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BERICHT/093: Klimarunde, Fragestunde - Wissen minus Gewißheit ... (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Anmerkungen zur Abschlußsession über die Zukunft der globalen, gezielten und langanhaltenden Klimabearbeitung und Resümee der "CEC'14"



Von Teilen der Zivilgesellschaft argwöhnisch beobachtet fand vom 18. bis 21. August in Berlin eine Konferenz zum Geoengineering statt, die erste internationale Climate Engineering Conference 2014 (CEC'14). Indem das Organisationsteam vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) von Anfang an auf Transparenz gesetzt und niemanden, der an dem Treffen teilnehmen wollte, der Tür verwiesen hat, ist es ihm gelungen, dem in der Öffentlichkeit schlechten Ruf des "Geoengineerings" als ein Projekt "von denen da oben" zur Manipulation des Klimas und somit vor allem der Menschen, die diesem Klima ausgesetzt sind, nicht noch weiteren Nährstoff zuzuführen. Umgekehrt wurde den zum Geoengineering forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lebhaft vor Augen geführt, mit welchen Vorbehalten seitens der Öffentlichkeit gerechnet werden muß, sollten jemals Technologien zur gezielten, langanhaltenden und globalen Bearbeitung des Weltklimas verwirklicht werden.

Hinter dem Rednerpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Dr. Mark Lawrence bei der Eröffnungsansprache der CEC'14 am 18. August 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick

Nach vier Konferenztagen, einer Reihe von Interviews und mehreren Berichten soll hier ein vorläufiges Resümee des Treffens gezogen werden. Zur Grundlage der Erörterungen haben wir die Abschlußsession "Assess, Test or Terminate: What Future for Climate Engineering Research?" (Annehmen, prüfen oder streichen: Wie sieht die Zukunft der Climate-Engineering-Forschung aus?) gewählt. Daran schließt sich eine eigene Einschätzung zum Geoengineering an. "Vorläufig" muß das Resümee schon deshalb bleiben, weil das Thema im Fluß ist, in den nächsten Jahren noch mehr Debattenraum einnehmen und womöglich dann auch erst zu erkennen sein wird, ob der Keim für die eine oder andere Entwicklung auf diesem Forschungsgebiet hier in Berlin gelegt wurde.


Standpunkte der Forscher ...

Wenn diese Woche in Bonn eine weitere Konferenz zum Thema Klimawandel [1] abgehalten wird, dann wird dort rein formal nicht über Geoengineering bzw. Climate Engineering gesprochen. Doch zählt das Abfangen, Verflüssigen und Lagern des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CCS - Carbon Capture and Storage) - dem Schwerpunktthema am kommenden Dienstag (21. Oktober) - zu jenen Maßnahmen, die wahrscheinlich als erstes ergriffen werden, sobald die theoretischen Konzepte und Berechnungen zur großmaßstäblichen Klimabeeinflussung in konkrete Anwendungen münden und beispielsweise im Zusammenhang mit den Verhandlungen zur Rahmenkonvention der Vereinten Nationen zum Klimawandel (UNFCCC) unterstützt werden.

Auch schreibt die Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in dem dieses Jahr veröffentlichten 5. Sachstandsbericht, daß CCS, bzw. die "Bioenergie-Variante" BECCS (Bio-energy with carbon capture and storage) eine "Schlüsseltechnologie" des Klimaschutzes ist.

Dabei wäre sie nicht "nebenwirkungsfrei". Kritiker wie Dr. Rachel Smolker von der Organisation Biofuelwatch bezeichnen BECCS als Scheinlösung. [2] Im großen Maßstab eingesetzt hätte es keine nennenswerten Auswirkungen auf das globale Klima - höchstens auf das Klima in den Geschäftszentralen der davon profitierenden Unternehmen. Die würden in den USA schon in den Startlöchern stehen, um ganz vorne mitzumischen, sobald die Politik dieser Klimaschutzmaßnahme grünes Licht erteilt und dafür finanzielle Zuwendungen freisetzt.

