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BERICHT/101: CO2-Speicher Erde - Infundiertes Verhängnis ... (SB)


Tag der offenen Tür am Pilotstandort zur geologischen CO2-Speicherung in Ketzin am 21. Mai 2015


"Hier sehen Sie, daß Sie nichts sehen", sagt der Geologe Fabian Möller lächelnd und weist mit einer kreisenden Handbewegung auf ein nacktes Betonfundament. Es ist Teil des Pilotstandorts Ketzin zur geologischen Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2), und die Wissenschaftler haben zum Tag der offenen Tür geladen.


Möller vor dem Bohrloch Ktzi 201 zur Einspeisung und dem CO2-Zuleitungsrohr - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dipl.-Ing. Fabian Möller
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Besuchergruppe, die sich an diesem wettermäßig durchwachsenen Nachmittag des 21. Mai für den ersten Rundgang eingefunden hat, wird zunächst mit frischen blauen Helmen ausgestattet - "Schichtmeister" Möller trägt als einziger einen weißen Helm, und der sieht tatsächlich recht benutzt aus. Auch wenn sich das Geschehen im wesentlichen unter den Füßen abspielt, besteht hier amtlicherseits Helmpflicht, denn es handelt sich um "ein Gelände unter Bergaufsicht". Dafür obliegt die Zuständigkeit beim brandenburgischen Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe (LBGR).

Selbstverständlich hätte es dieses blau-weißen "Helmkompetenzunterschieds" nicht bedurft, um zu merken, wer Gast und wer hier zu Hause ist. Trotz sicherlich schon zahlreich absolvierter Führungen über das Betriebsgelände ist Möllers Erklärungen noch immer die Begeisterung zu entnehmen, die dieses vor elf Jahren angelaufene Projekt bei ihm und den anderen Forschern und Forscherinnen ausgelöst hat. Da könnte allzu leicht der Kontext in Vergessenheit geraten, durch den die geologische Speicherung des Treibhausgases CO2 überhaupt erst ins Gespräch gebracht wird. Hier wird eine Technologie der Schadensbegrenzung erforscht, wobei die politischen Entscheidungsträger und führenden gesellschaftlichen Kräfte frühzeitig hätten verhindern können, daß überhaupt Klimafolgenschäden in einem so großen Ausmaß entstehen, wie es inzwischen zu erwarten ist. Eine Gemengelage aus Nationenkonkurrenz, Vorteilserwägungen und Profitstreben lassen auch von der für Dezember 2015 anberaumten Klimaschutzkonferenz COP 21 (21th Conference of the Parties) in Paris die Verbreitung viel heißer Luft erwarten.


Die Hälfte der Gruppe aus 15 - 20 Personen steht auf der kahlen Betonfläche - Foto: © 2015 by Schattenblick

Möller erklärt der Besuchergruppe gerade, was sie nicht sehen, aber auf einer großen Foto-Schautafel im Hintergrund zu erkennen ist.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Auf jener leeren Betonfläche des Pilotstandorts Ketzin hatten einmal zwei riesige weiße, senkrecht in den Himmel ragende Tanks gestanden, die das Flüssiggas Kohlenstoffdioxid (CO2) enthielten, sowie Verdichter und andere Einrichtungen, um das Gas in eine 630 bis 650 Meter tief gelegene Schicht aus porösem Sandstein zu pressen. Stuttgart-Formation wird sie von den Geologen genannt. Sie ist in Norddeutschland weit verbreitet und bietet sich nach Einschätzung der Forschergruppe in Ketzin als Zielhorizont für die Speicherung von CO2 an.

Heute sieht man auf diesem Teil des Betriebsgeländes an der Oberfläche tatsächlich wenig, und das hat gewissermaßen auch symbolische Bedeutung, denn das CO2 sieht man ebenfalls nicht. Es ist Bestandteil des flüchtigen Ozeans, den wir Atmosphäre nennen. CO2 ist schwerer als Luft, aber aufgrund der ständigen Windbewegung verteilt es sich darin relativ gleichmäßig, seine Konzentration beträgt rund 400 ppm (parts per million) bzw. 0,04 Prozent des Gasgemischs.

Warum so viel Aufhebens um dieses "Fast-Nichts", das man weder sieht noch riecht, das wir natürlicherweise ein- und ausatmen, ohne daß es uns Schaden zufügte (jedenfalls nicht in geringer Konzentration), und das Pflanzen zum Wachstum verwenden?

