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BERICHT/055: Saatgutdesaster - freie Vielfalt, freie Welt (SB)


Bericht zur Pressekonferenz "Konzernmacht über Saatgut - Nein danke!" am 26. Juli 2013 in Hamburg



Die Europäische Union nutzt gegenwärtig eine Reform ihrer Saatgutgesetzgebung, um die administrative Verfügungsgewalt tiefer als bisher in der landwirtschaftlichen Produktion zu verankern, und verhilft zugleich kapitalstarken Saatgutkonzernen zu Konkurrenzvorteilen auf dem Binnen- wie auch dem Weltmarkt. Ein am 6. Mai dieses Jahres von der EU-Kommission vorgelegter Entwurf [1] für eine Verordnung zum neuen Saatgutrecht wird von einem breiten Bündnis an kleinbäuerlich und ökologisch orientierten Organisationen scharf kritisiert. [2] Sie sehen erhebliche Restriktionen und Mehraufwände auf sich zukommen und wollen nun Einfluß auf den nach der Sommerpause vom EU-Parlament fortgesetzten Entscheidungsprozeß nehmen.

Links vom Tisch die beiden Referenten vor Plakatwand, rechts drei Pressevertreter - Foto: © 2013 by Schattenblick

Andreas Riekeberg und Susanne Gura informieren die Presse über den EU-Entwurf zum Saatgutrecht
Foto: © 2013 by Schattenblick

Als das Bündnis am 26. Juli 2013 in Hamburg eine gemeinsame Erklärung zum Saatgutrecht vorstellte, fiel das Presseecho recht dünn aus. Vielleicht war die bescheidene Beteiligung dem hochsommerlichen Wetter in der Hansestadt zuzuschreiben, vielleicht allgemein der Urlaubszeit, vielleicht aber auch einem grundsätzlich schwach ausgeprägten Interesse an zumeist komplexeren EU-Themen - an einem jedenfalls konnte es nicht gelegen haben: an der Bedeutung dessen, worum es auf der Pressekonferenz ging.

Das Saatgutrecht berührt nicht weniger als die Basis der menschlichen Ernährung. Man kann sogar ohne Übertreibung sagen, daß der Fortbestand der menschlichen Gesellschaft davon abhängen wird, ob es gelingt, ständig Saatgut so weiterzuentwickeln, daß es auch unter den Bedingungen einer Welt des Klimawandels, in der sich die Wetterextreme in jede denkbare und vermutlich in die eine oder andere undenkbare Richtung weiterentwickeln, den Menschen die lebensnotwendige Nahrung liefert, wie sie nicht einmal heute in ausreichender Menge für alle bereitzustehen scheint.

In einer Welt, in der fast eine Milliarde Menschen regelmäßig hungert, würde das von der EU geplante Weiter-so-wie-bisher, bei dem die industrielle Saatgutproduktion gefördert wird, absehbar nur noch mehr Mangel produzieren. Denn wie andere Wirtschaftsunternehmen auch ziehen die marktbeherrschenden Agrokonzerne ihren Profit daraus, daß ihr Saatgut eben genau nicht für jedermann frei verfügbar ist. Dabei bestehen nicht nur rechtliche Beschränkungen der Verfügbarkeit von Saatgut wie die durch das Saatgutrecht (das die Marktzulassung regelt) und die durch den Sortenschutz (der den gewerblichen Rechtsschutz auf Pflanzenzüchtungen regelt) und das Patentrecht, sondern auch biologische Beschränkungen. Die Unternehmen arbeiten mit einigem Erfolg daran, daß das Saatgut seine Vermehrungsfähigkeit verliert, so daß Landwirte und andere Verbraucher auch aus diesem Grund jedes Jahr von neuem Saatgut von ihnen erwerben müssen.

