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INTERVIEW/071: Zukunft der Meere - Schlafende Hunde, Prof. Dr. Alexander Proelß im Gespräch (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See

Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Interview mit dem Seerechtsexperten Prof. Dr. Alexander Proelß von der Universität Trier



Sollte das ganze Paket des mühsam ausgehandelten UN-Seerechtsübereinkommens wieder aufgeschnürt werden, könnte es geschehen, daß am Ende der Schaden größer ist als der Nutzen, warnte Prof. Dr. Alexander Proelß am 7. Dezember 2013 auf der Tagung "Die Zukunft der Meere" im Bremer Konsul-Hackfeld-Haus. Die mahnende Stellungnahme des Seerechtsexperten von der Universität Trier galt einer Vision, die der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem diesjährigen Hauptgutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" [1] formuliert hat.

Dem Referenten kam die Aufgabe zu, das Gutachten, das zuvor von dem Umweltrechtler Michael Stadermann vorgestellt worden war, kritisch unter die Lupe zu nehmen. Am Rande der Tagung nahm der Schattenblick die Gelegenheit wahr, Prof. Proelß einige Fragen zu seinem Vortrag "Menschheitserbe Meer und die Reformierung des Seerechts" und der anschließenden Podiumsdiskussion zu stellen.

Beim Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Alexander Proelß
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Müßte eine Behörde wie die World Ocean Organization, deren Gründung der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen angeregt hat, nicht mit entsprechenden Gewaltmitteln ausgestattet werden, um das Recht durchzusetzen, in letzter Konsequenz vielleicht sogar mit militärischen Mitteln?

Prof. Dr. Alexander Proelß (AP): Soweit würde ich nicht gehen. Es gibt andere Durchsetzungmechanismen, die sich als sehr wirksam erwiesen haben, beispielsweise wenn es ums Geld geht. Ich habe in meinem Vortrag gesagt, daß ich nicht glaube, daß der Vorschlag durchkommt, aber man könnte zum Beispiel nach dem Vorbild der Europäischen Union daran denken, daß Sorge dafür getragen wird, daß bei Verstößen gegen die treuhänderische Wahrnehmung des gemeinsamen Menschheitserbes Sanktionen fällig werden. Das würde vor allen Dingen Strafzahlungen bedeuten. Die könnte man sogar wieder nach einem Gerechtigkeitsschema insbesondere an die ärmeren Staaten verteilen. An die Ausstattung mit militärischen Mitteln glaube ich nicht, denn auch in anderen Kontexten ist das nicht passiert, jedenfalls dann nicht, wenn man erst einmal eine internationale Organisation gegründet hat. Die dient ja genau dazu, aufgetretene Streitigkeiten friedlich und nicht durch militärische Mittel beizulegen.

SB: Hier auf der Tagung fallen häufig Begriffe wie "deutsches Seerecht" und "internationales Seerecht". Worin besteht der Hauptunterschied?

AP: Zum deutschen Seerecht, und dazu gehört auch das Seehandelsrecht, gehören deutsche Gesetze und Vorschriften, die in Deutschland sowie für deutsche Staatsangehörige gelten. Das schließt Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, ein. Das internationale Seerecht ist diejenige Materie, durch die in den internationalen Beziehungen ozeanbezogene Fragen zwischen den einzelnen Staaten geregelt werden. Im ersten Fall geht es also um das Verhältnis deutscher Staat und Individuum, im zweiten um die Rechtsbeziehung zwischen verschiedenen Staaten. Internationales Seerecht ist Völkerrecht, nationales Seerecht überwiegend deutsches Handelsrecht und Gesellschaftsrecht. Das ist der entscheidende Unterschied.

SB: In der Diskussion im Anschluß an Ihren Vortrag und den Michael Stadermanns sprachen Sie das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) an und daß afrikanische Regierungen erwägen, aus dem Abkommen auszusteigen. Inwiefern würden Sie der These zustimmen, daß der Internationale Strafgerichtshof kein Weltrecht verkörpert, sondern nur ein Recht bestimmter Interessen angesichts dessen, daß beispielsweise die USA das Römische Statut nicht ratifiziert haben und bisher nur Staatsführer, ehemalige Staatsführer und Warlords aus Afrika angeklagt, aber andere Klageanstrengungen von vornherein abgeblockt wurden?

