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INTERVIEW/006: Klima, Aerosole - Hauke Schmidt, Max-Planck-Institut für Meteorologie (SB)


Interview mit Dr. Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie am 11. August 2011 in Hamburg


Im Oktober 2010 wurde auf der Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen in Japan ein Geo-Engineering-Moratorium für größere Experimente verabschiedet. Bereits seit Juli 2009 läuft ein von der EU gefördertes internationales Forschungsprojekt zum Thema "Implikationen und Risiken des Engineering der Sonnenstrahlung zur Begrenzung des Klimawandels" unter dem Akronym IMPLICC (Implications and risks of engineering solar radiation to limit climate change). An diesem Projekt sind unter wissenschaftlicher Beratung von bekannten Klimaforschern wie Lennart Bengtsson und Paul Crutzen Einrichtungen aus Frankreich, Norwegen und Deutschland wie das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg (H. Schmidt, J. Feichter, M. Giorgetta, C. Timmreck), das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz (M. Lawrence, A. Baumgärtner), das Commissariat à l'Energie Atomique (CEA) in Paris (M. Schulz), die Universität von Oslo (J. E. Kristjansson) und das Cicero (Center for International Climate and Environmental Research) in Oslo (A. Aaheim) beteiligt.

Dr. Hauke Schmidt, der am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg als Koordinator dieses Projekts tätig ist, stellte auf der internationalen Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" (SAAE) am 11./12. August in Hamburg einige als "robust" geltende Daten aus diesem Projekt vor [1]. Dieser gemeinhin als Ausdruck für Gegenstände und Materialien im Sinne von "widerstands-" oder "strapazierfähig" verwendete Begriff erhält in der wissenschaftlichen Datenanalyse die Konnotation "belastbar" oder "abklopfbar" und meint eigentlich "wahrscheinlich". Somit ergeben sehr viele Daten aus unterschiedlichen Modellen die gleichen, daher robusten (d. h. höchstwahrscheinlichen, aber nicht vollständig gesicherten) Prognosen zum Geo- bzw. Climate-Engineering.

Den Hintergrund zu den von Wissenschaftlern wie Schmidt betriebenen Berechnungen bilden Überlegungen, die zunehmende Erwärmung der Erde aufzuhalten. Sei es durch die Verringerung des Energieverbrauchs, sei es durch das Abfangen von Treibhausgasemissionen oder sei es durch direktere Formen an ingenieurstechnischen Maßnahmen der Klimabeeinflussung. Sollte sich herausstellen, daß der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur die sogenannte 2-Grad-Grenze (als Referenzwert gilt das vorindustrielle Zeitalter) überschreitet, davongaloppiert und auf keinen Fall mehr durch emissionsmindernde Maßnahmen aufzuhalten sein würde, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß nach Abwägung der potentiellen Folgeschäden effektivere Mittel des sogenannten Geoengineerings ergriffen werden, beispielsweise daß dann gezielt Aerosole in die Erdatmosphäre eingebracht werden, um die Sonneneinstrahlung zu verringern.

Der Schattenblick nahm im Verlauf der SAAE-Konferenz die Gelegenheit wahr, dem Atmosphärenforscher Dr. Hauke Schmidt einige sich aufdrängende Fragen zu diesem brisanten Themenkomplex zu stellen.

Dr. Hauke Schmidt - Foto: © 2011 by Schattenblick

Dr. Hauke Schmidt
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Wenn mit dem Geoengineering die globale Durchschnittstemperatur nicht unterhalb des vorindustriellen Zeitalters gebracht werden kann, wäre das zunächst noch kein Gegenargument zum Geoengineering, sondern erstmal nur eine Feststellung aufgrund einer Modellbildung ...

