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BERICHT/085: Wohnstube Meer - die See, die Arbeit und der Lohn (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Die Billigflaggenkampagne der ITF



"Billigflaggen müssen abgeschafft werden. Die Ausflaggung von Schiffen dient allzu oft der Aushebelung von Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechten auf See. Entsprechend der International-Transport-Workers'-Federation-Initiative von 1948 muss bis 2020 ein internationales Vertragswerk ratifiziert werden, das die Flagge an die Nationalität bzw. den Wohnsitz der Eigentümer bindet und dadurch eine bessere Kontrolle der Abläufe und Verantwortlichkeiten an Bord erlaubt." [1]

So lautet eine der Forderungen, auf die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zivilgesellschaftlichen Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" zum Europäischen Tag des Meeres 2014 geeinigt haben und die in ihre Abschlußerklärung aufgenommen wurde.

Alle drei ITF-Vertreter stehend, davor ein Teil des Publikums - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die ITF-Vertreter Torben Seebold (links), Hamani Amadou (Mitte) und Ulf Christiansen (rechts) berichten über die Billigflaggenkampagne
Foto: © 2014 by Schattenblick

Das "andere" Meer, das mit Hilfe solcher Forderungen "ermöglicht" werden könnte, soll eines sein, das von Seeleuten befahren wird, die nach Ansicht des Gewerkschaftsdachverbands ITF (International Transport Workers' Federation) eine für ihre Arbeit angemessene Heuer nach Tarifvertrag erhalten. Das ist für einen einfachen Matrosen 1700 Dollar (rund 1300 Euro) monatlich.

Was aber sind "Billigflaggen" (englisch: "flag of convenience")? Torben Seebold von der ITF, der in Deutschland die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di angeschlossen ist, lieferte dazu auf der Bremer Konferenz einen sehr pragmatischen Definitionsansatz und erklärte bei seinem Vortrag mit dem Titel "Faire Jobs in der maritimen Industrie - Die ITF-Billigflaggenkampagne": "Billigflaggen erkennt man daran, daß sie keine ausreichenden arbeits-, sozial- und gesundheitsrechtlichen Schutzvorschriften bieten."

"Billigflagge" ist somit keine Kategorie, die von den Reedern selbst aufgestellt wird. Auf der ITF-Website heißt es etwas genauer:

"Ein Billigflaggenschiff fährt unter der Flagge eines anderen Landes als des Landes der Eigentümerschaft. Niedrige Registergebühren, niedrige Besteuerung oder Steuerfreiheit und die Möglichkeit, Arbeitskräfte zu niedrigen Kosten zu beschäftigen, sind in der Regel die Motive, die einen Reeder zum 'Ausflaggen' veranlassen." [2]

Die 1896 gegründete ITF bemüht sich bereits seit ihrem Weltkongreß 1948 in Oslo um die Abschaffung von Billigflaggen. Vielleicht konnte sie ihr Anliegen bislang deshalb nicht durchsetzen, weil ein staatliches Verbot des Ausflaggens an den kapitalistischen Produktionsbedingungen rühren würde, auf denen wiederum der Staat gegründet ist. Solange die Reeder in einem gesellschaftlichen Rahmen wirtschaften, in dem das Erstreiten von Profit und die Anhäufung von Kapital nicht nur geduldet, sondern belohnt wird und der den Nutznießern dieser Ordnung auch noch zu einem angesehenen gesellschaftlichen Ruf verhilft, kann man ihnen nicht vorwerfen, daß sie dieser Ratio folgen. Umgekehrt würde ein Reeder unvernünftig handeln, sollte er nicht seine ihm rechtlich zugestandenen Möglichkeiten zum profitablen Wirtschaften ergreifen.