Soll also künstlich erzeugte Unfruchtbarkeit der Pflanzen die Antwort auf die Not der hungerleidenden Menschheit sein? Offensichtlich ja, wenn der Entwurf zur Saatgutreform in seiner jetzigen Form umgesetzt wird. Die EU ist selbstverständlich nicht der einzige Akteur auf dem Gebiet der Saatzucht, aber ein wichtiger. Mit dem neuen Saatgutrecht würde wieder einmal eine Chance vertan, den weltumspannenden Siegeszug des patentierten, mitunter sogar sterilen Saatguts zu stoppen.

Anfang der 80er Jahre gab es weltweit noch etwa 1000 Saatzuchtunternehmen, und keines besaß einen Weltmarktanteil von mehr als ein Prozent. Heute haben zehn Konzerne 70 bis 80 Prozent der globalen Saatgutproduktion inne, allein auf drei von ihnen entfallen über 50 Prozent. Bei diesen handelt es sich um kapitalstarke Chemiekonzerne, die sich den Saatgutbereich angeeignet haben, was überaus geschäftstüchtig ist, denn so können sie Saatgut produzieren, das ohne einen umfangreichen Chemikalieneinsatz kaum gedeiht. Außerdem werden die Landwirte mit Hilfe von Knebelverträgen gezwungen, die jahrtausendealte Praxis des Nachbaus von Sorten aufzugeben - ein Straftatbestand der Nötigung sieht nicht viel anders aus.

Traditionell heben Landwirte einen Teil ihrer Ernte auf, um die Samen in der nächsten Anbauphase aussäen zu können. Diese Art der Landwirtschaft hat überhaupt erst dazu geführt, daß im Laufe der Jahrhunderte aus Gräsern Getreidepflanzen wurden, da beim Nachbau immer auch Auslese betrieben wird. Ein Landwirt achtet darauf, daß er die kräftigen Saatkörner aufhebt und zur nächsten Aussaat verwendet. Über Generationen hinweg wurde dadurch die Ertragsfähigkeit gesteigert.

Pastinakenwurzeln, dicht an dicht - Foto: Zyance, freigegeben als CC-BY-SA-2.5 unported via Wikimedia Commons

Standhafter Widerstand gegen DUS-Normierung: Die Pastinake ist Symbol des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.
Foto: Zyance, freigegeben als CC-BY-SA-2.5 unported via Wikimedia Commons

Das Saatgutrecht, das zur Zeit von der Europäischen Union reformiert wird, ist leicht mit dem Sortenschutz zu verwechseln, berichtete Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgut-Souveränität und Pastor in Wolfenbüttel. Wenngleich sich beide Rechtsrahmen auf den gleichen Gegenstand beziehen, behandelt Sortenschutz die geistigen Eigentumsrechte auf eine bestimmte Sorte und das Saatgutrecht den Marktzugang einer Sorte. Zur Veranschaulichung: Wer ein Handy herstellt, kann sich bestimmte Merkmale schützen lassen, damit andere Hersteller nicht beispielsweise die runden Ecken nachmachen. Aber für den Zugang zum Markt muß darüber hinaus noch der Nachweis der technischen Sicherheit des Handys erbracht werden. In der Europäischen Union benötigt ein Saatgutzüchter ebenfalls eine Art TÜV-Freigabe, die hierzulande das Bundessortenamt erteilt.

Bisher wird das Inverkehrbringen von Saatgut mittels 12 Richtlinien geregelt, die seit 1966, als die EU noch EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) hieß, veröffentlicht wurden. Eine neue Sorte, die jemand auf den Markt bringen möchte, wird nach den sogenannten DUS-Richtlinien bewertet. DUS steht für englisch 'distinct' (unterscheidbar), 'uniform' (einheitlich) und 'stable' (beständig). Gemeint ist damit, daß sich eine neue Sorte von anderen unterscheiden muß, daß die Pflanzen einer Sorte weitgehend einheitlich sind und daß auch von einer Generation zur nächsten keine größeren Abweichungen auftreten. Man hat es hier demnach mit einer Norm für Saatgut zu tun.

