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INTERVIEW/072: Zukunft der Meere - Widerspruch und Taktik, Uwe Johannsen im Gespräch (SB)


Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See
Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen am 7. Dezember 2013

Gespräch mit Uwe Johannsen über Schutzgebiete und
Überlebensstrategien im Senegal



Laut der Webseite des WWF [1] erstreckt sich die sogenannte Westafrikanische Marine Ökoregion (West African Marine Ecoregion, WAMER), ein Teil des Südzentralen Atlantik, 3.500 Kilometer vor den Küsten von Mauretanien, Senegal, Gambia, Guinea, Guinea Bissau, Sierra Leone, Ghana und den Kapverdischen Inseln (Westafrika). Sie gehört damit zum Mittelatlantischen Rücken, in dem sich zahlreiche Tiefseeberge, unter anderem auch die Inselgruppe Trindade und Martim Vaz, befinden sowie die damit verbundenen sensiblen Ökosysteme, die auf der Tagung im Konsul-Hackfeld-Haus "Die Zukunft der Meere - Umwelt und Entwicklung auf See" am 7. Dezember 2013 ebenfalls ausführlich vorgestellt wurden. [2]

Zahlreiche seltene, teilweise nur an einem Ort vorkommende Fischarten, aber auch eine außerordentliche Vielfalt an Thunfischarten, Zahnwalen und Schwertfischen sind hier zu finden. Die Grüne Meeresschildkröte wandert von ihren Nahrungsgründen vor Südamerika zu ihren Brutstränden durch diese Region. Die südlichste Zone ist ein wichtiges Nahrungsgebiet für Albatrosse, Pinguine, Mönchsrobben, seltene Wal- und Delfinarten. Im Atlantik gebären nicht nur Buckelwale ihre Jungen, rund tausend Fischarten nutzen die flachen Küstengewässer vor Afrika als Kinderstube. Aus dem Nordsee-Wattenmeer kommen schließlich jeden Herbst Millionen von Zugvögeln zum Überwintern an die westafrikanische Küste. Das alles sind ausreichende Gründe, weshalb Umweltorganisationen wie Greenpeace dafür plädieren, 40 Prozent der Meere in Schutzgebiete umzuwandeln. Bisher gilt nur ein Prozent der Meere als geschützt.

Die Grüne Meeresschildkröte - Foto: 2005 by Christoph Schuetzenhofer, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Nur ein Prozent der Meeresfläche unseres blauen Planeten ist geschützt. Die grüne Meeresschildkröte gehört daher heute zu den gefährdeten Arten. Ihr Überleben muß durch internationale Konventionen besonders abgesichert werden.
Foto: 2005 by Christoph Schuetzenhofer, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Lizenz

Vor Westafrika bieten hydrologische Eigenheiten der Region geradezu ideale Voraussetzungen für scheinbar unerschöpfliche Fischgründe: Kanarenstrom und Passatwinde transportieren kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefsee an die Oberfläche. Der Fischreichtum ist eine bedeutende Wirtschaftsgrundlage und für viele Menschen an der Küste die wichtigste Einkommens- und Ernährungsquelle. Doch er lockt auch die gewaltigen Trawler der global agierenden industriellen Fangflotten an, die mit ihren Schleppnetzen die Meere buchstäblich leerfischen, den Meeresboden und das Unterwasserleben verwüsten und bis zu einem Drittel des unerwünschten "Beifangs" tot zurückwerfen. Das heißt, nicht nur das Leben unter Wasser, auch die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort sind hiervon bedroht.

