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BERICHT/117: Ende Gelände - wo gehobelt wird ... (SB)


Ende Gelände 2016 - Kohle stoppen, Klima schützen!

Eine Nachlese zu den von Ende Gelände zwischen dem 13. und 16. Mai 2016 angekündigten Aktionen zivilen Ungehorsams im Braunkohlerevier Lausitz und ihren Folgen für andere ...


Das Bündnis Ende Gelände hat es in die Hauptnachrichten der ARD-Tagesschau gebracht. Am Sonntagabend um 20.00 Uhr erfuhren Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer von spektakulären Aktionen wie der Blockade des Kohlenachschubs für das Lausitzer Kraftwerk Schwarze Pumpe sowie dessen Erstürmung durch mehrere hundert Personen und daß es dabei zu Handgreiflichkeiten mit den Sicherheitskräften gekommen war. Medienaufmerksamkeit gewinnen, eines der erklärten Ziele von Ende Gelände, wurde somit auf ganzer Linie erreicht. Die Presse im In- und Ausland berichtete über die Anti-Kohle-Aktionen im Zeichen des globalen Klimaschutzes.


Blick über riesiges Loch des Braunkohletagebau Nochten, Kraftwerk Boxberg am Horizont - Foto: Frank Vincentz, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Landgrabbing - gilt es zu verhindern
Foto: Frank Vincentz, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Das Tagesschaupublikum erfuhr allerdings nicht, daß seit Ende März dieses Jahres ein Waldstück im Rodungsgebiet des zur Zeit noch von Vattenfall Europe Mining betriebenen Oberlausitzer Tagebaus Nochten im Bundesland Sachsen besetzt worden war. Ähnlich wie seit einigen Jahren im Hambacher Forst des rheinischen Braunkohlereviers Waldbesetzerinnen und -besetzer mit Leib und Leben zu verhindern versuchen, daß der uralte Waldbestand dort mehr und mehr für den Tagebau Hambach gerodet wird, haben einige Menschen beschlossen, in der Lausitz den Aufschluß des Tagebaus Nochten II durch ihre Besetzung zu stoppen. Vom 18. bis zum 25. Mai hatte die Initiative namens LAUtonomia zu einer "Waldwoche" eingeladen. Die angekündigten Workshop- und Diskussionsthemen sollten sich rund um Braunkohle, Tierausbeutung und Militarismus drehen. Wie der Website von LAUtonomia zu entnehmen ist, wurde die Waldbesetzung am heutigen Mittwoch von der Polizei geräumt. Für den Abend (nach Redaktionsschluß) sind Solidaritätskundgebungen unter anderem in Berlin und Göttingen angekündigt. [1]

Mit der im Tagebau Nochten geförderten Braunkohle wird das Kraftwerk Boxberg befeuert und die Brikettfabrik Schwarze Pumpe beliefert. Da Vattenfall seine deutsche Braunkohlesparte nach Tschechien verkauft und nur noch die schwedische Regierung dem Geschäft ihre Zustimmung geben muß - womit allerdings zu rechnen ist -, wurde die Umsiedlung aus dem "Nochten II" genannten Tagebaugebiet vorläufig ausgesetzt. Welche Pläne die tschechischen Investoren EPH und PPF haben, ist nicht bekannt. Mit einem Weiterbetrieb der Tagebaue in der Lausitz durch den neuen Investor und also auch mit der Devastierung von Dorf und Landschaft muß gerechnet werden.

Ende Gelände, das 6. Lausitzer Klima- und Energiecamp und alle übrigen der rund 3500 bis 5000 an den verschiedenen Aktionen am Pfingstwochenende in der Lausitz Beteiligten wollen den Verkauf verhindern und erreichen, daß Vattenfall die Braunkohleförderung stoppt, die Betriebe sozialverträglich abwickelt und die riesigen Löcher in der Landschaft und Absetzflächen der abgebaggerten Sande saniert. Würde EPH die Braunkohlesparte übernehmen, so wäre nicht nur ein Personalabbau zu erwarten, sondern auch, daß der Investor versucht, beispielsweise bei den hohen Rekultivierungskosten zu sparen. Warum sonst sollte im Rahmen einer kapitalistischen, profitorientierten Wirtschaftsordnung ein Unternehmen wie EPH die verlustträchtige Braunkohlesparte von Vattenfall übernehmen, wenn es sich nicht Vorteile davon verspräche, die der Verkäufer anscheinend nicht in der Lage ist, selber zu realisieren?