Hauke Schmidt: Darf ich da schon einhaken? Möglicherweise haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe nicht behauptet, daß wir das nicht unter die Temperatur des prä-industriellen Niveaus bringen könnten. Wie Sie aus den vorangegangenen Vorträgen, insbesondere der Arbeit von Ulrike Niemeier [2], vielleicht wissen, ist es durchaus umstritten, wieviel Geoengineering oder - im Fall dieser speziellen Methode -, wieviel Schwefel man in der Stratosphäre braucht, um einen bestimmten Temperatureffekt zu erreichen. Wir sehen bei dieser Methode zumindest in unseren bisherigen Simulationen keinen Sättigungseffekt, obwohl der sicherlich irgendwann eintreten würde.

SB: Mehr Schwefel in der Atmosphäre bringt also mehr?

HS: Wie Frau Niemeier sagte, bringt eine Verdopplung der Masse an Schwefel in diesem Fall keine Verdopplung des Strahlungseffekts, sondern etwas weniger. Aber es bleibt dabei, daß mehr Schwefel mehr Abkühlung bringt. Keiner vermag es mit Sicherheit zu sagen, aber ich gehe davon aus, daß man mit sehr massiven Eingriffen die globale Temperatur auch unter ein prä-industrielles Niveau bringen könnte.

SB: Sind das jetzt rein theoretische Annahmen oder ist tatsächlich an praktische Konsequenzen gedacht? Wären die Folgen einer so großen Menge an Schwefelpartikeln in der Atmosphäre berechenbar?

HS: Das ist in der Tat schwer vorhersagbar. Was allerdings die Gesamtmenge an Schwefel, die wir einbringen müßten, anbelangt, so hat Paul Crutzen einmal eine Abschätzung gemacht, derzufolge rund fünf Megatonnen Schwefelemissionen pro Jahr gebraucht würden. Das entspräche grob gerechnet etwa zehn Prozent der Menge, die ohnehin jährlich in die Troposphäre emittiert werden. Was also die Frage zum Beispiel nach dem verstärkten sauren Regen betrifft, so wäre der Effekt unserer Vermutung nach eher gering. Da liegt wahrscheinlich nicht das große Problem.

Ganz anders verhielte es sich mit der Stratosphäre, denn dort wäre Schwefel sehr wirksam. Aerosole in der Stratosphäre führen natürlich zu einem verstärkten Ozonabbau. Das ist einer der Nebeneffekte, über die ich in meinem Vortrag nicht gesprochen habe, weil ich mich aufs Klima, das heißt auf die Faktoren Niederschlag und Temperatur konzentriert habe. Aber das sind Nebeneffekte, die man berücksichtigen muß. Ebenso gilt es zu beachten, daß die direkte Sonnenstrahlung abnähme. Wir würden mehr diffuse Sonnenstrahlung haben. Ich selbst habe nicht dazu gearbeitet, aber es wurden Studien durchgeführt, denen zufolge sich Schwefeleinträge auch auf das Pflanzenwachstum auswirken. Zudem hätte es Effekte insbesondere auf die Arbeit von solarthermischen Anlagen, die ja direktes Sonnenlicht in Spiegeln einfangen und auf diese Weise Energie produzieren sollen.

SB: Was dann mit anderen Interessen innerhalb der Klimaschutzbewegung kollidieren würde: Die einen propagieren den Ausbau solarthermischer Kraftwerke, bei denen zum Beispiel große Spiegelflächen in der Wüste aufgestellt werden, andere wollen womöglich Schwefelpartikel in die Atmosphäre einbringen.

HS: Richtig. Da wurden natürlich Abschätzungen vorgenommen, wie groß dieser Effekt sein würde. Man kennt oder vermutet bereits eine ganze Reihe von riskanten Nebeneffekten. Ich glaube nicht, daß wir schon in der Lage sind, die gesamten Effekte wirklich abzuschätzen. Die Historie von Eingriffen in die Natur und in das Klimasystem, das nun mal sehr komplex ist, zeigt, daß es üblicherweise zu Nebenwirkungen kommt, die man vorher nicht bedacht hat.

SB: Wegen verschiedener Effekte wie dem sauren Regen hat man angefangen, Schwefel aus Kraftwerksemissionen herauszufiltern. Wie wäre Geoengineering damit zu vereinbaren?