Edelfische wie die Dorade, die Seezunge und der Lieblingsfisch aller senegalesischen Haushalte, der weiße Zackenbarsch ("Tjoff" oder "Thiof"), sind inzwischen selten und werden auf dem europäischen Markt teuer gehandelt. Senegalesen selbst können sich diese Fische kaum noch leisten. Daher werden diese Arten vor allem für den europäischen Markt abgefischt, obwohl sie im Verhältnis zum Verkaufswert an den europäischen Endverbraucher dem Erzeuger beziehungsweise Fischer im günstigsten Fall ein Zehntel davon einbringen. Für die lokalen Märkte werden eiweißreiche Schwarmfische wie Makrelen- und Heringsartige gefangen. Vor allem auf die Edelfische machen aber bis heute auch die industriellen Boote Jagd. Die handwerkliche Fischerei zieht angesichts der ungleichen Konkurrenten den Kürzeren.

Bei den Meeres-Schutzgebieten vor Westafrika geht es somit nicht nur um ein entscheidendes Werkzeug, die Vielfalt zu bewahren oder zu regenerieren, es geht auch darum, die einheimische Kleinfischerei vor der industrialisierten Konkurrenz und der illegalen Piratenfischerei zu schützen, die bislang kaum verfolgt und überwacht wird. Das Projekt "Fish for Life" setzt sich auch für die staatliche Förderung und Unterstützung der Kleinfischer ein, denen es an technischer Ausstattung wie an Infrastruktur zur Weiterverarbeitung des Fanges ebenso fehlt, wie eine Marktanbindung der Fischereiorte sinnvoll wäre, um "nachhaltig" zu wirtschaften und vernünftig mit den Ressourcen des Meeres umzugehen.

Doch auch die handwerkliche Fischerei weist Überkapazitäten auf. Laut einer Informationsbroschüre, die "Fair Oceans" gemeinsam mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst e.V. 2011 herausgegeben hat [3], vergrößerte sich die Flotte der Fischerboote im Senegal in den letzten Jahren deutlich, wobei auch finanzstarke Senegalesen in Pirogen investieren und Mannschaften anheuern, die nicht gerade ressourcen- oder umweltschonend vor den westafrikanischen Küsten fischen.

Darüber, daß der Meeresschutz eine Art Drahtseilakt zwischen all diesen Interessen darstellt, sprach der Geograph Uwe Johannsen, der seit zehn Jahren für den Meeresschutz tätig ist und sich mit dem WWF-Projekt "Fish for Life" für das Fischereimanagement im Senegal einsetzt, mit dem Schattenblick auf der Bremer Tagung nach seinem Vortrag "Meeresschutz und Fischereimanagement in Westafrika".

Johannsen im Gespräch mit Schattenblick-Redakteur - Foto: © 2013 by Schattenblick

Uwe Johannsen vom World Wildlife Fund (WWF)
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie erwähnten in Ihrem Vortrag einen besonders dramatischen Rückgang an Biodiversität in den Tropischen Gewässern um 62 Prozent seit den 70er Jahren und gleichzeitig eine gewisse Zunahme der Biodiversität in den temperierten, also gemäßigten Meereszonen. Läßt sich das bereits auf eine Folge der Klimaerwärmung zurückführen? Wandern die Arten aus den tropischen Meereszonen bereits in die temperierten Bereiche ab?

Uwe Johannsen (UJ): Nein. Wir konnten hier bei einigen der Indikatorarten, die regelmäßig untersucht werden, wirklich eine Erholung feststellen. Ich bin jetzt nicht zu hundert Prozent sicher, ob nicht auch einige invasive Effekte dazu beitragen können. Aber primär gehe ich davon aus, daß das nicht so ist.

SB: Sie leiten das größte Meeresschutzprojekt im Senegal, ein 50.000 Hektar großes Gebiet. Das sind etwa 500 Millionen Quadratkilometer. Darüber hinaus gibt es noch drei weitere Projekte. In welchem Verhältnis zur übrigen Küste Senegals muß man das sehen? Könnte man sagen, daß vielleicht zehn Prozent der senegalesischen Küste durch diese Gebiete geschützt werden können?

