Bild gesetzt durch eine ursprünglich ortsfremde Sorte von Staren, die die einheimische Vogelwelt verdrängte, trugen ihrerseits den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit in aller Härte aus. Während die indigene Bevölkerung auf Gewaltmärschen so sehr zur Ader gelassen wurde, daß sie praktischerweise in stark dezimierter Zahl in dem ihr von der US-Regierung zugewiesenen Reservat ankam, unterwarfen die Bergbauunternehmen mit staatlicher Hilfe das weiße Proletariat einer Eigentumsordnung, die mit Schuldknechtschaft den Ertrag dessen vergrößerte, was die davon Betroffenen unter großen Entbehrungen der Erde entrissen. Der in den Minen unter krankmachenden und höchst gefährlichen Bedingungen erarbeitete Lohn war nicht nur so knapp bemessen, daß die Arbeiter von dem damit erwirtschafteten Reichtum ausgeschlossen blieben. Durch die monopolistische Herrschaft der Minengesellschaften gaben sie ihr Geld auch in konzerneigenen Läden und für die Miete ihrer ebenfalls den Schlotbaronen gehörenden Wohnungen aus.

Die vor allem aus Einwanderern, die noch nicht lange in den USA waren, rekrutierten Lohnsklaven brachten jedoch auch Erfahrungen aus Arbeitskämpfen in anderen Teilen der Welt mit. Sie revoltierten immer wieder gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse, unter denen sie ausgebeutet wurden, wie gegen ihre Auspressung selbst. In der Schlacht von Blair Mountain, einem Kohlefördergebiet im Süden West Virginias, lieferten rund 12.000 bewaffnete Minenarbeiter im September 1921 der aus 3000 Söldnern und Polizisten bestehenden Privatarmee der Minenkonzerne ein mehrtägiges Feuergefecht, bei dem auf beiden Seiten Hunderte Menschen starben. Gegenstand des Streits war die zunehmende gewerkschaftliche Organisierung der Minenarbeiter, die die davon betroffenen Unternehmen seit jeher unter Einsatz mörderischer Gewalt verhinderten und dies auch weiterhin tun wollten. In dem größten bewaffneten Aufstand der US-Geschichte außerhalb des Bürgerkriegs setzte die US-Regierung nicht nur Bundestruppen ein, um die eigene Bevölkerung zu bekämpfen. Sie schickte auch Bomber, die erstmals gegen US-Bürger eingesetzt wurden, was nun, da das Targetted Killing eigener Bürger durch die US-Regierung legalisiert wurde, die repressive Entwicklung dieser Gesellschaft nicht besser dokumentieren könnte.

Diaprojektion von vergeblichem Gartenbau - Foto: 2012 by Schattenblick

Für den eigenen Ertrag bleibt nichts
Foto: 2012 by Schattenblick

Zwar konnten die Minenkonzerne die gewerkschaftliche Organisierung der Lohnabhängigen durch die militärische Niederschlagung des Aufstands noch hinauszögern, doch hielten sie die historische Entwicklung, die Minenarbeiter an die Spitze der Bewegung für Arbeiterrechte setzte, nicht auf. Die Zersetzung dieser Bewegung hatte erst in den letzten Jahrzehnten Erfolg, was unter anderem den Produktivitätsgewinnen beim Kohleabbau geschuldet ist, wo der gleiche Kapitaleinsatz einen anwachsenden Anteil an Kohle hervorbringt. MTR ist ein Element der Strategie, menschliche Arbeitskräfte durch die Ausweitung der Mechanisierung in der Produktion und die Auslagerung von Kosten auf die Umwelt entbehrlich zu machen. 1950 arbeiteten noch 488.000 Kumpel in der US-Kohleindustrie, 1990 waren es nur noch 131.000, und heute sind lediglich 80.000 Personen in diesem Bereich beschäftigt. Gehörten 1980 noch 98 Prozent einer Gewerkschaft an, so sind heute maximal ein Viertel der Kumpel gewerkschaftlich organisiert.

Nicht, daß es wünschenswert wäre, unter wie ober Tage seinen Lebenserwerb zu bestreiten. Insgesamt 104.000 Kumpel sollen in der Geschichte der Kohleförderung der USA unter den gefährlichen Arbeitsbedingungen, die in den unterirdischen Minen herrschen, ums Leben gekommen sein. Jedes Jahrzehnt sollen rund 10.000 Minenarbeiter in den USA an Silikose, besser bekannt als Staublunge, vorzeitig sterben. Die aus der Einlagerung von Quarzstaub und anderen beim Kohleabbau freigesetzten Stoffen in die Lunge resultierende Erkrankung stellt jedoch auch für alle Menschen eine Bedrohung dar, die in der Nähe eines Braunkohletagebaus leben oder, im Fall der Appalachen, die bei der Sprengung und beim Abbaggern der Kohle freigesetzten Stäube einatmen. Während in diesem traditionsreichen Kohleabbaugebiet immer weniger Menschen ihr Geld bei den allmächtigen Bergbauunternehmen verdienen, wobei der 2011 von Alpha Natural Resources übernommene Konzern Massey Energy in dieser Region an erster Stelle steht, leidet die Bevölkerung unter Krebsraten und Erbschädigungen, die doppelt so hoch sind wie im US-Durchschnitt, wie unter anderen Krankheiten, die durch Giftstoffe aus der Kohleförderung bedingt sind.