AP: Von Seiten afrikanischer Staaten ist gerade in jüngerer Vergangenheit, und darauf spielen Sie ja an, der Vorwurf zu hören, daß diese Institution letztlich eine Art fortgesetztes, wie soll ich das formulieren, imperialistisches Politikmittel im Gewande eines dem System der Vereinten Nationen im weitesten Sinne zugehörenden Gerichtshofs ist. Allgemein würde ich dieser These nicht zustimmen. Der Grund, wie es dazu kam, daß bisher vor allen Dingen afrikanische Staaten und nicht etwa die USA betroffen sind, hat damit zu tun, daß man grundsätzlich nur gegenüber Vertragsparteien vorgehen darf und diese afrikanischen Staaten eben seinerzeit beschlossen haben, dem Römischen Statut beizutreten.

Allerdings, und das ist jetzt wichtig, auch und gerade unter Zusage wirtschaftlicher Hilfen. Das wirft die Frage nach der wirklichen, echten Freiwilligkeit des Beitritts auf. Insofern würde ich meinen, sollten sich die Anklagebehörde ebenso wie der Sicherheitsrat, die beide die Möglichkeit haben, Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu initiieren, der Gefahr bewußt sein, daß der Gerichtshof als ein einseitig aufgestelltes Gremium mißverstanden werden könnte.

Aber wir haben es natürlich mit zahlreichen Konflikten zu tun, die auch aufgrund der Geschehnisse im Zeitalter des Kolonialismus vor allen Dingen auf diesem Kontinent stattfinden. Andere Staaten, die ebenfalls von dem Strafgerichtshof erfaßt werden könnten - nehmen wir beispielsweise Syrien und Israel -, haben das Römische Statut nicht ratifiziert, sind nicht beigetreten. Dieses Formalargument spielt eine große Rolle. Aber die Gefahr, daß es falsch verstanden werden könnte, steht im Raume.

SB: Im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA wird zur Zeit viel über den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus als mögliche Gefahr diskutiert, daß unternehmerische Investoren eine größere Befugnis gegenüber Staaten erhalten. Teilen Sie diese Befürchtung, oder wie schätzen Sie diesen Mechanismus ein?

AP: Der Mechanismus baut auf anerkannte Streitbeilegungsmechanismen auf und setzt sie fort. Ein Investor, der in einem anderen Staat investiert, muß über Rechtssicherheit verfügen. Für den Investor muß klar sein, was passieren kann, andererseits darf natürlich dem Investor nicht zu viel Gewicht beigemessen werden. Wenn man dieses Modell auf eine Konstellation "Investor und ein weniger einflußreicher Staat" übertrüge, stellte sich natürlich sofort die Frage nach dem - jetzt bitte nicht militärisch zu verstehen - "Waffengleichgewicht". Das ist in der Tat ein Thema, das dann bei anderen Staaten eine Rolle spielen könnte. Aber der Gedanke, daß Rechtssicherheit insbesondere in Hinblick auf potentielle Enteignungen gegeben sein muß, um Investitionen zu gewährleisten, wenn man das so will, und die Entscheidung ist ja nun getroffen, der ist wohl richtig.

SB: Warum sagten Sie, daß das Gutachten des WBGU ein Manko besitzt, um es durchzusetzen?

AP: Weil es als offizielles Dokument der deutschen Bundesregierung verstanden werden kann und teilweise verstanden wird und damit als staatliche Äußerung und nicht als Äußerung eines wissenschaftlichen Beratergremiums. Das ist nicht dasselbe. Der Beirat ist nicht gewählt, sondern von der Bundesregierung bestimmt worden. Darüber hinaus hat es internationale Konsequenzen, wenn ein Staat eine so weitgehende Politik verfolgt. Die kann nämlich dazu führen, daß andere Staaten, die einen restriktiveren Ansatz verfolgen, sagen: 'Denen hören wir gar nicht erst zu, das geht uns ja alles viel zu weit.'