UJ: Das ist weit, weit weniger. Die Gebiete sind nur sehr klein. Es handelt sich ja auch um die allerersten Meeresschutzgebiete, die im Senegal überhaupt ausgewiesen sind. Ich habe jetzt keine Prozentzahl im Kopf, aber ich denke, das kann höchstens eine im einstelligen Prozent-Bereich sein. [4] Wenn nicht sogar darunter. Die Gebiete sind wirklich relativ klein und sie sind auch sehr ausgesucht. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Unterwassergräben oder um eine Ansammlung von kleinen Seehügeln, also keine Seeberge wie Onno Groß sie beschrieben hat [2], die eine besondere Biodiversität mit vielen endemisch vorkommenden Arten haben. Aber das ist noch weit unter dem, was eigentlich an Schutz notwendig wäre.

SB: Wirkt sich das eigentlich auch auf die Nachbarländer aus? Hat der Senegal in punkto Meeresschutz gewissermaßen eine Vorreiterrolle?

UJ: Nein, nein, ich würde sagen, der Senegal ist vielleicht zum Teil ambitioniert, aber das sind die anderen Länder auch. Ich habe ja diese Abbildung mit identifizierten, sensitiven Gebieten in meinem Vortrag gezeigt. [5] Die Küste vor Westafrika ist danach stark überfischt. Aber es ist tatsächlich so, daß sich einige westafrikanische Länder gegenüber der CBD [6] verpflichtet haben, doch erhebliche Bereiche als Meeres-Schutzgebiete auszuweisen. Damit erreicht man zwar immer noch nicht die wünschenswerten zehn Prozent "Entnahme der Primärproduktion", aber es ist ein Riesenschritt. Allerdings sind alle Schutzgebiete, die bisher ausgewiesen sind, und auch die meisten der bisher veröffentlichten Pläne für neue Schutzgebiete in unmittelbarer Küstennähe. Und etwas weiter draußen in der ausschließlichen Wirtschaftszone gibt es eben noch gar keine Schutzgebiete.

SB: Inwiefern sind die Küstenbereiche heute von der Migration betroffen? Der Senegal gilt ja als einer der Drehkreuze für Flüchtlingsströme zu den kanarischen Inseln. Macht sich das bei Ihrer Tätigkeit bemerkbar?

UJ: Die Ursache der Migration an die Küste liegt zunächst darin, daß der Senegal in weiten Bereichen aufgrund von lang anhaltenden Dürren, aber auch aufgrund von Preisverfall in der Landwirtschaft zusammengebrochen ist. Das heißt, die Leute ziehen an die Küste und viele davon dort natürlich auch in die größeren Städte. Diesen Flüchtlingsstrom über den Senegal nach Europa, diese allgemein bekannte klassische Linie, gibt es nach wie vor. Er ist aber nach meiner Kenntnis ein wenig geringer im Verhältnis zu früheren Jahren.

SB: Wie schaffen Sie es angesichts des Drucks auf die Fischerei beispielsweise durch die großen Fischereiabkommen oder durch die Migranten, die versorgt werden wollen, die örtlichen Fischer dazu zu bewegen, ihre Fischmengen zu begrenzen, beziehungsweise sich ihre Arbeit gewissermaßen regulieren zu lassen?

UJ: Regulieren müssen wir das. Im Prinzip ist der Druck der sinkenden Fischbestände bereits so groß, daß dies auch für die Fischer einsichtig ist. Denn ihre Fänge gehen zurück und von daher besteht auch von Seiten der Fischer ein großer Bedarf, Maßnahmen zu ergreifen, die erfolgreich sind.

Dabei geht es im wesentlichen um zwei oder drei Maßnahmenschwerpunkte, zum einen, Teile dieser Schutzgebiete völlig vom Fischfang auszuschließen, zum anderen versuchen wir, auf die Art der benutzten Netze Einfluß zu nehmen, das heißt, dafür zu sorgen, daß nicht zu feinmaschige Netze verwendet werden, mit denen dann wiederum zu viele jugendliche Fische gefangen werden. Und das dritte ist eine Aufwandsbeschränkung, für die man dort eine viel einfachere Lösung hat, als wir das von den Quoten her kennen. Dort hat man bereits in den unterschiedlichen Gebieten verabredet: Jeder darf nur einmal am Tag rausfahren. Das sind einfache Regeln, die von den Fischern selbst gemacht werden.

