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INTERVIEW/022: Bagger fressen Erde auf - Zeph über die Arbeit des Beehive Design Collective (SB)


Gemeinsam Kunst schaffen und mit Menschen ins Gespräch kommen



Interview am 14. Juni 2012 im Hamburger Gängeviertel

Zürich, Freiburg, Köln, Mönchengladbach, Buir, Cottbus, Leipzig, Berlin, Hamburg - auf der letzten Station der Infotour "The True Cost of Coal" bestand noch einmal die Gelegenheit, etwas über die Arbeit der US-amerikanischen Aktivistinnengruppe Beehive Design Collective in Erfahrung zu bringen. Nach einem langen Vortrag vor dem grafischen Werk [1], das als Fokus der ausgreifenden Geschichte um Kohleabbau und Energiekämpfe in den USA dient, beantwortete die Aktivistin Zeph dem Schattenblick einige Fragen zu dieser Form der politischen Mobilisierung.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Zeph
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Zeph, könntest du erklären, wie du Mitglied des Beehive-Kollektivs geworden bist und woher die Idee stammt, auf diese Weise zusammenzuarbeiten?

Zeph: Die Gruppe besteht seit etwa zehn Jahren. Bevor ich 2008 beigetreten bin, hatte ich schon von ihr gehört und einige ihrer Bilder auf Antikriegsdemonstrationen gesehen. Es war sehr anregend, so detailliert ausgearbeitete Kunstwerke inmitten einer Protestaktion zu sehen. Durch meinen künstlerischen Hintergrund war ich selber daran interessiert, solche Kunstwerke als Teil einer sozialen Bewegung zu schaffen. Also trat ich mit dem Beehive in Kontakt, um mehr über die Gruppe und ihre Arbeitsweisen herauszufinden. Schließlich wurde ich sozusagen rekrutiert, um an einem anderen Projekt als diesem zu arbeiten. Als das Kohle-Projekt begann, arbeitete ich auch daran mit.

SB: Hat die Idee des Kollektivs in diesem Kontext eine größere Bedeutung, als lediglich einen losen Zusammenhang von Leuten zu bezeichnen?

Zeph: Definitiv. Ich denke, ein Kollektiv ist eine Gruppe Menschen, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Sei es nun ein Wohn-, Kunst-, oder politisches Projekt, es ist eine sehr viel verbindlichere Gruppierung als nur ein paar Freunde, die sich gelegentlich treffen.

SB: Knüpft euer Zusammenhang auch an die Kommunen und Gegenkulturbewegungen der 70er und 80er Jahre an? Gibt es eine engere Verbindung, in der man sicher sein kann, daß der andere mitzieht, auch wenn die Situation prekär wird?

Zeph: Ich denke, die Menschen haben lange Zeit mit Kollektiven experimentiert und sie haben schon viele verschiedene Formen angenommen. Das Beehive Collective unterhält ein Haus in Maine, in dem eine Art Kerngruppe lebt und arbeitet. Meines Erachtens ist das die größte Gemeinsamkeit. Es ist eine Wohngemeinschaft, in der man zusammen lebt, arbeitet und dieses Projekt vorantreibt, mit allen Vor- und Nachteilen, die das kollektive Zusammenleben mit sich bringt. Wir gehen auch viel auf Vortragsreisen. Zudem gibt es Menschen, die an dem Projekt kollektiv mitarbeiten, aber nicht unbedingt in Maine leben, was also ein etwas lockerer Zusammenhang ist.

SB: Du kommst eher aus einer künstlerischen Richtung. Was ihr uns heute gezeigt habt, ist ein eindrucksvolles Beispiel für politische Kunst. Erhaltet ihr Reaktionen aus der Kunstszene aufgrund des Projekts, oder ist das als sozialer Aktivismus komplett davon abgekoppelt?