Ab dem Jahr 2008 kamen noch drei Erhaltungsrichtlinien für nicht-DUS-Sorten hinzu, was als eine Art Leckerli gedacht war, um die Saatguterhalter und Amateurzüchter zufriedenzustellen. Sämtliche Regelungen sollen nun zu einer einzigen Verordnung zusammengefaßt werden. Während aber die Richtlinien der EU immer noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen, was den Unionsmitgliedern stets einen gewissen Spielraum läßt, sind Verordnungen unmittelbar geltendes Recht. Darum halten es die an dem Bündnis beteiligten Organisationen für so wichtig, frühzeitig auf den Entwurf, der demnächst vom Agrarausschuß des EU-Parlaments behandelt wird, Einfluß zu nehmen. Der Ausschußvorsitz wurde an den italienischen Abgeordneten Sergio Paolo Francesco Silvestris von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) übertragen. Er ist Mitglied der Berlusconi-Partei Il Popolo della Libertà (PDL).

Silvestris könnte sich als ziemlich resistent gegenüber Korrekturvorschlägen erweisen, die den kleinbäuerlichen Saatguthandel stärken. Und Korrekturen des EU-Entwurfs sind laut dem Bündnis dringend geboten. Zwar hatte der zuständige EU-Kommissar Tonio Borg in letzter Minute noch eine Nischenmarktregelung für Saatgut in den Entwurf aufgenommen, was nach Ansicht von Dr. Susanne Gura vom Dachverband Kulturpflanzen und Nutztiervielfalt und erste Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. aufgrund öffentlichen Drucks erfolgte, aber zugleich kritisierte sie auf der Pressekonferenz, daß auf die Samentütchen in Zukunft "Nischenmaterial" aufgedruckt werden müsse und daß alle, die Saatgut zum Verkauf anbieten, dann die veräußerten Mengen dokumentieren müßten. Außerdem behalte sich die EU-Kommission vor, weitere Regeln bezüglich Verpackung, Kennzeichnung und auch Vermarktung festzulegen, was die Saatgutproduzenten nötige, ständig auf dem neuesten Stand der in teilweise in kleinen Ausschüssen erarbeiteten Beschlüsse zu sein, was für Kleinanbieter einen kaum zu leistenden Zusatzaufwand bedeuten könnte.

Das Saatgutrecht und die Kritik daran, das kann man sich gerne eingestehen, sind nicht leicht verdaulich. Die Debatte wird auf mehreren Ebenen geführt, die zudem eng miteinander verschränkt sind. Den übergreifenden Rahmen liefert natürlich der administrative Vorgang. Der erfolgt auf der Grundlage, daß sich die EU in der Lissabon-Strategie aus dem Jahr 2000 das Ziel vorgenommen hat, innerhalb von zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt aufzusteigen. In der Nachfolgestrategie "Europa 2020" wurde diese wirtschafts- und wachstumsorientierte Ausrichtung beibehalten.

Mit der Reform des Saatgutrechts, Teil eines Pakets von "smarter rules for safer food" (schlauere Regeln für sicherere Nahrung) genannten Gesetzesvorschlägen, die sich abgesehen vom Saatgut auf die Tier- und Pflanzengesundheit sowie die amtlichen Kontrollen beziehen, verfolgt die EU mehrere Ziele: Indem sie einen einheitlichen Rechtsrahmen schafft, regt sie den Binnenmarkt an, wobei das vor allem den größeren Unternehmen, die grenzüberschreitenden Handel betreiben und ständig expandieren wollen, zugute kommt. In Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Polen und auch Italien, in denen die Landwirtschaft noch kleinteiliger strukturiert ist als beispielsweise in Deutschland, wird bisher viel seltener Saatgut über den Markt gehandelt.