Viele afrikanische Fischer schieben ein traditionelles Boot ins Meer - Foto: via Wikimedia Commons, public domain

Jeder darf nur einmal am Tag rausfahren. Das ist eine viel einfachere Lösung, als eine Quotenregelung.
Foto: via Wikimedia Commons, public domain

Was ich im Zuge des Drucks der Migranten vom Land noch nicht erwähnt hatte: Ein großer Teil der Fischer wandert auch selbst entlang der Küste mit den Fischschwärmen. Es gibt also auch noch migrierende Fischer, die dann in anderen Gebieten mitfischen. Das heißt, die anliegenden Fischer erhoffen sich von einem Fischereimanagement auch, daß es Regeln aufstellt, die für diese auswärtigen Fischer gelten. So daß dann in gewisser Weise ihre eigene Ressource vor dieser Form von Ausplünderung geschützt werden kann.

SB: Sie hatten vorhin ein eindrückliches Beispiel für die zur Verfügung stehenden Mittel beim praktizierten Umwelt- und Meeresschutz erwähnt: Zwei Personen in einem Raum mit einem Tisch und einem Toaster sollen die Fischerei in einem Meeresschutzgebiet kontrollieren, und all das ohne eigenes Boot. - Sind die staatlichen Behörden überhaupt in der Lage, ihre eigene Fischereizone, also Wirtschaftszone, vor den großen, europäischen Trawlern zu schützen? Gibt es auf nationaler Ebene erfolgreiche Bemühungen, da klare Grenzen abzustecken und ausländischen Fangflotten Einhalt zu gebieten?

UJ: Das ist sehr heterogen. Interessanterweise gilt Mauretanien als ein Musterbeispiel für eines der besten und effektivsten Überwachungssysteme. Um es aufzubauen, wurde dafür seit mehr als zehn Jahren deutsche Entwicklungshilfe in Millionenhöhe investiert. Die Entwicklungsbank KfW hat dort ein sehr langwieriges Projekt durchgeführt. Das heißt, technisch gibt es nun die Voraussetzung zur Überwachung. Es fischt dort keiner mehr, der nicht gesehen wird. Solange aber natürlich die Regierung an Land korrupt ist, nützt das nicht viel, weil dann im Zweifelsfall vielleicht einfach nicht eingeschritten wird. Diese Situation hat sich in Mauretanien natürlich erheblich verbessert. Aber in anderen Ländern gibt es diese Auffassung noch nicht.

SB: Wie sieht das mit den illegalen Nutzern des westafrikanischen Fischreichtums aus? Der Senegal ist seit 2006 aus dem Fischereiabkommen mit der EU ausgetreten. Welche Möglichkeiten hat man, die illegalen, ausländischen Trawler zu erwischen, die hier dennoch unter falscher Flagge fischen, wenn es kaum gelingt, den eigenen senegalesischen Fischfang in den notwendigen Grenzen zu halten?

UJ: Ich glaube, man muß hier die jeweilige Größenordnung verstehen. Also wenn es sich um illegale internationale Benutzer handelt, muß man einfach einschreiten. Da ist dann Polizei gefragt und alle Maßnahmen, die man dafür hat.