Selbst die vom IPCC als weitere potentielle Klimaschutzmaßnahme gehandelte und dem ersten Augenschein nach begrüßenswerte Methode der großflächigen Aufforstung kann auf lokaler Ebene beträchtliche negative Effekte auslösen, wie die ecuadorianische Biologin Dr. Elizabeth Bravo berichtete. [3] Denn es besteht die Gefahr, daß mit der Aufforstung oder der Ausweisung von Wäldern zu "Klimaschutzgebieten" eine Verschiebung der Verfügungsgewalt einhergeht. Menschen, die bis dahin den Wald nutzen konnten, um Feuerholz, Nüsse, Pilze oder Früchte zu sammeln, oder die ihr Vieh darin weiden ließen, werden dann womöglich an diesen traditionellen Waldnutzungsformen gehindert. Vertreibung, Monokulturanbau und die Freisetzung gentechnisch veränderter, schnell wachsender Baumarten wie zum Beispiel Pappeln sind mögliche Effekte einer politischen Förderung der Aufforstung aus Klimaschutzgründen.

Andere Vorschläge zur gezielten globalen Beeinflussung des Klimas, wie sie auf der CEC'14 zwischen den Akteuren verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und wissenschaftlicher Fachrichtungen diskutiert wurden, haben kaum das Stadium der experimentellen Praxis, geschweige denn das eines klimarelevanten Eingriffs erreicht. In den Vorträgen, Präsentationen und Diskussionen wurde jedoch intensiv über eine "Was-wäre-wenn-Situation" gesprochen. Wollte man ein Ranking der Klimakonferenzen erstellen, auf denen an häufigsten im Konjunktiv gesprochen wurde, nähme die CEC'14 vermutlich einen Spitzenplatz ein.

Der Diskussionsleiter der Abschlußsession "Assess, Test or Terminate: What Future for Climate Engineering Research?", Andy Parker, forderte die vier Podiumsteilnehmer und das Publikum auf, über die Zukunft des Climate Engineerings zu sprechen. Wir haben schon viel über Vergangenes gesprochen, so Parker, und viel darüber, wie es sein könnte. Jetzt solle darüber gesprochen werden, was sein wird.

Die schwedische Sozialwissenschaftlerin Victoria Wibeck von der Universität Linköping berichtete zunächst vom Ergebnis ihrer Auswertung der Fachartikel zu diesem Thema. Vor dem Hintergrund, daß in Schweden lange Zeit so gut wie keine öffentliche Debatte über Geoengineering geführt wurde, haben doch die natur- und sozialwissenschaftlichen Veröffentlichungen hierzu zwischen 2005 und 2013 rasch zugenommen, wobei die Zahl der sozialwissenschaftlichen Publikationen die der naturwissenschaftlichen inzwischen überboten hat. Nach Einschätzung Wibecks werden die Sozialwissenschaftler ihre generell kritische Haltung gegenüber Geoengineering in Zukunft ablegen und spezifische Technologien differenziert betrachten.

Es darf an dieser Stelle wohl mit einiger Berechtigung vermutet werden, daß in anderen Ländern ähnliche Trends wie in Schweden zu beobachten sind. Zumal mit Obertiteln wie "Geoengineering" und "Climate Engineering" sehr pauschalisiert wird. Während der gesamten CEC'14 wurde von den Forscherinnen und Forschern immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß die unter diesem Titel subsumierten Technologien sehr verschiedene Effekte und potentielle Nebenwirkungen haben können. Darum sei an dieser Stelle an Wibecks Aussagen anknüpfend die Vermutung geäußert, daß mit der Ausdifferenzierung auch jene beiden Obertitel immer seltener verwendet werden.

Satellitenaufnahme zeigt hellblaue Schleier im Meer - Foto: NASA

Die Vorstellung, daß Algen Kohlenstoff binden und - wenn sie absterben und absinken - dieser dauerhaft am Meeresgrund bleibt, hat sich als zu einfach gedacht herausgestellt.
Algenblüte durch Phytoplankton im Südatlantik vor der argentinischen Küste mit den Abmessungen von rund 450 mal 75 Kilometern. Aufnahme vom 15. Februar 2006.
Foto: NASA

Auf dem Podium der Abschlußsession saß auch Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Er bezeichnete sich als Klimamodellierer und erklärte, daß er nicht über Prognosen, sondern über Projektionen sprechen möchte. Die gegenwärtigen Modelle, mit denen solche Projektionen vorgenommen werden, beruhten noch auf sehr vielen Annahmen. Zum Beispiel seien die Einflüsse von Geoengineering auf Niederschläge nicht wirklich klar, und man wisse nicht sonderlich viel über Aerosolphysik.