Ansammlung von Kisten mit Kräutern, Salaten und Gemüse auf dem Hof in Bienenwerder - Foto: © 2011 by Schattenblick

Organischer Landbau Bienenwerder, Sommer 2011 - samenfeste Sorten für regenfrische Salat- und Kräutervielfalt
Foto: © 2011 by Schattenblick

Mit dem vorliegenden Entwurf würden diese Kleinproduzenten, die Saat traditionell eher mit ihren Nachbarn tauschen, unter Druck gesetzt, sich registrieren zu lassen und bestimmte Auflagen zu erfüllen. Es ist absehbar, daß sich viele Landwirte die mit dem Verwaltungsakt verbundenen Kosten und zeitlichen Aufwände nicht leisten können und aufgeben müssen, Saatgut zu produzieren. In diese Lücken stoßen dann die größeren Saatgutunternehmen vor.

Zugleich wird das Saatgutrecht von der EU exportiert. Laut Susanne Gura haben afrikanische Länder, die zu regionalen Wirtschaftsblöcken zusammengeschlossen sind, angefangen das europäische Modell zu übernehmen. [3] Außerdem befindet sich die EU mit verschiedenen Ländern in Verhandlungen über den Abschluß von Freihandelsabkommen, beispielsweise mit Indien. Wenn die Europäer mit einem einheitlichen Recht in solche Verhandlungen treten, haben sie es leichter, die ihnen genehmen Vorstellungen durchzusetzen. Gleiche Rechts- und Wirtschaftsräume bieten natürlich den europäischen Saatgutkonzernen im Rahmen der Weltmarktkonkurrenz enorme Vorteile, so daß sie leichter expandieren können.

Hierzu gilt es jedoch zu bedenken, daß gegenwärtig weltweit zahlreiche Freihandelsabkommen ausgearbeitet werden oder schon abgeschlossen sind, nicht nur unter Beteiligung der EU. Beispielsweise streben die USA sowohl ein transatlantisches als auch ein transpazifisches Freihandelsabkommen an. Schaut man einige Jahre voraus, so könnte irgendwann nahezu der gesamte Globus der Freihandels-Doktrin unterworfen sein, wodurch sich die relativen Handelsvorteile einzelner Nationen wieder ausglichen.

An dieser Stelle soll gar nicht geleugnet werden, daß die Absicht, ein Freihandelsabkommen zu schließen, auch darin besteht, gegenüber anderen Staaten, die nicht in das Abkommen einbezogen sind, Vorteile zu erwirtschaften. Hier geht es aber um den Blick darüber hinaus, und der zeigt einen ganz anderen Frontverlauf an: Menschen müssen unter dem Druck einer gezielt aufgebauten globalen Konkurrenzsituation ihre Arbeitskraft zu einem Spottpreis verkaufen, nur um ihr nacktes Überleben zu sichern. Zudem werden die Staatsbürger in immer mehr Bereichen entmündigt. Beispielsweise wird in den Richtlinien der EU bisher nur das Inverkehrbringen von Saatgut geregelt, doch schon in der Überschrift des neuen Entwurfs für die EU-Verordnung wird abgesehen von der Verbreitung auch von der Erzeugung gesprochen, die zukünftig geregelt werden soll.

Ein Landwirt, der nicht einmal mehr sein eigenes Saatgut züchten darf, ohne dafür umfangreich Rechenschaft ablegen zu müssen, droht zu einem bloßen Knecht der staatlich administrierten, industriellen Landwirtschaft zu werden. Die Bildung von Nischenmärkten für kleinere Züchter mit maximal zehn Angestellten und einen Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro, denen im EU-Entwurf eine Sonderrolle zugewiesen wird, stellt dazu nicht das Gegenmodell dar, sondern dessen Fortsetzung, da auch hierbei bestimmte Auflagen erfüllt werden müssen.