Wenn es aber um Mitglieder der Communities geht, die neben diversen Strategien, um sich irgendwie ihren Lebensunterhalt zu sichern - und das ist ja schon mühsam genug -, vielleicht auch illegale Mittel nutzen, dann muß man einfach mit berücksichtigen, daß man sie in eine vermutlich ziemliche schwierige Situation bringt, wenn man dann in Anführungsstrichen "zu polizeilich" vorgeht, ohne den Leuten eine Alternative zu bieten. Denn diese Menschen können das nicht so einfach ersetzen. Darüber hinaus drängt man sie mit solchen Maßnahmen noch mehr in die Illegalität und hat dann das Problem, daß diese Aktivitäten noch heimlicher, professioneller oder verdeckter durchgezogen werden. Plötzlich hat man es mit Schwarzmärkten und dergleichen zu tun.

Es ist also ganz wichtig, sensibel vorzugehen. Und außerdem ist das dann wieder superwichtig für den sozialen Frieden in diesen Orten. Es ist schließlich so, daß der eine Fischer, mit dem wir vielleicht gerade in dem Meeting zusammensitzen und über das Fischerei-Management reden, gleichzeitig hinter seiner Hütte die "Haifischflossen" haben kann. Das kann man nicht einmal als Doppelmoral oder Betrug verdammen. Das sind einfach Überlebensstrategien, in denen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt werden müssen.

SB: Eine Frage noch zu einem hiesigen Umweltproblem. Sie sind Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Lebensraum Elbe ...

UJ: ... oh, gut recherchiert, aber auch wieder nicht, denn erst letzte Woche habe ich mich davon verabschiedet. Ich mache jetzt ein Projekt auf Madagaskar und schaffe beides einfach aus Kapazitätsgründen nicht mehr. Sie können mich aber alles fragen.

SB: Die Hansestadt Hamburg will entgegen erheblicher Bedenken, die von Umwelt- und Naturschutzorganisationen geäußert wurden, die Elbe nach wie vor vertiefen, um größeren Frachtern Zugang zum Hafen zu verschaffen. Wie schätzen Sie das ein, mal von der Gegenseite betrachtet: Würde Hamburg Ihrer Ansicht nach im Rahmen des globalen Handels zur See erhebliche Nachteile gegenüber Konkurrenten erleiden, wenn die Elbvertiefung noch verhindert werden könnte?

UJ: Also das ist nicht unsere Auffassung. Der WWF unterstützt die von BUND und NABU initiierte Klage gegen die Elbvertiefung, und wir halten diese ökonomischen Schreckensszenarien, die regelmäßig von der Hamburger Wirtschaft aufgebaut werden, für erstens stark übertrieben, für sehr polemisch und ehrlich gesagt auch für eine Ablenkung von den eigenen Versäumnissen. Man sieht ja, daß jedesmal, wenn die Wirtschaft kriselt, auch der Seeverkehr einbricht. Dabei gibt es durchaus an mehreren Ecken erheblichen Umstellungsbedarf. Es gibt zum Beispiel eine dringende Notwendigkeit für Innovationen in der Hafenwirtschaft, die aber einfach nicht wahrgenommen werden. Alles konzentriert sich auf die Frage der Elbvertiefung, weil man da einen Schuldigen hat und somit von den eigenen Versäumnissen ablenken kann. Von daher teile ich diese Ansicht überhaupt nicht.

SB: Und waren Sie in der Vergangenheit im Stiftungsrat in der Lage, Ihre Stiftungsratskollegen, die teilweise doch sehr wirtschaftsnah und möglicherweise auch stärker zum Handel hin positioniert sind, von den Argumenten Ihrer Naturschutzorganisation zu überzeugen?

UJ: Nein, und zwar aus einem einfachen Grund, weil das nicht Thema in der Stiftung ist. Die Stiftung, die sich aus NGO's, aus Wirtschaft und Verwaltung zusammensetzt, hat einen anderen Auftrag. Die Stiftung hat von der Hansestadt Hamburg Geld bekommen und erhält auch regelmäßig einen Teil des Hafengeldes von Hamburg, um Maßnahmen zur ökologischen Verbesserung der Elbe durchzuführen. Und wir fassen das als Stiftung nicht als einen politischen Auftrag auf, sondern sehen darin eine praktische Aufgabe, bei der wir zusammenarbeiten, um solche Projekte konkret durchzuführen und eben gerade nicht in diesen Grabenkämpfen zu versinken. Alle Beteiligten treffen sich auch bei anderen Gelegenheiten und da werden die Themen natürlich auch kontrovers diskutiert. In der Stiftung selber konzentrieren wir uns aber auf den Auftrag, mit den vorhandenen Mitteln in relativ bescheidenem Rahmen ökologische Verbesserungen durchzuführen. Und da sind wir uns auch alle einig.