Eine Trommelgruppe unterwegs im Demozug - Foto: © 350.org / Paul Lovis Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Auf dem Weg zum Einsatz ...
Foto: © 350.org / Paul Lovis Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Mit Ende Gelände und LAUtonomia haben sich zwei höchst verschiedene Initiativen dem gleichen Ziel verschrieben. Erstere war generalstabsmäßig organisiert. Über Funk miteinander verbundene Führungspersonen lenkten die als "Finger" bezeichneten Protestmärsche mit ihren uniform in weiße Überziehoveralls gekleideten Protestierenden, die strammen Schritts mal in geordnet wirkender Formation - mitunter unterstützt von der rhythmischen Schlagfolge einer Gruppe Trommlerinnen und Trommler -, mal als ungeordnete Gruppe zu ihren jeweiligen Einsatzorten eilten, ständig im Visier von Foto- und Filmkameras der Presse sowie der freien und hauseigenen Fotografen, die allesamt beeindruckendes Bildmaterial produzierten. Selbst die Fotos des Handgemenges auf dem Gelände des Kraftwerks Schwarze Pumpe mit den martialischen, ganz in schwarz gekleideten Polizisten und den weißen, Reinheit symbolisierenden Protestierenden hätten kaum kontrastreicher inszeniert werden können.

Gegen diese Form der Professionalisierung des Protestes spricht im Prinzip nichts, denn gegenüber dem, was die andere Seite an Wirkmächtigkeit aufbietet, sind die Aktionen von Ende Gelände nicht mehr (aber eben auch nicht weniger) als symbolisch. Längst wird im Tagebau Welzow Süd wieder Braunkohle gefördert, geht der Betrieb in der Schwarzen Pumpe weiter, werden große Mengen klimawirksame Kohlenstoffdioxide, Schwermetalle und Dioxine in die Erdatmosphäre emittiert. Selbst Persönlichkeiten, die mit beiden Beinen fest in etablierten gesellschaftlichen Strukturen stehen, wie beispielsweise Ernst Ulrich von Weizsäcker (Ex-Bundestagsabgeordneter und Co-Präsident des Club of Rome) und Hans Joachim Schellnhuber (Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung) sprachen sich im Gespräch mit dem Schattenblick gegen die Braunkohle und für das Engagement junger Menschen gegen diesen Energieträger aus. [2]

Zwei Beispiele, die deutlich machen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen keine Außenseiteransicht mehr ist, die Verstromung von Braunkohle abzulehnen und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams, sofern sie sich nicht gegen Menschen und Dinge richten, für angemessen anzusehen in Anbetracht der Schadensentwicklung eines davongaloppierenden Klimawandels mit all seinen Begleitfolgen wie Versauerung der Meere, Gletscherschwund, Zunahme an Extremwetterereignissen, Artensterben, Bodenverlust, Meeresspiegelanstieg, etc.


Blick von oben auf einen langen, geordnet wirkenden Block von Protestierenden. Im Vordergrund zwei Fotografen - Foto: © 350.org / Ruben Neugebauer, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Ende Gelände naht
Foto: © 350.org / Ruben Neugebauer, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Nachdem Ende Gelände bereits im Sommer 2015 nicht weniger medienwirksam als in diesem Jahr in der Lausitz den Tagebau Garzweiler im rheinischen Braunkohlerevier besetzt hat, sind die weißen Überziehanzüge und die blaue Schrift fast zu einer Marke geworden, und Gruppen aus dem Ausland schauen sich inzwischen die Aktionen ab. Soviel Erfolg birgt die Gefahr, seine Wurzeln zu verlieren. Es könnte, müßte aber nicht dazu kommen, daß Ende Gelände eines Tages Markenbewußtsein entwickelt und "seine" Marke zu schützen versucht, indem es sich gegenüber anderen Initiativen ähnlicher oder gleicher Zielsetzung abgrenzt. Selbst die Waldbesetzerinnen und -besetzer im Hambacher Forst werden als Teil des Bündnisses verstanden, und Hannah Eichberger, Pressesprecherin von Ende Gelände, sagte auf die Frage des Schattenblick, wie das Bündnis zu der kürzlich begangenen Sabotage am Tagebau Hambach stehe, daß sich alle am Pfingstwochenende Beteiligten auf einen Aktionskonsens geeinigt hätten und keine Gewalt gegen Menschen und Sachen verübt werden, aber daß man anerkenne, daß es andere Formen des Widerstands gibt, die Ende Gelände für seine politischen Ziele nicht nutze.