HS: Natürlich würde man den Schwefeleintrag wieder etwas erhöhen, die genauen Zahlen dazu wurden veröffentlicht. Aber allgemein wird in der Forschung angenommen, daß die Menge Schwefel, die man für das Geoengineering bräuchte, in dieser Hinsicht nicht dramatisch wäre. Wie gesagt, das wäre etwa zehn Prozent von dem, was wir ohnehin auch heute noch emittieren. Ich will nichts beschönigen, aber das ist in meinen Augen nicht das größte Problem, was wir erwarten können.

SB: Haben Sie in Ihrer Modellbildung zum Geoengineering nur die Schwefeleinbringung berücksichtigt oder auch andere Geoengineering-Konzepte wie die Eisendüngung der Ozeane?

HS: Nein, das ist ja ein ganz anderes Feld. Wir beschäftigen uns nur mit dem, was wir als Solar Radiation Management bezeichnen. Es gibt einen anderen Zweig des sogenannten Geoengineerings, der im Englischen Carbon Dioxid Removal bezeichnet wird und den Versuch beschreibt, Kohlenstoff der Atmosphäre zu entziehen. Im Prinzip erscheinen diese Methoden durchaus attraktiv, aber ich kenne keine, die so vielversprechend aussieht wie das Einbringen von Schwefel. Sofern die anderen Geoengineering-Methoden überhaupt funktionieren, würden sie wahrscheinlich erst relativ langsam wirken. Und abhängig von der Methode hätten sie dann möglicherweise ebenfalls Nebeneffekte.

SB: Eine andere Überlegung geht dahin, Spiegelflächen im erdnahen Orbit zu installieren.

HS: Das ist eigentlich genau das, was wir jetzt auch simuliert haben und das wir als Verringerung der Solarkonstante bezeichnen. Das könnte man erreichen, indem man Spiegel in den Weltraum schickt.

SB: Haben Sie in Ihrer Modellbildung diese verschiedenen Konzepte der Rückstrahlung berücksichtigt?

HS: In unserem Projekt beschäftigen wir uns mit drei verschiedenen Methoden. Zum einen das Positionieren von Spiegeln im Weltraum - das habe ich heute vorgestellt -, zum zweiten jene Schwefeleinträge in die Stratosphäre, wozu wir Vorstudien gemacht haben - hier hat Frau Niemeier abzuschätzen versucht, welchen Strahlungseffekt das überhaupt hat; die Simulationen mit dem Erdsystemmodell analog zu dem, was ich gezeigt habe, laufen gerade. Und drittens gibt es einen Projektpartner in Norwegen, der sich mit dem sogenannten Aufhellen von Wolken, dem Cloud Whitening, beschäftigt. Bei dieser vorgeschlagenen Methode wird Seesalz in marine Wolken eingebracht, um die Tröpfchengröße in den Wolken zu verringern. Das hätte eine Aufhellung und damit eine größere Rückstrahlung dieser Wolken zur Folge. Aber da muß bedacht werden, daß die Methode sicherlich global noch viel ungleichmäßigere Effekte auslösen würde. Wir haben den Strahlungsantrieb von einer CO2-Verdopplung mit einer Reduktion der Solarkonstante verglichen und festgestellt, daß das Ergebnis regional variierte. Aus prinzipiellen Überlegungen wäre daher zunächst einmal zu erwarten, daß das Klima noch weniger ähnlich dem wird, das wir im Zuge der Industrialisierung verlassen haben, denn der Strahlungsantrieb träte regional noch sehr viel weniger gleichmäßig auf.

Es ist nach wie vor sehr umstritten, ob diese Methode überhaupt in dem Maße, wie es vorgeschlagen wurde, funktionieren würde, das heißt, ob der Effekt tatsächlich so groß wäre. Auch bei der Methode des Schwefelausbringens in der Stratosphäre kann man das nicht mit letzter Sicherheit sagen, aber da gibt es eben diese großskaligen Erfahrungen nach Vulkanausbrüchen, von denen wir wissen, daß sie zu einer Abkühlung geführt haben. Die verstehen wir großskalig schon etwas besser als die anderen Methoden, die natürlich auf großer Skala so nie erprobt wurden.