Bioladen-Regal mit organisch angebauten Kräutern - Foto: © 2012 by Schattenblick

Bienenwerder Vielfalt im BioKraftKeller Berlin-Mitte, Sommer 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Konflikt, den die Saatgut-Kampagne und ihre Verbündeten [4] austragen, findet letztlich in ähnlicher Form seit vielen Jahrhunderten statt. In China haben sich die Bauern sogar schon vor zwei Jahrtausenden erhoben (Aufstand der Roten Augenbrauen). Immer ging es darum, daß Menschen bestimmten Rechten unterworfen wurden, durch die sie in ihren Möglichkeiten der Lebensbewältigung eingeschränkt wurden, während andere Vorteile davon erlangten. Bauernaufstände waren ein ständiger Begleiter der Vergesellschaftung des Menschen.

Wohingegen ein Bauer, der lediglich Subsistenzwirtschaft betreibt, seine Erzeugnisse mit Nachbarn tauscht oder allenfalls noch auf örtlichen Märkten zum Handel feilbietet, schlicht aus dem Grund an keinem Aufstand teilnimmt, weil es niemanden über ihm gibt, gegen den er sich erheben könnte. Erst mit dem gewaltsamen Zusammenschluß der Menschen zu übergeordneten Gemeinschaften bis zum heutigen Stadium der globalisierten Gesellschaft, die noch nicht das Ende der Fahnenstange sein dürfte, wurden mannigfaltige Formen der Herrschaft etabliert, die auch mit einer Ausdehnung der Verfügungsgewalt über die Bauern einhergingen. Also erhoben sie sich immer mal wieder und kämpften schlicht dagegen, beraubt zu werden.

Auf der anderen Seite zählt es von jeher zu den subtileren Herrschaftstechniken, die Auspressung so zu gestalten, daß die Bauern kontinuierlich Nahrung produzieren, die ihnen abgeknöpft werden kann. Wenn dennoch im Verlauf der Menschheitsgeschichte die Landbevölkerung in millionenfacher Zahl verhungert ist - ein Trend, der bis heute ungebrochen anhält: je nach Zählung verhungern pro Jahr zwischen 10 und 30 Millionen Menschen, von denen die meisten auf dem Land leben -, steht das dazu in keinem Widerspruch, sondern kann als Begleitfolge des gleichen Raubanliegens verstanden werden.

Natürlich sieht die Ordnungspolitik in einer ausdifferenzierten Gesellschaft wie der Europäischen Union anders aus als beispielsweise in einem Europa zur Zeit der Deutschen Bauernkriege (1524-1526), und doch wurde auch damals schon um Nutzungsrechte (zum Beispiel des Waldes) und gegen den Zwang von Abgaben gekämpft. Die heutigen Vertreter des Rechts auf selbstbestimmte Landwirtschaft und des dazugehörigen Rechts auf selbstbestimmten Umgang mit Saatgut kämpfen mit zivilen Methoden.

Beispielsweise mit der Petition "Saatgutvielfalt in Gefahr - gegen eine EU-Saatgutverordnung zum Nutzen der Saatgut-Industrie", die sich an die Kommission, das Parlament und den Ministerrat der Europäischen Union richtet. [5] Darüber hinaus zählt auch die Lobbyarbeit in Brüssel zu den Mitteln, mit denen Mitglieder des Bündnisses ihre Interessen durchzusetzen versuchen, wobei hier eindeutig mit ungleichen Spießen gekämpft wird. Denn die europäische Saatgutindustrie sitzt ebenfalls in Brüssel und verfügt dort über einen wesentlichen größeren Einfluß als das Bündnis der Vielfalts-Erhalter, Bio-Züchter, Verbraucher- und Umweltorganisationen. [6] Die können schon froh sein, wenn sie einen Termin bei einem Vertreter der EU-Administration erhalten, während die Saatgutindustrie womöglich auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz genommen hat, bildhaft gesprochen.