Um die Kostensenkung durch Billigflaggen zu verhindern, wäre somit in erster Linie der Gesetzgeber gefragt. Er muß entscheiden, ob er das Ausflaggen als eine Art Produktionsverlagerung ins Ausland versteht, wie sie seit langem beispielsweise von Autokonzernen praktiziert wird, die günstigere Standortbedingungen von Ländern wie Ungarn oder China nutzen und dort Fahrzeuge herstellen lassen, oder ob er es als das Beiseiteschaffen von Geldern beispielsweise auf Schweizer Konten, um hierdurch dem deutschen Fiskus zu entgehen, auffaßt. Ersteres gilt als erfolgreiches Wirtschaften, letzteres als Steuerbetrug, was, wenn man erwischt wird, unter Umständen mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet wird.

Die ITF, die ihren Hauptsitz in London hat, ist in 157 Ländern vertreten und will Antworten auf die Globalisierung in allen Transportsektoren finden. Das heißt, sie arbeitet nicht nur für Seeleute und Hafenarbeiter, um die es auf der Bremer Konferenz hauptsächlich ging, sondern auch für die Beschäftigten anderer Branchen wie Luftverkehr, Straßen-/Personenverkehr, Güterverkehr, Logistik, Binnenschiffahrt und Taxigewerbe. Die deutsche Gewerkschaft ver.di ist eine von mehreren hundert Mitgliedsgewerkschaften der ITF, die weltweit etwa fünf Millionen Transportarbeiter vertritt. [3]

Die Billigflaggenkampagne besteht aus zwei Elementen. Zum einen geht es den Gewerkschaftlern um den Schutz der Seeleute und zum anderen um die Absicherung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Hafenarbeiter. ITF hat 34 Billigflaggen ausgemacht, darunter auch das German International Ship Register (GIS), ein sogenanntes Zweitregister. Es gibt ca. 3.500 Schiffe, die unter deutscher Eigentümerschaft fahren, aber davon tragen nur noch 200 die deutsche Flagge.

Der deutsche Staat fördert die deutschen Reeder in einem Rekordvolumen, wohingegen der Ausbildungs- und Beschäftigungsstand ein negatives Rekordniveau hat, wettert Seebold. Das sei politisch motiviert und nicht konjunkturbedingt, wie häufig behauptet.

Am Ende des 20. Jahrhunderts sind mehr als 40 Prozent der Welttonnage unter Billigflagge gefahren. Man könnte argumentieren, daß die Kampagne gegen Billigflaggen wenig erfolgreich ist, da es sie schon seit 66 Jahren gibt und der gegenwärtige Trend wieder hin zu mehr Billigflaggen geht; zumal die europäischen Reeder mit der Eröffnung von Zweitregistern die Möglichkeit zum Abschluß von Verträgen geschaffen haben, die nicht die ITF-Standards erfüllen. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus: 66 Jahre Billigflaggenkampagne bedeuten eben auch eine Kontinuität in der Auseinandersetzung, ungeachtet der Globalisierung in der Schiffahrt, bzw. dem Transportwesen allgemein, das sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts extrem gewandelt hat.

Wohl kaum ein Teilnehmer des ITF-Weltkongresses 1948 hätte sich ausmalen können, daß in Zukunft fast 400 Meter lange Schiffe, die mehr als 18.000 Container (20-Fuß-ISO-Container, gut sechs Meter lang) tragen können, mit einer Besatzung von nur 22 Mann die Weltmeere befahren (Triple-E-Klasse der dänischen Reederei Maersk Line) - zumal der Containerverkehr erst acht Jahre später einsetzte, bzw. achtzehn Jahre später das erste Containerschiff einen europäischen Hafen ansteuerte. Und ebenso unvorstellbar dürfte für die damalige Zeit gewesen sein, daß in den modernen Containerterminals nicht mehr Schauerleute das Be- und Entladen übernehmen, sondern riesige Kräne (auch Containerbrücken genannt) die Container auf sogenannte Fahrerlose Transportfahrzeuge (Automated Guided Vehicles, AGVs) abstellen und diese vollautomatisch den Warentransport übernehmen. Der Schauermann des 21. Jahrhunderts trägt keine Arbeitshandschuhe, sondern allenfalls eine Lesebrille, weil er vorwiegend am Computer im Leitstand arbeitet.