SB: Stellt sich bei der Modellbildung nicht die Frage nach dem Ausmaß historischer Vulkanausbrüche, was ja dann immer Proxi-Daten sind?

HS: Nein, nein, der Pinatubo lieferte ja keine Proxi-Daten. Natürlich haben wir nicht die Daten, die wir immer gerne haben wollen, aber wir hatten 1991 beim Ausbruch dieses Vulkans relativ viele Satelliten im Orbit und auch anschließend in den nächsten rund zwei Jahren, in denen die Konzentration der Aerosole in der Stratosphäre erhöht war. Dazu gibt es also Satellitenbeobachtungen. Außerdem wurden am Boden allerlei Messungen vorgenommen. Die Datenbasis ist somit besser, als daß sie nur auf Proxi-Daten beruhte.

Durchaus umstritten ist hingegen die exakte maximale Abkühlung durch den Pinatubo-Ausbruch, weil sie vor dem Hintergrund einer ohnehin vorhandenen Variabilität des Klimas stattfand. Aber die Abschätzungen zum Maximaleffekt schwanken zwischen 0,3 und 0,5 Kelvin. Ich kenne niemanden, der ernsthaft behauptet, daß der Ausbruch nicht zu einer deutlichen Abkühlung geführt hätte. Also da weiß man mehr als nur aus den Proxi-Daten.

SB: Besteht nicht dennoch das Problem, von diesen Daten dann extrapolieren zu müssen?

HS: Das Problem eines Vulkanausbruchs wie dem des Pinatubo besteht natürlich darin, daß der Strahlungseffekt nur über zwei Jahre und innerhalb dieses Zeitraums auch unterschiedlich stark auftrat. Die Sulfatwolke verteilte sich unterschiedlich, änderte ihre Größe und schwächte sich dann wieder ab. Die Schwierigkeit der Berechnungen läßt sich an einem Bild verdeutlichen: Der Winter 2009, 2010 war hier extrem hart. Nehmen wir einmal an, im Sommer 2009 hätten wir mit dem Geoengineering begonnen. Interessant wäre dann natürlich die Mediendiskussion gewesen - die Leute wären über die Ingenieure hergefallen! (lacht)

SB: (lacht) Oder wie die sogenannten Klimaskeptiker. Unter ihnen gibt es auch einige, die nur mal einen kalten Sommer erleben müssen und daraufhin behaupten, daß keine Klimaerwärmung stattfindet.

Dr. Hauke Schmidt und SB-Redakteur - Foto: © 2011 by Schattenblick

Dr. Hauke Schmidt und SB-Redakteur
Foto: © 2011 by Schattenblick

HS: Es ist eben nicht ein Sommer, der uns Aufschluß darüber gibt, was im Klimawandel passiert, und es ist nicht ein Winter, der uns sagt, was nach einem Geoengineering passiert. Es sind eben auch nicht die zwei Winter nach Pinatubo, die uns absolute Sicherheit hinsichtlich der Frage verschaffen, wie sich dadurch das globale Zirkulationsmuster verändert. Da bestehen natürlich Unsicherheiten. Aber es gibt bestimmte Muster, die wir nach vorangegangenen großen Vulkanausbrüchen einigermaßen robust rekonstruieren können. Zum Beispiel sieht man nach großen Vulkanausbrüchen über dem nördlichen Eurasien üblicherweise eine sogenannte Wintererwärmung, obwohl es global eine Abkühlung gibt. Das ist dann auch etwas, was wir von einem Geoengineering-Klima erwarten würden. Oder einem Klima, das durch stratosphärisches Aerosol beeinflußt wäre.

SB: Herr Schmidt, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

HS: Gerne.


*


Fußnoten:

[1] Siehe hierzu auch Infopool -> Umwelt -> Report ->
BERICHT/005: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 2 (SB)

[2] Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hat einen Vortrag mit dem Titel "Geoengineering sulfate aerosol - microphysical evolution depending on emission parameters" gehalten.

29. August 2011