Weil das CO2 die von der Erdoberfläche reflektierte Sonneneinstrahlung abfängt, bevor sie in Form von Infrarotlicht ins Weltall entfleucht. In der Folge erwärmen sich Landoberfläche und auch die Ozeane. Dargestellt als mathematischer Kurvenverlauf über die Zeit zeigt sich eine auffällige Parallele zwischen dem globalen Temperaturanstieg und der Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung vor gut 150 Jahren. Nach Einschätzung von Wissenschaftlern ist 400 ppm der höchste CO2-Wert der letzten 15 bis 20 Millionen Jahre. Das geht auf die Entwicklung von Technologien zurück, bei der fossile Energieträger - Braun- und Steinkohle, Erdgas und Erdöl - verfeuert werden, um Wärme-, elektromagnetische oder Bewegungsenergie zu erzeugen. Darum spricht man von "anthropogenen", das heißt menschengemachten Treibhausgasen.


Nicht maßstabsgerechte Darstellung von fünf Bohrungen durch vier geologische Schichten hindurch, der CO2-Injektionsleitung und zweier CO2-Tanks an der Oberfläche - Foto: © GFZ

Schematische Darstellung der Bohrungen durch die verschiedenen geologischen Schichten hindurch. P300 ist kürzer und endet in der unteren Deckschicht, damit dort beobachtet werden kann, ob das injizierte CO2 durch das Gestein wandert. Ktzi202 ist in dieser Darstellung schon teilweise mit Beton verfüllt.
Foto: © GFZ

Die Idee der Klimaschützer lautet nun, daß man die CO2-Emissionen verringert, um die Erderwärmung aufzuhalten. Denn die Folgen des Nichtstuns wären katastrophal. Das organische Leben profitiert zwar im Prinzip vom irdischen Treibhauseffekt, der unter anderem vom CO2 erzeugt wird, aber die Bedingungen müssen schon sehr fein "kalibriert" sein, damit sich Leben, wie wir es kennen, auf der Erde entwickeln konnte und seit Urzeiten halten kann. Verhältnisse wie auf unserem Nachbarplaneten Venus mit seiner durchschnittlichen Oberflächentemperatur von 464 Grad Celsius und einem Luftdruck von 95 bar wären ... nun, es "ungemütlich" zu nennen, wäre noch verharmlosend. Solche physikalischen Bedingungen werden auf der Erde sicherlich nicht eintreten; lange bevor wir Menschen so viele Treibhausgase produzieren, daß wir hier eine Venusatmosphäre mit einem CO2-Anteil von 96,5 Prozent erzeugen, wäre es um uns geschehen.

Dennoch, obwohl wir uns bei der Konzentration des atmosphärischen CO2 im Bereich der zweiten Stelle hinter dem Komma bewegen, hätte eine Steigerung von gegenwärtig 0,04 Prozent auf nur 0,045 Prozent schwerwiegende Folgen für einen Großteil der Menschheit. Dann stiege die globale Durchschnittstemperatur voraussichtlich um zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau, was den Projektionen der Klimaforscher zufolge bedeuten könnte, daß der Meeresspiegel im Durchschnitt bis zu einem Meter höher liegt als heute, flache Inseln und Küstenabschnitte vom Meer verschlungen werden, Dürren und Überschwemmungen zunehmen, Wirbelstürme noch energiereicher und damit zerstörerischer ausfallen als bisher - um nur einige der hinlänglich bekannten Schadensfolgen zu erwähnen. Deshalb lehnen viele Dutzend ärmere Staaten dieses sogenannte Zwei-Grad-Ziel ab und fordern von den starken CO2-Emittenten die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Der gegenwärtige Trend jedoch läßt einen globalen Temperaturanstieg von durchschnittlich drei bis vier Grad bis Ende des Jahrhunderts erwarten; in manchen Klimasimulationen wird sogar mit sechs Grad höheren Temperaturen gerechnet.

Wenn also Kohlenstoffdioxidemissionen der wichtigste unter den Treibern der globalen Erwärmung sind, dann bräuchte man "nur" den CO2-Anteil in der Atmosphäre senken, um das Niveau zu erreichen, das vor Beginn des fossilen Energiezeitalters herrschte, lautet die gängige wissenschaftliche Vorstellung, wie sie auch Grundlage jener Klimaschutzverhandlungen unter der Ägide der Vereinten Nationen in Paris sein wird.

