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BERICHT/139: Landwirtschaft 4.0 - Besserungen verlangen und geloben ... (SB)




Podiumsrunde mit Andreas Sentker, Dr. Rainer Preuss, Silvia Bender, Prof. Dr. Martin Banse und Dr. Rainer Langner - Foto: © 2018 by Schattenblick

Allgemeiner Konsens: Die Verbraucher sollen ihr Konsumverhalten ändern, um das Klima zu schützen.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Wir brauchen dringend eine neue Landwirtschaft, damit wir den Klimawandel rechtzeitig aufhalten, lautete die verbreitete Ansicht unter den Gästen der zweiten Podiumsrunde des 5. Zukunftsdialogs Agrar & Ernährung. Auf Einladung der Wochenzeitung "Die Zeit" und der "agrarzeitung" waren am 5. Juni 2018 mehrere hundert Gäste zu den Bolle-Festsälen in Berlin-Moabit gereist, um mehr über die Einschätzungen einer Reihe von Expertinnen und Experten zu Fragen rund um den Komplex Landwirtschaft und Ernährung zu erfahren. Thema jener zweiten Diskussionsrunde, die inklusive einer Keynote Speech zu "Forschungseinblicken bei der BASF" von Dr. Rainer Preuss (Leiter Forschung und Entwicklung, Functional Crop Care, BASF SE) auf 45 Minuten angesetzt war: der Klimawandel.

Wie brisant das Thema ist, zeigen zwei Studien, die wenige Tage nach dieser Veranstaltung im Wissenschaftsjournal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) erschienen sind. Die globale Erwärmung wird das Risiko deutlich erhöhen, daß es zeitgleich in mehreren wichtigen Maisanbaugebieten der Welt zu Ernteeinbrüchen kommt, heißt es in der einen Studie. [1] Unter dem Einfluß von Umweltfaktoren wie zum Beispiel dem Klima werden in Zukunft Gemüse und Hülsenfrüchte deutlich weniger Erträge abwerfen, wenn die Landwirtschaft nicht dagegensteuert, lautet das zusammengefaßte Ergebnis einer zweiten Studie. [2]

Dies sind nur zwei hochaktuelle Beispiele für die Wichtigkeit, daß rechtzeitig wirksame Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ergriffen werden. Wenn sich die Art, wie hierzulande und in großen Teilen der übrigen Welt tierische und pflanzliche Produkte hergestellt werden, nicht ändert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß die Klimaschutzziele, die sich die Staatengemeinschaft mit dem Abkommen von Paris im Jahr 2015 gestellt hat, verfehlt werden. Sogar sehr weit verfehlt. Die Wissenschaft geht davon aus, daß in der heutigen Zeit die Weichen für Entwicklungen gestellt werden, die erst in hundert Jahren oder später eintreten.

Eine der vielen Folgen besteht im Anstieg des globalen Meeresspiegels. Erstmals unter dem Einfluß des Menschen könnte sich wiederholen, was im Verlauf der Erdgeschichte bereits zu dramatischen Veränderungen auf der gesamten Erdoberfläche geführt hatte: Die Gletscher der Hochgebirge und Eismassen der polaren Zonen schmelzen ab und lassen den Meeresspiegel ansteigen, so daß einer beträchtlicher Teil der Landmassen untergeht.

Irgendwann würde man die 35,3 Meter über Meeresspiegelniveau liegenden Bolle-Festsäle nur noch mit dem Boot erreichen, und sollten sämtliche Eismassen der Welt unter dem Einfluß der Sonne schmelzen, nutzte auch die Flucht auf die Dachterrasse dieser ehemaligen Meierei nichts, da sie vollkommen vom Meer überspült würde. Allerdings rechnet die Wissenschaft nicht in Hunderten, sondern eher in Tausenden oder gar Zehntausenden von Jahren, bis ein solches Ereignis frühestens eintritt. So würden bis dahin längst andere, zeitlich parallel laufende Schadenstrends ihre Wirkung entfaltet haben.