Er sei zwar nicht prinzipiell gegen Feldversuche eingestellt, werde aber sicherlich in den nächsten zehn Jahren nicht dazu anregen, daß sie durchgeführt werden. Das vor einigen Jahren von einer deutsch-indischen Forschergruppe betriebene Experiment zur Meeresdüngung im Südatlantik (das von der Bundesregierung abgebrochen wurde) sei nützlich gewesen, weil es gezeigt habe, daß die Dinge komplizierter sind, als man dachte.

Meeresdüngung bzw. "Eintrag von Alkalinität in den Ozean" und Aerosolphysik bzw. "Einbringung von Aerosolen in Troposphäre oder Stratosphäre" sind neben der weiter oben erwähnten Aufforstung Arbeitsgebiete, die im 2013 eingerichteten Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, SPP 1689 "Climate Engineering: Risks, Challenges, Opportunities?" (Climate Engineering: Risiken, Herausforderungen, Gelegenheiten?), in das auch Schmidt involviert ist, näher untersucht werden. [4] Sollten aber jemals Feldversuche durchgeführt werden, so wünsche er sich, daß dies zumindest nach den Oxford-Prinzipien [5] geschieht.

Als dritter in der Runde rechnete der IASS-Forschungsdirektor und wissenschaftliche Koordinator der CEC'14, Mark Lawrence, damit, daß sich die Forschung zum Geoengineering in Zukunft mehr als bisher selbst überprüfen wird, wobei Natur- und Sozialwissenschaften enger zusammengehen würden. Lawrence gab zu bedenken, daß die Vorbehalte seitens der Religionen gegen eine großmaßstäbliche technische Beeinflussung des Klimas bisher noch zu wenig Beachtung gefunden haben, aber in Zukunft die Debatte stärker beeinflussen werden. In nächster Zeit, so seine Einschätzung, wird es jedoch kein Geoengineering geben.

Einen kurzen Einblick in den Stand der Forschung in den USA lieferte als vierter und letzter Redner Dr. Simon Nicholson von der School of International Service der American University und Gründungsmitglied des Washington Geoengineering Consortium (WGC). Die US-Regierung zeige derzeit wenig Interesse an dem Thema, lediglich eine Handvoll Leute in verschiedenen Einrichtungen betrieben jeweils für sich eigene Forschungen, sagte Nicholson. Doch innerhalb der nächsten zehn Jahre würden die Weichen gestellt, ob die Politik in dieser Frage mit den verschiedenen Forschungseinrichtungen zusammenarbeitet oder nicht.

Der US-Forscher hält Technologien zur Regulierung der Sonneneinstrahlung (zu denen u. a. das Ausbringen von Schwefelpartikeln in der oberen Atmosphäre gerechnet wird) nicht a priori für "unregulierbar", wie es auf der Konferenz verschiedentlich behauptet worden sei; man solle dies nicht von vornherein verwerfen. Der Artikel von Paul Crutzen aus dem Jahr 2006 über Schwefelinjektionen [6] werde allgemein als Tabubruch gewertet, aber nicht nur solche Vorschläge würden auf eine Form von "governance" abheben, sondern umgekehrt auch die Zurückhaltung, also die Entscheidung, kein Geoengineering zu betreiben. Wenn der "Klimanotfall" eintritt, so Nicholson, werden die Wissenschaftler gefragt sein, dann können sie sich nicht mehr so zurückhalten wie bisher und müßten Antworten liefern. Deshalb sei die Forschung immer politisch. Jedenfalls könne der Geist nicht wieder in die Flasche gebannt werden.

Hierbei handelt es sich um eine Feststellung, die vor allem den Zweck hat, das eigene Interesse an Forschung und Regulierung bzw. das seiner Zunft als unverzichtbar zu rechtfertigen. Denn wenn zuträfe, was Nicholson damit sagen will, dann hätte man sich die CEC'14 sparen können, da die "Critical Global Discussions", so der zweite Teil des Konferenztitels, nicht mehr ergebnisoffen geführt worden wären.

