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INTERVIEW/084: Atommüll ohne Ende - Omnikontaminativ, Roland Schüler im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Roland Schüler vom Friedensratschlag Köln



Roland Schüler bezeichnet sich als Mediator. Auf der Tagung "Atommüll ohne Ende", zu der Umweltverbände und Bürgerinitiativen am 28./29. März 2014 nach Berlin eingeladen hatten, um über die Frage einer Beteiligung an einer Kommission zur Suche nach Kriterien für ein Atommüllendlager zu diskutieren, hielt Schüler den Vortrag: "Wie geht es weiter? Prinzipien und Bedingungen gelingender Vermittlung in öffentlichen Konflikten. Bedeutung von Vertrauen und Misstrauen." Am Rande der Tagung stellte sich der Referent dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Roland Schüler
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie sind im Vorstand des Friedensbildungswerks Köln. Was macht diese Einrichtung?

Roland Schüler (RS): Das Friedensbildungswerk Köln ist eine 1982 gegründete Einrichtung der Friedensbewegung, die sich mit der konstruktiven Frage von Friedensbildung beschäftigt. Wir stellen die Frage, wie wir Frieden in jeglicher Richtung bilden können. Das betrifft sowohl die klassische Bildungsarbeit mit Aufklärung, Vorträgen und Informationen als auch die praktische Arbeit mit Fragen wie: Wie können wir an Konflikten, an Interessen, an Unterschieden konstruktiv arbeiten? Es ist vorhin auf der Tagung schon gesagt worden: "Ja, Streit ist gut, aber wir müssen ihn konstruktiv austragen."

SB: Ist damals das Friedensbildungswerk unter dem Eindruck der Stationierung der Pershing II-Raketen in Westeuropa entstanden?

RS: Ja, das ist in der Zeit entstanden. Die Friedensbewegung hat ja mehrere Hochs und Tiefs erlebt, und das war damals eines der Hochs. Da wurden ganz klassische Fragen der Sicherheitspolitik gestellt, etwas, das vorher nur Experten vorbehalten war. Wir haben uns beispielsweise mit militärischen Battle-Konzepten auseinandergesetzt, von denen vorher keiner eine Ahnung hatte. Das Wissen wurde demokratisiert, und dank der Aufklärung konnte die Bevölkerung mitreden. Auch hat die Friedensbewegung damals in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern öffentlich gemacht, was ein atomarer Erstschlag ist. Da gibt es also auch Parallelen zur Anti-Atombewegung.

SB: Wurde von Ihnen somit auch die sogenannte zivile Komponente der Atomenergie bearbeitet?

RS: Beides ist ja miteinander verzahnt. Neulich wurde der Fernsehfilm "Atomic Africa" gezeigt. Darin wurden Fragen aufgeworfen wie: Was bedeutet eine atomare Energieversorgung in Afrika? Welche Folgen hat das und welche Rückschlüsse sind daraus für Europa zu ziehen? Mit diesem Gesamtzusammenhang befassen wir uns.

SB: Würden Sie sagen, daß die Verbindung zwischen der Atomenergie und den Uranabbaugebieten in anderen Ländern eine Systemfrage ist, die gestellt werden sollte?

RS: Es hängt ja alles mit allem zusammen. Auf der Tagung heute ist noch einmal deutlich geworden, daß man sich nicht auf einzelne Teile fokussieren kann. Wir als Bewegung versuchen immer ganzheitlich zu denken. Und die einzelne Initiative am Standort denkt auch daran, was der Uranabbau in Australien oder Afrika bewirkt, welche Folgen das für die indigenen Völker hat und welche gesellschaftlichen Veränderungen dort stattfinden. Das betrifft ja den Bergbau, der dann militärisch gesichert wird. Militäreinsätze zur Bergbau- bzw. zur Rohstoffsicherung finden natürlich statt. Uran ist ein wichtiger Rohstoff.

SB: Kann so ein Thema in eine Kommission für die Endlagerstandortsuche eingebracht werden?