Diaprojektion eines Bildausschnitts - Foto: 2012 by Schattenblick

Organisierung des Widerstands
Foto: 2012 by Schattenblick

Wie die soziale Geschichte der Kohleförderung in den Appalachen zeigt, kann die zerstörerische Wirkung dieser Exploitation nicht außerhalb der Kategorien sozialer Kämpfe verstanden werden. Es sind immer Menschen, die zerstören, daher liegt es an ihnen, diesem Desaster ein Ende zu bereiten. Dargestellt wird dieser Widerstand anhand verschiedener Mobilisierungs- und Aktionsformen, bei denen Sophie und Zeph die Rolle von Frauen hervorheben, die sich dabei in besonderer Weise hervorgetan haben. In den Appalachen kulminieren die sozialökologischen Kämpfe zudem in einer Zusammenarbeit zwischen der direkt betroffenen Bevölkerung und Aktivistinnen und Aktivisten aus den ganzen USA, die sich bestens in die neue Protestkultur einfügt, bei der seit Jahrzehnten aktive Gruppen aus dem radikalökologischen, antikapitalistischen, antirassistischen und antimilitaristischen Spektrum, Occupy-Bewegte und ganz normale Bürger den seit langem überfälligen, durch eine Verelendung sondergleichen dringlich gewordenen sozialen Widerstand befeuern.

Diaprojektion der grünen Warensammlung - Foto: 2012 by Schattenblick

Warenparadies der grünen Consumer Society
Foto: 2012 by Schattenblick

Ein weiteres Kapitel der Geschichte betrifft das Machtkartell aus Staat und Kapital. So wird den Investoren in Washington freie Hand gegeben, während die Gegner des Kohletagebaus schon aufgrund ihrer geringeren materiellen Bemittelung am kürzeren Hebel sitzen. Begünstigt werden die Aktivitäten der Bergbaukonzerne durch PR-Strategien des Greenwashing, bei denen sich einmal mehr erweist, wie sehr die US-Gesellschaft von Kapitalinteressen beherrscht wird. Was bei den Wahlen in diesem Zweiparteiensystem, das im Kern auf die Monopolherrschaft des Kapitals hinausläuft, allgemein bekannt ist, gilt auch für die Durchsetzung der Interessen der nach wie vor vor allem auf fossiler Energie basierenden Wirtschaft.

Diaprojektion von Bibern - Foto: 2012 by Schattenblick

Tiere machen es den Menschen vor
Foto: 2012 by Schattenblick

Am Beispiel eines Biberdamms und anderer Formen tierischer Reproduktion präsentieren Sophie und Zeph schließlich Möglichkeiten eines alternativen, solidarischen und selbstorganisierten Lebens. Eine Lebensweise unter geringem Verbrauch alternativ erzeugter Energie auf regionaler Basis ohne die Einmischung von Akteuren, die in den jeweiligen Lebenswelten gar nicht zuhause sind, sondern sie nur für die Kapitalakkumulation nutzen wollen, könnte die Zusammenfassung dessen lauten, was auf der rechten Seite des Bildes anhand zahlreicher praktischer Beispiele aus dem Tierreich als zu erschließendes Potential aller Lebewesen dargestellt wird.

Grafik gefaltet - Foto: 2012 by Schattenblick

Zeph läßt das Zerstörungswerk verschwinden
Foto: 2012 by Schattenblick

Zum Abschluß der Geschichte falten die Erzählerinnen eine verkleinerte Version des Bildes so zusammen, daß der die zerstörerischen Folgen des Kohleabbaus in einem energiehungrigen Kapitalismus illustrierende Mittelteil verschwindet. Die Vergangenheit der biologischen Geschichte der Erde und Frühformen menschlicher Entwicklung schließen nun fugenlos an die Zukunft selbstorganisierten alternativen Lebens und Wirtschaftens an. Eine Utopie selbstgenerativer und -erhaltender Nutzungsverhältnisse entsteht vor dem Auge des Betrachters, imaginiert von einer Gruppe Zeichnerinnen, die zu verwirklichen versuchen, was sie auf so anschauliche Weise vermitteln. Wer bei diesem Anlaß zugegen war, konnte ein lebendiges Beispiel für praktische Kunstfertigkeit und angewandte Kunst erleben, vor dem viele der mit großem finanziellen und materiellen Aufwand in Szene gesetzten Kulturevents verblassen. Wo das authentische Moment eines entschieden positionierten und unmißverständlich mitgeteilten Anliegens wirksam wird, kann mit kleinen Mitteln viel in Bewegung gesetzt werden.

Fußnote:

Zur ausführlicheren Information über das Beehive Design Collective und Entstehung wie Inhalt des Bildes "The True Cost of Coal" siehe

http://www.beehivecollective.org/english/coal.htm

Diaprojektion von drei Bildausschnitten mit Vögeln - Foto: 2012 by Schattenblick

Grafische Studie eines außergewöhnlichen Kunstwerks
Foto: 2012 by Schattenblick

9. Juli 2012