Aber die Wissenschaft rechnet, und so lauten ihre computergenerierten Klimaprojektionen, daß die bisherigen Maßnahmen der deutschen Regierung die selbstgesteckten Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen bis 2030 deutlich verfehlen werden. Je nach Lesart um acht (Bundesregierung) oder zehn Prozent (BUND).

Die Landwirtschaft in Deutschland muß ihre Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts um 60 Prozent verringern, forderte die Agraringenieurin Silvia Bender, Leiterin der Abteilung Biodiversität bei der Naturschutzorganisation BUND. Dazu gehöre eine Halbierung des Tierbestands bis 2050, das sei Standpunkt eines breiten Bündnisses zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Niemand auf dem Podium, der ihr widersprochen hätte. Abgesehen von Bender und BASF-Mitarbeiter Preuss stellten sich Prof. Dr. Martin Banse, Direktor des Instituts für Marktanalyse am Thünen-Institut, und Dr. Rainer Langner, Vorsitzender des Vorstands der Vereinigten Hagelversicherung, den Fragen des Moderators Andreas Sentker, "Zeit"-Ressortleiter Wissen. Dieser konstatierte gleich zu Beginn des Gesprächs, daß die Landwirtschaft Opfer und Täter zugleich ist. Sie leide unter den Folgen des Klimawandels, ebenso wie sie dazu beitrage, daß er stattfindet. Weniger aufgrund von CO2-Emissionen, sondern aufgrund von Methan aus der Rinderzucht und Milchwirtschaft sowie Lachgas aus der künstlichen Düngung. Beides sind hochpotente Treibhausgase.

Es überraschte nicht, daß der Vertreter der Agroindustrie die Bedeutung von Kunstdünger zum Pflanzenwachstum betonte. Ohne ausreichend Stickstoff würden Nutzpflanzen kaum mehr als 50 Prozent ihres Ertragspotentials nutzen, so Preuss. BASF arbeite daran, die Ammoniakemissionen aus Kunstdünger um 70 Prozent zu reduzieren. Was er unerwähnt ließ: Auch organischer Dünger sorgt für hohe landwirtschaftliche Erträge, bietet der Agroindustrie aber keine ganz so attraktiven Geschäftsmöglichkeiten. Und solange die Kosten zur Behebung der Kollateralschäden einer durch Kunstdünger bis an ihre Leistungsgrenzen gebrachte Intensivlandwirtschaft externalisiert und der Gesellschaft aufgebürdet werden können, ist das letzte Wort noch nicht zu der Frage gesprochen, welcher Anbau unter welchen Bedingungen einen größeren Nutzen abwirft, der ökologische oder der konventionelle. Jedenfalls forderte der Wissenschaftler Banse eine Effizienzsteigerung bei der Düngung, ob nun Gülle, Festmist oder Mineraldünger ausgebracht werden. Aufgrund der Flächeneffizienz sei Ökolandbau nicht so positiv, wie er immer dargestellt werde, denn er werfe geringere Erträge ab, habe also einen größeren Flächenbedarf.

Ähnlich wie Bender hinterfragte auch Banse die gegenwärtige Tierhaltung in Deutschland. Bei vielen Tierarten besäße man einen Selbstversorgungsgrad "von deutlich über 100 Prozent". Da sei nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch der Verbraucher gefragt. Weniger Konsum von tierischen Produkten sei "Teil des Lösungsansatzes".