RS: Das ist die Frage, die ich offenlasse, weil ich sage: Das soll die Kommission entscheiden. Sie muß ihre Ziele festlegen, was sie eigentlich gemeinschaftlich diskutieren und daraufhin entscheiden will. Das Ziel kann ganz klein sein, wenn man den Fokus auf ein Endlager richtet, man kann es erweitern auf viele Atommüllendlager mit hoch-, mittel- und schwachradioaktivem Müll, und man kann es natürlich umfänglicher diskutieren und fragen, welche Auswirkungen die Atomenergie für Entwicklungen in verschiedenen Ländern dieser Welt hat.

SB: Welche Aufgabe käme einem Mediator in der Frage der Endlagerstandortsuche zu?

RS: Der Mediator oder die Mediatorin hat gleich mehrere Aufgaben und zwar als erstes - das haben wir jetzt bei der Suche nach einem Endlager schon übersprungen - die Anbahnung der gesellschaftlichen Akteure, die zu dieser Frage Stellung nehmen oder zu der Frage, wo die unterschiedlichen Interessen liegen, was die Streitpunkte sind oder worin die Herausforderungen liegen. Wie gehen wir mit dem vermeintlichen Endlager um oder auch, was sind die schlechtesten Möglichkeiten?

Ein Mediator oder eine Mediatorin würde dann die Akteure zusammenholen. Das ist jetzt irgendwie schon geschehen, es läuft. Die zweite Frage wurde hier auf der Tagung bereits aufgeworfen: Wie gestalten wir die Zielsetzungen? Wie arbeiten wir miteinander? Was sind unsere Inhalte? Wer redet wann wie miteinander?

Es würden also Rahmenbedingungen geschaffen und Leitplanken eingezogen, was berechtigterweise auch sein darf. Das wirft wiederum die Frage auf, wie diese entwickelt werden. Für diesen Prozeß ist eine Verständigung zwischen den verschiedenen Kulturen, zwischen den verschiedenen Welten, der Welt des Ministeriums, der Welt der Politik, der Welt der Initiativen, der Welt der Wissenschaft und der Welt der Atomindustrie erforderlich. Diese verschiedenen Welten müssen zusammengebracht werden, damit sie von ein und derselben Sache reden.

Das Problem kann man an dem wunderbaren Begriff "Neustart" erkennen. Jeder redet was anderes. Das Ministerium sagt, mein Neustart ist: "Wir reden mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren und holen sie ins Boot." Für die zivilgesellschaftlichen Akteure heißt Neustart aber: "Wir müssen die Atomgrundsatzfrage stellen."

Hier für Klarheiten zu sorgen und den Rahmen zu schaffen, ist die erste Aufgabe einer Mediatorin oder eines Mediators. Dann werden die konkreten Fragen gestellt. Auch dazu braucht man wiederum als Begleitung eine Person, die vertrauenswürdig ist und von allen Seiten anerkannt wird.

SB: Sie kommen aus der Region Köln, da gibt es den hoch umstrittenen Braunkohletagebau, für den ganze Dörfer abgerissen werden, teils gegen den Willen der Bevölkerung. Was würden Sie sagen, wie beim Bau eines ähnlich gelagerten Verhältnisses, dem Errichten eines atomaren Endlagers, verfahren werden sollte. Wie geht man damit um, wenn der größere Teil einer Region für das Endlager ist, ein kleiner Teil aber nicht?

RS: Das ist eine Endfrage, die lautet: Kann ich am Ende sagen, wie ich die Menschen vor Ort gewinnen kann, einschließlich derjenigen, die Verluste erlitten haben, weil sie auserwählt wurden, die Altlast aus der Vergangenheit in die Zukunft zu tragen? Diese Menschen muß man auf dem Weg mitnehmen und dann eben schauen, was für ein Ausgleich gefunden werden kann. Denn sie verlieren Heimat, sie verlieren das, was ist. Letztendlich wurde die Grundsatzfrage gesamtgesellschaftlich schon entschieden und bei der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung heißt es, daß einige eine größere Last mittragen müssen, auch wenn sie das nicht gewollt haben. Denn wir haben ja die Atommüllfrage nie gewollt. Und die anderen stehlen sich davon.

SB: Ein passendes Schlußwort. Vielen Dank, Herr Schüler.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Für Klarheiten sorgen und den Rahmen schaffen ist die erste Aufgabe einer Mediatorin oder eines Mediators"
Foto: © 2014 by Schattenblick

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4. April 2014