Zur CO2-Minderung werden unterschiedliche Konzepte verfolgt, die einander nicht ausschließen. Man kann zum Beispiel energieeffizientere Technologien entwickeln, den individuellen Energieverbrauch senken, fossile Energien durch sogenannte regenerative Energien (Sonne, Wind, Biomasse, etc.) ersetzen oder auch das CO2 aktiv aus der Atmosphäre herausholen, beispielsweise indem man Wälder aufforstet, das Planktonwachstum in den Ozean durch Düngung forciert, Biokohle erzeugt und sie, vor dem Verfall geschützt, in alten Bergwerken "endlagert" oder auch - eine besonders exotische Variante - im Rahmen von "Enhanced Mineral Weathering" (EMW) die Verwitterung von zuvor gemahlenen Steinen beschleunigt. [1]

Oder man fängt das CO2 ab, bevor es überhaupt emittiert wird. Dafür böten sich große Energieverbraucher wie Kohlekraftwerke oder Zementfabriken an, da es einigen Aufwand erfordert, die dazu nötigen Einrichtungen zu installieren und eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen, die auch die Speicherung einschließt.


Ein Forscher an einem Stand mit Gläsern, Gesteinsproben und anderen Utensilien erklärt einigen Kindern, was er hier in Ketzin macht - Foto: © 2015 by Schattenblick

Viel Zeit für Fragen und kleine Experimente
Foto: © 2015 by Schattenblick

An dieser Stelle kommt der westlich von Berlin gelegene Pilotstandort Ketzin an der Havel ins Spiel, der vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ, das Teil des Helmholtz-Verbunds ist, betrieben wird. Bereits zum fünften Mal wird hier zum Tag der offenen Tür geladen. Man befindet sich in der Phase des Rückbaus, auch COMPLETE genannt. Voraussichtlich bis zum Jahr 2018 werden die Anlagen vollständig abgebaut, die Beton- und Asphaltflächen weggestemmt und die zuvor seitlich aufgehäuften Hügel eingeebnet sein.

Ein kleinerer Teil (240 t) des eingepreßten CO2-Gases (67.271 t) wurde im vergangenen Oktober im Rahmen eines Rückholexperiments wieder an die Oberfläche gepumpt und von den ebenfalls mitgeförderten 55 Kubikmetern Sole aus dem Speichermedium, einem sogenannten salinen Aquifer, getrennt. Auch hierbei geht es, wie bei jedem der vorangegangenen und allen noch folgenden Schritten, um die Demonstration der Machbarkeit der geologischen CO2-Einlagerung. Dabei wird jeder Schritt genau geplant, dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet.

Lediglich die fünf Bohrlöcher - eines wurde 446 Meter, die anderen vier zwischen 700 und 800 Meter abgeteuft, wie es in der Bergmannsprache heißt - bleiben. Sie werden abgeschnitten und mit Beton gefüllt. Darüber läßt man später Gras wachsen.

Schon zu DDR-Zeiten wurde am Standort Ketzin ein saisonaler Untergrundspeicher für Stadt- und Erdgas betrieben, nach der Wende wurde dieser noch zehn Jahre weitergeführt. Damals hatte man das Gas in eine 280 Meter tiefe Schicht eingebracht; eine darüberliegende geologische Deckschicht verhinderte den Verlust des Energieträgers. Das CO2, das in mehreren Schritten während der Hauptprojektphase vom 30. Juni 2008 bis 29. August 2013 in den Untergrund gepreßt wurde, befindet sich somit noch unterhalb des alten Gasspeichers, von dem es durch eine weitere Deckschicht aus Tonstein getrennt ist. Dieser enthält zwar wie der Sandstein ebenfalls Poren, aber die sind nicht untereinander verbunden, so daß das Gas nicht weiter aufsteigen kann, erklärt am Tag der offenen Tür die Geologin Tanja Kollersberger bei ihrem Vortrag im Besucherzentrum des Pilotstandorts.