Blick von oben auf das Blocklager, die AGVs auf der AGV-Verkehrsfläche, Containerbrücken und einen Frachter - Foto: Frank Grunwald, freigegeben als [CC-BY-SA-3.0, (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)]

HHLA Container Terminal Altenwerder (CTA), 17. Februar 2010.
Containerbrücken entladen das Schiff, Automated Guided Vehicles transportieren die Container in das Blocklager.
Foto: Frank Grunwald, freigegeben als [CC-BY-SA-3.0, (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode)]

Über die konkreten Aufgaben und rechtlichen Befugnisse der sogenannten ITF-Inspektoren sowie ihre Methoden und Erfolge im Einsatz für die Belange der Seeleute und Hafenarbeiter berichteten auf der Bremer Tagung die ITF-Mitglieder Hamani Amadou aus Rostock und Ulf Christiansen aus Hamburg. Letzterer schilderte, daß sie in rund 75 Prozent der Fälle gerufen werden, weil die Seeleute ihre Heuer nicht erhalten hätten. Das habe sich in den letzten 24 Jahren nicht geändert, so Christiansen, der von 1972 bis 1990 zur See gefahren und im Erstberuf Kapitän ist. Seitdem arbeitet er als ITF-Inspektor, trifft sich mit Seeleuten entweder außerhalb des Schiffs oder begibt sich an Bord, um mit ihnen oder dem Kapitän zu sprechen und sich die Lebens- und Arbeitsplatzbedingungen der Seeleute anzuschauen. Da einer, der von außerhalb kommt und quasi bis in die Kochtöpfe schaut, bei der Schiffsführung nicht immer wohlgelitten ist, erfordert dieser Beruf Fingerspitzengefühl.

Christiansen versteht sich oftmals als eine Art Mediator; 80 bis 90 Prozent der Fälle würden im Vorfeld und zur Zufriedenheit der Seeleute gelöst, berichtete er und sagte selbstbewußt: "Von dem Augenblick an, wo wir als ITF-Inspektoren gerufen werden, und in dem Augenblick, wo wir an Bord sind, verändert sich die Ausgangslage des Seemannes, der uns gerufen hat, um hundert Prozent. Ganz einfach deshalb, weil der Reeder weiß, der Seemann ist nicht mehr allein."

Der Reeder wisse dann, daß er unter Beobachtung ist und ein Problem habe. Aufgrund der guten Vernetzung der ITF könne ein Schiff nicht einfach aus dem Hafen auslaufen und verschwinden, sondern "ein Fall" wandere mit dem Schiff von Hafen zu Hafen mit, wo es entweder ebenfalls einen ITF-Inspektor oder aber zumindest einen gewerkschaftlichen Kontaktmann gibt. Auf die Nachfrage des Schattenblicks am Rande der Tagung, ob sich die Reeder, die die Heuer der Seeleute einbehalten, nicht strafbar machen, erklärte Christiansen:

"Leider macht sich der Reeder nicht strafbar. Aber wir bekommen es immer wieder hin, daß wir die Heuer für die Seeleute erstreiten und der Reeder dann zahlen muß. Was wir machen können und auch tun, ist, daß wir diese schwarzen Schafe blacklisten, also innerhalb der ITF-Familie bekanntgeben, wenn jemand Seeleute nicht bezahlt. Aber wir informieren auch die Behörden und die Charterer der Schiffe. Das tut dann richtig weh, wenn der Reeder dann möglicherweise sein Schiff nicht mehr verchartern kann."