Zeph: Wir haben sehr viel häufiger mit Aktivistenszenen als mit Künstlern zu tun. Hin und wieder, wie zum Beispiel bei diesem Werk, kreuzen sich die Wege mit der Kunstwelt jedoch, zumeist dann, wenn politisch interessierte Menschen aus der Kunstszene zusammenkommen und uns einladen. Tatsächlich sind wir gerade in Deutschland, weil wir zur Manifesta eingeladen wurden. Dabei handelt es sich um eine große Biennale, die schon seit einiger Zeit stattfindet und dieses Jahr in Genk in der belgischen Provinz Limburg Station macht. Es ist ein großes Kohlerevier, daher thematisieren viele der dort gezeigten Werke die Geschichte der Industrialisierung, der Arbeit und der Kohleförderung. Sie luden uns also zur Europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst ein, um unser Bild dort auszustellen. Dadurch war es uns möglich, nach Europa zu kommen und diese Tour zu organisieren. Allerdings ist es das erste Mal, daß wir in einer Ausstellung dieser Größe vertreten sind, bisher waren wir nur auf einigen kleineren.

SB: Gibt es in den USA Bewegungen, die Kunst als ein politisches, pädagogisches oder emanzipatorisches Werkzeug nutzen, wie ihr es tut? Kann man breitere Strömungen in diese Richtung erkennen?

Zeph: Ich glaube, es wird eine große Menge politischer Kunst geschaffen, die jedoch üblicherweise nicht in die eher unpolitischen Galerien kommt. Wenn die Kunst politisch ist, wird ihr meistens weniger Wert beigemessen. Ich habe das Gefühl, daß darstellende Kunst eher politischer Natur ist und sich tatsächlich mit dem Aktivismus verbindet. Theater und natürlich auch Street Art sind die Formen von Kunst, die häufig sehr politisch sind und mich immer angezogen haben. Ich denke schon, daß es viel politische Kunst gibt, sie dringt nur nicht bis in die Szene der Galerien durch, in denen bildende Kunst präsentiert wird.

SB: Es handelt sich dabei natürlich ohnehin um eine eher kommerziell orientierte Szene.

Zeph: Ganz genau.

SB: Ihr habt das Bild "The True Cost of Coal" auch den Menschen gezeigt, die in den Appalachen leben. Wie haben sie darauf reagiert? Erreicht ihr die Menschen eher mit diesem Mittel als durch konventionelle Formen des Aktivismus?

Zeph: Nun, wir haben das Bild in Zusammenarbeit mit den Menschen erstellt, die sich in den Appalachen organisieren und nach Wegen suchen, sich gegen die Kohlekonzerne zu wehren. Mit diesen Menschen haben wir also seit der Stunde Null des Projekts eine Beziehung aufgebaut, und zu diesen Gemeinden haben wir es wieder zurückgebracht. Zudem sind wir in Schulen und Universitäten in der Region gegangen. Aber es hängt immer davon ab, ob es jemanden gibt, der uns einlädt, Interesse an der von uns erzählten Geschichte hat und ganz allgemein unsere Position unterstützt. Also gehen wir an Orte, an denen wir Unterstützung finden. In diesen Gemeinden ist das sehr polarisierend, weil die Kohleindustrie dort so viel Macht hat und weil sie eine wichtige Wirtschaftsgrundlage in der Region darstellt. Wenn die Menschen unsere Botschaft also nicht mögen, laden sie uns nicht ein.

Zeph vor Diaprojektion - Foto: 2012 by Schattenblick

Erklärung am Bildausschnitt ...
Foto: 2012 by Schattenblick

SB: Ich fand es sehr interessant, daß ihr Bezug auf den historischen Arbeiterwiderstand in der Region genommen habt. Die Kohleindustrie ist in den Appalachen sehr stark, weil sie als Hauptarbeitgeber der Region auftritt. Nachdem die Menschen dort so lange von ihr abhängig waren, lehnen sie sich nun gegen sie auf. Woher kommt dieser Wechsel deiner Meinung nach?