CO2-Speicherung findet weltweit an einer Reihe von Standorten statt. Das Interessante an Ketzin sei die umfangreiche Überwachung. Tanja Kollersberger sagt dazu: "Wir haben periodische Messungen, nämlich die Bohrlochbefahrung und Probennahme, die in regelmäßigen Abständen stattfindet. Die seismischen Messungen, einmal im Bohrlochbereich und einmal an der Oberfläche, die geoelektrischen Messungen, ebenfalls in der Bohrung und oberflächlich, und die CO2-Oberflächenflußmessung. (...) Und wir haben die permanenten Druck- und Temperaturmessungen in den Bohrungen." Aufgrund eben dieses umfassenden Überwachungskonzepts seien Wissenschaftler von anderen, viel größeren Speicherprojekten in der ganzen Welt an den Forschungsergebnissen von Ketzin interessiert.

Für die seismischen Messungen ist Dr. Stefan Lüth zuständig. Er berichtet, daß die Forscher die allmähliche Ausbreitung des injizierten CO2 im Untergrund sehr gut darstellen können. Seismische Wellen breiten sich in der Region, in der sich CO2 befindet, anders aus. Das ist registrierbar und wurde durch mehrere Meßkampagnen bestätigt. Bevor das Projekt abgeschlossen werde, seien noch weitere seismische Messungen geplant. Dabei werden mittels einer Stoßmaschine Erschütterungen erzeugt, die dann von zuvor verteilten Geophonen (das sind eine Art kopfüber in die Erde gesteckte Mikrophone) registriert werden. Aus den unterschiedlichen Laufzeiten schließen die Forscher auf die Beschaffenheit des Untergrunds und damit auf die Ausdehnung des eingespeisten CO2.

Die Seismik bestätigt in etwa auch das Bild, das man bei den elektromagnetischen Untersuchungen erhält. Expertin dafür ist Dr. Cornelia Schmidt-Hattenberger. Auch sie steht am Tag der offenen Tür für Fragen zur Verfügung und erläutert, daß sich anhand des unterschiedlichen elektrischen Widerstands zwischen dem Speichermedium - dem salinen Aquifer - und dem CO2-Injektionsbereich dessen räumliches Abbild darstellen läßt.

Nach vier Jahren Vorbereitungszeit begann die CO2-Einspeisung am 30. Juni 2008. Zu dem Zeitpunkt nannte sich das Projekt noch CO2SINK, ab September 2010 wurde es als CO2MAN fortgesetzt. Solche Namensänderungen gehen zwar auch auf inhaltliche Veränderungen des Forschungsvorhabens zurück, haben aber wohl mehr mit den jeweiligen Finanzierungsphasen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Europäische Union zu tun.


Durch eine orangefarbene Lochfolie markierte Einrichtung am Boden einer Grasfläche - Foto: © 2015 by Schattenblick

CO2-Meßstelle am Rand des Betriebsgeländes
Foto: © 2015 by Schattenblick

Man könnte spekulieren, daß die Geologen absichtlich von "Speicherung" des CO2 sprechen und nicht von seiner "Lagerung". Schon gar nicht verwenden sie "Endlager", was vermutlich nicht allein damit zu tun hat, daß das CO2 unter Umständen rückholbar ist, sondern vor allem weil der Begriff gewissermaßen durch den Widerstand gegen die Atomwirtschaft kontaminiert ist.

Hätte man die früheren Betreiber der Schachtanlage Asse, das ebenfalls zum Helmholtz-Verbund zählende HZM (Helmholtz Zentrum München), nach der Sicherheit der Einlagerung von rund 140.000 Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall in diesem ehemaligen Salzbergwerk gefragt, hätten diese vermutlich beteuert, daß das Verfahren der Einlagerung erprobt ist und sehr gut überwacht wird. Jegliche Bedenken besorgter Bürgerinnen und Bürger hätten sie wohl mit dem Argument verworfen, daß solche Einwände emotional sind, einer Ideologie entspringen, aber keinesfalls wissenschaftlich begründet sind.

Doch im Jahr 2008 berichtete die Presse, daß aus der Schachtanlage radioaktiv kontaminierte Salzlauge austritt. Um es kurz zu machen: Am 1. September 2009 wurde dem HZM die Verantwortung für den Betrieb der Asse entzogen, sie ging an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Nun wird erwogen, die Fässer zurückzuholen. Sofern dies überhaupt technisch machbar ist, werden dafür Kosten im zweistelligen Milliardenbereich veranschlagt. Anwohner fürchten, daß eine radioaktive Dauerkontamination des Grundwassers unabwendbar sein wird.