Wichen schon die hier zusammengefaßten Standpunkte der vier Podiumsteilnehmer zur Zukunft des Geoengineerings voneinander ab, so galt dies um so mehr für die CEC'14 im allgemeinen. Hierzu seien im folgenden einige der Positionen schlaglichtartig skizziert, ohne den Anspruch zu erheben, daß sich jeder Teilnehmer darin wiederfinden muß:

- Mit Geoengineering wollen sich die Industriestaaten, die historisch die Hauptemittenten von Treibhausgasen sind, aus der Verantwortung stehlen und nennenswerte Anstrengungen zur eigentlich gebotenen Dekarbonisierung der Gesellschaft vermeiden.

- Es könnte der Zeitpunkt kommen, an dem Geoengineering trotz der absehbaren und unabsehbaren negativen Folgen notwendig erscheint, um größeres Unheil abzuwenden. Wir sollten uns so gut wie möglich auf den Zeitpunkt vorbereiten, falls die Politik eines Tages bei der Wissenschaft an die Tür klopft.

- Wir Wissenschaftler dürfen uns den Diskurs über Geoengineering nicht beispielsweise von rechtslastigen, republikanischen, profitorientierten, mit der Erdölindustrie verbandelten und womöglich mit beträchtlicher Mediengewalt ausgestatteten Kräften aus der Hand nehmen lassen und müssen allein deshalb die Forschungen voranbringen.

- Die politischen Entscheidungsträger müssen klare Leitlinien für Geoengineering aufstellen und dabei auch die Zivilgesellschaft anhören, weil ansonsten ein unüberwindbarer Widerstand der Öffentlichkeit gegen diese Technologie entsteht.

- Zunächst einmal ist es wichtig, nicht alle Maßnahmen, die unter dem Titel Geoengineering firmieren, über einen Kamm zu scheren. Die Gruppe der eher langfristig wirksamen CDR-Technologien (Carbon Dioxid Removal) wie zum Beispiel das Aufforsten von Wäldern und das Abscheiden, Verflüssigen und Lagern von CO2 ist weniger problematisch als die Gruppe der Technologien des SRM (Solar Radiation Management), zu der beispielsweise das Ausbringen von Schwefelpartikeln in der Stratosphäre oder die Positionierung von Spiegeln im Weltraum gehören.

Dunkle Streifen trennen den Himmel in eine glutrote untere und eine weiß-bläuliche Atmosphäre, die zum Weltraum hin dunkler wird - Foto: NASA

Der Ausbruch des Vulkans Pinatubo 1991 lieferte der Forschung Daten zum möglichen Abkühlungseffekt künstlicher Schwefelinjektionen.
Das Foto wurde vom Space Shuttle Atlantis (STS 43) am 8. August 1991 über Südamerika aufgenommen. Die Aerosole aus dem Vulkanausbruch haben sich als doppelte Wolkenschicht (dunkle Streifen) noch oberhalb der höchsten Spitzen der Cumulonimbus-Wolken um die Erde gelegt.
Foto: NASA


... und der Stand der Forschung

In den letzten Jahren wurden zwei Außenexperimente zum Geoengineering vorzeitig abgebrochen. 2009 stoppte das Bundesumweltministerium das von Hauke Schmidt erwähnte deutsch-indische Experiment zur Meeresdüngung, das vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) unter dem Titel LOHAFEX (zusammengesetzt aus dem indischen Wort LOHA für Eisen und FEX für Fertilization EXperiment) durchgeführt wurde. 2012 wurde im Vereinigten Königreich ein geplanter Versuch im Rahmen des Forschungsprojekts SPICE (Stratospheric Particle Injection for Climate Engineering), bei dem mittels eines Ballons Wassermoleküle in der Atmosphäre versprüht werden sollten, beendet, noch bevor er richtig begann. Das Aus betrifft aber nur jenen experimentellen Teilaspekt, nicht die Forschungen zum Geoengineering insgesamt.

Sofern überhaupt an Technologien zur Bearbeitung des globalen Klimas geforscht wird, dann vor allem innerhalb von Laboren oder in Form von Rechenmodellen. ABER: Viele Experten befürchten, daß sich der politische Wind drehen könnte, sobald der Klimawandel noch deutlicher zutage tritt, und dann Notmaßnahmen ergriffen werden müssen - wobei die Not an den Bedürfnissen der gegenwärtig wirtschaftlich vorherrschenden Staaten gemessen würde, nicht denen der ärmeren Länder, die sich schon längst in einer Notlage befinden, zu der manchmal auch ein unvorteilhaftes Klima beigetragen hat.