Zeph: All die traditionellen Minenarbeiter-Gemeinden sind von der ökonomischen Depression betroffen, nachdem die meisten Menschen dort ihre Arbeitsplätze verloren haben. Also sind viele woanders hingegangen. Die übriggebliebenen haben meist sehr wenig oder nur schlecht bezahlte Arbeit, wenn sie nicht in der Bergbauindustrie arbeiten. Zwar werden dort immer weniger Menschen beschäftigt, aber selbst wenn sie nicht direkt in der Industrie arbeiten, haben sie doch eine gemeinsame Geschichte. Ihr Vater, Großvater und Urgroßvater war Minenarbeiter, daher fühlen viele immer noch eine Verbindung. Es ist auch eine sehr umfassende Geschichte. Die Bergbaukonzerne ernähren die Menschen, sie sagen, wir opfern etwas von eurem Land, aber wir tun es für Amerika, wir sorgen dafür, daß das Land stark bleibt. Daher unterstützen viele Menschen die Industrie.

Die Menschen, die anders denken und reagieren, weil ihr Land vor ihren Augen zerstört wird, stellen nur eine kleine Gruppe dar. Es ist ein wirklich schwerer Kampf für sie, weil sie in ihren Gemeinden oft isoliert sind. Dennoch sind viele derjenigen, die mit uns sprechen und sich organisieren, ehemalige Minenarbeiter. Viele sind im Ruhestand und erhalten eine Pension oder Zahlungen für Berufskrankheiten, daher können sie frei sprechen, ohne fürchten zu müssen, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Das sind tatsächlich die Menschen, die am häufigsten mit uns in Kontakt treten. Aber wir waren nicht lang genug dort, um das Vertrauen von Menschen zu gewinnen, die derzeit in der Kohleindustrie arbeiten. Wir trafen einen Dokumentarfilmer, der zwei Jahre in den Appalachen verbrachte und dort einen Film gedreht hat, in dem er auch einige Minenarbeiter interviewt hat. Sie mußten sich im geheimen treffen und die Gesichter und Stimmen unkenntlich machen, damit sie nicht für ihre Kritik an der Industrie gefeuert würden. Die Menschen sind den Konzernen gegenüber sehr verwundbar.

Zeph vor ausgespannter Grafik - Foto: © 2012 by Schattenblick

... und am Original
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Die soziale Krise in den USA ist aus europäischer Sicht sehr drastisch. Viele Menschen sind sehr arm, nicht krankenversichert und müssen hungern. Erkennen die Menschen, daß ihre vielen Probleme miteinander zu tun haben und systemischer Art in dem Sinne sind, wie ihr es präsentiert habt?

Zeph: Ich denke, einige Menschen erkennen das und andere nicht. Ein Grund, warum wir die Geschichte in dieser Art gezeichnet haben, ist, daß wir Menschen, die sich in verschiedenen Teilen der Geschichte befinden, den Blick aufs Gesamtbild ermöglichen wollten. Die Menschen in den Appalachen müssen jeden Tag kämpfen. Ihr Wasser ist giftig, sie haben nicht genügend Geld für Lebensmittel oder sie müssen sich Sorgen um die durch die Sprengungen entstehende Erosion hinter ihren Häusern machen. Wenn es regnet, wird der Schlamm von den Berghängen hinuntergespült. So, wie wir die Geschichte gezeichnet haben, setzen sich ihre einzelnen Teile zu einem Gesamtbild zusammen. Ich denke, wenn wir es den Menschen zeigen, hilft es ihnen, die komplette Geschichte zu verstehen.

Außerdem gehen wir an verschiedene Orte, wo wir Menschen begegnen, die verschiedene Aspekte der Geschichte repräsentieren. Manchmal sind es diejenigen, die den Strom verbrauchen, aber sie wissen nichts über den Kohleabbau, dann zeigen wir ihnen, wo ihre Elektrizität herkommt. Wir versuchen also, den Menschen an jedem Punkt der Geschichte zu helfen, ihren Platz in dem großen Bild zu erkennen. Die Konzerne sind sehr gut darin, die aktiven Minenarbeiter davon zu überzeugen, daß die Aktivisten und Umweltschützer ihre Feinde sind, weil sie ihnen angeblich die Arbeit wegnehmen. In Wirklichkeit sind jedoch die großen Maschinen und die Mechanisierung der Arbeit dafür verantwortlich. Es ist das, was die Konzerne immer machen: Sie hetzen die Leute gegeneinander auf. Wer am meisten profitiert, sind nicht die Minenarbeiter und offensichtlich auch nicht die Menschen in den Gemeinden, denn beide Gruppen leben auf dem Land, das zerstört wird. Wer wirklich profitiert sind diejenigen, die in die Konzerne investieren, die Entscheidungen treffen und sie leiten.