Nun sollen hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden (obgleich es sich in beiden Fällen um Obst handelt, man ihnen also gewisse Gemeinsamkeiten nicht kategorisch absprechen kann). Die Einlagerung radioaktiver Abfälle in das ehemalige Salzbergwerk Asse und die Einspeisung von CO2 in einen salinen Aquifer von Ketzin sind sowohl von ihrer Art als auch ihrem Umfang her zwei verschiedene Dinge. Selbst das rein theoretische Worst-case-Szenario von Ketzin, daß das injizierte CO2 aus noch unbekannten Gründen plötzlich in großen Mengen austritt, wäre harmlos verglichen mit dem, was sich in der Asse ereignen könnte. Warum wir dennoch an dieser Stelle ein Analogbeispiel nennen, hat damit zu tun, daß in beiden Fällen Wissenschaftler den Standpunkt vertreten, sie betrieben ihre Forschungen nach bestem Wissen und Gewissen und den Kriterien wissenschaftlicher Objektivität und Gründlichkeit, und dennoch zumindest im Fall der Asse eine überraschende, gefährliche Entwicklung eingetreten ist.

Kann das auch in Ketzin passieren? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Aber wird es weltweit genügend vergleichbar gut geeignete Standorte zur CO2-Speicherung geben? Und würde im Fall einer großmaßstäblichen Praxis das hier erprobte, ausgebaute Überwachungssystem angewendet? Kann man überhaupt nach wenigen Jahren der Erkundung schon zuverlässige Aussagen zum chemo-physikalischen Langzeitverhalten von gespeichertem CO2 machen? Und würde bei einer industriellen Anwendung dieses Verfahrens auch extrem reines CO2 verpreßt werden, wie es für die Versuche in Ketzin aufwendig hergestellt werden mußte (ein kleineres Injektionsexperiment fand mit etwas weniger reinem CO2 aus dem Kohlekraftwerke Schwarze Pumpe statt), oder würde die Industrie nicht Kosten sparen wollen und CO2 speichern, in dem Stick- oder Schwefeloxide vergesellschaftet wären? Dann entstünden in der Feuchtigkeit des Untergrunds stärkere Säuren als Kohlensäure, so daß durch die CO2-Injektion gesteinslösende Voraussetzungen geschaffen, also unterirdische Verwitterungsprozesse initiiert werden. [2]

Ketzin zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß hier schon in bewährter Weise Erdgas gespeichert wurde, und das sogar in deutlich geringerer Tiefe als das CO2. Außerdem liegt hier eine sogenannte Antiklinale vor, was bedeutet, daß die geologischen Schichten leicht nach oben gewölbt sind, weshalb das eingelagerte Gas an der Tonstein-Deckschicht wie die Luft unter einer Taucherglocke hängenbleibt und seitlich kaum entweichen kann. Außerdem ist die Menge des hier am Pilotstandort in den Untergrund injizierten CO2 äußerst gering im Vergleich zu den Mengen, die weltweit emittiert werden und, so es politisch gewünscht wird, eines Tages geologisch gespeichert werden könnten.

Zum Vergleich: Allein das Kohlekraftwerk Jänschwalde im Lausitzer Braunkohlerevier emittiert jährlich rund 1,4 Millionen Tonnen CO2, also rund das 20fache dessen, was in Ketzin probeweise gespeichert wird. Mit solchen Größenordnungen wäre auch zu rechnen, wenn erst der geologischen CO2-Speicherung, die auch unter dem Kürzel CCS (Carbon Dioxid Capture and Storage; z. Dt.: Kohlenstoffdioxid-Abscheidung und Lagerung) bekannt ist, grünes Licht erteilt wird.


Braunkohletagebau Jänschwalde in der Lausitz. Im Hintergrund steigt aus dem Kohlekraftwerk Jänschwalde Dampf auf  - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ein "Sachzwang" folgt dem nächsten: Erst wird die Landschaft vernichtet, um Braunkohle zu gewinnen, dann erzeugen die CO2-Emissionen unter anderem dieses Energieträgers einen klimabedingten Notstand, der die geologische Speicherung von CO2 erforderlich zu machen scheint. Welche hierdurch ausgelösten Schadenswirkungen werden zukünftige Generationen ausbügeln müssen?
Foto: © 2015 by Schattenblick

Mit diesem Pilotstandort zählt die deutsche Forschung nicht nur zur Speerspitze der technologischen Lösungskonzepte für das Problem des Klimawandels, sondern gleichzeitig auch der Legitimation einer Produktionsweise, die den Klimaforschern zufolge heute schon, aber in den nächsten Jahren und Jahrzehnten um vieles mehr, zur Not vieler Menschen beiträgt, da diese im Zuge der von Treibhausgasen angetriebenen globalen Erwärmung entweder von vermehrten und wuchtigeren Naturkatastrophen oder einer schleichenden Umwandlung ihres angestammten Lebensraums zum Beispiel in ein Trocken- oder umgekehrt ein Überschwemmungsgebiet heimgesucht werden.