Ob insgeheim Geoengineering betrieben wird, wie es einige Besucher der CEC'14 gemutmaßt haben? Die Anhänger dieser spekulativen Theorie offenbaren damit ihre ausgeprägte Technikgläubigkeit, da sie annehmen, daß das Klima absichtsvoll manipuliert werden kann, um irgendwelche finsteren Ziele durchzusetzen.

Als global wirksame Klimaschutzmaßnahme macht ein klandestin betriebenes Geoengineering wenig Sinn. Anders verhält es sich mit der Möglichkeit, daß Staaten unilateral Maßnahmen ergreifen, um ein regionales Klima zu beeinflussen, weil sie sich davon Vorteile versprechen. Vielleicht als eine zeitlich und räumlich ausgedehnte Weiterführung der Wettermanipulation, wie sie seit langem versucht wird, um Wolken über Trockengebieten zum Abregnen zu bringen oder die Hagelbildung zu verhindern.


Resümee

Sollten jemals schnell wirksame Geoengineering-Maßnahmen, wie es zum Beispiel die Injektion der Stratosphäre mit Schwefelaerosolen verspricht, durchgeführt werden, wäre erstens damit zu rechnen, daß negative Effekte auftreten, und zweitens, daß hiervon die wirtschaftlich und militärisch führenden Nationen weniger geschädigt werden als andere. Um es an einem fiktiven Beispiel zu verdeutlichen: Die US-Regierung würde wohl kaum Geoengineering unterstützen, wenn Klimaforscher auf Basis ihrer Projektionen herausgefunden hätten, daß dann der gesamte Mittlere Westen mit seinen riesigen Getreideanbaugebieten trocken fallen wird. Umgekehrt dürfte die US-Regierung sehr viel weniger Probleme mit Geoengineering haben, würden die Projektionen ergeben, daß sich lediglich in großen Teilen Chinas Dürre ausbreiten wird.

Damit soll verdeutlicht werden, daß eine global wirksame Klimabearbeitung enormen politischen Sprengstoff birgt und die dann entstehenden Spannungen noch zu den bereits heute anwachsenden politischen Spannungen innerhalb der Staatengemeinschaft hinzukämen.

Außerdem scheint es nicht unbedingt von Klugheit zu zeugen, hoffte der Mensch, eine technologische Entwicklung, die bereits entscheidend zur Veränderung des globalen Klimas beigetragen hat und bei der Energie immer nur als Zerstörung eines Ausgangszustands begriffen wird - also als Exergie wie zum Beispiel bei der Verbrennung fossiler "Energieträger" -, unter Beibehaltung des gleichen technologischen Grundverständnisses kompensieren zu können.

Der technologische Fortschritt hat ja nicht nur vermeintliche Annehmlichkeiten gebracht, sondern auch zusätzliche existentielle Abhängigkeiten. Diese würden durch ein Geoengineering mit dem Ausbringen von Schwefelaerosolen potenziert. Man dürfte dann nicht mehr damit aufhören, ohne Gefahr zu laufen, daß sich die Erde anschließend innerhalb kurzer Zeit aufheizt. Diese Möglichkeit wird von der Wissenschaft durchaus problematisiert. So berichtete Dr. Peter Irvine, Research Fellow am IASS in Potsdam, im Rahmen einer "Poster Session" von seinen Berechnungen eines "termination shocks". Damit ist der Hitzeschock gemeint, der auftritt, wenn nach einem längeren Zeitraum des Geoengineerings plötzlich keine Schwefelaerosole mehr versprüht werden, die Menschheit aber bis dahin versäumt hat, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern.

Was dann mit der gesamten Erde passiert, kann man sich vielleicht so vorstellen: Man fährt im Hochsommer im Urlaub mit seinem Auto, dessen Fahrgastraum auf angenehme 20,5 Grad heruntergekühlt ist, durch Südfrankreich und plötzlich fällt die Klimaanlage aus. Daß dann die mitgebrachte Pausenschokolade binnen weniger Minuten wegschmilzt, dürfte noch das geringste Problem sein.