Zu einer solchen Einschätzung gelangten jedenfalls die kleinen Saatgutzüchter aufgrund von Ermittlungen der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) in Brüssel. Die hatte herausgefunden, daß Isabelle Clément-Nissou bis September 2011 Direktorin der französischen Lobbyorganisation der Saatgutindustrie GNIS (Groupement National Interprofessionnel des Semences) war und anschließend als "nationale Expertin" nach Brüssel entsandt wurde, um beim Abfassen der neuen Saatgutgesetze durch die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, DG SANCO, auszuhelfen. Dies bezeichnete Corporate Europe Observatory in einem offenen Brief als eindeutigen Interessenkonflikt. [7]

Da der EU-Gesetzentwurf zum Saatgutrecht noch zahlreiche offene Stellen enthält, die später durch sogenannte delegierte Akte seitens der EU-Kommission mit Inhalt gefüllt werden, ohne daß anschließend die Parlamentarier oder der Ministerrat noch zur Rate gezogen werden müssen, befürchtet das Bündnis hier ein Einfallstor für Bestimmungen, die den kleineren Züchtern zusätzlich zum Schaden gereichen, so daß Vielfaltssaatgut und ökologisches Saatgut stärker als sowieso schon abgedrängt werden und die großen Unternehmen als endgültige Gewinner aus dem Ringen um das Verfügungsrecht auf Saatgutzüchtung und -verbreitung hervorgehen.

Schwarz-weiß-Druck mit Bild einer Gruppe bewaffneter Bauern und alter deutscher Schrift - Foto: Autor unbekannt, eingescannt aus: Otto Henne am Rhyn: Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Zweiter Band, Berlin 1897, S. 21. Freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

"Zwölf Artikel der Bauern", Flugschrift von 1525 mit den Forderungen der aufständischen Bauern
Foto: Autor unbekannt, eingescannt aus: Otto Henne am Rhyn: Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Zweiter Band, Berlin 1897, S. 21. Freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Vor rund einem Jahr hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung [8] hinsichtlich der Frage, ob ein Saatgutrecht der EU überhaupt zulässig ist, dem Standpunkt der großen Betriebe angeschlossen und in der Urteilsbegründung der Sicherung der hohen Produktivität das Wort geredet, wobei Produktivität auf Masse zielt, nicht aber auf Biodiversität und die Fähigkeit von Saatgut, sich an veränderte Umweltbedingungen einer Region anpassen zu können.

Durch die geplante EU-Verordnung würde ein Saatgut ins Zentrum der Förderung gerückt, mit dessen Verwendung der gegenwärtige Trend zu großflächigen Monokulturen verstärkt wird, und ausgerechnet jenes Saatgut zum Nischendasein verurteilt, das sich durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnet. Es könnte sich erweisen, daß die aus bloßen Profitgründen vermehrungsunfähig gemachten Hybridsorten unter Umständen den sich verändernden Umweltbedingungen überhaupt nicht gewachsen sind und statt dessen den Vielfaltssorten eine goldene Zukunft blüht. [9]

Abgesehen von der bislang beschriebenen Kritik an den administrativen Entscheidungen bestehen auch agrarwissenschaftliche Bedenken gegenüber der Förderung des DUS-genormten Saatguts. [10] Der Entwurf privilegiere das Standardmodell der Hochleistungssorten, wohingegen die Zulassungsfähigkeit von alten Sorten und biologischem Saatgut stark eingeschränkt werde, lautet die Kritik von Riekeberg und Gura. Es gebe zwar etliche tausend Hochleistungssorten auf dem Markt, aber die repräsentierten "keine breite genetische Basis".