Die gegenwärtige Massenflucht aus Afrika übers Mittelmeer hat hauptsächlich mit aktuellen Konflikten sowie mit einem in den letzten zwei, drei Jahrzehnten stark zugenommenen Wohlstandsgefälle zwischen dem EU-Europa und Afrika bzw. dem Nahen und Mittleren Osten zu tun. Welchen Anteil wiederum Klimaveränderungen an dieser Entwicklung hatten oder noch haben werden, läßt sich kaum erfassen bzw. prognostizieren. Unstrittig ist jedoch, daß klimatische Veränderungen zu Konflikten beitragen, diese anheizen oder gar auslösen können, und daß dies für eine Welt unter dem Zeichen des Klimawandels um so mehr zutreffen wird. Auch das gehört zu jener gesellschaftlichen Realität, in der die geologische Speicherung des Treibhausgases CO2 plötzlich notwendig, wenn nicht gar sinnvoll erscheint und irgendwann auch als ein gelungenes Geschäftsmodell in Anspruch genommen werden könnte. In den USA wird jedenfalls schon in Anzeigen für eine spezielle Form der CO2-Speicherung, BECCS genannt, geworben, wie Dr. Rachel Smolker, eine Kritikerin jenes Verfahrens, gegenüber dem Schattenblick sagte. [3]

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich am Tag der offenen Tür am Pilotstandort Ketzin den Fragen der Besucher stellten, betreiben ihre Forschungen in dem Selbstverständnis, daß sie einen potentiell wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und so wie die Braunkohleverstromung von der Bundesregierung als Brückentechnologie bezeichnet wird, wird auch die geologische CO2-Speicherung von den Geologen als eine vorübergehende Technologie, die zwingend erforderlich ist, um die globale Erwärmung zu bremsen, angesehen.

Unterstützung erhalten sie von berufener Seite. Das Zwei-Grad-Ziel sei sowieso schon kaum einzuhalten, sagt Prof. Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Co-Vorsitzender des Teilberichts III zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats. Um aber diese Herausforderung überhaupt noch schaffen zu können, sei die Kohlenstoffspeicherung unverzichtbar. [4]

Hier setzt der Pilotstandort Ketzin an, mit dem Daten gewonnen werden, die bei einer CO2-Speicherung im größeren Umfang verwendet werden könnten. Die Erkundung ist Bestandteil einer technologischen Entwicklung, bei der immer wieder "Brücken" geschaffen wurden, ohne daß das Ende der Brücke weniger destruktiv gewesen wäre als ihr Anfang; sei es, daß die Verbrennung von Kohle in Dampfmaschinen Pferdefuhrwerk und Ochsenkarren abgelöst hat, sei es, daß die Kohle durch Erdöl ersetzt wurde - von den katastrophalen Auswirkungen der Kernenergie als Spitze jenes technologischen Fortschritts der Energieproduktion ganz zu schweigen.

Mit den Folgen solchen Fortschritts, bei dem durch das großmaßstäbliche Verbrennen kohlenwasserstoffhaltiger Verbindungen Energie generiert wird, werden sich noch zukünftige Generationen herumschlagen müssen, da die Erdsysteme träge auf Veränderungen reagieren. So sagte kürzlich die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger - anscheinend in Einstimmung der Öffentlichkeit auf schmerzhafte Klimaanpassungsmaßnahmen - laut einer Pressemitteilung ihrer Behörde: "Wir können den Klimawandel nicht mehr aufhalten. Selbst wenn wir in diesem Moment alle Treibhausgasemissionen auf Null reduzieren, würde sich das Klima für hunderte Jahre weiter ändern." [5]

Was also tun? Die CO2-Speicherung nicht erforschen und die Entwicklung ihren Lauf nehmen lassen mit all den absehbar verheerenden Folgen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn jemandem, der gerade über die Klippe gesprungen ist, das Recht absprechen zu wollen, seinen Fallschirm zu öffnen, nur weil dieser aus erdölbasiertem High-tech-Material besteht und somit eine auf Raubbau an Mensch und Umwelt basierende Lebensweise symbolisiert, wäre wohl kaum nachvollziehbar.