Ich glaube, es gibt eine Parallele zu der Bewegung gegen die Abholzung der Wälder in den 90er Jahren an der Westküste. Damals gab es eine Frau namens Judi Bari, die eine wichtige Organizerin während des Redwood Summer war und versuchte, viele Aktivisten zu mobilisieren, um den Wald zu retten. Sie organisierte Treffen zwischen Umweltschützern und Waldarbeitern, damit diese miteinander redeten. Es gab einen mysteriösen Bombenanschlag auf ihr Auto, bei dem sie schwer verletzt wurde. Viele Indizien deuteten darauf hin, daß das FBI den Anschlag verübte. Sie wurde schlichtweg zu gefährlich, als sie die beiden Gruppen zusammen brachte und sowohl Umweltschützern als auch Waldarbeitern zeigte, daß sie viele Bedenken teilen. Ich glaube wir sind noch weit davon entfernt, daß etwas Ähnliches in der Bergbauindustrie geschieht, aber ich halte es für wichtig, daß man sich vor Augen führt, wer wirklich von der Situation profitiert.

SB: Hier in Deutschland gibt es ebenfalls viele sowohl ökologische als auch soziale Probleme. Immer mehr Menschen gelangen zu der Einsicht, daß diese Probleme über das kapitalistische System untrennbar miteinander verbunden sind. Wie ist deine Meinung dazu?

Zeph: Nun, ich denke sie sind komplett miteinander verbunden, denn das momentane kapitalistische System können wir nicht beibehalten, ohne den Planeten aufzufressen. Wir führen ein Leben, der darauf basiert, all diese nicht erneuerbaren Ressourcen zu verbrauchen, und das löst riesige Probleme aus. Wenn ich darüber nachdenke, glaube ich, daß grüner Kapitalismus auch ein Versuch ist, diese Fragen voneinander zu trennen.

SB: Momentan scheint sich in der US-Bevölkerung ein neues soziales Bewußtsein herauszubilden, insbesondere durch die Occupy Bewegung. Spricht diese inzwischen auch ökologische Probleme an oder richtet sie sich ausschließlich gegen die Wall Street und die Banken?

Zeph: Einige Menschen ziehen Verbindungen dieser Art und andere nicht, daher würde ich nicht sagen, daß die komplette Bewegung sich mit diesen Themen beschäftigt. Aber es gibt definitiv Elemente in der Bewegung, die auf diese größeren Fragen eingehen. Das ist auch ein Grund, warum die Presse und die Occupy-Gegner in den USA sehr viel Zeit damit verbracht haben zu argumentieren, die Occupy-Aktivisten wüßten nicht, was sie wollen, sie wollen einfach alles. Weil Occupy über diese großen Probleme spricht und über die Verbindung mit der anwachsenden ökonomischen Ungleichheit. Das spricht auch die Frage an, wer eigentlich konsumiert und wer dafür zahlen muß. Das ist auch eine globale Frage. Es gibt den Klimawandel, der durch eine relativ kleine Zahl von Nationen verursacht wird, während der Rest der Welt einen ziemlich hohen Preis dafür zahlt. Das ist nur die globale Version dessen, was in den USA passiert, so wie in unserer Wirtschaft.

SB: Wie bedeutsam die internationalistische Dimension des Ressourcenproblems ist, zeigt sich, wenn man es etwa mit den Menschen in Afrika und dem Mittleren Osten verknüpft. So wurde der Irakkrieg zumindest teilweise um fossile Energie geführt.