SB: Sie sprachen gerade von einem neuen Projekt in Madagaskar. Was haben Sie dort vor, und was sind Ihre nächsten Pläne?

UJ: Dabei handelt es sich um ein Projekt zum Mangrovenschutz in einem Gebiet im Norden von Madagaskar, in dem sehr viele Mangroven abgeholzt werden, um Holzkohle daraus zu gewinnen, die dann in benachbarten Städten landet oder auf andere Weise nicht nachhaltig genutzt wird. Dabei arbeiten wir mit vier Dörfern am Aufbau von Management-, Monitoring- und Überwachungssystemen. Darüber hinaus versuchen wir bei den Abnehmern in den umliegenden Dörfern oder Kleinstädten den Bedarf an Holzkohle zu senken, indem wir dort energiesparende Kocher einführen. Und schließlich klären wir auch über effektivere Methoden auf, die Holzkohle herzustellen, denn ungefähr zwei Drittel der Energie verpufft gewissermaßen schon dadurch, daß eben diese Meiler [7] nicht richtig effizient sind.

Und dabei geht es dann wieder um die spannende Frage: Wie geht man mit illegalen Nutzern um? Kriminalisiert man sie oder versucht man, sie ins Boot zu holen und Alternativen zu schaffen.

SB: Herzlichen Dank, Herr Johannsen.

Der Holzkohlemeiler wird ebenerdig, möglichst an einem Ort nahe einem Gewässer zum späteren Löschen in Form eines Kegels gebaut. Zu Beginn wird ein Schacht aus Stangen errichtet, die senkrecht in den Boden gelassen werden. Rundherum werden ca. 1 m lange Holzstücke aufgeschichtet. Darauf kommt ein Dach aus trockenem Laub, Heu oder Stroh. Zum Abschluß wird der Meiler mit Gras, Moos und Erde luftdicht verschlossen. - Foto: 2008 by Epei, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 unported Lizenz

Nur durch einen sorgfältigen, dichten Aufbau kann eine effektive Verkohlung erreicht werden, bei der das Kohlenstoffgerüst der Holzzellen zu 98 Prozent erhalten bleibt.
Foto: 2008 by Epei, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 unported Lizenz


Anmerkungen:

[1] http://www.wwf.de/themenprojekte/projektregionen/westafrikanische-meeresregion/faszinierende-vielfalt

[2] Weitere Berichte und Interviews zur Bremer Tagung unter:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/062: Zukunft der Meere - Tiefsee in Not (SB)
Unendliche Weiten? Immer weniger Lebensraum für die Meeresbewohner!
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0062.html
BERICHT/063: Zukunft der Meere ... und machet sie euch untertan ... (Genesis, Kap. 1, Vers 28) (SB)
Das WBGU-Gutachten "Welt im Wandel - Menschheitserbe Meer" - Befreiung vom Raubbau oder dessen Fortsetzung?
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0063.html

INFOPOOL → UMWELT → REPORT
INTERVIEW/069: Zukunft der Meere - Pflichten des Fortschritts? (SB)
Interview mit Dr. Onno Groß
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0069.html
INTERVIEW/070: Zukunft der Meere - Menschheitsrecht und Menschenpflicht, Michael Stadermann im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0070.html
INTERVIEW/071: Zukunft der Meere - Schlafende Hunde, Prof. Dr. Alexander Proelß im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0071.html