Doch nur weil die CO2-Speicherung hier in Ketzin so wunderbar geklappt hat und womöglich auch schlußendlich klappen wird, ändert das nichts daran, daß diese Technologie ein Notnagel ist, um sich an der Abbruchkante festzuhalten. Der globale CO2- und der Temperaturanstieg (trotz vorübergehend "versteckter" Wärmeaufnahme in den Tiefen der Ozeane) galoppieren davon, und die Debatte darum verschiebt sich immer mehr von "Klimaschutz" zu "Klimaanpassung".

Bei dem, was üblicherweise unter technologischem Fortschritt subsumiert wird, müssen regelmäßig "Kollateralschäden" behoben werden. Der Pilotstandort Ketzin dient der Vorbereitung einer solchen Schadensbehebung. Durch die Speicherung von CO2 im Untergrund werden Aufwand und Verbrauch bzw. allgemein die Verluste aufgrund der Energieproduktion nicht verringert, das in Ketzin erprobte Verfahren steht der vorherrschenden Produktionsweise nicht entgegen, sondern perpetuiert diese und trägt sie als Brücke in eine unbestimmte Zukunft.

Faßt man das Dilemma noch grundlegender an, so wird an diesem Beispiel erkennbar, daß mit der Energievorstellung eigentlich immer Exergie gemeint ist: Sogenannte Energieträger wie Holz, Kohle oder Erdöl werden unumkehrbar verbrannt, um sie sich nutzbar zu machen. Zurück bleiben Asche und Verbrennungsgase, mit denen das CO2-Endlager namens Erdatmosphäre befrachtet wird. Das ist zwar nicht von seinen physikalischen Eigenschaften, wohl aber vom menschlichen Überlebensinteresse her nahezu randvoll. Man könnte also argumentieren, daß die geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid den Menschen etwas Luft verschaffte. Doch der Phönix, der sich da in Gestalt dieser CO2-Minderungsmaßnahme aus der Asche erhebt, erscheint nur deshalb so prächtig, weil der produzierte Ascheberg bereits so riesig ist, daß sich aber auch alles, was sich davon abhebt, und sei es kleiner als je zuvor, groß und glänzend erscheint.


Luftbildaufnahme mit den verschiedenen Einrichtungen wie den CO2-Tanks und Bohrlöchern - Foto: © GFZ

Pilotstandort zur geologischen CO2-Speicherung in Ketzin
Foto: © GFZ


Fußnoten:

[1] Die Idee hinter der hier erwähnten Methode des "Enhanced Mineral Weathering" (EMW) lautet, daß man die natürliche Verwitterung von Gestein, bei der CO2 gebunden wird, beschleunigen könnte, indem man beispielsweise Olivin kleinmahlt und in einer marinen Umgebung verteilt. Mehr dazu unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
INTERVIEW/167: Klimarunde, Fragestunde - hoffen, klären und Ideen ... Dr. Francesc Montserrat im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0167.html

[2] Auf diese und ähnliche Fragen hat der zuständige Leiter des Pilotstandorts Ketzin, Dr. habil. Axel Liebscher, am Tag der offenen Tür dem Schattenblick freundlicherweise geantwortet. Das Interview wird in Kürze veröffentlicht.

[3] BECCS ist die Abkürzung für "Bio-energy with carbon capture and storage" (Bioenergie in Verbindung mit Kohlenstoffabscheidung und Lagerung) und wird sogar im letzten IPCC-Bericht erwähnt. Das Verfahren gilt als potentiell hochwirksame Klimaschutzmaßnahme, weil damit nicht nur Treibhausgasemissionen eingespart werden sollen, sondern man auch aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen will. Ein denkbares Verfahren sähe so aus, daß durch die Produktion von Biomasse aus Bäumen der Atmosphäre CO2 entzogen wird. Diese Biomasse würde dann der Industrie als Energieträger dienen, wobei das bei der Verbrennung erzeugte CO2 abgefangen, verflüssigt und unterirdisch gelagert würde. Näheres dazu unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0158.html BECCS

[4] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0098.html

[5] http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/folgen-des-klimawandels-in-deutschland-deutlich

5. Juni 2015


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