Die EU-Kommission behauptet zwar, daß Privatleute wie eh und je Saatgut untereinander tauschen könnten, so daß Hobbygärtner gar nicht von dem Entwurf betroffen seien, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Allein in Deutschland verkaufen mehrere hundert Saatgutzüchter im kleinen Rahmen ihre Produkte, um zumindest ihre Unkosten wieder hereinzuholen. Und sobald sie das tun, müssen sie sich aus Pflanzengesundheitsgründen registrieren lassen, was mit höheren Gebühren und einem Mehr an Verwaltungsaufwand gegenüber der bestehenden Regelung verbunden ist.

Die EU begründet ihren Zugriffs- und Kontrollanspruch damit, daß sie auf diese Weise die Gefahr des Einschleppens und der Ausbreitung von Pflanzenerregern verringern will. Die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Gura räumte ein, daß Stinkbrand bei Weizen, Feuerbrand bei Obst oder Scharka bei Pflaumen durchaus gefährliche Krankheiten sind, aber zugleich machte sie deutlich, daß andere Regelungen zum Schutz der Pflanzengesundheit und -seuchen sinnvoller wären. Der Kontrollansatz helfe nicht weiter, Aufklärung sei viel wichtiger, sagte sie.

Riekeberg und Gura fordern von der EU nicht weniger als einen "Paradigmenwechsel" von dem zur Zeit favorisierten uniformen Modell zu einem der breiten genetischen Vielfalt auf Äckern und in Gärten, des biologischen Anbaus und Verzichts auf absolute Homogenität und Stabilität der Sorten. Man sollte nicht die ökologisch wertvollen Sorten in Nischen abdrängen, sondern es müßte "die Zulassung der energie- und chemieintensiven Sorten der Saatgut-Industrie eingeschränkt werden". [11]

Einen ähnlichen Standpunkt vertritt die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Sie lehnt Hochertragssorten keineswegs ab, sieht aber in der Unterstützung der kleineren Saatgutzüchter eine Chance, Ernährungssicherheit in Ländern herzustellen, in denen sich die Bauern keine Hochertragssorten leisten können. [12] Laut der FAO sind seit 1990 weltweit 75 Prozent der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft verlorengegangen. Dieser Trend wird durch die geplante EU-Verordnung, aber auch durch die "Harmonisierung" des globalen Saatgutmarktes in Folge des Beschlusses von Freihandelsabkommen vorangetrieben. Dazu fällt einem nur noch das oft bemühte Bild des Menschen ein, der an dem Ast sägt, auf dem er rittlings sitzt. Damit scheint die Europäische Union kein Problem zu haben ... solange nur der Ast aus einem DUS-normierten Saatgut hervorgegangen ist.

Person sitzt rittlings auf Ast und setzt an, diesen abzusägen - Foto: © 2013 by Schattenblick

"Der Vorschlag trifft die richtige Balance ..." (EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg) [13]
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2013:0262:FIN:DE:PDF

[2] Die Forderungen des Bündnisses lauten:
1. Die Gesetzgebung muss sich darauf beschränken, die Vermarktung von Saat- und Pflanzgut allein für den kommerziellen Anbaus und oberhalb bestimmter Mengen zu regeln.
2. Der Austausch von Saat- und Pflanzgut unter Bauern und Gärtnern muß frei bleiben. Er darf nicht von der Verordnung geregelt werden.
3. Der Verkauf von Vielfaltssorten muß frei bleiben, er ist für deren Erhaltung und weitere Verbreitung noch wichtiger als der Tausch. Eine Registrierung aller Menschen und Organisationen, die Vielfaltssorten verkaufen, ist nicht angemessen, auch nicht aus Pflanzengesundheitsgründen, und darf nicht Vorschrift werden.
4. Für die Vermarktung traditionell gezüchteter Sorten muß die amtliche Marktzulassung freiwillig sein, sofern darauf keine geistigen Eigentumsrechte (Sortenschutz oder Patente) beansprucht werden.
5. Die Zulassungskriterien und Testverfahren amtlicher Marktzulassungen dürfen Sorten für den Ökolandbau nicht länger benachteiligen.
6. Bei amtlich zugelassenen Sorten und Pflanzenmaterial ist Transparenz sicherzustellen: sowohl über die erteilten geistigen Eigentumsrechte als auch über verwendete Techniken wie Hybridzucht oder die neuen gentechnikähnlichen Züchtungsmethoden.