Eine völlige Distanzierung würde anders aussehen, und mehr kann und darf eine Pressesprecherin in der Öffentlichkeit im Vorfeld angekündigter, nicht legaler, aber als legitim verstandener Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht sagen, will sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, den Aktionskonsens gar nicht ernstzunehmen. Warum aber Ende Gelände, das sich als ein breites Bündnis versteht, auf seiner Website keinen Hinweis auf die Waldbesetzung in der Lausitz bietet, wirft Fragen auf. Man findet auf der rechten Seite durchaus ein Banner mit einem Link zur globalen Initiative "Break Free 2016", dem sich Ende Gelände zugehörig fühlt, nicht aber zur lokalen Initiative LAUtonomia.

Vielleicht ist es ja Zufall oder ein bloßes Versäumnis, daß Ende Gelände keinen Kontakt zu LAUtonomia unterhält. Das wäre allerdings verwunderlich, denn die Aktionen über Pfingsten waren hervorragend organisiert. Vom Dixieklo bis zur Suppenküche - es wurde für alles gesorgt. Von einer Organisationslücke an dieser Stelle ist eigentlich nicht auszugehen. "Ordentliche Nachbesprechungen der Aktion (...) sind ein wichtiger Teil des Prozesses", heißt es auf der Website von Ende Gelände, und "wir müssen unsere Solidarität auch außerhalb der Grube zeigen". [3]

Nun denn: 21 Aktivistinnen und Aktivisten der Lausitzer Waldbesetzung wurden auf die Polizeiwache Weisswasser gebracht, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Ihnen werden Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Umweltstraftaten vorgeworfen. Als Haftprüfungsgrund sei "gefährlicher Eingriff in den Strassenverkehr" angegeben worden, welcher im Rahmen der Aktionen von Ende Gelände begangen worden sei.

Sollten sich die Angaben zur Räumung, die ausschließlich von LAUtonomia selbst stammen, bestätigen, dann, so hat es den Anschein, müssen die Waldbesetzerinnen und -besetzer den Kopf für etwas hinhalten, an dem viele andere ebenso beteiligt waren.


Am Boden ein Protestler, darüber gebeugt ein Polizist. Zwei weitere Polizisten in Kampfbereitschaft dahinter - Foto: © 350.org / Paul Lovis Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Weiß trifft auf Schwarz beim Kraftwerk Schwarze Pumpe
Foto: © 350.org / Paul Lovis Wagner, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr


Fußnoten:


[1] http://lautonomia.blogsport.eu/

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0122.html und
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[3] https://www.ende-gelaende.org/de/aktion/nach-der-grube/


Bisher zu den Aktionen von Ende Gelände und dem 6. Lausitzer Klima- und Energiecamp im Schattenblick unter INFOPOOL → REPORT erschienen:

INTERVIEW/219: Ende Gelände - konzertiert marschiert ...    Hannah Eichberger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0219.html

INTERVIEW/220: Ende Gelände - Wendehände ...    Marvin Kracheel im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0220.html

INTERVIEW/222: Ende Gelände - funktionsambivalent ...    Georg Kössler im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0222.html

INTERVIEW/223: Ende Gelände - Staats- und Wirtschaftspräferenz Profit ...    Annika Hagberg im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0223.html


18. Mai 2016


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