Zeph: Ich denke, die Kriegsgegner in den USA verstehen ihn eindeutig als einen Krieg um Öl. Ich glaube, in den USA findet auch eine Evolution in der Umweltschutzbewegung statt. So gibt es jetzt ein Environmental Justice Movement, das diese Verbindung sehr eindeutig zieht. Die Menschen, die von den schmutzigen Energieprojekten hauptsächlich betroffen sind, sind fast immer Communities von Armen, People of Color oder Ureinwohnern. Auf ihrem Land werden Aufbereitungsanlagen für Giftmüll gebaut oder sie werden vertrieben, damit man dort Ressourcen abbauen kann, und diese Gruppen zahlen fast immer den Preis dafür. Die Bewegung für Umweltgerechtigkeit verbindet die Fragen, indem sie darauf hinweist, daß es nicht nur ein Umweltproblem gibt, sondern daß es immer die gleichen Gruppen von Menschen sind, die die schwerste Last zu tragen haben.

SB: Einige Country-Stars haben in die Appalachen ein Konzert gegen Mountaintop Removal Mining veranstaltet. Meist wird dieses Genre mit eher reaktionären politischen Inhalten assoziiert. Gibt es unter rechten Bürgern auch Aktivitäten gegen MTR?

Zeph: Ja, ich denke es gibt viele Menschen, die es als sehr verstörend empfinden mitanzusehen, wie das Land auf diese Weise zerstört wird. Es entwickelt sich eine große, christliche Umweltbewegung und einige Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, haben Kontakt mit ihnen aufgenommen. Ich weiß nicht, ob es rechte oder linke Christen sind. Wir sprachen mit einer sehr radikalen katholischen Nonne, die gegen MTR mobil machte. Sie zog vor etwa 30 Jahren mit einer Missionsbewegung in die Appalachen, und alle, die mit ihr dort lebten, wurden radikalisiert. Man kann die Menschen und ihre politische Einstellung dort also nicht über einen Kamm scheren. Ich würde sagen, Menschen verschiedenster politischer Einstellungen werden zornig, wenn giftiger Schlamm in ihren Garten gekippt wird.

SB: Die Journalistin Antrim Caskey meint, die Bewegung gegen MTR sei die überzeugendste und erfolgreichste Kampagne gegen den Klimawandel in den USA. Kannst du das bestätigen?

Zeph: Ich weiß nicht, ob ich einen ausreichenden Überblick weiten Blick auf dieses Feld habe, um die Frage zu beantworten. Ich habe das Gefühl, daß der Protest sehr viel Zustimmung erhält. Er konnte landesweite Unterstützung mobilisieren, und die Themen Kohle und Klimawandel sind in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Was ich damit sagen will, ist daß die allgemeine Aufmerksamkeit stark zugenommen hat, wir sehen mehr Berichterstattung darüber in Zeitschriften, die Politiker reden mehr darüber. Die Organizer haben es geschafft, das, was in den Appalachen geschieht, an die Öffentlichkeit zu bringen und es mit der viel breiteren Bewegung um den Klimawandel zu verbinden. In diesem Punkt waren sie also erfolgreich. Der Bergbau geht jedoch weiter, man hat dem ganzen noch kein Ende gesetzt, aber sie haben eine tolle Arbeit darin geleistet, es den Konzernen sehr viel schwieriger zu machen. Einige Unternehmen bauen auch im Westen der USA, wo sich nur wenige Menschen dagegen auflehnen, gigantische Mengen Kohle ab. Es wird Beschränkungen für MTR geben, darum verlegen die Minenkonzerne ihre Aktivitäten in andere Gebiete.

SB: Wie verhält es sich mit der Regierung in Washington? Läßt sie die Industrie einfach gewähren?

Zeph: Das hat sich unter Obama verändert. Die EPA hat unter Bush im Grunde genommen gar nichts gemacht, unter Obama erhebt sie zumindest die Forderung, die Industrie mehr zu regulieren. Ich glaube jedoch nicht, daß ich genügend Details kenne, um beurteilen zu können, wie sich die Regierung verhält und was momentan tatsächlich in den Appalachen passiert.