[3] Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (engl. Southern African Development Community, SADC). Vergleichbar mit dem Bündnis gegen den Entwurf zur EU-Saatgutreform haben sich in den Ländern des südlichen Afrika mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen, um zu verhindern, daß die SADC ein Saatgutrecht beschließt, das die industrielle Landwirtschaft massiv zu Lasten der Kleinbauern stärkt.
http://www.acbio.org.za/images/stories/dmdocuments/CSO-submission-SADC.pdf

[4] Die gemeinsame Erklärung haben unterzeichnet: Arche Noah, Bingenheimer Saatgut AG, BOLW - Bund Ökologische Landwirtschaft, BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V., Dreschflegel e.V., Europäisches BürgerInnen Forum (EBF), Kampagne für Saatgut-Souveränität, NABU - Naturschutzbund Deutschland, Pomologen Verein e.V., Slow Food Deutschland e.V., SOS - Save our Seeds, Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. (VEN), Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

[5] https://www.openpetition.de/petition/online/saatgutvielfalt-in-gefahr -gegen-eine-eu-saatgutverordnung-zum-nutzen-der-saatgut-industrie

[6] Man schätzt die Zahl der Verbände in Brüssel auf 3.500 und die der Lobbyisten auf 15.000. Der fraktionslose österreichische EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin sammelte in den vergangenen zwei Jahren E-Mails und Briefe von Interessengruppen und kommt auf 1427 Lobby-Interventionen.
http://www.n-tv.de/politik/EU-Abgeordneter-packt-aus-article10412311.html

[7] http://corporateeurope.org/open-letter-conflicts-interest-seed-industry-national-expert-seconded-dg-sanco

[8] Die Position der Konzerne wurde im vergangenen Jahr durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Verfahren Graines Baumaux versus Kokopelli gestärkt. Graines Baumaux vertreibt Gemüse-Saatgut von zugelassenen Sorten, Kokopelli hingegen ist eine gemeinnützige Vereinigung zum Zweck der Sortenerhaltung, die unregistriertes Saatgut zu günstigeren Preisen abgibt. Kokopelli wurde auf Schadenersatz verklagt, hat in erster Instanz verloren und ist in Berufung gegangen. Parallel dazu rief diese Vereinigung den EuGH an, um unter anderem feststellen zu lassen, ob denn die Europäische Union überhaupt ein Recht dazu hat, Gesetze zum Sortenschutz zu erlassen. Dies sah das Gericht als zulässig an, bei zwei fraglichen Richtlinien (2002/55 und 2009/145) werde die Verhältnismäßigkeit gewahrt; auch andere EU-Grundsätze würden nicht verletzt, hieß es.

[9] http://www.saatgutkampagne.org/PDF/PE_Saatgutkampagne_EuGH-Urteil_2012-07-12_fin.pdf

[10] Die wissenschaftlichen Aspekte werden einer der Schwerpunkte eines längeren Interviews sein, das der Schattenblick mit Susanne Gura und Andreas Riekeberg im Anschluß an die Pressekonferenz am 26. Juli in Hamburg geführt hat und werden deshalb in diesem Beitrag nur angerissen.

[11] http://www.saatgutkampagne.org/erhaltungsrecht.html

[12] http://www.fao.org/fileadmin/templates/agphome/documents/PGR/PubSeeds/seedpolicyguide6.pdf

[13] Brief von Tonio Borg an Christian Schrefel, Vorsitzender von Arche Noah, vom 3.5.2013
http://ec.europa.eu/dgs/health_consumer/docs/letter_cab_prm_en.pdf


3. August 2013