Am deutschen Verbraucher soll die Welt genesen? Wohl kaum. Auch wenn hier der Lenkungseffekt durch ein verändertes Konsumverhalten nicht geleugnet werden soll, fiel die Diskussion über andere Gründe, weswegen hierzulande so viele Tiere gezüchtet werden, sehr verkürzt aus, um es wohlwollend zu formulieren. Die Fleischerzeuger in Deutschland und der übrigen Europäischen Union produzieren auch für den Weltmarkt, also am hiesigen Konsum vorbei, und sie würden wahrscheinlich versuchen, ihre Umsätze in Nicht-EU-Ländern weiter zu steigern, setzte sich der seit einigen Jahren zu beobachtende Trend fort, daß der Fleischverbrauch zurückgeht. So hat China zwar den Import von EU-Schweinefleisch von 2016 auf 2017 um rund 25 Prozent reduziert, ist aber mit 1,389 Mio. Tonnen (2017) noch immer Hauptabnehmer auf diesem Gebiet. Verzichtet nun der brave EU-Bürger auf sein Schnitzel am Sonntag, hätte er vielleicht ein gutes Gefühl dabei, doch obschon er mit seinem Konsumverhalten Teil einer Massenbewegung ist, müßten andere Maßnahmen ergriffen werden, um aus Gründen des Klimaschutzes die Exportwirtschaft in die Schranken zu weisen. "Für viele Betriebe ist der Export nach Asien die Rettung", berichtete "Die Zeit" im Januar dieses Jahres [3].

Obschon auch Bender eine Änderung des Konsums vorschlägt, um dem Klimawandel zu begegnen, geht ihr Standpunkt darüber hinaus, da sie vorschlägt, daß die Agrarförderung der Europäischen Union stärker auf klimaschützende Maßnahmen in der Landwirtschaft umgestellt wird. Daß sie mit ihren Vorstellungen zu Fleischverzicht und beispielsweise auch Renaturierung von Mooren (die häufig der Ausdehnung der landwirtschaftlichen Fläche gewichen sind) manchem Landwirt auf die Füße tritt, dürfte ihr klar sein. Dennoch, der Applaus aus dem Publikum für ihre Ausführungen zeigte, wie sehr sie auf Zustimmung stieß. Dabei konnte man mit einiger Berechtigung annehmen, daß der Deutsche Bauernverband (DBV) hier sicherlich zahlreich vertreten war. Bender plädierte für einen Dialog, auch und gerade mit dem DBV, so daß dann gemeinsam ein gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt wird, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll.

Das sah auch Banse so. Man sollte einen gesellschaftlichen Dialog mit allen Beteiligten entwickeln, um Lösungsansätze zu finden, "die auf dem Tisch liegen", aber in der Umsetzung "steckengeblieben sind", schlug er vor. Wenn Klimaschutz ein Staatsziel wäre, müsse die Politik mitziehen. Ein Nachhaltigkeits-Labeling allein reiche nicht aus.

In diesem Jahr gab es so viele Schadensmeldungen wie in den letzten zehn Jahren nicht, berichtete Langner. Die Hagelversicherer gehen davon aus, daß in den nächsten Jahren aufgrund der Auswirkungen der globalen Erwärmung deutlich mehr Extremwettereignisse auftreten werden. Auch hier bestätigen aktuelle Meldungen seit dem 5. Zukunftsdialog über Wetterkatastrophen in Deutschland, teilweise mit Todesfolge, daß die Serie an Unwettern - Dürren, Überschwemmungen, Gewitterblitze, Hagel - nicht abreißt. In einigen Regionen Deutschlands wird mit Ernteausfällen von bis zu 100 Prozent gerechnet [4]. Dabei steht der Sommer erst noch bevor.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] http://www.pnas.org/content/early/2018/06/04/1718031115

[2] http://www.pnas.org/content/early/2018/06/05/1800442115

[3] https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-01/fleischatlas-fleichkonsum-deutschland-2018

[4] https://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Pflanze/Erhebliche-Ernteausfaelle-wegen-Unwetter-befuerchtet_article1529039739.html


Bisher zum 5. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung im Schattenblick erschienen:
BERICHT/138: Landwirtschaft 4.0 - die Stickstoffalle ... (SB)

15. Juni 2018


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