SB: Es sieht aber nicht so aus, als ob die Politiker viel dafür täten, sonst würde sich ja etwas verändern.

Zeph: Ich glaube, sie lassen die Konzerne über mehr Hürden springen und zeichnen nicht mehr einfach jeden Antrag ab, aber der Bergbau geht trotzdem weiter.

SB: Wie ist dein Eindruck vom Antikohlewiderstand nach eurer Tour durch Deutschland und die Niederlande?

Zeph: Es war sehr interessant. Wir besuchten die Besetzung des Hambacher Forst und haben mit Menschen aus der Stadt Buir gesprochen, die unmittelbar am Hambacher Loch liegt. Zudem waren wir in Cottbus und haben auch mit Leuten aus dieser Region gesprochen. Ich habe das Gefühl, daß die Menschen hier sehr viel aufgeklärter über den Klimwandel sind und generell grüner denken, als die durchschnittlichen Gruppen, mit denen ich in den USA zu tun habe. Zudem scheint es, daß die Industrie hier sehr viel regulierter ist als in den USA. Besonders wenn ich mir all die von der Industrie verursachten Probleme mit vergiftetem Wasser in den Appalachen ansehe, scheint es, als wären die Konzerne in Deutschland zu mehr Verantwortung gezwungen. Außerdem erfolgt der Tagebau hier in sehr dicht besiedelten Gebieten, und der Tagebau nahe der Waldbesetzung hat schon die Umsiedlung mehrerer Dörfer erzwungen. Vieles wird öffentlich gemacht, jeder kann an den Rand des Tagebaus fahren und sich das Areal ansehen.

MTR in den Appalachen hingegen geschieht auf den Berghöhen, man kann die Gruben von den großen Straßen aus nicht sehen und muß den Berg hochsteigen oder winzige Feldwege entlang fahren, um die Zerstörungen mit eigenen Augen anzuschauen. Darum wissen viele Menschen, die nicht unmittelbar in dem Gebiet wohnen, wenig davon und daher ist es auch so mühsam, darüber aufzuklären. Hier kann es eben jeder sehen und darum denke ich, daß die deutschen Konzerne sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit und Greenwashing betreiben müssen, um die Menschen von den positiven Seiten des Kohleabbaus zu überzeugen. In den Appalachen hingegen haben die Konzerne sehr viel mehr Macht, alles zu verschleiern. Zum einen haben sie als Hauptarbeitgeber der Region die wirtschaftliche Macht und zum anderen werden die Beamten in den Stadt- und Landesregierungen de facto von der Kohleindustrie eingesetzt, die ihr Zerstörungswerk weitgehend ungestraft verrichten kann.

SB: Hier in Hamburg ist die letzte Station eurer Infotour. Wie war die Resonanz an den anderen Orten?

Zeph: Unsere größte Veranstaltung war gestern in Berlin mit 60 Gästen. Die kleinste Veranstaltung fand vor vier jungen, aber sehr motivierten Aktivisten statt. Ich hatte das Gefühl, daß unser Gespräch ihnen geholfen hat, ihr Verständnis der Gesamtsituation zu erweitern. Wie es scheint, werden sie nun in Aktion treten und am Klima Camp teilnehmen. Es war also eine kleine, aber sehr wichtige Veranstaltung, weil diese Leute aus einem entlegenen Gebiet kamen und dort einen Anfang für neue Gruppen machen könnten. In gewisser Weise könnte so eine kleine Veranstaltung sogar mehr Auswirkungen haben als eine große, zu der Leute kommen, die zwar Interesse an der Geschichte haben, aber nicht unbedingt in Aktion treten werden.

SB: Zeph, vielen Dank für das lange Gespräch.

Fußnoten:
[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0020.html

[2] Bericht über die Infotour auf http://beehivecollective.blogspot.de/

Diaprojektion einer gezeichneten Biene - Foto: 2012 by Schattenblick

Rastlos und streitbar - Biene bei der Arbeit
Foto: 2012 by Schattenblick

13. Juli 2012