Meine Sorge ist die, daß durch die Verbindung mit der Bundesregierung das ganze Vorhaben kontraproduktiv wirken könnte, indem andere von vornherein die Jalousien herunterlassen und sagen, daß sie damit nichts zu tun haben wollen. Es wäre etwas anderes, wenn so ein Gutachten aus der Wissenschaft selbst oder einer Wissenschaftsorganisation kommt, denn dann ist in der Tat für jedermann erkennbar, daß es sich um eine Diskussionsgrundlage handelt, die jetzt intensiv bearbeitet wird. Und es mag dann dereinst sein, daß die Bundesregierung sich daraus die für sie entscheidenden Punkte auswählt.

SB: Wie müßte ein solches Gutachten aussehen, damit es so viel Gewicht bekommt, daß es von der internationalen Gemeinschaft wahrgenommen wird?

AP: In einem anderen Kontext haben Berichte der deutschen Wissenschaftsorganisation oder etwa der britischen Royal Society sehr großen Einfluß auch auf Fortentwicklungen des Rechts und damit auf das Verhalten von Staaten gehabt. Das meinte ich mit 'Diskussionsgrundlage'. Ich hätte mir gewünscht, daß eine solche Vision nicht aus dem Umfeld der Bundesregierung kommt - obwohl es diese Verbindung nicht gibt, wird es so mißverstanden -, sondern von den Wissenschaftsorganisationen, um dann in die Diskussion eingeführt und letztlich auch auf Ebene der Staaten diskutiert zu werden. Oder daß ein entsprechender Vorschlag möglicherweise im Rahmen der UN-Generalversammlung ausgehandelt wird. Vielleicht sind alle meine Befürchtungen übertrieben, aber das erste, was ich aus internationalen Verhandlungen über das Gutachten gehört habe, läßt in mir das Gefühl eher verstärkt zurück, daß es möglicherweise zuviel des Guten war.

SB: Gibt es abgesehen von der Formalie, daß die Vision aus dem Umfeld der Bundesregierung stammt, auch inhaltliche Punkte, die vom Ausland als typisch deutsch kritisiert werden?

AP: Ganz klar, insbesondere der Vorschlag der Ausweitung des Prinzips des gemeinsamen Menschheitserbes. Man kann darüber geteilter Meinung sein, aber es wird international als typisch deutsch betrachtet, daß man so tut, als würde Deutschland keine eigenen nationalen Interessen verfolgen - was mit den Realitäten aber auch gar nichts gemein hat -, sondern vielmehr mit Vorschlägen nach außen tritt, die sehr weit auf Aspekte gerechter Verteilung und solche Dinge ausgreifen. Nur um dann, wenn es ernst wird, zurückzurudern. Man kann eine Parallele zur Klimapolitik ziehen: Als von der EU Emissionsobergrenzen festgelegt werden sollten, wurde gesagt: Moment mal, das ist mir jetzt erst klar, die haben ja tatsächlich Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie. Dann arbeiten wir mal schnell in den zuständigen Gremien, daß die Ziele wieder abgedrosselt werden. Ich muß es so sagen: Gelegentlich besteht da der Vorhalt der Heuchelei. Und es mag so sein, daß das auch aus der Vergangenheit heraus erklärbar ist.

SB: Vielen Dank, Prof. Proelß, für das Gespräch.

Luftbildaufnahme des ITLOS-Gebäudes - Foto: © International Tribunal for the Law of the Sea (ITLOS)

Der Internationale Seegerichtshof wurde auf der Grundlage des UN-Seerechtsübereinkommens von 1982 geschaffen und nahm im Jahr 2000 in dem vom Münchener Architekturbüro Branca entworfenen Gebäude in Hamburg-Nienstedten seine Arbeit auf. Nach dem WBGU-Gutachten sollen die Befugnisse des Gerichts erweitert werden.
Foto: © International Tribunal for the Law of the Sea (ITLOS)


Fußnoten:

[1] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013.pdf

[2] Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung unter:

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!

BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?

INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? (SB)
Interview mit Dr. Onno Groß

INTERVIEW/070: Zukunft der Meere - Menschheitsrecht und Menschenpflicht, Michael Stadermann im Gespräch (SB)

27. Dezember 2013