Vom Ergebnis her entspricht der "termination shock" einer Ausdehnung der Sonne. Zwar würde in dieser Analogie noch nicht das gesamte eiweißgestützte Leben auf der Erde vernichtet, aber allein die Verluste an Primärproduktion wären gewaltig; eine Verschärfung der Hungerlage kaum abzuwenden. Wobei nicht so sehr der absolute Temperaturanstieg, sondern die hohe Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklung abliefe, das entscheidende Problem darstellen dürfte.

Die beiden Forscher vor einem Poster mit Diagrammen und erläuternden Texten - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dr. Peter Irvine erläutert Prof. Alan Robock die Ergebnisse seiner Berechnungen zum "termination shock"
Foto: © 2014 by Schattenblick

Wenn man in Deutschland die letzten drei Monate Revue passieren läßt und sich dabei vergegenwärtigt, wie warm es geworden ist, so könnte man sehr wohl die Ansicht vertreten, daß es überaus vernünftig wäre, so schnell wie möglich SRM-Technologien zu erforschen. Denn niemand vermag auszuschließen, daß nicht zu eben diesem Zeitpunkt ein "tipping point" der Erderwärmung, also ein Schwellenwert, ab dem die weitere Entwicklung unaufhaltsam voranschreitet, überschritten wird und sich die Erde weiter aufheizt. Dann wäre es womöglich selbst für Schwefelinjektionen der Stratosphäre zu spät.

Mit diesen Ausführungen soll kein Alarmismus betrieben, sondern verdeutlicht werden, wie verschwindend klein der Zugriff des Menschen in diesem Fall auf die Klimaentwicklung und, grundsätzlicher gesprochen, auf seine eigenen Lebensvoraussetzungen eigentlich ist.

Den Erkenntnissen der Astrophysik zufolge waren die Bedingungen, unter denen auf dem Planeten Erde organisches Leben entstand, sehr speziell. Von der Vielzahl an Faktoren, die jeder für sich eine unverzichtbare Rolle spielten, sei hier nur der Abstand Erde-Sonne genannt. Indem auf der Erdoberfläche Temperaturen herrschen, bei denen nicht sämtliches Wasser verdampft oder umgekehrt zu ewigem Eis erstarrt, konnte nach Ansicht der Wissenschaft die chemische Evolution in eine biologischen Evolution übergehen. Ohne den Treibhauseffekt auf der Erde gäbe es kein Leben. Mit dem anthropogenen Treibhauseffekt könnte eine Situation eintreten, in der das Leben wieder verschwindet oder - weniger drastisch formuliert - zumindest viele Menschen nicht überleben werden.

Wenn also die Astrophysik Recht hat und die Lebensvoraussetzungen nahezu einzigartig sind, dann sind sie natürlich auch entsprechend empfindlich. Kleinste Verschiebungen im kosmischen Geschehen oder in unserem Beispiel auch nur der planetaren Klimaentwicklung könnten sich auf die hochgradig ausdifferenzierte und sich auf eine technologische Infrastruktur verlassende menschliche Gesellschaft ziemlich problematisch auswirken.

Geoengineering sollte schon deshalb weiter erforscht werden, weil es auch ohne menschliches Zutun im Laufe der Erdgeschichte Phasen gab, in denen sich die Lebensbedingungen verschlechtert haben, und niemand mit Gewißheit ausschließen kann, daß so etwas nicht erneut eintrifft. Damit aber Geoengineering zu keinem Mittel wird, das von den vorherrschenden Kräften aus bloßen Vorteilserwägungen heraus propagiert wird, hätte die Menschheit sicherlich noch ganz andere Probleme zu lösen.

Es würde zwar die weltweit tobenden Verteilungskämpfe auf einen verharmlosenden und die daran beteiligten Interessen vernebelnden Begriff bringen, aber bevor die Menschheit anfängt, das globale Klima zu beeinflussen, sollte sie sich um das Klima der Menschen untereinander kümmern.


Fußnoten:


[1] Bonn Climate Change Conference: Vom 20. bis 25. Oktober 2014 wird die "Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action (ADP)" zum sechsten Treffen innerhalb der zweiten Session in Bonn zusammentreffen.
http://unfccc.int/meetings/items/6240.php

[2] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0158.html

[3] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0164.html

[4] http://www.spp-climate-engineering.de/Ziele.html

[5] http://www.geoengineering.ox.ac.uk/oxford-principles/principles/

[6] http://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs10584-006-9101-y.pdf

Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in dem Pool
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19. Oktober 2014