[3] Andrea Müller-Frank, "Leere Netze!? Fischerei zwischen Globalisierung und Meeresschutz - Das Logbuch einer politischen Rundreise entlang der norddeutschen Küste zu den globalen Auswirkungen der EU-Fischereipolitik, Informationsbroschüre Dialog 06, Herausgeber: Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V., Arbeitsschwerpunkt "Fair Oceans" und Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. 2011
http://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Dialog/Dialog_06_Leere_Netze.pdf

[4] Laut Greenpeace sind ohnehin nur ein Prozent der Meere weltweit geschützt. 40 Prozent der Weltmeeresfläche müßte weltweit geschützt werden, um die Artenvielfalt im Meer zu bewahren.

[5] Die Karte mit besonders für die Überfischung anfälligen Gebieten, ist auch auf der Webseite des WWF zu finden.
http://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei/ueberfischung/weltweite-ueberfischung/
Sie verdeutlicht, daß nicht nur die befischte Fläche zugenommen hat, sondern auch die Intensität der Nutzung: Eine immer größere Meeresfläche wird immer stärker genutzt. Um die Auswirkungen der Fischerei auf die Ökosysteme zu messen, analysierten die Wissenschaftler die benötigte Primärproduktion (PPR). Sie steht für die Energie, die einem Fisch bis zum Fang von seinem Ökosystem bereitgestellt wurde und setzt sie ins Verhältnis zur gesamten verfügbaren Energie in diesem Meeresgebiet. Die blauen Flächen in der Karte stehen für wenigstens 10 Prozent Entnahme der PPR (die für nachhaltig und vernünftig gehalten wird), orange für wenigstens 20 Prozent und rot weist auf eine Entnahme von mindestens 30 Prozent der PPR hin. Bei 30 Prozent PPR-Entnahme gehen dem Ökosystem ein knappes Drittel der gesamten Primärproduktion eines Gebietes durch die Fischerei verloren. Im Vergleich mit den Fangstatistiken der Welternährungsorganisation (FAO) wird deutlich, daß die meisten der roten Gebiete bereits an Überfischung leiden. Im globalen Maßstab trägt die Europäische Fischerei signifikant zu der Belastung der Fischbestände bei.
Mehr dazu siehe Studie der Universität von British Columbia:
http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Sea-Around-Us-EU_fleet-expansion_Jan-18-2012.pdf

[6] Das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD) wurde 1992 mit maßgeblicher Unterstützung des WWF auf der UN-Weltkonferenz in Rio de Janeiro verabschiedet. Es ist das erste internationale Regelwerk, das den Schutz der gesamten biologischen Vielfalt umfaßt und diesen mit der nachhaltigen Nutzung biologischer Ressourcen durch den Menschen verbindet. Die CBD geht über die Inhalte früherer Artenschutzabkommen - zum Beispiel die Konvention über wandernde Tierarten (CMS) und das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) - hinaus. Mehr dazu siehe:
http://www.wwf.de/themen-projekte/biologische-vielfalt/reichtum-der-natur/cbd-die-un-konvention/

[7] Gemeint ist hier ein Holzkohlemeiler für die älteste Methode der Holzkohlengewinnung (Kohlenbrennerei), bei dem das Holz in annähernd halbkugel- oder kegelförmigen Haufen (Atommeiler haben davon später ihren Namen erhalten) in großen Scheiten regelmäßig (und zwar stehend oder liegend) um drei in der Mitte errichtete Pfähle aufgesetzt und mit einer Decke von Rasen, Erde und Kohlenklein bedeckt wird. Unter dieser Decke leitet man die Verbrennung bei sorgsam geregeltem Luftzutritt in der Weise, daß möglichst nicht mehr Holz verbrennt, als unbedingt erforderlich ist, um die gesamte Holzmasse auf die Verkohlungstemperatur zu erhitzen. Die Effektivität eines Meilers hängt wesentlich von diesem Aufschichten ab.

30. Dezember 2013