Kein Thema der ITF-Billigflaggenkampagne und auch nicht der Bremer Konferenz im allgemeinen, wohl aber aller am Schutz der Meere Interessierten sind die umfangreichen Aktivitäten von Kriegsschiffen. Bei bewaffneten Konflikten zur See wird sowieso keine Rücksicht auf den Zustand der Meere und die Unversehrtheit ihrer Bewohner genommen. In sogenannten Friedenszeiten sieht es nicht viel anders aus. Durch aktive Radarsysteme wird das Gehör von Meeressäugern verletzt, durch schwermetallhaltige Munition werden Schießübungsgebiete kontaminiert und die Havarien von atomar angetriebenen U-Booten bilden ökologische Zeitbomben, um eine kleine Auswahl an zerstörerischen Folgen "friedlicher" militärischer Aktivitäten zu nennen.

Die ITF könnte einiges dafür tun, daß die Meere demilitarisiert werden. Zum Beispiel könnte sie mit ihrer globalen Vernetzung beträchtlichen Druck aufbauen, indem sich Seeleute und Hafenarbeiter weigerten, Rüstungsgüter zu transportieren bzw. zu be- oder entladen. Mit solch einer Kampagne ist allerdings nicht ohne weiteres zu rechnen. Obschon sich beispielsweise ver.di gegen eine Militarisierung der Bildung einsetzt [4], richtet sich das nicht gegen das gewerkschaftlich "Eingemachte", also gegen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, sondern nur gegen die Inhalte, die vermittelt werden. Würde dagegen der globale Waffenhandel konsequent unterbunden, dürfte das etliche ver.di-Mitglieder den Arbeitsplatz kosten.

Ähnlich wie gegen die Produktion von Rüstungsgütern keine gewerkschaftliche Mobilisierung zu erreichen ist - im Gegenteil, die IG Metall spricht sich sogar explizit für die Bewahrung der Rüstungsindustrie aus -, findet auch der Handel mit Kriegsgerät im wesentlichen unterhalb der Schwelle gewerkschaftlicher Proteste statt. Der Verlust von Arbeitsplätzen ist von jeher ein Totschlagargument - was im Falle der Rüstungsgüter sogar wörtlich zu verstehen ist.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ich versuche es immer, möglichst streßfrei zu lösen, aber de facto, wenn es hart auf hart kommt, können wir auf unseren Zugang pochen. Ich würde mal tippen, es kommt nur ein- oder zweimal im Jahr vor, daß wir Probleme mit dem Zugang zum Schiff haben." (ITF-Inspektor Ulf Christiansen im Gespräch mit dem Schattenblick)
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://enwicklungspolitik.blogspot.de/2014/05/fair-oceans-ein-anderes-meer-ist-moglich.html

[2] https://www.itfglobal.org/flags-convenience/sub-page.cfm/ViewIn/DEU

[3] http://billigflaggenkampagne.de/ueberitf.php

[4] file:///home/linux24/temp/biwifo2013-01.pdf


Zur Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" sind bisher in den Pools
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und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ... Thilo Maack im Gespräch (SB)
INTERVIEW/106: Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ... David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/107: Wohnstube Meer - Mitgeschöpfe ... Tharaka Sriram im Gespräch (SB)
INTERVIEW/108: Wohnstube Meer - Forschung tut not ... Meeresbiologin Antje Boetius im Gespräch (SB)
INTERVIEW/109: Wohnstube Meer - Umsicht, Rücksicht, starke Regeln ... Prof. Dr. Uwe Jenisch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ... Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)
INTERVIEW/114: Wohnstube Meer - Plastik zum Dessert ... Nadja Ziebarth (BUND) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/115: Wohnstube Meer - Ungebremst' Zerstörungswut, Menschen bleibt da nur die Flucht ... Maureen Penjueli aus Fidschi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/127: Wohnstube Meer - Ausweg und Sackgasse ... Helmut Dietrich im Gespräch (SB)
INTERVIEW/130: Wohnstube Meer - dem Meer, dem Land, dem Rest der Welt ... der Seevölkerrechtler Erik van Doorn im Gespräch (SB)

15. Juli 2014